01.09.2003

Einspruch: Microsoft im Regenwald?

Kommentar von Michael Miersch

Im letzten Novo argumentierte Jim Butcher, Ökotourismus würde die Armut konservieren. Michael Miersch ist ganz anderer Meinung.

Ja stimmt, sie können einem reichlich auf den Wecker fallen, diese säuselnden Eingeborenenfreunde im Ethno-Schlabber-Look. Sie verkünden Ökotourismus als Heilsbotschaft, damit alles so bleibt, wie es ist: Die Amazonasindianer sollen auch in fünfzig Jahren noch mit dem Blasrohr auf die Jagd gehen, die Massai bunte Perlenkettchen sticken und die Aborigines munter auf ihrem Didgeridoo tröten. Damit die authentische Stimmung in den Menschenreservaten nicht verdorben wird, achten Ökotourismus-Apologeten darauf, dass alle mit dem Fahrrad anreisen und keiner abgepackte Kaffeemilch benutzt. Jim Butcher empört sich völlig zu Recht darüber, dass die UN solche Karl-May-Ideologie auch noch transportiert. „Der Aufstieg des Ökotourismus,“ schreibt er, „bedeutet in der Realität die Zementierung von Unterentwicklung und die Zerstörung von Fortschrittshoffnungen in der Dritten Welt.“

Doch was versteht er unter Ökotourismus? Leider schmeißt er in seiner Polemik jede Form von Naturtourismus in einen Topf und denunziert sie samt und sonders als rückschrittlich. Doch was für den esoterischen „Trommelkurs im Nomadenzelt“ zutrifft, muss für die „Zwei-Wochen-Pauschaltour durch Namibische Nationalparks“ noch lange nicht gelten. Auf Ökotourismus im grün-alternativ-esoterischen Stil fährt ohnehin nur eine kleine verschworene Gemeinde ab. Der große Markt des Naturtourismus wird dagegen von einer ziemlich konventionellen Industrie bedient, die – ganz im Gegensatz zu Butchers Ansichten – Wachstum und Fortschritt durchaus befördert.

Vorurteil Nummer eins: Naturtourismus ist ein Zeichen von Unterentwicklung.

Weit gefehlt, Herr Butcher. Das erste Land, das Nationalparks gründete, hieß USA. Als der Yellowstone Park unter Schutz gestellt wurde, erlebte die Nation gerade einen beispiellosen wirtschaftlichen Boom. Die Industrialisierung entfaltete sich rasant, und gerade deshalb stieg der Marktwert von unberührter Natur. Naturschutz und Tourismus sind Kinder der Industriegesellschaft, ebenso wie Denkmalschutz und Stadtparks.

Vorurteil Nummer zwei: Naturtourismus bringt nur Peanuts.

Die Tourismusindustrie Ost- und Südafrikas erwirtschaftet etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr; das meiste Geld kommt von Naturliebhabern, die Wildtiere sehen möchten. Allein Kenias Nationalparks spielen jährlich etwa elf Millionen Euro ein. Der Blick in die USA zeigt, dass diese Wirtschaftsform noch erheblich ausbaufähig ist. Dort wird die ökonomische Bedeutung der so genannten „Wildlife-Associated Recreation“ seit etlichen Jahren statistisch erfasst. Im Jahre 2001 gaben die Amerikaner 108 Milliarden Dollar aus, um Wildtiere zu beobachten, zu jagen, zu fischen oder einfach durch schöne Landschaften zu wandern. Dies entspricht 1,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. 82 Millionen Amerikaner buchten 2001 Reisen, kauften Bücher und Ausrüstung, um die Wildnis ihres Landes zu genießen. Peanuts?

Vorurteil Nummer drei: Naturtourismus verhindert Fortschritt.

Es ist nicht wahr, dass Wildnistourismus den niedrigen ökonomischen Standard in den Zielgebieten konserviert. Sicher: Es entstehen hauptsächlich Servicejobs in der Gastronomie. Aber welche Jobs würden in diesen extrem strukturschwachen, abgelegenen Gebieten sonst entstehen? Microsoft im Regenwald? Das glaubt Butcher ja wohl selbst nicht. Es gibt dort nur eine Berufsalternative: den Rest des Lebens hinter einem Ochsenpflug herlaufen, wie der Vater und der Großvater. Touristische Anlagen benötigen zwar kaum Ingenieure und Softwareexperten, doch Zimmermädchen, Kellner oder Souvenirschnitzer sind beileibe nicht die einzigen Perspektiven für die ansässige Jugend. Safarihotels brauchen Automechaniker, jede Menge Handwerker und zahlreiche Zulieferer von Frischgemüse und Fleisch. Der äußerst versierte Beruf des Naturführers wird in Tansania sogar auf einer eigenen Wildlife-Academy gelehrt. Zugegeben: Würden Siemens oder Toyota investieren, wäre das besser für ein armes Land. Doch wenn überhaupt, so entstehen Fabriken und Technologieparks nur an den Rändern der Hauptstädte. Im Busch investiert niemand - oder eben die Tourismusbranche.

In seinem Rundumschlag watscht Butcher die Kunden gleich mit ab. Afrikaner, bemerkt er ironisch, dürften als Wildhüter, Führer und Köche für die sich gut erholenden Ökotouristen arbeiten. Nun, was ist bitte schöner daran, als Arbeiter in einer Autofabrik Fahrzeuge für Reiche herzustellen? Und was die Touristen angeht (ohnehin eine Spezies Mensch, über die sich alle lustig machen, obwohl fast alle dann und wann dazugehören): Was bitte ist am Naturgenuss so reaktionär? Kein Intellektueller kritisiert Opernfreunde, Fußballfans oder Weinkenner. Wer jedoch den Anblick von Nashörnern, Bäumen oder Wildbächen schätzt, wird naserümpfend als kurioser Waldschrat eingestuft. Auf die Existenz von Nashörnern Wert zu legen, ist jedoch kulturell mindestens ebenso hochstehend wie andere Vorlieben und Neigungen. Niemand würde die Akropolis oder den Kölner Dom als Störfaktoren für Industriegrundstücke betrachten. Nicht nur schöne Altstädte und ein reges Kulturleben können „Standortvorteile“ sein – auch die Schönheit der Natur kann als solcher betrachtet werden. Schließlich ist der Tourismus die größte Industrie der Welt.

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