17.06.2010

Die Politik auf Sinnsuche in NRW

Von Jörg Michael Neubert

Der Wähler in NRW hat gesprochen. Leider scheint es aber so, als ob die Politik nicht wirklich verstanden hat, was er gesagt hat. Dabei hatte es doch am Wahlabend zunächst hoffnungsvoll ausgesehen für die SPD: Die Regierung von Jürgen Rüttgers war vom Wähler abgestraft worden und Rot-Grün rückte in greifbare Nähe. Am Ende reichte es dann doch nicht ganz. Nur Kleingeister würden das darauf zurückführen, dass die SPD trotz ihrer zur Schau gestellten Siegesallüren das schlechteste Ergebnis seit 1954 eingefahren hatte.

Was folgte, war ein Trauerspiel. Bereits im Wahlkampf hatte die SPD ein leicht ambivalentes Verhältnis zur Linkspartei an den Tag gelegt und schwankte zwischen Skylla (Die LINKE ist nicht regierungsfähig, ergo gibt es keine Verhandlungen) und Charybdis (Wir sprechen mit allen Parteien). Es sollte sich erweisen, dass die Parteiführung nicht in der Lage war, unbeschadet zwischen beiden hindurch zu navigieren.


Als sich nach dem Wahlabend keine klare Mehrheit abzeichnete, wurde der SPD genau diese „Sowohl-als-auch-Strategie“, die sie im Handstreich gleich mal auf alle Parteien ausdehnte, zum Verhängnis. Genau wie die anderen Parteien, insbesondere die CDU, hatte sie es versäumt, sich im Wahlkampf ein klares Profil zu erarbeiten, die Wähler mit Ideen und Visionen zu begeistern und sich so zumindest die Chance auf eine rot-grüne Mehrheit zu sichern. Stattdessen hatte die SPD im Landtagswahlkampf hauptsächlich auf die Schulpolitik, genauer gesagt, auf die ungeliebten Studiengebühren, und auf „Anti-Rüttgers“ Parolen gesetzt. Politische Profilbildung sieht anders aus.


Auch die CDU begeisterte erwartungsgemäß nicht mit Neuem. Vielmehr setzte man im Wesentlichen auf die Beliebtheit des selbst ernannten Arbeiterführers Jürgen Rüttgers und hoffte, quasi im Windschatten seiner Popularität die Wahl zu gewinnen. Nachdem Rüttgers Image durch diverse kleinere Skandale beschädigt war, reichte der Amtsbonus als einziges Wahlkampfthema nicht mehr aus.


Als Folge dieser Profillosigkeit kam es in den Wochen nach der Wahl zu einem politischen Eiertanz, der seinesgleichen suchte. Die SPD fing, wie angekündigt, an, munter mit allen Parteien zu verhandeln. Doch die Brautschau blieb erfolglos, denn keiner wusste, wohin die Ehe führen sollte. Der letzte Ausweg aus der selbst gewählten Unsicherheit; eine via Bild-Zeitung lancierte große Koalition; war dann wohl auch der SPD zu riskant, weil sie selbige auf Bundesebene noch in allzu schlechter Erinnerung hatte.


Was können wir also aus dem Nachwahlkampfdebakel in NRW lernen? Es ist verständlich; dass sich die großen Volksparteien möglichst vielen Wählerschichten öffnen wollen, um im realen Fünf-Parteien-System weiterhin als Volkspartei wahrgenommen zu werden. Doch durch die völlige Konturlosigkeit, die sich sowohl die SPD als auch die CDU mittlerweile zugelegt haben, ist es für den Wähler immer schwerer festzustellen, wofür die großen Volksparteien eigentlich stehen. Dann wird doch lieber eine kleine Partei gewählt, die wenigstes noch ein etwas klareres Programm hat, auch wenn es nur aus einem oder zwei Themen besteht.


Ein wichtiges Element der Demokratie war und ist der Streit um die besten Ideen, um die Gesellschaft voran zu bringen. Was im Moment in NRW passiert, zeigt allerdings wieder einmal exemplarisch, dass die deutschen Parteien für nichts mehr stehen und daher ein konstruktiver Streit, der zu wirklichen Verbesserungen führen kann, nicht in Gang kommt.

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