01.11.2001

Essen was den Genen schmeckt

Kommentar von Thilo Spahl

Thilo Spahl erwischt die Genforschung dabei, wie sie es sich in der Küche bequem macht.

Was wir heute als gesundheitsförderliche funktionelle Nahrungsmittel angepriesen bekommen, kann im Großen und Ganzen als zweifelhaft gelten. Weder nutzen dem normalen Esser LC-1 und Konsorten, noch schaden sie ihm. Doch damit ist das Thema nicht beendet. Denn die Entwicklung tatsächlich funktioneller Nahrungsmittel steckt noch in den Kinderschuhen, wird aber in den nächsten Jahren voranschreiten. Ziel der neuerdings mit dem Begriff „Nutrigenomik“ bezeichneten Forschungsrichtung ist es, herauszufinden, wie Gene und Ernährung bei der Entstehung von Krankheiten zusammenspielen. Aus diesem Wissen könnte sich in Zukunft eine auf die individuellen Erbanlagen abgestimmte Ernährung ableiten lassen, die dazu beiträgt, Krankheiten zu vermeiden.

Das wird zunächst zu wissenschaftlich fundierten, individuellen Ernährungsempfehlungen führen, die auf Basis von Gentests erfolgen. Weiterhin könnten für bestimmte Bevölkerungsgruppen spezielle funktionelle Lebensmittel entwickelt werden. Zur Herstellung dieser Nahrungsmittel wird auch eine Optimierung der pflanzlichen Rohstoffe für die Lebensmittelerzeugung erfolgen und zum „Genfood der nächsten Generation“ führen. Die Ernährungsforschung wird so zum Bindeglied zwischen Humangenomforschung und der Erforschung der Eigenschaften genetisch veränderter Pflanzen.

"Die Ernährungsforschung wird zum Bindeglied zwischen Humangenomforschung und der Erforschung genetisch veränderter Pflanzen."

Fast alle ernährungsbedingten Krankheiten haben eine genetische Komponente. Bei fortschreitender Kenntnis des humanen Genoms wird man daher eine Vielzahl von Ansatzpunkten finden, die sich für eine Prävention weit verbreiteter Krankheiten anbieten. Grundlage der neuen Ernährung wird natürlich die alte sein. Nahrungspflanzen enthalten etliche Wirk- und Nährstoffe. Findet man heraus, welche Bedeutung diese Stoffe für die menschliche Gesundheit haben und wie diese Wirkung von den individuellen Genen einer Person abhängt (so genannte „diet-gene interaction“), so kann man Nahrungspflanzen so verändern, dass sie durch bewusst herbeigeführte Wirkstoffan- oder abreicherung grundsätzlich für den Menschen gesünder werden oder aber für spezielle Diäten für kranke oder gefährdete Menschen genutzt werden können.

Natürlich gibt es auch heute schon krankheitsbezogene Ernährungsempfehlungen. Leute mit hohem Blutdruck vermeiden Salz, Herzinfarktgefährdete ernähren sich cholesterinarm, usw. Doch dies sind sehr pauschale Empfehlungen, die nicht auf individueller Analyse beruhen. Die Erkenntnisse der Genomforschung werden viel umfangreichere und präzisere Ernährungsregeln ermöglichen. Dave Evans, Geschäftsführer der US-Firma Wellgen, sagt voraus: „In weniger als zehn Jahren wird man in ein Labor gehen können, dort einige Gentests machen, um die persönliche Anfälligkeit für Krankheiten zu ermitteln, und dann eine Liste erhalten, auf der steht, welche Lebensmittel man essen sollte und welche nicht, und welche Nahrungsergänzungsstoffe man zusätzlich zu sich nehmen sollte.“ Andere gehen noch weiter und sagen voraus, dass die Tests direkt im Supermarkt an einem „Nutrigenomstand“ gemacht werden.

Profitieren soll am Ende jeder. Die Erkenntnisse der Nutrigenomik können für die Bekämpfung einer Vielzahl von Krankheiten bedeutsam sein. Dazu zählen zunächst Unverträglichkeiten und Allergien, für die schon heute spezielle Lebensmittel entwickelt werden, etwa genetisch veränderte Reissorten für die Millionen Reisallergiker in Asien oder glutenfreies Getreide für Menschen, die an Zöliakie leiden. Die Vorbeugung durch die neue „bewusste Ernährung“ soll aber auch bei den großen Volkskrankheiten wie Krebs und Herzerkrankungen, vielleicht auch bei neurologischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Autismus helfen. So sind Forscher der Universität von Florida der Meinung, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen diesen Krankheiten und der Fähigkeit, bestimmte Milchproteine zu verwerten. Dies wäre durchaus denkbar, denn ähnliche Zusammenhänge wurden für andere Erkrankungen bereits nachgewiesen. So erhalten schon seit langem beispielsweise manche Kinder, die unter Epilepsie leiden und nicht mit Medikamenten behandelt werden können, eine spezielle ketogene Diät mit wenigen Kohlenhydraten und viel Fett.

Prävention auf Basis einer individuellen Genomanalyse kann einsetzen, lange bevor es zum Ausbruch einer Krankheit oder zu offensichtlichen Symptomen der Gefährdung (wie Bluthochdruck) kommt. Die Gentests sollen schon jungen Menschen die notwendigen Informationen bieten, wie sie sich gegen genau die Alterskrankheiten schützen können, für die sie persönlich anfällig sind. Ob wir unsere Ernährungsgewohnheiten tatsächlich ändern und in Zukunft „genomgerecht“ essen, steht auf einem anderen Blatt. Wir werden sehen. Vielleicht bekommen wir bei McDonalds in 20 Jahren passend zu unserem Genprofil Alpha-, Beta- und Gammaburger.

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