15.04.2014

Freie Rede: Ayaan Hirsi Ali und die Ehrendoktorwürde

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Eine US-Universität hat nach Protesten von Fakultätsmitgliedern der kontroversen Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali die Ehrendoktorwürde verweigert. Wie hier mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung umgegangen wird, hat einen faden Nachgeschmack, meint Sabine Beppler-Spahl

Ayaan Hirsi Ali hat viele Preise und Ehrungen erhalten. 2005 erklärte sie das amerikanische Time Magazin zu einer der 100 einflussreichsten Personen der Welt. In Deutschland wurde ihr 2006 der Kasseler Bürgerpreis verliehen (die Laudatio hielt Alice Schwarzer) und 2012 der Axel-Springer-Ehrenpreis. Nun aber hat die amerikanische Brandeis University ihr die Ehrendoktorwürde verweigert. Frühere Äußerungen der Islamkritikerin, so die Universitätsleitung, seien nicht vereinbar mit den Grundwerten der Institution (zu denen pikanterweise die freie Meinungsäußerung gehört). Zuvor hatten 85 der 350 Fakultätsmitglieder eine Protestpetition gegen die Verleihung der Doktorwürde unterzeichnet, mit der Begründung, die Ehrung einer solchen Frau sei ein Schlag ins Gesicht für muslimische Studenten. [1]

An dieser Geschichte zeigt sich, wie verworren die Debatte über den Islam und die freie Meinungsäußerung bei uns geworden ist. Gewiss, Ayaan Hirsi Ali ist eine umstrittene Person. Mit provokanten Äußerungen und einem einfachen Schwarz-Weiß-Schema wurde sie zur Ikone der Anti-Islambewegung. Geboren in Somalia, flüchtete sie in die Niederlande, wo sie von 2003 bis 2006 Mitglied des Parlaments war. 2004 erschien ihr Kurzfilm „Unterwerfung“, den sie mit dem später ermordeten Filmemacher Theo Van Gogh gedreht hatte und in dem sie den Islam als tyrannisch und frauenfeindlich darstellte. Unterdessen ist Hirsi Ali Amerikanerin.

„Die Petition gegen die Ehrung ist nichts anderes als ein Versuch, die Verbreitung einer unliebsamen Meinung durch äußeren Druck zu verhindern.“

Der Sinneswandel der Universität, die Hirsi Ali zunächst ehren wollte, kam angeblich, nachdem ein Zitat von ihr aus dem Jahr 2007 bekannt wurde. Darin soll sie gesagt haben, dass sich der Westen im Krieg gegen den Islam befinde, der erst friedlich sein könne, wenn er besiegt sei. Deswegen, so Hirsi Ali, könne es im Umgang mit dem Islam auch keinen mittleren Weg geben. Warum aber sollte ausgerechnet dieses Zitat für so viel Wirbel sorgen? Wurde Hirsi Ali nicht gerade wegen ihrer harschen Kritik am Islam bekannt, bewundert und vielfach geehrt? In zahlreichen anderen Interviews hatte sie die Religion als bigott, totalitär und destruktiv bezeichnet. [2] Es ist also unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet dieses eine Zitat war, das ein Umdenken der Universitätsleitung bewirkte. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie vor den Protesten eingeknickt ist. Und das ist bedenklich.

Warum? Weil es nicht um die Frage geht, ob Hirsi Ali die Ehrendoktorwürde aus akademischer Sicht verdient hat oder nicht, sondern allein darum, dass ihre politische Meinung manch einem nicht passt. Die Petition gegen die Ehrung ist nichts anderes als ein Versuch, die Verbreitung einer unliebsamen Meinung durch äußeren Druck zu verhindern oder gar zu tabuisieren. Gewiss ist es das gute Recht eines jeden, anderer Meinung zu sein als Hirsi Ali (ich bin es auch), Meinungsverschiedenheiten sollten aber offen ausgetragen werden und nicht, wie in diesem Fall, durch eine Empörungskultur überdeckt werden.

Vor allem das Argument, eine bestimmte Meinung sei kränkend, sollte jeder ablehnen, der das freie Wort schätzt. Mit diesem Argument kann alles verboten werden, was auch nur den Anschein des Konfrontativen in sich birgt. Jeder Witz, jede Streitschrift, jedes Theaterstück oder Kunstwerk, das nicht eine von allen akzeptierte Meinung präsentiert, liefe so Gefahr, der Zensur zum Opfer zu fallen, weil sich immer jemand finden würde, der sich durch diese oder jene Meinungsäußerung verletzt oder beleidigt fühlen könnte. Auch wenn zwischen einem Verbot und einer nicht erfolgten Ehrung noch viel Spielraum liegt, hat die Art und Weise, wie hier mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung umgegangen wird, einen faden Nachgeschmack. Soll eine Universität künftig nur solche Personen ehren dürfen, die eine für alle „akzeptable“ Meinung vertreten? Erlaubt wäre in einem solchen Fall nur die seichte Mitte.

„Die abgesagte Ehrung von Ayaan Hirsi Ali ist auch ein Ausdruck dafür, wie tief gespalten unsere Gesellschaft ist, wenn es um den Islam geht.“

Die abgesagte Ehrung von Ayaan Hirsi Ali ist aber auch ein Ausdruck dafür, wie tief gespalten unsere Gesellschaft ist, wenn es um den Islam geht. Hirsi Ali steht für all diejenigen, die glauben, der Islam sei die größte Bedrohung unserer Zivilisation. Auf der Gegenseite befindet sich eine nicht minder einflussreiche Gruppe, die meint, jede Kritik am Islam bedrohe die soziale Harmonie. Immer mehr Intellektuelle ordnen sich auf der einen oder der anderen Seite dieses „Islam-Konflikts“ ein. Die einen – meist Anhänger der alten Multikultibewegung - behaupten, die „Islamophobie“ (also die Angst vor allem, was islamisch ist) befände sich auf dem Vormarsch und Europa sei durch eine Welle von Hass und Intoleranz bedroht. Die anderen – oft Anhänger konservativer Parteien und Gruppen – sehen sich als Aufklärer gegen den „Islamofaschismus“. Dahinter verbirgt sich eine Art Kulturkrieg, der aber als solcher selten benannt wird. [3]

Problematisch ist er vor allem, weil beide Seiten nicht ehrlich für ihre Forderungen eintreten: Ob für Fortschritt oder Tradition gestritten werden soll – jeder Konflikt wird unter dem Deckmantel des Islams ausgetragen. Tatsächlich aber treibt beide Seiten die Politik der Angst, und beide fordern Verbote und Zensur. Wer wirklich die westlichen Werte der Freiheit verteidigen möchte, ist weder auf der einen noch auf der anderen Seite gut aufgehoben.

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