18.02.2014

Fall Edathy: Exkludierende öffentliche Beschämung

Von Monika Frommel

Der staatsanwaltschaftliche Umgang mit dem SPD-Politiker Edathy ist aus rechtsstaatlicher Sicht skandalös, argumentiert Strafrechtsprofessorin Monika Frommel. Aber auch die politische und öffentliche Haltung zur Kinderpornographie bedarf der grundsätzlichen Kritik

Der Fall Edathy [1] schien zunächst nur strafrechtlich und strafverfahrensrechtlich interessant und bedenklich zu sein, nun weitet er sich zu einem Desaster der politischen Kultur aus, weil die politische Elite beschlossen hat, schon beim Stichwort „Kinderpornographie“, sei es nun berechtigt oder nicht, eine Art Kontaktsperre zu verhängen und jede Ansteckungsgefahr zu vermeiden. Gefragt wird nicht mehr, ob die Staatsanwaltschaft zu Recht von „Kinderpornographie“ gesprochen hat oder nicht, nur wenige sprechen davon, dass sie eigentlich hätte sagen müssen: „Nacktfotos von Jugendlichen, möglicherweise auch von Kindern“. Nachdem klar war, dass es keine „Kinderpornographie“ gab, wird kurz umgeschaltet und dreist festgestellt, dass jedenfalls untragbar sei, wer Nacktphotos von Jungs bestelle (so SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel am 17.02.2014). Die Parteispitze der SPD tut so, als wären Photos von mehr oder weniger unbekleideten jungen Mädchen nicht das tägliche Werbefutter für heterosexuelle Männer und als wäre das nicht die Folie für fatale Identifikationsprozesse bei jungen Mädchen. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass es uns nichts angeht, was andere Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung interessiert, so lange sie das Bildmaterial im stillen Kämmerlein konsumieren.

Unter Kinderpornographie versteht man die Darstellung des sexuellen Missbrauchs von Kindern unter 14 Jahren. Nacktphotos sind keine pornografischen Darstellungen. Aber diese enge Definition ist nicht mehr universal für die westlichen Rechtsstaaten. Das US-amerikanische, kanadische und schwedische Recht definiert jede Person unter 18 Jahren als „Kind“ und betreibt mit diesem geradezu widersinnigen „Kind“-Begriff sowohl auf UN-Ebene als auch auf EU-Ebene eine nicht unerhebliche ‚PorNO‘-Propaganda.

„Auch 40 Jahre nach der Verlorenen Ehre der Katharina Blum kann man noch (juristisch) unbescholtene Leute verbrennen, wenn man nur das richtige Tabuthema abfeuert.“

Neben dem Alter der dargestellten Person und der Intensität des Sexualbezugs kommen noch weitere Probleme hinzu. Darf ein rechtsstaatliches Strafrecht den bloßen Besitz von Bildern bestrafen? Es versteht sich von selbst, dass Herstellung und Verbreitung von Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern verboten sind, schließlich perpetuiert jemand, der über Kontaktbörsen dieses Material vertreibt, egal ob gewerblich oder im Tausch, den geschehenen Missbrauch und begeht ein Unrecht. Diese Überlegung lässt sich aber nicht übertragen auf alle Bilder und schon gar nicht auf die Darstellungen Jugendlicher; denn Jugendliche werden nicht (wie Kinder, denen wir das sexuelle Selbstbestimmungsrecht absprechen, begriffsnotwendig) missbraucht, sondern sind schon eigenständige, sexuell verantwortliche Subjekte und können ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ausüben.

Eigentlich müsste jeder heterosexuelle Mann verstehen, dass männliche Homosexuelle FKK-Bildmaterial von Jungen, seien sie nun knapp unter oder über 14 Jahren, gerne betrachten; denn in unserer Kultur sind die Nacktheit von jungen Mädchen und der begehrliche Blick „normal“. Wie kann dann eine Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht konstruieren, eine Wohnung durchsuchen und Computer beschlagnahmen, wenn sie nur konkrete Hinweise auf unverfängliches Bildmaterial hat? Wie kann sie erwarten, dass ihre „Erfahrungen“ und ein angeblicher Graubereich im Bereich des § 184b StGB [2] genügt?

Zwei Erklärungen gibt es hierfür. Die erste entstammt der Berufserfahrung. Das deutsche Strafprozessrecht ist bei Zufallsfunden sehr nachsichtig. Also ist es für eine Staatsanwaltschaft, die schlecht geführt wird, nützlich, herum zu ermitteln. Irgendetwas findet sich, dann kann man den dringenden Tatverdacht, den man eigentlich nicht hatte, nachträglich rekonstruieren. Der zweite Grund ist teuflisch: Offenbar weiß die Staatsanwaltschaft im Fall Edathy, sozusagen aus Erfahrung, dass das Publikum bei der Nennung des Wortes „Kinderpornographie“ sehr schnell pädophile Neigungen assoziiert. Wer als Pädophiler etikettiert werden kann, der steht schon mit einem Bein außerhalb der „ehrenwerten“ Gesellschaft. Auch 40 Jahre nach der Verlorenen Ehre der Katharina Blum kann man noch (juristisch) unbescholtene Leute verbrennen, wenn man nur das richtige Tabuthema abfeuert. Neben Strafrecht und Moral gibt es offenbar noch so etwas wie politische Kontaktschuld, so Heribert Prantl:

„Welche Politiker von welchen Parteien hatten wann welchen Umgang mit Edathy und seinem Fall? Wer hat sich dabei wie angesteckt? Und wer versucht, sich auf Kosten des anderen Koalitionspartners zu salvieren? An wem (außer an Edathy selbst) bleibt die öffentliche Empörung über einen Politiker, der Kontakt zu Kinderpornografen hatte, hängen? [...] Es entwickelt sich, das ist hier ähnlich wie im Fall Wulff, eine neue damnatio memoriae: Im alten Rom war das die Verfluchung des Andenkens an eine Person nach deren Tod; Bilder und Inschriften, die den Verdammten zeigten oder nannten, wurden zerstört. Heute ist die damnatio bei prominenten Beschuldigten eine neue Sanktions-Art: Öffentliche Anprangerung und Verdammnis lange bevor geklärt ist, ob und wie sie sich schuldig gemacht haben. Ein Fortschritt ist das nicht.“
[3]

Kriminologen nennen das Exklusion. Sie dient dem Machterhalt derer, die „dazu“ gehören. Bei einer inkludierenden öffentlichen Beschämung könnte man ja noch nachdenklich werden. Aber das, was hier im Jahr 2014 geschieht, ist ein Rückfall in die Zeit vor der Großen Strafrechtreform der 1970er Jahre.

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