30.04.2012

Eltern im Fadenkreuz

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Gerade Betreuungsgeldgegner zeigen in der aktuellen Debatte ein tiefes Misstrauen gegenüber Eltern - vor allem wenn diese Harz IV-Empfänger oder Migranten sind. Die Autorin verteidigt die elterliche Autonomie vor staatlicher Intervention und dem Erziehungsideal der Mittelklasse

Geht es beim Streit um das Betreuungsgeld wirklich um divergierende Frauen- und Familienbilder? Kritiker sprechen verächtlich von einer „Herdprämie“, mit der ein überholtes und rückwärtsgewandtes Familienidyll wiederbelebt werden soll. Doch es spielt deutlich noch etwas anderes mit, was weit weniger modern und aufgeschlossen wirkt, als den Gegnern möglicherweise bewusst ist: tiefes Misstrauen gegenüber Eltern, vor allem wenn es um Harz IV Empfänger und Migranten geht.

Aufschlussreich ist der grundsätzliche Blickwinkel, der sich in dieser Debatte offenbart und weit über die Betrachtung von Einzelfällen hinausgeht. So wird arbeitslosen Vätern oder Müttern nicht zugetraut, Entscheidungen zu treffen, die für sie und ihre Familien richtig sind. Vielmehr sollen sie vor den eigenen Fehlurteilen geschützt werden. Gerade arbeitslose oder niedrig qualifizierte Mütter sollten ihre Kinder extern betreuen lassen, heißt es, da ihnen der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben besonders schwer falle. Kann sich keiner vorstellen, dass die Entscheidung, sich um Kinder zu kümmern, wenn die Chancen auf dem Arbeitsmarkt schlecht sind, durchaus rational und folgerichtig sein kann? Vor nicht allzu langer Zeit hätte man, was nicht weniger überheblich war, arbeitslose Mütter, die ihre Kinder in den Kindergarten geben, der Faulheit bezichtigt.

Vor allem aber scheinen die Betreuungsgeldgegner davon auszugehen, dass Kinder von Migranten und Arbeitslosen vor den Fehlentscheidungen ihrer eigenen Eltern zu schützen seien. Galt es früher als selbstverständlich, dass Eltern die besten Vertreter der Interessen ihrer eigenen Kinder sind, geht man heute vom Gegenteil aus. Es wird ganz selbstverständlich unterstellt, bestimmte Elterngruppen seien nicht in der Lage, ihre kleinen Kinder ausreichend zu fördern. Jedes Geld, das man diesen Familien gebe, käme nicht den Kindern, sondern den Eltern zugute, heißt es. Cornelia Pieper von der FDP sprach sich deshalb schon 2009 gegen das Betreuungsgeld aus, weil dieses von sozial schwachen Familien nur für den Konsum ausgegeben werde.
[1] Ähnlich argumentierten unsere Politiker, allen voran Ursula von der Leyen (CDU), als es um die Bildungsteilhabe ging. Nur durch ein Chipkartensystem, hieß es, käme das Geld auch wirklich bei den Kindern an. Die scharfe Trennung, die hier zwischen Kindern und ihren Familien gemacht wird, ist willkürlich. Sind die Kinder nicht vor allem deswegen arm, weil ihre Eltern wenig Geld haben? Wieso soll mehr Geld für Familien nicht auch den zu diesen Familien gehörenden Kindern zugutekommen?

Es ist eine Ironie unserer Zeit, dass ausgerechnet die „konservativen“ Politiker der CSU darauf hinweisen, welch anti-liberale, autoritäre und misstrauische Grundeinstellungen sich hinter solchen Vermutungen verbergen. Zu Recht spricht die bayerische Staatsministerin, Christine Harderthauer von einem Paradigmenwechsel der Politik. An diesen Beispielen, so Harderthauer sei die „Annahme zu erkennen, dass der Einzelne, hier also die Eltern, grundsätzlich weniger verantwortungsvoll handeln als der Staat“ (FAZ 16.8.2010).

Dabei ist der Vorstoß der Politik, die Kinderbetreuungsplätze in Deutschland auszubauen, durchaus lobenswert. Vor allem in den alten Bundesländern herrscht ein großer Mangel an Kindergärten und Krippen. Im Jahr 2006 besuchten nur etwa 13,5% der unter Dreijährigen eine Betreuungseinrichtung. [2] Für einen Großteil der Frauen stellt sich nicht die Frage, ob sie ihr Kind extern betreuen lassen wollen, sondern ob sie überhaupt einen Platz bekommen. Dabei ist die Bereitstellung von Kinderbetreuungsplätzen eine klassisch hoheitliche Aufgabe und eine wichtige Dienstleistung für den Bürger. Sie bestärkt Eltern in ihrer Wahlfreiheit und sollte daher nicht, wie es die derzeitige Debatte nahelegt, zu einem Instrument sozialer Steuerung degradiert werden. Fast scheint es, als solle das Fenster der Wahlfreiheit immer kleiner gehalten werden, je mehr Möglichkeiten uns zur selbstbestimmten Lebensgestaltung zur Verfügung stehen.

Schuld daran ist natürlich die Überzeugung, dass viele Eltern mit ihrer Wahlfreiheit unverantwortlich umgehen. Deswegen wäre es an der Zeit, mit einigen festgefahrenen Vorurteilen aufzuräumen. Warum sind wir so schnell bereit, von einzelnen Randerscheinungen auf größere gesellschaftliche Gruppen zu schließen? Auch hier hat Christine Harderthauer recht, wenn sie schreibt, dass die Antwort auf die Verantwortungslosigkeit Einzelner nie die Kollektivbevormundung sein dürfe. Der Vorschlag, das Betreuungsgeld an die Kinderarztuntersuchungen zu knüpfen, spricht dafür, dass die Politik aber genau dies tut. Als müsse man von Vernachlässigung und Schädigung des Kindes ausgehen, wenn dieses zuhause betreut wird, soll ein Element der Kontrolle in die Gesetzesvorlage eingebaut werden. Nicht die Vorsorgeuntersuchungen sind das Problem, sondern die Art und Weise, wie diese von der Politik instrumentalisiert werden.

Vieles ließe sich über das Betreuungsgeld sagen. Möglich, dass die Befürworter tatsächlich dem klassischen Familienmodell anhängen. Richtig ist auch, dass der Staat spart, denn die Betreuung eines Kleinkindes in einer Einrichtung kostet mehr. Auch darf eine Regierung durchaus Prioritäten setzen und so seine Mittel in den Ausbau von Kindergärten stecken, ohne unbedingt die private Zuwendung gleichzeitig zu erhöhen. Doch dem Betreuungsgeld ist es zu verdanken, dass wir wenigstens ansatzweise eine Debatte über die grundlegenden Fragen unserer Zeit führen, die die Rolle des Staates und die Freiheit des Individuums sowie unser Menschenverständnis betreffen.

Die Gegner des Betreuungsgeldes dürfen sich der Zustimmung großer Teile der Bevölkerung sicher sein. Ein Grund ist, dass in unserer unpolitischen Zeit soziale Probleme zunehmend individualisiert werden. Die Vorstellung, alle Probleme und jedes Fehlverhalten seien ausschließlich sozial motiviert, gilt zu Recht als ziemlich platt. Auch der Appell an Eigenverantwortlichkeit enthält, sofern er die Autonomie des Individuums betont, viel Positives. Trotzdem ist es naiv zu glauben, Armut und soziale Ausgrenzung seien dem eigenen Fehlverhalten zuzuschreiben. Wenn Kinder schlecht in der Schule sind, so wird dies in unserer Zeit fast ausschließlich den Eltern zugeschrieben. So erklärt sich der beständige Ausbau des bevormundenden Staates, der die Lösung für gesellschaftliche Probleme darin sieht, das Verhalten Einzelner zu beeinflussen.

Natürlich ist Geld nicht alles, und selbstverständlich können auch Kinder aus sogenannten sozial schwachen Familien den Sprung in die Mittelklasse schaffen. Dennoch ist und bleibt der sicherste Weg zum Erfolg, aus einer gut situierten deutschen Mittelklassenfamilie zu stammen. Mehr noch: Bis heute fehlt es an handfesten Beweisen dafür, dass die vielen Programme zur frühkindlichen Förderung ihr selbsternanntes Ziel - die Chancen der Ärmsten zu verbessern - auch nur annähernd erreichen. Immer weniger wird über die tiefer liegenden Ursachen für gesellschaftliche Unterschiede nachgedacht und stattdessen auf simple Maßnahmen verwiesen, die angeblich den großen Unterschied bringen sollen. Die Auswirkungen von relativer Armut werden mit deren Ursache verwechselt. So wird festgestellt, dass Kinder aus Familien, in denen es mehr Bücher gibt, besser in der Schule sind. Daraus wird der Schluss gezogen, dass man Kinder mit Büchern in Verbindung bringen muss, damit sie bessere Chancen haben. Gute Elternschaft, so die irrige Vorstellung, die sich hier manifestiert, kann auf eine Reihe von Techniken reduziert werden. Diese, und nicht die grundsätzliche Qualität der Beziehung, entscheiden dann über die Chancen des Kindes. Deshalb sollen Eltern, die sich nicht an die vermeintlich erfolgreichen Techniken halten, ihr Kind möglichst extern betreuen. Nun wird befürchtet, das Betreuungsgeld halte vor allem die Kinder von der frühen Förderung fern, die den größten Nutzen aus ihr ziehen würden.

Das Idealbild einer guten Erziehung korrespondiert dabei mit den Vorstellungen der deutschen Mittelklasse, und Kinder aus benachteiligten Strukturen werden von Geburt an als potentiell gefährdet eingestuft. Politiker und Kinderschutzverbände stoßen daher auf Zustimmung, wenn sie versuchen, frühzeitig einzugreifen, um das Schlimmste zu verhindern. Zugespitzt formuliert, sollen die Kinder so weit wie möglich dem toxischen Einfluss des Elternhauses entzogen werden. Der Erfolg dieser Kinder hängt somit, in den Augen vieler, von einer möglichst engen und frühen Verbindung zum Staat ab.

Zu schön, um wahr zu sein, ist jedoch die Vorstellung, wir könnten unsere gesellschaftlichen Probleme – von Arbeitslosigkeit und hohen Schulabbrecherquoten bis hin zur Jugendkriminalität - durch Vorlesen und die „richtige“ Zuwendung im frühen Kindesalter lösen. Die Mechanismen, die Benachteiligung und Armut reproduzieren, sind komplex und vielfältig. Der an sich untadelige Wunsch, armen Kindern zu helfen, kann schnell zu Illusionen führen, vor deren Konsequenzen wir uns hüten sollten.

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