10.07.2009

Die Ökonomie ist tot, es lebe die Ökonomie! Ein Beitrag zum Methodenstreit

Von Malte Tobias Kähler

Wollte jemand die Volkswirtschaftslehre zu Grabe tragen, so würde man ihn mit Recht für verrückt erklären. Die Gesetze dieser Disziplin behalten ihre Gültigkeit unabhängig davon, ob man sie nun mag oder verdammt.

Ebenso wie die physikalischen Gesetze der Schwerkraft gelten, gleichgültig, ob sie bekannt sind oder nicht, so sind auch die fundamentalen Gesetze der Knappheit, Angebot und Nachfrage stets in Kraft, solange Menschen miteinander interagieren. Auf den ersten Blick macht es also wenig Sinn, eine Wissenschaft überhaupt für tot zu erklären. Es hilft nicht, sie zu ignorieren. Und dennoch gibt es Grund zu der Annahme, dass man die Ökonomie – zumindest so, wie sie derzeit gelehrt wird – begraben muss, um einen Neubeginn zu versuchen. Denn ihre wesentliche Teildisziplin, die Mikroökonomik, beruht auf absurden Annahmen.

Ein Vergleich soll das verdeutlichen: Nehmen wir an, die Physiker würden uns erklären, der Grund für die Bewegung eines Planeten am Firmament liege darin, dass eine Gruppe Riesen mit dem Himmelskörper Fangen und Werfen spielt. Dieses These wird in der Physik aus folgenden Gründen als eine unzutreffende Erklärung abgetan und daher zügig aufgegeben: Erstens wird die Annahme, Riesen würden die Planeten werfen und somit die Bewegung der Planeten verursachen, nicht durch die empirische Beobachtung gestützt (denn niemand hat die besagten Riesen je gesehen). Und zweitens verfügt die Menschheit bereits über eine befriedigende Erklärung der Ereignisse in Form der Gesetze der Himmelsmechanik und der Gravitation. Zu Recht würde die „Riesen-Theorie“ also ohne viel Federlesen aufgegeben werden.

Nicht so in der Ökonomie, dort dominiert nach wie vor der Glaube an die „Riesen“. So z.B. in der Annahme vom Homo Oeconomicus, dem allwissenden, stets rational entscheidenden und jederzeit simultan alle Alternativen abwägenden Modell-Menschen, der der mikroökonomischen Theorie zugrundeliegt. Es ist zwar richtig, dass diese Annahme mittlerweile aufgeweicht wurde, insbesondere in der Disziplin der „Behavioural Economics“. Doch obwohl viele neuere Modelle mit „realistischeren“ Annahmen beginnen, fußt der gesamte Rohbau der mikroökonomischen Theorie sowie die meisten didaktischen Einführungen in das Thema der Wirtschaftswissenschaft und sogar so folgenschwere Behauptungen wie die des „Marktversagens“ nach wie vor auf eben diesem Modell des Homo Oeconomicus.

In der Tat ist der Theorienpluralismus in der Ökonomie ein unbefriedigender Zustand. Während mikroökonomische Modelle – insbesondere die Modelle, die das angesprochene „Marktversagen“ belegen sollen – meist auf der Annahme des Homo Oeconomicus beruhen, wird diese Prämisse in makroökonomischen Bereichen kurzerhand in sein Gegenteil verkehrt: etwa dann, wenn Spekulationsblasen über die „animalischen“ Instinkte und Herdentriebe des Menschen erklärt werden sollen. Es gelten also je nach Anwendung und zugrundeliegendem Weltbild verschiedene Prämissen, ganz so, wie es dem jeweiligen politischen Hintergrund gefällt. Man stelle sich vor, die Physiker würden die Gesetze der Schwerkraft zwar für die Analyse der Himmelskörper verwenden, nicht jedoch für die Steine auf der Erde. Kurzum: Der Aufbau ökonomischer Theorien ist inkohärent, die Annahmen werden oft genug nach der jeweils bevorzugten Ideologie ausgewählt.

Zur Verteidigung des „Modells“ vom Homo Oeconomicus wird meistens angeführt, dass die Annahme zwar unrealistisch, aber immerhin noch genügend genau sei, um eine Vielzahl ökonomischer Phänomene zu erklären. Das ist zwar völlig richtig, aber auch die Riesen-Theorie ist „hinreichend genau“, da sie trotz ihrer Absurdität eine hervorragende Erklärung dafür liefert, warum die Planeten sich durch das Sonnensystem bewegen.

Um analog zu dem Riesen-Beispiel zu verfahren, gibt es zwei Gründe, warum die Idee des Homo Oeconomicus ein für alle Mal begraben werden sollte: Erstens ist kein empirischer Fall bekannt, in dem ein Mensch alle potenziell möglichen Handlungsoptionen (derer gibt es unendlich viele) im Vorhinein auf mögliche Kosten und Nutzen abgewogen hat, bevor er beispielsweise ein Eis am Strand kaufte. Und schließlich verfügt die Wissenschaft seit Jahrzehnten über eine höchst brauchbare Alternative: Diese besteht in dem von den Austroliberalen entwickelten Modell des Homo Agens – des handelnden Menschen. Menschen handeln, und solche Handlungen bestehen darin, selbst gewählte Ziele mithilfe unterschiedlicher Mittel zu erreichen. Dies zu bestreiten, hieße ja, selbst eine Handlung durchzuführen. Im Gegensatz zum Modell des Homo Oeconomicus entspricht die Vorstellung des Homo Agens also der Realität und ist ein wahres und unbestreitbares Axiom. Und anders als im Homo-Oeconomicus-Modell kann mit ihr die altruistische Handlung des Philanthropen ebenso wie die Tätigkeit des Entrepreneurs oder des schlitzohrigen Betrügers erfasst werden. Sie alle verfolgen selbst gesteckte Ziele, für die sie die ihnen zur Verfügung stehenden (knappen) Mittel verwenden. Die Wissenschaft des menschlichen Handelns, die „Praxeologie“, maßt sich nicht an zu erklären, warum Menschen sich für dieses oder jenes Ziel entscheiden – dafür ist die Psychologie oder womöglich auch die Theologie vonnöten. Alles, was durch die Wissenschaft des Handelns erfahren werden kann, sind die Implikationen, die aus der Erkenntnis abzuleiten sind, dass Menschen in dieser Welt teleologisch Handeln, um ein gefühltes Unbehagen in ihrem Sinne zu verändern.

Das ist aber keinesfalls wenig! Obwohl das Handlungsaxiom wie eine nutzlose Tautologie anmutet, kann mittels Deduktion von diesem einfachen Axiom die komplette Disziplin der Ökonomie umrissen werden. Ludwig von Mises legte das in seinem Mammutwerk „Human Action“ eindrucksvoll dar. Ähnlich wie in einem rechtwinkligen Dreieck bereits der Satz des Pythagoras und weitere geometrische Gesetze enthalten sind, genügt auch in der Ökonomie die Introspektion in das eigene Handeln, um die Gesetzmäßigkeiten des Menschen zu entdecken. Erkenntnisse werden in der Ökonomie durch Deduktion erzielt, also durch das logische „Abklopfen“ der Argumentationskette, die natürlich nur bei zutreffenden Grundannahmen beginnen kann. Die allgemeine Theorie des Homo Agens kommt daher ohne die Idee lebloser Rechenmaschinen aus und setzt bei der Forschung wieder dort an, wo jede ökonomische Wirklichkeit ihren Anfang nimmt: beim handelnden Menschen. Die Praxeologie umfasst sogar eine Konjunkturtheorie, die mit allen übrigen Teilen der Theorie im Einklang steht – etwas, was die moderne, formale Volkswirtschaftslehre bis heute nicht geschafft hat. Mit anderen Worten: In der Praxeologie gilt die Theorie die Schwerkraft nicht nur auf der Erde, sondern auch für die Himmelskörper … und Riesen kommen in ihr nicht mehr vor.

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