05.11.2018

Die Zukunft der Mobilität liegt in der Luft

Von Peter Heller

Titelbild

Foto: NJR ZA via Wikicommons / CC BY-SA 2.0

Raketenflugzeuge, Bodeneffektfahrzeuge und fliegende Autos klingen nach Science Fiction, sind aber nahe Zukunft

Der Mensch ist ein mobiles Wesen. Sein physiologischer Bewegungsapparat gestattet es ihm, aus eigener Kraft jeden Punkt der Erdoberfläche zu erreichen. Diese Universalität, gepaart mit einer in der irdischen Fauna einzigartigen Ausdauer, bildet das Fundament seines bis heute andauernden evolutionären Erfolgs.

Dem Homo sapiens gelang bereits in der Altsteinzeit die Ausbreitung über jede Landfläche auf diesem Planeten, von der allzu lebensfeindlichen Antarktis abgesehen. Mehr als ein paar einfache Hilfsmittel und Werkzeuge benötigte er dazu nicht. Auch als er gelernt hatte, sich der Kräfte von Zug- und Reittieren und des Windes zu bedienen, blieb der Mensch im Wesentlichen ein Fußgänger. Kutschen und Segelboote waren zu kostspielig in Anschaffung und Unterhalt, um mehr als nur den wohlhabendsten Bürgern regelmäßig auf Abruf zur Verfügung zu stehen. Trotzdem gedieh die Zivilisation, entstanden große Imperien, entwickelte sich globaler Handel und wurden kulturelle, wissenschaftliche und technische Höchstleistungen erbracht.

Schnell wie der Wind

Was also hat die Menschheit bewogen, von dieser Welt Abstand zu nehmen? Welcher Teufel hat sie geritten, plötzlich Eisenbahnen und Dampfschiffe, Automobile und Flugzeuge zu konstruieren und einzusetzen, als gäbe es kein Morgen? Warum zwängt sie sich in stählerne Wannen, Kisten und Röhren, die, auf Infrastrukturen unterschiedlicher Art angewiesen, keine umfassende Flexibilität mehr bieten? Geschwindigkeit lautet das Zauberwort. Schneller zu sein, als es die biologische Ausstattung ermöglicht, ist das primäre Motiv für die Nutzung motorisierter Fahrzeuge zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Längere Strecken in kürzerer Zeit zurücklegen zu können, senkt zudem den Aufwand für höhere Entfernungen. Jede Idee zur Zukunft der Mobilität ist daher anhand ihres Potentials zur Verkürzung von Reise- und Transportzeiten zu bewerten.

Aber Geschwindigkeit ist ein teures Gut, dessen Preis man anhand des erforderlichen Energiebedarfs abschätzen kann. Deswegen gibt es auch kein Universalfahrzeug für alle Ansprüche. Man leistet sich, was hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten zu Nutzen tragbar ist für den jeweiligen Zweck. Aus der Vielfalt der Anlässe folgt daher eine Vielfalt an Fortbewegungsmitteln. Und mit großer Selbstverständlichkeit wechseln Menschen und Güter zwischen diesen, um ein den zeitlich und räumlich variierenden spezifischen Beweggründen und Möglichkeiten angepasstes Optimum zu erreichen. Jede Zukunftsvision, die diese Variabilität vermindert, ist daher zu verwerfen.

„Das etablierte Transportsystem gemäß ideologischer Dogmen umzubauen, führt zwingend in Sackgassen.“

Man darf die einzelnen Fahrzeugtypen nicht gegeneinander ausspielen. Natürlich benötigt ein Linienbus auf den ersten Blick viel weniger Energie als ein Düsenjet. Doch dieses Verhältnis kehrt sich um, und zwar deutlich, wenn man den Bus auf tausend Stundenkilometer beschleunigt. Natürlich ist die Bahn sparsamer als das Auto. Aber in den seltensten Fällen stellt ein Bahnhof das Ziel einer Reise dar und allzu oft passen Fahrpläne und Fahrgastwünsche nicht zusammen. Selbstverständlich weist ein Elektromotor im Vergleich zum Verbrenner einen höheren Wirkungsgrad auf. Dieser Vorteil schwindet allerdings dahin, betrachtet man den Energieeinsatz entlang des gesamten Lebenszyklus, der Herstellung, Gebrauch und Wiederverwertung ebenso einschließt wie die Bereitstellung von Treibstoff oder Strom. Tatsächlich benötigen zwei bis auf den Antrieb baugleiche Automobile für dieselbe Strecke dieselbe Menge an Vortriebsenergie. Ein Batteriefahrzeug ist in dieser Hinsicht nicht effizienter als ein Otto oder Diesel. Im praktischen Einsatz erhöht es, aufgrund verlängerter Tankstopps, die Reisezeiten deutlich. Diese unvermeidbaren Standzeiten reduzieren seine Verfügbarkeit. Deswegen scheitert die Elektromobilität seit mehr als 100 Jahren am Markt. Und das wird sich auch nicht ändern. Es sei denn, man würde sie regulatorisch erzwingen. Deutsche Administrationen haben sich in den Kopf gesetzt, genau dies zu tun. Ein schwerer Fehler, der die Automobilindustrie hierzulande mit einer großen Hypothek belastet. Denn sollte nach einem Wandel des Zeitgeistes die Unterstützung der Regierenden für die Elektromobilität erlahmen, würden sich all die öffentlichen und privaten Investitionen in Ladesäulen, Batteriefabriken und Elektromotorenwerke letztlich als sinnlos herausstellen.

Die häufig geäußerte Vorstellung, das etablierte Transportsystem sei gemäß ideologischer Dogmen umzubauen, führt zwingend in Sackgassen. Marktfähig ist nur, was die Nutzerinteressen erfüllt. Menschen und Güter sind nicht unterwegs, um eine mutmaßliche Klimakatastrophe abzuwenden, ein mutmaßliches Artensterben zu vermeiden oder den Schadstoffeintrag in die Umwelt zu vermindern. Sie wollen ankommen, nach Möglichkeit sowohl schneller als auch preiswerter als bislang. Die Frage nach der Zukunft der Mobilität lautet also, wie man etablierte Fahrzeugtypen in dieser Hinsicht verbessern kann und welche neuen Optionen den vorhandenen Fuhrpark in geeigneter Weise ergänzen. Das Bodeneffektfahrzeug gibt auf beide Aspekte exemplarisch eine Antwort.

Im Tiefflug in die Zukunft der Mobilität

Ein merkwürdiges Ding rostet im Hafen von Kaspijsk in Dagestan am Kaspischen Meer vor sich hin. Man kann es auf den Luftbildern bei Google Earth deutlich ausmachen, als weiße Struktur, die auf den ersten Blick einem Flugzeug sehr ähnlich sieht. Aber warum steht das Gerät auf einem Ponton im Wasser, weit entfernt von jeder Startbahn? Weil es kein Flugzeug ist. Herkömmliche Schiffe verdrängen bei ihrer Fahrt das Wasser und erzeugen dadurch eine Bug- und eine Heckwelle. Bei einer bestimmten Geschwindigkeit, der sogenannten Rumpfgeschwindigkeit, überlagern sich diese beiden Wellen in ungünstiger Weise. Das Heck befindet sich dann in einem Wellental, der Bug auf einem Wellenberg. Das Schiff fährt sozusagen ständig bergauf. Bei weiterer Beschleunigung verstärkt sich dieser Effekt. Die Rumpfgeschwindigkeit stellt daher eine absolute Grenze dar, schneller kann man nicht durch das Wasser pflügen. In erster Näherung hängt sie von der Länge des Schiffes, genauer gesagt der Wasserlinienlänge ab, und kann mit einer einfachen Faustformel abgeschätzt werden. Multipliziert man die Quadratwurzel aus der Wasserlinienlänge (in Metern) mit 4,5, ergibt sich die Rumpfgeschwindigkeit in Kilometern pro Stunde.

„Rotislaw Alexejew hatte das Wunder vollbracht, die Masse eines Schiffes mit der Geschwindigkeit eines Flugzeuges zu bewegen.“

Je länger ein Schiff, desto schneller kann es fahren. Auch deswegen sind im Verlauf der Zeit die Ozeanriesen immer größer geworden. Ein Boot mit zehn Metern Rumpflänge erreicht Spitzengeschwindigkeiten um 14 Kilometer pro Stunde (oder acht Knoten), eines mit 100 Metern schon 44 Kilometer pro Stunde (24 Knoten). Kleinere Rennboote umgehen diese physikalische Grenze, weil sie über die Wasseroberfläche gleiten und nur noch mit dem Heckantrieb und dem Ruder eintauchen. Ist ein solches Konzept auch für größere Schiffe realisierbar?

Eine geeignete Idee hatte der russische Schiffskonstrukteur Rotislaw Alexejew (1916–1980) in den 1940er-Jahren. Er baute Tragflächen, sogenannte Hydrofoils, unter den Kiel seiner Konstruktionen. Diese erzeugten bei der Umströmung durch das Wasser Auftrieb, ganz ähnlich wie die Flügel eines Flugzeuges (Aerofoils) bei der Umströmung durch die Luft. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit wird diese Auftriebskraft groß genug, um den Rumpf fast vollständig aus dem Wasser zu heben. Das einer weiteren Beschleunigung hinderliche Wellenmuster kann so vermieden werden. Schiffe dieser Art, beispielsweise die berühmte Raketa, sind bis heute in Russland vor allem als Schnellfähren im Einsatz.

Aber Alexejew ging noch einen Schritt weiter. Mit seitlich am Rumpf angeordneten Tragflächen gelang es ihm, ein Schiff komplett in die Luft zu bringen. Natürlich waren dann auch Antriebssystem und Steuerung zu verändern. Das knapp über der Wasseroberfläche fliegende Schiff benötigte Propeller- oder Düsentriebwerke und ein Leitwerk wie ein Flugzeug. An solchen Fahrzeugen waren vor allem die sowjetischen Militärs interessiert, denn sie gestatteten den Transport großer Massen über Wasserwege mit hoher Geschwindigkeit unterhalb des Erfassungsbereiches feindlicher Radarsysteme. Im Jahr 1966 startete der erste Vertreter dieser fortan als „Ekranoplan“ bezeichneten Fahrzeugklasse zu Testflügen auf dem Kaspischen Meer. Einige Monate später entdeckten es die amerikanischen Geheimdienste auf den Bildern eines Spionagesatelliten und waren verwirrt. Was stellte dieses Ding dar, mit seinen kurzen Flügeln, seinem merkwürdigen Leitwerk und seiner unüblichen Triebwerksanordnung? Sie nannten es fortan das „Kaspische Seemonster“. Sein Eigenname lautete „Korabl-Market“ oder kurz KM, was sich mit „Schiffsentwurf“ übersetzen lässt. Es konnte 500 Tonnen Material mit mehr als 400 Kilometern pro Stunde auf beziehungsweise knapp über dem Wasser transportieren.

Alexejew hatte das Wunder vollbracht, die Masse eines Schiffes mit der Geschwindigkeit eines Flugzeuges zu bewegen. Weil er den Bodeneffekt nutzte. Ein Phänomen, das seit den Anfangstagen der Luftfahrt bekannt war. Schon die ersten Flugpioniere bemerkten einen starken Anstieg der Auftriebskraft bei der Landung, der auf zwei aerodynamischen Besonderheiten beruht. Einerseits drücken die Tragflächen die Luft über dem Boden zusammen und produzieren auf diese Weise ein sich mit dem Flugzeug bewegendes dynamisches Luftkissen, das zusätzlich trägt. Andererseits verringert sich der induzierte aerodynamische Widerstand, da sich die an den Flügelenden entstehenden Wirbel mangels Raum nicht vollständig ausbilden können. Bei gleicher Motorleistung kann ein Fluggerät daher im Bodeneffekt viel schwerer sein als im freien Flug. Oder aus anderer Perspektive: Um ausreichend Auftrieb zu erzeugen, ist im Bodeneffekt eine deutlich geringere Motorleistung erforderlich.

Bodeneffektfahrzeuge

Letzteres brachte den deutschen Aerodynamiker Alexander Lippisch auf die Idee, ein Flugzeug zu konstruieren, das im extremen Tiefflug einerseits unsichtbar für das gegnerische Radar wäre, andererseits aufgrund der niedrigen Motorleistung aber auch sehr leise unterwegs sein könnte. Im Jahr 1963 erprobte er noch in den USA, wo er wie viele deutsche Forscher und Ingenieure nach dem Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger freiwillig an einer neuen Wirkungsstätte tätig war, einen ersten Prototypen dieser Art. Ab 1969 führte er seine Entwicklungsarbeiten bei der Firma Rhein-Flugzeugbau in Mönchengladbach fort. Zu seinen Kollegen dort zählte der Flugzeugentwickler Hanno Fischer. Auch mit dem Ingenieur Günther Jörg hatte Lippisch einen intensiven Austausch. Beide, Jörg wie Fischer, verschrieben sich daraufhin der Entwicklung von Bodeneffektfahrzeugen, schlugen aber unterschiedliche technische Wege ein.

„Bodeneffektsysteme sind aus technischer Sicht zwar Flugzeuge, werden rechtlich aber wie Boote behandelt.“

Der vor einigen Jahren verstorbene Günther Jörg ersann das sogenannte Tandem-Airfoil-Flairboat, bei dem auf jeder Seite des Rumpfes zwei Tragflächen mit geeigneten Profilen hintereinander angeordnet sind (Tandemtragflächen). Insgesamt sechzehn Prototypen in unterschiedlichen Größen wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren gebaut und erfolgreich getestet. Im Jahr 1984 erhielt Günther Jörg für seine Innovation den Philipp-Morris-Forschungspreis. Marktreife aber erlangten die Boote nie. Viele der Demonstratoren existieren noch, sie liegen betriebsbereit in einer kleinen Werft in Griechenland und dürfen dort ausprobiert werden. Hanno Fischer hingegen konzentrierte sich darauf, die Ideen Alexander Lippischs umzusetzen und zu optimieren. Acht entsprechende Fluggeräte entstanden unter seiner Leitung, teils mit staatlicher Förderung. Zuletzt absolvierte der Hoverwing 2VT im Jahr 2001 Testflüge auf dem Baldeneysee in Essen.

Warum sind die Meere dieser Welt trotz dieser Erfolge nicht voller Bodeneffektfahrzeuge? Man könnte, selbst wenn man wollte, derzeit kein einziges kaufen. Das Problem liegt nicht in der Zulassung. Bodeneffektsysteme sind aus technischer Sicht zwar Flugzeuge, werden rechtlich aber wie Boote behandelt. Statt einer aufwendigen Zertifizierung wäre also nur eine Registrierung erforderlich. Auch ist keine Pilotenlizenz notwendig, mit einem Bootsführerschein dürfte man sie steuern. Leider aber litten sowohl die fliegenden Schiffe (die Ekranoplane) als auch die tieffliegenden Flugzeuge (wie der Hoverwing) bislang an erheblichen technischen Einschränkungen.

Da ist zunächst der Energieaufwand für den Startlauf zu berücksichtigen. Wasser ist ein inkompressibles Medium. Es mit hohen Geschwindigkeiten für einen Start zu verdrängen, erfordert daher viel Energie. Dieser Aufwand neutralisiert die Effizienzgewinne im Flug fast vollständig. Alexejews Ekranoplane beschleunigten mit zehn Strahltriebwerken. Von denen acht nach Erreichen des Bodeneffektes nicht mehr benötigt wurden und abgeschaltet werden konnten.

Das hohe Strukturgewicht trug zusätzlich zur Vergrößerung des Energiebedarfes bei. In Ermangelung anderer Möglichkeiten fertigten Alexejew, Lippisch, Fischer und Jörg ihre Fahrzeuge fast ausschließlich in Metallbauweise. Bestimmte Abschnitte (Flügelunterkanten, Rumpf) sind gegen Wellenschlag zu sichern und daher zusätzlich zu verstärken. Denn bei Geschwindigkeiten von mehreren hundert Stundenkilometern könnte selbst ein Stück Treibholz, das von unten gegen den Rumpf schlägt, den Totalverlust des Fahrzeuges hervorrufen.

„Neuartige Materialien eröffnen Wege, aerodynamischen Ideen in der Realität umzusetzen.“

Noch schwerer aber wiegt die komplexe aerodynamische Situation von Bodeneffektfahrzeugen. Diese könnten bei vertikalen Störungen (etwa durch Wellenschlag) ungewollt den Bodeneffekt verlassen. Bislang wurde keine Konfiguration gefunden, die in solchen Fällen die Eigenstabilität, also die automatische Rückkehr in eine stabile Fluglage, sicherstellt. Und bei den hohen Geschwindigkeiten in Bodennähe haben Piloten kaum Zeit, auf kritische Situationen manuell zu reagieren. Die Risiken sind erheblich und manch ein Ekranoplan endete bereits auf dem Grund des Kaspischen Meeres.

Heute erst gibt es Werkzeuge und Hilfsmittel, mit denen Abhilfe geschaffen werden kann. Komplexe fluiddynamische Berechnungen können mittlerweile mit entsprechenden Softwarepaketen auf normalen Computern durchgeführt werden und erleichtern so die Suche nach und das Auffinden von innovativen und sicheren Konfigurationen. Neuartige Materialien, insbesondere faserverstärkte Kunststoffe und hochfeste Stähle, eröffnen Wege, diese aerodynamischen Ideen auch mit der erforderlichen Stabilität bei gleichzeitig geringer Masse in der Realität umzusetzen. Moderne Autopiloten schließlich entlasten den Fahrzeugführer erheblich und können sogar zur Vermeidung kritischer Fluglagen beitragen.

Diese drei Entwicklungen ließen das Interesse an Bodeneffektfahrzeugen in den vergangenen Jahren weltweit wieder steigen. So arbeitet in Singapur die Firma Wigetworks an der Kommerzialisierung des AirFish, der auf einem Entwurf Hanno Fischers aus den 1990er-Jahren basiert. In Deutschland sucht das von dem russischen Ingenieur Ivan Novikov-Kopp gegründete Unternehmen IN Avia nach Investoren für den Seaplane, dessen völlig neuartige aerodynamische Konfiguration schon im Modell erfolgreich getestet wurde. Und in Korea baut die Wing Ship Technology Corporation einen Hoverwing mit immerhin 50 Sitzplätzen.

Der Hoverwing ist der jüngste Coup des Altmeisters Hanno Fischer. Seine charakteristische Doppelrumpfstruktur dient dem Aufbau eines statischen Luftkissens beim Start, durch das der Energiebedarf enorm gesenkt werden soll. Trotz seiner mittlerweile 93 Jahre verfolgt Fischer seine Vision unbeirrt. In seinem Auftrag entsteht in einer Werft in Bremen derzeit der Hoverwing 20.

„Bodeneffektfahrzeuge könnten überall den Austausch von Waren und Ideen befördern und die Grundlage für neuen Wohlstand bieten.“

Das anfangs erwähnte merkwürdige Gerät im Hafen von Kaspijsk ist natürlich ein russischer Ekranoplan. Es ist nicht das ursprüngliche kaspische Seemonster, sondern das 1986 in Dienst gestellte Nachfolgemodell Lun, das mittlerweile aber nur noch ein Industriedenkmal darstellt. Daraus sollte man nicht schließen, in Russland hätte man das Thema aufgegeben. Das Gegenteil ist richtig, wie Wjatscheslaw Kolganows „Ivolga“ beispielhaft aufzeigt. Zu beachten ist außerdem das Unternehmen RDC Aqualines, dessen Ekranoplane im klassischen Alexejew-Design bald als regulär verkehrende Schnellfähren zwischen Tallinn und Helsinki eingesetzt werden sollen. Statt mehr als zwei Stunden würde die Überfahrt dann gerade noch zwanzig Minuten in Anspruch nehmen.

Hochgeschwindigkeitstransport über Wasser – das ist der Markt, der mit Bodeneffektfahrzeugen einer neuen Generation eröffnet werden kann. Sie sind um den Faktor zehn schneller als ein Verdrängerschiff gleicher Größe und dabei wesentlich effizienter als ein Flugzeug gleicher Geschwindigkeit. Sie schließen daher die Lücke zwischen diesen beiden Transportmodi. Sie benötigen dazu keine neue Infrastruktur, die vorhandenen Häfen genügen völlig. In diese fahren sie als Boote ein – das auch gerne mit einem kleinen elektrischen Hilfsmotor, dessen Akkumulator während des Fluges aufgeladen wird. Start und Übergang in den Tiefflug erfolgen dann auf hoher See, wo der Lärm der Turbinen niemanden stört. Bodeneffektfahrzeuge werden Wirtschaftsräume enger zusammenführen, in denen der Zeitaufwand für die notwendige Überquerung trennender Wasserflächen bislang die physische Vernetzung behinderte. Auch sorgen sie für Impulse in entlegenen Gebieten, in denen es außer natürlichen Wasserstraßen keine Infrastruktur gibt. Ob in Nord- und Ostsee, im Mittelmeerraum, im Kaspischen und im Schwarzen Meer, ob in den Inselstaaten Südostasiens oder entlang der großen Ströme Afrikas, Südamerikas und Asiens – Bodeneffektfahrzeuge könnten überall den Austausch von Waren und Ideen befördern und damit die Grundlage für neuen Wohlstand bieten. Das ist, was Motorschiffe, Eisenbahnen, Automobile und Flugzeuge in der Vergangenheit geleistet haben. Weniger sollte man von der Mobilität der Zukunft ebenfalls nicht einfordern.

Raketenflugzeuge und Flugtaxen

Diesem Anspruch genügen auch andere Ideen. Man denke beispielsweise an das Raketenflugzeug, an dem Unternehmen wie Virgin Galactic, XCor, Rocketplane Global oder ReactionEngines seit einigen Jahren intensiv arbeiten. Es eignet sich nicht nur dafür, Weltraumtouristen oder Kleinsatelliten ins All zu bringen, sondern eben auch für interkontinentale Hochgeschwindigkeitstransporte. Mit einem solchen Vehikel wäre es bei Reisegeschwindigkeiten von mehr als 4000 Kilometern pro Stunde möglich, von Deutschland aus in weniger als 3 Stunden jeden Punkt der Erdoberfläche zu erreichen. Der Flug von Berlin nach New York könnte beispielsweise in nur 90 Minuten abgewickelt werden. Weniger effizient als mit einem herkömmlichen, von Strahltriebwerken bewegten Flugzeug ist man dabei nicht unbedingt unterwegs. Ein Raketenflugzeug braucht seinen Antrieb nur für eine oder zwei Minuten zu zünden, den Rest der Strecke legt es segelnd zurück, vorwiegend durch die Stratosphäre bei deutlich geringerem Luftwiderstand.

Der Individualverkehr schließlich wird schon in naher Zukunft den Luftraum erobern. Das deutsche Carplane, das slowakische Aeromobil und der amerikanische Terrafugia Transition demonstrieren Kleinflugzeuge für die Mittel- und Langstrecke, die sich bei Bedarf in ein „Auto“ für Straßenfahrten verwandeln. Mit dem deutschen Volocopter, dem chinesischen Ehang 184 und dem von Airbus vorangetriebenen Projekt Vahana seien an dieser Stelle nur drei Beispiele für Multicopter-Personendrohnen genannt, die als Lufttaxis dem Innenstadtverkehr die dritte Dimension erschließen. Mit dem Energiebedarf eines Kleinbusses einzelne Personen zu befördern ist sicher nicht gerade ein Wunschtraum kollektivistischer, linksautoritärer Umweltschützer. Aber sich in dicht bevölkerten Metropolen dem Gedränge auf den Straßen zu entziehen und ohne Umwege auf dem Dach des Zielgebäudes zu landen, stellt eine allzu attraktive Option dar, als dass man sie auch weiterhin auf wenige Menschen in Ausnahmefällen (über Sondergenehmigungen für Helikopterflüge) begrenzen könnte. Zumal mit den Personendrohnen auch der Elektromotor zu seinem Recht kommt, ist er doch für solche Vehikel durch sein niedriges Leistungsgewicht, seine hohe Reaktionsgeschwindigkeit, seine einfache Versorgung über Kabel und seine geringe Lärmerzeugung prädestiniert. Elektromobilität wird dort erfolgreich sein, wo sie neue Wege bahnt.

„Die Zukunft der Mobilität liegt in neuartigen Fahrzeugkonzepten, die physikalische Gesetzmäßigkeiten geschickter nutzen.“

Trotzig verweigert sich eine breite Phalanx in Politik und Medien in Deutschland der Beschäftigung mit den oben geschilderten Ansätzen. Man folgt lieber dem bequemen Weg und jubelt die bescheidenen Vorstellungen hoch, die allein in Anwendungen der Informationstechnologie die Zukunft der Mobilität erkennen wollen. Keine Frage, natürlich werden auch autonome Autos, Sharing- und Fahrdienstleistungskonzepte, elektronisches Ticketing, Verkehrsmanagementsysteme und individuelle Reiseplanungswerkzeuge zu Effizienzsteigerungen führen und Reisezeiten verkürzen, wenngleich eher indirekt, als Folge von vermiedenen Unfällen und Verkehrsstörungen. Aber darf sich die führende Automobilnation der Welt, die zudem auch im Flugzeug- und im Schiffbau noch immer über erhebliche Potentiale verfügt, wirklich mit einer bescheidenen Optimierung des Bestehenden zufrieden geben? Physische Bewegung bedingt mechanische Wechselwirkungen mit der realen Welt und an Einflüssen wie Strömungs- und Rollwiderständen ändern auch noch so ausgereifte Algorithmen nichts. Die Vorstellung, Google, Apple und Co. könnten in Zukunft die besseren Fahrzeuge bauen, ist daher schlicht abstrus. Nein, die Zukunft der Mobilität liegt primär in neuartigen Fahrzeugkonzepten, die physikalische Gesetzmäßigkeiten geschickter nutzen.

Natürlich haben alle drei geschilderten Ansätze, Bodeneffektfahrzeuge, Raketenflugzeuge und der Individualverkehr in der Luft, eine lange, von Rückschlägen und Fehlversuchen gekennzeichnete Geschichte. Aber diese ist nicht prinzipiellen, unüberwindbaren Hürden geschuldet, sondern dem forschen Vorgehen ehrgeiziger Ingenieure, die übersahen, mit ihren Konzepten den technischen Machbarkeiten ihrer Zeit weit voraus zu sein. Dies ändert sich gerade in unserer Gegenwart, in der die Konvergenz von Fortschritten in Aerodynamik und Aeroelastik, in Leichtbau und Formgebung, in Antriebstechnik, Avionik und Automatisierung den Maschinen- und Fahrzeugbau auf ein neues Fundament stellt. Eine Basis, zu der in der Entwicklung neuer Materialien, in Entwurf und Konstruktion, in der Fertigung und der Qualitätssicherung auch die Digitalisierung erheblich beigetragen hat. Nun treten sie in modernen Gewändern wieder in den Blickpunkt, die alten Ideen zur endgültigen Eroberung des Luftraums in unterschiedlichen Höhen, vom Tiefflug über Wasser bis zum rasanten Sturzflug durch die Stratosphäre. Das eröffnet der deutschen Fahrzeugindustrie neue Märkte und neue Wachstumschancen. Zumal fliegende Autos, Bodeneffektsysteme und Raketenflugzeuge mit den vorhandenen Infrastrukturen sehr gut harmonieren. Sie benötigen keine neuen, was in einem Land, das beim Bau von Bahnhöfen oder Flughäfen an seine Grenzen stößt, einen nicht zu unterschätzenden Vorteil darstellt.

Echter Fortschritt verharrt nicht in der Perfektionierung der Gegenwart. Echter Fortschritt bedeutet die Schaffung neuer Möglichkeiten. Der Mensch ist ein mobiles Wesen. Er kann laufen und klettern, schwimmen und tauchen. Nur fliegen kann er nicht. Die Zukunft der Mobilität liegt daher in der Luft.

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