24.06.2009

Die Schulfrei-Grippe

Von Thilo Spahl

Wer sich bei seinen Mitschülern, die alle schon sehnlichst auf die Sommerferien warten, beliebt machen will, sollte sich auf Flughäfen rumtreiben. Vielleicht erwischt er ja eine Prise H1N1, und schon bekommt die ganze Klasse eine Woche schulfrei.

Das Problem ist, rauszukriegen, ob man infiziert ist. Denn es kann gut sein, dass man Glück hat und gar keine Symptome entwickelt. Dann hat man Pech. Denn der Arzt wird sagen: Schön und gut, junger Mann, dass Sie glauben, die Schweinegrippe erwischt zu haben. Gesund und munter, wie Sie vor mir stehen, werde ich mich allerdings hüten, Sie zum Verdachtsfall erklären und unnötig Steuergelder verschwenden.

Meine Frau ist der festen Überzeugung, dass bei uns die ganze Familie schon infiziert war, als in Berlin noch kein einziger offizieller Fall vermeldet worden war. Schnupfen im Sommer haben wir ja schließlich sonst nie. Nach ein, zwei Tagen war alles wieder gut. Das passt ziemlich genau ins Bild.

Am 11.06 hat die Weltgesundheitsorganisation die „neue Grippe“ A(N1H1) zur Pandemie erklärt. Damit haben wir praktisch einen fließenden Übergang hinbekommen. Denn am 5. Juni wurde im wöchentlichen Bulletin des European Centre for Disease Prevention and Control die übliche Grippesaison, die vom Virus A(H3N2) dominiert war, in Europa für beendet erklärt. Um wie lange sie durch das neue Virus verlängert werden kann, ist unklar. Wahrscheinlich nicht mehr lange.

Eine akut verlaufende Krankheit, die wie die Grippe in direktem Kontakt von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion übertragen wird, kann sich nur dann schnell verbreiten, wenn sie recht harmlos verläuft. Nur harmlose Erreger schaffen es zur Pandemie. Die berüchtigten Killer-Viren, Ebola und dergleichen, flammen immer nur kurz auf, um dann schnell wieder zu verschwinden. Ihre Virulenz (gemessen an der Anzahl der Todesfälle unter den Infizierten) ist ihr eigenes Todesurteil. Wer infiziert ist und schwer erkrankt, kann nicht durch die Gegend laufen und andere anstecken. Aufgrund dieser simplen Tatsache brauchen wir uns wegen H1N1 keine Sorgen zu machen.

Die aktuelle „Schweinegrippe“ verbreitet sich deshalb gut, weil sie offenbar von vielen Betroffenen kaum bemerkt wird. Die Mortalität ist extrem niedrig. Bisher sind von 52160 Infizierten weltweit 231 gestorben (Stand 22. Juni). Das sind 44 pro 10.000 Infizierte. Vergleicht man das mit der normalen Mortalität deutscher Männer in der Altersgruppe von 35 bis 69 Jahren, von denen pro Jahr 75,4 von 10.000 sterben, wird die Geringfügigkeit offensichtlich.

Unter den heute herrschenden Bedingungen kann sich kein gefährliches Grippevirus schnell ausbreiten. Wir haben wirksame antivirale Mittel, wir haben Antibiotika, um bakterielle Folgeerkrankungen, die meist Todesursache sind, zu bekämpfen. Und wir verfügen über das Know-how und die Technik, schnell Impfstoffe zu entwickeln. (Im Q&A der WHO stand zwar gestern (23.06.) noch immer zu lesen: „Is an effective vaccine against the new influenza A (H1N1) virus already available? No, but work is already under way to develop such a vaccine. Making a completely new influenza vaccine can take five to six months.” Tatsächlich hat aber bereits einen Tag, nachdem die WHO Pandemiestufe 6 ausgerufen hatte, nämlich am 12. Juni, Novartis in seinem Werk in Marburg die erste Charge des neuen H1N1 Impfstoffs produziert - und freut sich über Bestellungen im Wert von vielen Hundert Millionen Euro.)

Das Thema Influenza-Epidemie ist zum Dauerbrenner und TOP-Seller unter den Katastrophenszenarien geworden. Die Bedrohung ist jedoch nicht real. Weder Huhn noch Schwein werden uns ins Verderben reißen.

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