20.10.2014

Eizellen einfrieren: Soziale Kälte?

Von Thilo Spahl

Wenn Apple und Facebook Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen (Social Freezing) bezahlen, ist das nicht Ausdruck von Allmachtsphantasien der Firmen, findet Thilo Spahl. Auch bedeutet das keine Absage an das Ideal der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Ab Mitte 30 sinken die Chancen, auf natürliche Weise ein Kind zu bekommen. Frauen, die aus welchen Gründen auch immer, die Option auf ein eigenes Kind bewahren wollen, haben seit einiger Zeit die Möglichkeit, eigene, junge Eizellen einfrieren zu lassen, um sie ggf. zu einem späteren Zeitpunkt künstlich befruchten zu lassen und erst in fortgeschrittenem Alter Mutter zu werden. Wenn sie einen Job bei Facebook oder Apple haben, übernimmt nun die Firma die Kosten dafür. In Deutschland ernteten die Unternehmen dafür viel Empörung.

Anna Reimann spricht auf Spiegel Online von einem „verlogenen Angebot“. Sie unterstellt den Unternehmen, ihre Mitarbeiterinnen zu ermuntern, den Kinderwunsch zu verschieben. Das sei pervers. Letztlich sendeten sie so das „verheerende Signal“ aus, dass sie keine Frauen mit Kindern wollen. [1] DGB-Vize Elke Hannack kommentiert das Angebot mit dem beliebten Empörungsdiktum “Geht’s noch?”  und sagt, die Konzerne würden den Frauen „vorgaukeln“, die Entscheidung für oder gegen ein Kind „könne auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden.” [2]

Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger kritisiert das „Ziel der arbeitsmarkttechnischen und ökonomischen Maximierung der Gewinne“ und fordert, die Gesellschaft müsse Frauen „einen Zeitpunkt zur Geburt eines Kindes ermöglichen, an dem die Natur das auch vorgesehen hat.“ [3] Für den familienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Markus Weinberg, handelt es sich um ein „unmoralisches Angebot“, das „gesellschaftspolitisch fatal“ sei. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Ulle Schauws, findet es „sehr schräg.” [4] Und Reinhard Müller fragt in der F.A.Z.: „Warum nicht gleich aus den Organen verdienter Mitarbeiter ein Ersatzteillager machen?“ [5]

„Späte Mütter gelten als Risiko für ihre Kinder und Opfer sozialen Drucks“

Was ist die Ursache für die allgemeine Empörung? Zwei Motive für die harsche Kritik werden selten ausgesprochen: die Vorstellung, späte Mutterschaft sei unnatürlich und unverantwortlich, und der Vorbehalt gegenüber Menschen und insbesondere Frauen, die ihr Leben (und ihre Seelen) für üppige Gehälter an ungeliebte „Großkotzkonzerne“ [6] verkaufen.

Alissia Passia spricht im Onlinemagazin European aus, was viele denken: „Was die beiden Markenbonzen nicht auf dem Schirm haben, dass Mami mit 70 eventuell damit Schwierigkeiten haben könnte, mit Klein-Julia mitzuhalten, die gerade mal aus dem Gröbsten raus ist.“ Wir lernen: Nur junge Mütter sind gute Mütter. Späte Mütter sind ein Risiko für ihre Kinder und Opfer sozialen Drucks bzw. der Vorgaukelungs- und Verführungskünste der Facebook-Chefin Sheryl Sandberg, die ̶  selbst Mutter zweier Kinder ̶  gerne davon spricht, Frauen sollten den Fuß auf dem Gaspedal lassen.

Die Unterstellung, es handele sich um eine miese Strategie, um Frauen optimal auszubeuten und um ihren Nachwuchs zu betrügen, ist falsch. Was hier passiert, ist etwas anderes. Die US Technologiekonzerne neuen Typs wollen einfach dadurch glänzen, alles zu bieten, was man bieten kann: die Kosten für das Einfrieren von Eizellen oder das Fitnessstudio, aber auch bezahlte Elternzeit, Adoptionsgebühren, 5000 Dollar in Cash zur Geburt eines Kindes und die Rundumversorgung im luxuriösen Firmenkindergarten. Es wird für Eltern ebenso gesorgt wie für Nichteltern, für Heteros ebenso wie für Homos. Um klarzustellen, dass man nichts gegen Transsexuelle hat, werden im Zweifelsfall auch die Kosten für eine Geschlechtsumwandlung übernommen.

Warum umwerben die Googles dieser Welt gerade Frauen mit allem, was diese wünschen könnten? Der Grund ist sehr einfach: Es lastet ein erheblicher Druck auf ihnen, etwas gegen die niedrige Frauenquote zu tun, die zumindest als imagegefährdend, oft auch als unsozial wahrgenommen und hingestellt wird. Deshalb wird das Arsenal der Sozialleistungen bis zu Instrumenten ausgedehnt, die dort für Empörung sorgen, wo einer Abweichung von der Norm der Mutterschaft im besten Gebäralter, wahlweise mit oder ohne gleichzeitiger beruflicher Karriere, mit großer Skepsis begegnet wird. Im Stern ist von einem „Sozialleistungs-Rüstungswettlauf“ die Rede. [7] Sozialleistungen werden anscheinend zur Bedrohung für die Gesellschaft, wenn sie Frauen ermöglichen, sich zur Unzeit ganz auf die Karriere zu konzentrieren. Dies wird offenbar ausschließlich als Wunsch des Arbeitgebers betrachtet, nicht als Wunsch der Frau, die sich bewusst für einen arbeitsintensiven Job bei einem ‚Top-Arbeitgeber‘ entschieden hat.

„Facebook wird nicht die Weltherrschaft übernehmen und auch nicht für das Verschwinden junger Mütter sorgen.“

Wir sollten die US-Techfirmen nicht mystifizieren und verteufeln, sondern als das nehmen, was sie sind: sehr schnell sehr erfolgreich gewordene Unternehmen, die eine Menge Geld und einen Hang zu einer ausgeprägten Firmenkultur haben, deren Stern aber auch wieder sinken kann. Die Konzerne haben das Social Freezing nicht erfunden.

Dass immer mehr Frauen, die früher entweder in jüngeren Jahren oder aber gar keine Kinder bekommen hätten, sich die Option auf Nachwuchs erhalten wollen, hat vielfältige Gründe. Einer davon ist, dass es ziemlich schwer ist, mit Kind Karriere zu machen. Diesen Wunsch gilt es dennoch zu respektieren. Er ist nicht widernatürlich und die Frauen sind nicht einfach Opfer der finanziellen Verführungen ihrer Arbeitgeber oder verblendete Karrieristinnen. Nein, Facebook wird nicht die Weltherrschaft übernehmen und auch nicht für das Verschwinden junger Mütter sorgen.

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