04.11.2011

Ja zu Europa. Nein zur EU!

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Auf Griechenland wurde massiver Druck ausgeübt, das Referendum zurückzunehmen. Hier zeigt sich, welch niedrigen Stellenwert die Demokratie bei den Eliten Europas noch zu genießen scheint. Zeit auch hier ein Referendum über die Zukunft der EU zu fordern.

Kaum hatte die griechische Regierung angekündigt, ein Referendum über die Brüsseler Beschlüsse vom Oktober abhalten zu wollen, standen bei der Bundesregierung die Zeichen auf Alarm. Griechenland habe sich gefälligst den Bedingungen der Geberstaaten zu fügen, ohne sich um die Meinung der eigenen Bevölkerung zu kümmern, so der Tenor. Bundeskanzlerin Merkel jedenfalls soll dem Land massiv gedroht haben: Wenn Griechenland ein Referendum durchführe und sich den Bedingungen, die beim EU-Gipfeltreffen beschlossen worden waren nicht füge, gebe es keine Hilfspakete und das Land werde, für mindestens zehn Jahre, aus der Europäischen Union ausgeschlossen.

Darf dies als Mobbing auf europäischer Ebene bezeichnet werden? Jedenfalls bietet das sich aus dem Machgefälle zwischen Geber- und Nehmerland ergebende Gebaren unserer Kanzlerin Grund zur Sorge. Und das nicht nur wegen der - zugegebenermaßen wichtigen - Frage der nationalen Souveränität eines Landes, das zum Bittsteller geworden ist. Hier geht es um nichts weniger als den niedrigen Stellenwert, den die Demokratie in den Augen unserer eigenen Führung einzunehmen scheint. Statt unserer Kanzlerin zuzustimmen, wenn sie die Griechen maßregelt, wären wir besser dran, wenn wir unsere eigene Regierung stärker in die Verantwortung zögen. Was wäre, wenn bei uns, wie manche dies bereits fordern, eine Volksabstimmung über die Zukunft der EU stattfände?

Der griechische Vorstoß, ein Referendum durchführen zu wollen, war aus der Not geboren. Trotzdem war dies ein positiver Schritt, weil zum ersten Mal die Öffentlichkeit bei der Frage über das richtige Vorgehen einbezogen werden sollte. Auch wäre zum ersten Mal seit Ausbruch der Krise eine Regierung unter den wünschenswerten Druck gekommen, ihre Politik dem eigenen Volk vermitteln zu müssen. Es hätte ein kleiner Schritt gegen die Kultur der Alternativlosigkeit werden können, die auch bei uns die Debatte bestimmt. „Wir sehen keinen anderen Weg“, soll Merkel noch am Mittwochabend in Brüssel gesagt haben. Was hier beschlossen worden sei, sei das Beste für Griechenland und für den Rest Europas. Sachzwängen, die äußerst komplex seien und daher für das normale Wahlvolk kaum nachvollziehbar, sollen uns alle in Europa dazu bringen, die Beschlüsse einer immer kleiner werdenden Führungselite aus Brüssel, Berlin und Paris möglichst kommentarlos abzunicken.

Das Entsetzen über den griechischen Vorstoß passt zu einer europäischen Elite, die sich dem demokratischen Druck der Öffentlichkeit schon lange entzieht. Geht es um die wichtige Frage der Zukunft der Europäischen Gemeinschaft und der Eurozone, setzt unsere Kanzlerin allein auf die Diplomatie hinter verschlossenen Türen. Das hat innerhalb der EU eine gewisse Tradition. Schon zu besseren Zeiten, als von Krise noch nichts zu spüren war, hielt man in Brüssel und Berlin wenig von Abstimmungen. Selbst bei so fundamentalen Fragen wie die der europäischen Verfassung (wir erinnern uns an den Vertrag von Lissabon) verzichtete man lieber darauf, das Volk zu fragen. Wie mit einem unliebsamen Wählervotum umgegangen wurde, durften schon die Iren nach ihrem Nein zur Verfassung im Jahr 2008 erfahren. Ist es da ein Wunder, dass bei dieser jüngsten Krise erst das Bundesverfassungsgericht die Geheimgremien zur Euro-Rettung zu stoppen und auf einer Beteiligung des Parlaments pochen musste? Sollen etwa nur unsere Kanzlerin und ihr ums politische Überleben im eigenen Land kämpfende Kollege Nicolas Sarkozy wissen, was für Europa richtig ist? Nein, denn die besten Lösungskonzepte gedeihen bekanntlich in einem Klima offener Auseinandersetzung. So funktioniert Demokratie.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit kann sich für die Lösung der europäischen Krise nur verheerend auswirken. Man könne kein Hilfspaket für ein Land vorantreiben, dessen Bevölkerung sich gegen diese Hilfe sperre, so lautete die Begründung der griechischen Regierung für das Referendum. Diese Begründung zeigt, wie sehr die Regierung Papandreous mit dem Rücken zu Wand stand. Richtig ist aber, dass Regierungen nur dann schmerzvolle Reformen erfolgreich einleiten können, wenn sie die aktive Unterstützung des eigenen Volkes haben. Vor allem aber gilt: Auf was, wenn nicht auf den Erfindungsreichtum und den Einsatz der eigenen Bürger, soll sich ein Land, das Probleme zu meistern hat, verlassen können?

Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, auch bei uns Abstimmung über den Fortgang der europäischen Union und des Rettungsschirms zu fordern. Dann zumindest müsste die Bundesregierung auch hier dem Volk ehrlich und offen erklären, warum sie für den Euro eintritt. Bisher erfahren wir in dieser Hinsicht wenig. Das Bild, das sich uns präsentiert, ist mehr als konfus. Auf der einen Seite wird in frommen Sonntagsreden der Friede und die Solidarität Europas beschworen („scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ usw.). Auf der anderen Seite werden Vorurteile, Halbwahrheiten und Spannungen geradezu geschürt. Populismus nennt man eine programmatisch unscharfe Politik, die die Unzufriedenheit und Ängste der eigenen Bevölkerung instrumentalisiert. Genau das hat Angela Merkel getan, als sie im Mai die beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen zu einem Paradies für Faulenzer erklärte: „Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig”, sagte sie mit Blick auf Griechenland, Spanien und Portugal.

Ja, es stimmt: Griechenland hat über Jahre hinweg einen aufgeblasenen Staatssektor finanziert, in dem zahlreiche Beschäftigte für wenig produktive Arbeit guten Lohn erhielten. Das ist aber nur die eine Seite der Geschichte. Die andere, die Kanzlerin Merkel so gerne unterschlägt, lautet so: Die Überfinanzierung des staatlichen Sektors Griechenlands hätte nicht ohne das billige Geld aus Deutschland und Frankreich funktionieren können. Vor allem französische und deutsche Banken kauften Staatsanleihen aus Griechenland auf, die für sie einst sehr lukrativ waren, unterdessen aber zu einem großen Risiko und faktisch wertlos geworden sind. Deshalb geht es bei der „Rettung Griechenlands“ nicht zuletzt vor allem um die Rettung deutscher und französischer Banken und dem Schutz unserer eigenen Konjunktur. Daran ändert auch der in Brüssel beschlossene Schuldenschnitt nichts.

Es ist absurd zu glauben, das kleine Griechenland mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern und seiner kleinen Wirtschaft sei die Ursache allen Leidens der EU. Europa befindet sich nicht nur in einer finanziellen, sondern auch einer wirtschaftlichen und politischen Krise, die weit über Griechenland hinaus geht. In der öffentlichen Diskussion geht es um die Frage, wer die Verluste, die sich aufgehäuft haben, bezahlen soll. Eine ehrliche Debatte über den Charakter der EU und die Zukunft, die wir uns alle für Europa wünschen, kommt hier viel zu kurz. Zuerst muss es darum gehen, schonungslos und ehrlich aufzuzeigen wie die jetzige Situation überhaupt entstehen konnte. Dass sich unsere Banken in dieser Situation befinden, hat auch etwas mit unseren eigenen wirtschaftlichen Schwächen zu tun. Hinzu kommt die tiefe Krise der Politik, die ganz Europa betrifft. Zu lange sind die Interessen der Institution „EU“ mit denen Europas gleichgesetzt worden. Das liegt auch an der Politik Deutschlands, die die EU immer für die eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen gebraucht hat. (Deutschland hat z.B., wegen seiner Exportorientierung, sehr stark von der Einführung des Euro profitiert). Wenn wir uns auch langfristig ein friedliches, demokratisches und offenes Europa wünschen, dann sollten wir der Engstirnigkeit unserer eigenen Politiker eine Absage erteilen. Ein erster Schritt könnte sein, sich mit der griechischen Bevölkerung solidarisch zu erklären und ein Referendum für alle zu fordern.

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