01.03.2006

Forschung braucht Zeit

Analyse von Thilo Spahl

Thilo Spahl über den Fall des Hwang Woo Suk.

Bis vor wenigen Monaten war der Koreaner Hwang Woo Suk ein Pionier der Stammzellforschung und genoss höchste internationale Anerkennung. Heute wissen wir, dass seine beiden wichtigsten Arbeiten gefälscht waren. Weder hatte er im Jahr 2004 Stammzellen aus geklonten menschlichen Embryonen gewonnen noch im Jahr darauf spezielle patientenspezifische Stammzelllinien, die für die Erforschung von Krankheiten von großem Wert hätten sein können. Kurz gesagt: Nach heutigem Stand ist es bislang niemandem auf der Welt gelungen, den zweiten Schritt für das therapeutische Klonen zu gehen. Hwang hat zwar menschliche Embryonen durch Zellkerntransfer erzeugt, jedoch keine Stammzellen daraus gewonnen – eine Enttäuschung für alle, die solchen technologischen Fortschritt begrüßen und mit Hoffnungen verbinden.


Hwangs Erfolge bleiben in wesentlichen Teilen auf die Tierwelt beschränkt, Snuppy, der erste geklonte Hund, ist sein Geschöpf. Bis vor drei Jahren war der „Klonstar“ Hwang einfach nur Spezialist für die Fortpflanzung von Tieren – nicht gerade ein Metier, mit dem man zu Weltruhm gelangen kann. Nachdem 1996 das Schaf Dolly geklont worden war, beschäftigte auch er sich mit dieser für die Landwirtschaft sehr nützlichen Technik, klonte 1999 Kühe, 2002 Schweine und 2005 einen Hund. Hätte er diese Reihe fortgesetzt, wäre vielleicht 2008 ein Schimpanse dran gewesen. Doch Hwang hatte eine Technik optimiert, die der Schlüssel zur Behandlung schwerer Krankheiten beim Menschen sein könnte. Er wollte für die Menschheit mehr leisten, als nur effiziente Tierzuchtmethoden zu entwickeln. Vielleicht wäre ihm das auch gelungen, wenn er einige Jahre weiter geforscht und nicht Ergebnisse gefälscht und Durchbrüche verkündet hätte, die es nicht gegeben hat. Jetzt ist seine Karriere beendet. Die kommenden Kapitel der Stammzellforschung werden ohne Hwang geschrieben.


Im Fälschungsskandal Hwang spielt das Heimatland des Forschers eine besondere Rolle. Hwang wurde getragen von den Hoffnungen seiner Landsleute und von der massiven Unterstützung der Regierung. Südkorea ist ein aufstrebendes Land, das der Welt beweisen will, dass es Großes leisten kann. Vor dem Fall Hwang konnte man in Seoul in Bezug auf seine Forschung auf großen Plakaten lesen: „Hope of the World, Dream of Korea“. Hwang mögen diese extrem hohen Erwartungen überfordert haben. Doch die Dynamik des Landes wird sich nicht dadurch ausbremsen lassen, dass ein Star versagt hat. Hwang war eben kein Ausnahmegenie, er war einer von vielen, die mit höchstem Einsatz daran arbeiten, für sich selbst und ihr Land etwas zu schaffen. Der Skandal ändert nichts daran, dass Hwangs Team weltweit führend bei der schwierigen Aufgabe des Zellkerntransfers war und es bis heute noch ist.


Es sieht danach aus, dass das Land nach dem ersten Schock mit einem bedachten „Jetzt erst recht“ antwortet. Das gilt natürlich insbesondere für die koreanische biomedizinische Forschung, die von pauschaler Diskreditierung bedroht ist und zeigen muss, was in ihr steckt. Das mag ihr gelingen, denn nicht nur im Bereich embryonaler Stammzellen, sondern auch bei der Erforschung und therapeutischen Nutzung adulter Stammzellen sowie bei der Xenotransplantation, also der Übertragung von Organen geklonter Schweine (aus dem Labor Hwangs) auf andere Tiere – auch hier natürlich mit dem Ziel, irgendwann Menschen damit helfen zu können – zählt die koreanische Forschung zur Weltspitze.
 

„Der Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts deckt Fehler und Betrug automatisch auf.“



Aus dem Hwang-Skandal kann man viele falsche Schlüsse ziehen. Falsch ist es zuallererst zu glauben, die Wissenschaft sei von Betrug durchzogen. Betrug und das „Schönen“ von Ergebnissen mag hin und wieder geschehen, doch es ist nicht Bestandteil des historischen Gangs der Wissenschaft. In der internationalen Spitzenforschung fliegt jeder Betrug auf, meist schon nach wenigen Monaten. Das liegt in der Natur der Sache, denn gefälschte Ergebnisse lassen sich nicht von anderen reproduzieren, sie bieten keine Basis für weitere Forschung. Betrug mag in Nischen, für die sich keiner interessiert, gedeihen, aber nicht auf Feldern, auf die die ganze Welt schaut. Deshalb sind Skandale wie der Fall Hwang ausgesprochen selten.
Falsch ist auch die Forderung, die bedeutenden Fachzeitschriften wie Science und Nature müssten eingereichte Arbeiten vor Veröffentlichung umfassender prüfen. Diese Prüfung kann niemals darauf zielen, Fälschungen zu entlarven. Ihre Aufgabe ist es zu entscheiden, ob eine Arbeit inhaltlich bedeutsam und methodisch sauber ist.
Falsch ist überdies die Meinung, wir bräuchten mehr Regulierung und Kontrolle in der Wissenschaft. Der Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts deckt Fehler und ebenso Betrug automatisch auf, Kontrolleure kann man sich da sparen, sie wären nur nutzlose Symbole unangebrachten Misstrauens.


Eine Lehre, die wir aus dem Skandal jedoch durchaus ziehen könnten, ist jene, dass die Forderung nach schnellen (kommerziell) verwertbaren Ergebnissen der Forschung schadet. Stammzellforschung ist Grundlagenforschung, doch die Welt wollte von Hwang nicht etwas über Differenzierungsprozesse in Zellen hören, sondern über die Heilung von Krankheiten. Das mag Teil seines Verhängnisses gewesen sein. Wer der Forschung „weltliche“ Ziele setzt, vor Beginn jedes Forschungsprogramms hören will, welche Anwendungen in wenigen Jahren daraus zum Wohle der Menschheit oder der Nation erwachsen sollen, oder sie gar in erster Linie als Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft sieht, degradiert sie. Genau dies ist jedoch nicht nur in Korea der Fall, wo man die Forschung als Mittel zum Zweck zum wirtschaftlichen Aufstieg des Landes sieht, sondern auch in Deutschland, wo Politikern kaum mehr ein Argument zur Verteidigung der Wissenschaft einfällt als das Versprechen, durch Forschung könnten Arbeitsplätze entstehen. Wahre Wissenschaft ist jedoch nur einem Ziel verpflichtet: dem Erkenntnisgewinn.

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