26.08.2013

Eurokrise: Hinter der Fichte

Von Alexander Horn

Die Euro-Rettungspolitik steckt in der Sackgasse. Dennoch sucht die Politik nicht den Dialog mit dem Bürger, sondern hält ihn aus der Diskussion heraus. Die anstehenden Entscheidungen müssen jedoch von der breiten Mehrheit mitgetragen werden. Ein Kommentar von Alexander Horn.

Der Vorwurf von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, die Bundesregierung führe den Bürger bei der Griechenland-Rettung „hinter die Fichte“ [1] ist absolut richtig. Allerdings liegt es nicht zuletzt an den Oppositionsparteien, allen voran der SPD selbst, dass das möglich ist. SPD und Grüne tun gerade so, als bräuchten sie die Bundesregierung, um den Stand der „Griechenland-Rettung“ selbst zu bewerten – was für ein Armutszeugnis. Statt in die Offensive zu gehen, etwa indem man die bekannten Fakten und die daraus erwachsenden politischen Konsequenzen zur Griechenland-Rettung klar benennt, begehen auch SPD und Grüne einen Vertrauensbruch gegenüber dem Wähler. Wie die Regierungsparteien haben offenbar auch sie kein Interesse, sich an der von Ihnen mitverantworteten Rettungspolitik messen zu lassen. Auch sie haben keine Strategie zur Bewältigung der Euro-Krise. Im Gegenteil rechtfertigen alle Seiten die unwürdige Salamitaktik gegenüber dem Bürger damit, dass es genau diesen „Masterplan“ nicht geben könne. Statt also nach nunmehr fünf Jahren Euro- und Griechenland-Krise über Perspektiven und Alternativen nachzudenken und zu diskutieren, feiern sich die Parteien geradezu in ihrer relativen Ahnungslosigkeit und wursteln sich „Schritt für Schritt“ weiter durch die Krise. Vor jedem neuen Schritt steht dann ein Sachzwang und damit die sprichwörtliche „Alternativlosigkeit“.

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren sehr deutlich erkennen lassen, dass sie die wichtigen Entscheidungen zur Euro-Krise am liebsten von den gewählten Volksvertretern fernhält. Sofern das Parlament überhaupt informiert wurde, geschah dies so kurzfristig, dass es den Abgeordneten schwer gefallen ist, zu einem eigenen Urteil zu kommen. Im Zuge der Krise wurden sogar die Euro-Verträge gebeugt. Das alles hat der Regierung von vielen Seiten erhebliche Kritik eingetragen – bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Aber nicht nur wird der Einfluss der Wähler dadurch geschwächt, dass ihre parlamentarischen Vertreter abgekanzelt werden: Regierungs- und Oppositionsparteien sind auch bemüht, den Bürger aus der Politik herauszudrängen. Wesentliches Element ist die scheinbare Strategielosigkeit, mit der ein reaktives Schritt-für-Schritt-Vorgehen gerechtfertigt wird. Der Wähler wird nicht wirklich in eine Diskussion über Vor- und Nachteile oder Risiken und Chancen bestimmter Handlungsalternativen einbezogen, was seine Urteilskraft entsprechend schwächt. Bei Entscheidungen bezüglich des Euro-Krisenmanagements gilt es daher offenbar, den in Fragen der Euro-Rettung angeblich mitunter irrationalen Wähler als potenziellen Störfaktor möglichst zu neutralisieren. Die sich selbst als aufgeklärt empfindende Elite in Regierung und Opposition sichert sich so größere Entscheidungsspielräume und entzieht sich zugleich weitgehend allem Rechtfertigungsdruck.

Dabei gibt es genügend hinter der Fichte zu entdecken. Die griechische Wirtschaft befindet sich seit mehr als fünf Jahren im freien Fall. Im ersten Halbjahr ist das Bruttoinlandsprodukt erneut um mehr als 5 Prozent gesunken, obwohl in den Jahren zuvor bereits ein Fünftel der griechischen Wirtschaftsleistung verlorengegangen war. Die Anhäufung von Schulden des griechischen Staates schreitet trotz des Schuldenerlasses von 100 Mrd. EUR (immerhin knapp ein Viertel der gesamten Staatschuld) und vieler Zugeständnisse der Euro-Partner schnell voran. Griechenland steht „mit einer Schuldenlast von 350 Mrd. Euro in einer völlig hoffnungslosen Überschuldungssituation“, so AfD-Sprecher Bernd Lucke, und es verschuldet sich bei den Partnern in immer höherem Maße. Trotz der erfolgreichen Tourismussaison liegt die Arbeitslosigkeit bei über 27 Prozent – Tendenz weiter steigend. Zwei von drei Jugendlichen sind inzwischen arbeitslos oder in Ausbildung. Angesichts der gegenwärtig für ganz Europa belastenden Strukturkrise, sind die für 2014 kursierenden Wachstumsprognosen mehr als fragwürdig.

„Griechenland – und damit die ganze Euro-Rettungspolitik – steckt in einer Sackgasse. Der Euro vereitelt die Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit über die Abwertung der eigenen Währung wieder herzustellen.“

Zu dieser verheerenden Lage haben sicherlich auch „Korruption, Bürokratie und Vetternwirtschaft“ einiges beigetragen, wie auch renommierte griechische Wissenschaftler immer wieder betonen. [2] Das zentrale, und von der Euro-Rettungspolitik weitgehend ignorierte Problem Griechenlands liegt jedoch in der geringen Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft. Wie in ganz Europa, so wäre eine wirtschaftliche Restrukturierung auch hier dringend erforderlich. Mit der Euro-Einführung in Griechenland wurde die ohnehin kleine und schwach entwickelte griechische Wirtschaft zusätzlich geschwächt. Seit Mitte der 90er-Jahre sind in Griechenland die Preise aber auch Löhne und Gehälter bedingt durch den Euro kontinuierlich gestiegen. Die ebenfalls durch die Euro-Einführung historisch niedrigen Zinsen ermöglichten Verteilungsspielräume bei Staat, Unternehmen und Privaten, die wesentlich in den Konsum geflossen sind. In den zehn Jahren nach der Euro-Einführung erlebte Griechenland einen Wirtschaftsboom, allerdings ohne dass es zugleich zu den notwendigen Investitionen und Produktivitätssteigerungen gekommen wäre, die höhere Löhne und eine Ausweitung des Staatssektors langfristig hätten rechtfertigen können. Das leichte Geld hat die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands weitgehend ruiniert.

Trotz der fünfjährigen Krise müßte Griechenland die Preise, also insbesondere auch Löhne und Gehälter, immer noch um mittlere zweistellige Prozentbeträge senken, um international wieder wettbewerbsfähig zu werden. Solange diese laut Ökonomen kaum erreichbaren Voraussetzungen fehlen, dürfte es Griechenland schwerfallen, neue Investitionen anzuziehen. Solange diese aber fehlen ist mit weiterem wirtschaftlichem Rückgang oder Stagnation zu rechnen. Griechenland – und damit die ganze Euro-Rettungspolitik – steckt in einer Sackgasse. Der Euro vereitelt die Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit über die Abwertung der eigenen Währung wieder herzustellen.

Letztlich steht die Euro-Rettungspolitik – wie das Beispiel Griechenlands zeigt – vor einem Scherbenhaufen. Da die Politik, die mit einem Austritt aus der Währungsunion verbundenen Turbulenzen und Kosten fürchtet, steht nach wie vor die Vermeidung aller Aktivitäten, die die Eurozone destabilisieren könnten an oberster Stelle. Beim letzten griechischen Schuldenschnitt stand konsequenterweise der Schutz der in Griechenland engagierten Privatbanken im Vordergrund. Diese standen so im Ergebnis deutlich besser dar, als es bei einer Insolvenz Griechenlands der Fall gewesen wäre. Zudem konnten sie das Restrisiko auf die europäischen Staaten abwälzen, die inzwischen für etwa 80 Prozent der griechischen Staatsschulden haften. Fest steht, die hohen und rasant weiter steigenden griechischen Staatsschulden müssen nun vom gesamteuropäischen Steuerzahler finanziert und abgetragen werden. Und das Griechenland-Debakel ist wohlgemerkt nur die Spitze des Eisbergs, der sich durch die Euro-Rettungspolitik immer weiter auftürmt.

„Die Konzentration der Politik auf die Stabilisierung des Euro verstellt den Blick auf die enormen wirtschaftlichen Herausforderungen, die der Kontinent bewältigen muss, wenn er wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen will.“

Nachrangig ist für die Politik die Frage, welches Geschäftsmodell oder welche Strategie etwa Griechenland zur wirtschaftlichen Gesundung verhelfen würde. Das ist fatal für ganz Europa und letztlich auch für Deutschland. Denn die ausschließliche Konzentration der Politik auf die Stabilisierung des Euro verstellt den Blick auf die enormen wirtschaftlichen Herausforderungen, die der Kontinent insgesamt bewältigen muss, wenn er wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen will. In fast allen europäischen Ländern hat die Deindustriealisierung gespenstische Züge angenommen. Deutschland hat es mit der Agenda 2010 nur mit erheblichen Zugeständnissen bei Löhnen und Gehältern und mit der Einführung eines staatlich geförderten Niedriglohnsektors geschafft, die industrielle Basis zu erhalten. Aufgrund der seit Jahrzehnten kontinuierlich rückläufigen Unternehmensinvestitionen steht auch dieser mit großen Opfern verbundene Erfolg in Frage. Hinzu kommen die Gefahren einer ausgeuferten Ökostromförderung, die Belastungen durch hohe Energiepreise und so weiter.

In einer solchen gesellschaftlichen Krise, deren wahres Ausmaß wir in Deutschland vielleicht gerade erst zu ahnen beginnen, ist es verheerend, wenn die Politik nicht alles tut, um den offenen und ehrlichen Diskurs mit dem Bürger zu suchen. Gerade in gesellschaftlichen Situationen, in denen schwere Entscheidungen getroffen werden müssen, ist es wichtig stabile politische Mehrheiten dafür zu gewinnen. Nur so werden die Wähler diese mittragen können. In der Euro-Krise wurde jedoch vor allem der Weg verfolgt, die Bürger aus dem politischen Prozess herauszuhalten. Das ist jedoch letztlich nichts anderes als eine Entmündigung des Wählers, der dann entweder direkt auf die göttliche Vorsehung oder deren irdische Variante in Form der Regierungselite hoffen muss – ganz nach dem Motto der Artikel zwei und drei des Rheinischen Grundgesetzes: Et kütt wie et kütt. Et hätt noch emmer joot jejange.

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