01.03.2006

Ein irrationaler Krieg der Worte

Kommentar von Brendan O’Neill

Das Gezänk zwischen dem Westen und Iran zeigt, wie gefährlich es sein kann, Außenpolitik zwischen Tür und Angel zu betreiben.

In Hinblick auf den Streit zwischen dem Westen und dem Iran wird uns viel Angst gemacht. Manche meinen, der Konflikt könnte sich zu einem „dritten Weltkrieg“ ausweiten. Sogar von der Gefahr eines neuen Holocaust ist die Rede, seit der iranische Präsident Machmud Achmadinedschad in einer provozierenden Rede die Massenvernichtung der Juden leugnete und forderte, Israel müsse von der Landkarte getilgt werden. Andere wiederum fürchten ein nukleares Kräftemessen zwischen den hochgerüsteten USA und einem Iran, der darauf aus sei, die Atombombe zu bauen. Kriegsgegner wiederum behaupten, die Bush-Regierung wolle den Krieg gegen den Iran, um dessen Öl-Vorräte kontrollieren zu können.[1]


Diese Untergangsszenarien blenden jedoch vollständig aus, dass der Iran bis vor kurzem noch als Unterstützer des amerikanischen Kriegs gegen den Terror galt. Tatsächlich zeigte sich der Iran dem Westen gegenüber bis zum Jahr 2002 zunehmend wohlwollend und freundlich. Das änderte sich erst, als das Land infolge einer, in irgendeinem Hinterzimmer erdachten, kurzsichtigen Außenpolitik zu einem Teil der „Achse des Bösen“ erklärt wurde.


Seit 1979 sind die USA und der Iran nicht die besten Freunde. Die Falken in der amerikanischen Regierung haben den Mullahs nie verziehen, dass sie „unseren Bastard“, den Schah, stürzten. Schah Mohammed Reza Pahlavi wurde 1953 nach einem von der CIA und dem englischen Geheimdienst MI6 unterstützten Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Mohammed Mossadegh, zum Herrscher des Iran. Bis zu seinem Sturz im Jahre 1979 galt der Schah als loyaler Verbündeter der USA im Mittleren Osten. Mitarbeiter des US-Außenministeriums bezeichneten den Iran unter seiner Herrschaft als eine „Insel der Stabilität“.[2] Während dieser Zeit war das Land einer der Hauptabnehmer amerikanischer High-Tech-Waffen und der zweitgrößte Erdölexporteur (zu relativ günstigen Preisen). Iran war ebenfalls – dies mag aus heutiger Sicht seltsam erscheinen – der wichtigste Verbündete Israels in einer ansonsten feindlichen muslimischen Umgebung. Der US-Außenminister Henry Kissinger sagte in den 70er-Jahren, dass der Schah die USA in „praktisch jeder außenpolitischen Frage“ unterstützt habe. Im Gegenzug habe er „alles, was er wollte” erhalten.[3]


Die Reaktion der USA auf die von Ayatollah Chomeini geführte islamische Revolution war daher kurz und unversöhnlich. Gegen das Land wurden drakonische Wirtschaftssanktionen verhängt, und es wurde von den Regierungen Carter, Reagan, Bush sr. und Clinton als Schurken- oder Terrorstaat bezeichnet. Doch hinter den Kulissen versuchten verschiedene amerikanische Präsidenten trotz der scharfen Rhetorik, die Beziehungen zum Iran zu verbessern, um wieder mehr Einfluss in der Region zu erlangen. Während der Iran-Contra-Affäre Mitte der 80er-Jahre stimmte Präsident Ronald Reagan sogar einer Waffenlieferung an die Mullahs zu. Im Iran-Irak-Krieg zwischen 1980 und 1988 gaben die USA Saddam Hussein grünes Licht für seinen Angriff auf den Iran, belieferten jedoch auch den Iran mit Waffen.
 

„Die plötzliche Dämonisierung des Iran muss dem normalen Iraner nach der stetigen Verbesserung der Beziehungen zu den USA wie ein Blitz aus heiterem Himmel vorgekommen sein.“



Während der Clinton-Ära in den 90er-Jahren wurden die verschiedenen privaten Versuche, Brücken zu den Mullahs zu bauen, deutlicher. Clinton bezeichnete den Iran nicht mehr als Schurkenstaat und gab erstmals öffentlich zu, dass „die USA den Sturz des populären Ministerpräsidenten des Iran 1953 koordiniert hatten“ und dass dies für das Land einen „Rückschlag“ gewesen sei.[4] Er lockerte die Wirtschaftssanktionen. Der Iran versicherte Großbritannien, er werde Salman Rushdie, gegen den Chomeini 1989 wegen seines Romans Die Satanischen Verse eine Fatwa erlassen hatte, nicht verfolgen. Im Gegenzug nahm Großbritannien seine diplomatischen Beziehungen mit dem Iran wieder vollständig auf. Nach den Anschlägen vom 11. September zeigte der Iran offen seine Bereitschaft, mit den USA zu kooperieren. Das Land verurteilte die „terroristischen Taliban“ und drängte die Nordallianz (die es mit Waffen ausgestattet hatte) zu einer vollständigen Kooperation mit den Amerikanern. Wie ein iranischer Offizieller bemerkte, bot der Krieg in Afghanistan beiden Staaten den perfekten Vorwand, um ihre Beziehungen zu verbessern.[5]  Wie konnte sich der Iran von einem Unterstützer des amerikanischen Anti-Terrorfeldzuges im Jahr 2001 zu einer der scheinbar größten Bedrohungen für die USA und Israel entwickeln?


Nicht der Iran hat sich verändert. Vielmehr wurde das Land, in dem in den vergangenen Jahren sogar liberale Reformen durchgeführt wurden und sich eine Studentenbewegung für mehr Demokratie entwickelte, von der Bush-Regierung relativ willkürlich und spontan zum Schurkenstaat ernannt und an den Pranger gestellt. Im Jahr 2002 hielt Bush seine berühmte Rede zur Lage der Nation, in der er Iran, Irak und Nordkorea als „Achse des Bösen“ denunzierte. Diese These war keineswegs Teil eines sorgsam durchdachten Plans mit dem Ziel, den Iran unter Druck zu setzen. Sie schien eher das Produkt einer konkreten Situation zu sein, in der der US-Präsident mit klaren Worten die eigene Orientierungslosigkeit verschleiern musste. In seinem Beitrag zu dem sehr guten Buch Die Erfindung der Achse des Bösen: Die Wahrheit über Nordkorea, Iran und Syrien führt Ervand Abrahamian aus, dass diese plötzliche Dämonisierung des Iran für den normalen Iraner nach der Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Ländern wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam.[6]


Es war Rhetorik, nicht Realpolitik, die diese Konfrontation geschürt hat. Selbst führenden US-Repräsentanten verschlug es bei Bushs Rede die Sprache. Wie Abrahamian bemerkt, waren Colin Powell und das State Department vorher nicht einbezogen worden und kannten weder den Grundtenor der Rede noch die Absicht, den Iran anzuprangern. Vertreter des Außenministeriums beklagten, dass die Rede ihre langjährigen Bemühungen um eine Annäherung an die iranischen Reformer unterminiert habe. Abrahamians Buch macht klar, wie zufällig die Zusammenstellung der Dreierbande war. „Man war sich einig, dass drei besser klingt als zwei.“[7]


Bushs Rede ist ein Indiz für die Planlosigkeit der heutigen US-Außenpolitik. Sie wurde in letzter Minute verfasst, und es scheint, als habe sich niemand Gedanken darüber gemacht, welche Konsequenzen es haben könnte, drei Staaten als Verkörperung des Bösen darzustellen. Die Tatsache, dass führende Mitglieder der Bush-Regierung den Inhalt der Rede nicht kannten, zeigt, wie wenig Kohärenz es heute im US-Establishment gibt. Die Erfindung der Achse des Bösen folgte keiner klaren Strategie; sie ergab sich, als man beim Krieg gegen den Terror in Rechtfertigungszwang geriet. Zum Zeitpunkt der Rede kämpften die Amerikaner seit vier Monaten in Afghanistan, und obwohl die Taliban ohne Mühe gestürzt worden waren, lag das eigentliche Ziel des Kriegs, die Ergreifung bin Ladens und Mullah Omars, in weiter Ferne. Die USA hatten diesen Krieg nicht nur begonnen, um bin Laden zu finden, sondern auch, um sich selbst und eine Mission zu finden. Als das nicht funktionierte, wurden kurzerhand drei neue Geister beschworen, gegen die sich zu positionieren lohnenswerter erschien.


Amerikas fast 30 Jahre andauernde Unterstützung des Schahs war Ausdruck einer Realpolitik, die den klaren Interessen der USA im Mittleren Osten folgte. Diesen Interessen wurde die iranische Demokratie geopfert. Die heimlichen Waffenlieferungen in den 80er-Jahren an den mittlerweile zur islamischen Republik gewordenen Iran waren vom Wunsch getragen, den Einfluss auf die Mullahs zu vergrößern. Die Folge war ein langer blutiger Krieg zwischen Iran und Irak.


Von solch klaren außenpolitischen Vorstellungen und Interessen sind die USA heute weit entfernt. Die aktuellen Spannungen im Verhältnis zum Iran sind nicht Folge eines Plans, weder einer US-Elite, die darauf versessen wäre, den Iran zu besetzen, noch einer iranischen Führung, die sich entschlossen hätte, gegen die USA zu opponieren. Tatsächlich sind sie die Folge der inkohärenten US-Außenpolitik, die sich von puren Reflexen leiten lässt, die weder abgefeimt noch ambitioniert, sondern einfach irrational ist. Wir beobachten heute keine US-Außenpolitik, die aggressiv die eigenen Interessen durchsetzt, sondern eine, die wechselhaft und opportunistisch allerlei Abenteuer anzettelt, die leicht außer Kontrolle geraten können.
Das moralische Gehabe in der modernen westlichen Außenpolitik kann genauso gefährlich sein wie der Militarismus der alten Schule. Zu einem dritten Weltkrieg wird diese Moralisierung zwar wohl nicht führen, aber sie trägt dazu bei, dass die internationalen Beziehungen immer mehr zu einem unberechenbaren Drunter und Drüber werden.

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