09.03.2018

Die Lobby der ‚Guten‘

Von Sebastian Frevel

NGOs wie Greenpeace und Foodwatch agieren nicht neutraler oder moralischer als Wirtschaftslobbyisten. Sieben Thesen zu einem kritischeren Umgang mit ihnen.

Im vergangenen August erzählte der Ökonom Matthias Bauer eine kleine Anekdote. Er hatte im Deutschlandfunk ein Interview mit einem Funktionär der Katholischen Arbeiternehmerbewegung gehört. Es ging um die sinkenden Mitgliederzahlen des Verbands. Auf die Frage, wo er denn die Ursache für das schwindende Interesse sehe, antwortete der Funktionär: „Den Leuten geht es einfach noch viel zu gut.“ Genau das sollte doch im Sinne des Verbands sein. Er möchte erreichen, dass es den Menschen gut geht. Doch in der Antwort wird ein Problem deutlich, das nicht nur die katholische Arbeiterbewegung betrifft, sondern alle Gruppen, die Interessen vertreten: Es geht nie nur um das eigentliche Ziel, sondern immer auch um die Existenz und den Einfluss der Organisationen selbst.

Ich halte NGOs für sehr wichtig. Sie sind im Spiel von Macht und Geld ein notwendiges Interessenkorrektiv. Ich sympathisiere mit ihnen, weil sie auch meine Interessen vertreten. Sie machen Dinge öffentlich, die nicht öffentlich werden sollten. Sie weisen auf Probleme hin, die sonst niemand ansprechen würde, und sie machen Missstände sichtbar, um die sich sonst niemand kümmern würde. In meiner Arbeit als politischer Unternehmensberater stelle ich fest, dass das im Falle von NGOs gern übersehen wird. Ihre Glaubwürdigkeit ist enorm. Sie gelten in der Öffentlichkeit als die Guten, die im Sinne aller handeln. Das ist einerseits gut, denn es ist nicht ganz falsch. Aber es ist auch nicht ganz richtig, und so entsteht im Ergebnis ein schiefes Bild. Mit den folgenden sieben Anmerkungen würde ich dieses Bild gern korrigieren.

I. Liebe Journalisten, um das Gemeinwohl geht’s auch in der Wirtschaft

Um gehört zu werden, müssen NGOs laut sein, oft penetrant, und manchmal müssen sie nerven. Sie setzen sich für die Umwelt, Menschenrechte, Frieden oder den Schutz von Verbrauchern ein, allesamt berechtigte Anliegen. Ihrem Selbstverständnis nach geht es um das Gemeinwohl. Mitunter arbeiten sie wie investigative Journalisten.

„Viele Journalisten sympathisieren mit den Zielen der NGOs.“

In der Öffentlichkeit führt das zu dem Eindruck, dass es ihnen darum geht, die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen. Aber das ist ein Missverständnis. Journalisten haben die Aufgabe, ein möglichst objektives Bild zu zeichnen. Einer ihrer Grundsätze ist, auch die andere Seite zu hören. NGO-Aktivisten machen das nicht. Sie wollen gerade nicht neutral sein. Sie haben eigene Absichten, und meistens unterschlagen sie dabei – was auch völlig legitim ist – die Argumente der Gegenseite.

Vielen Menschen ist das nicht klar, wenn sie in ihrer Facebook-Timeline auf eine dringende Warnung vor einem Handelsabkommen stoßen – anscheinend auch nicht allen Journalisten. Sie sehen in NGOs nicht selten Verbündete. In einer Studie des bereits erwähnten Matthias Bauer für die Konrad-Adenauer-Stiftung über den Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP im Netz schreibt er: „Die Argumente der TTIP-Gegner werden von den Medien [...] nur selten ernsthaft infrage gestellt.“

Möglicherweise liegt das daran, dass viele Journalisten mit den Zielen der NGOs sympathisieren, wie der Medienforscher Hans Mathias Kepplinger vermutet. Vielleicht ist der Grund aber auch, dass sie in ihrer Arbeit oft ähnliche Ziele verfolgen wie NGOs und es mit den gleichen Gegnern zu tun haben – mit Regierungen, Konzernen oder Unternehmensverbänden. Das prägt die Kontakte von NGOs zu Medien und macht kritische Fragen scheinbar überflüssig.

„NGOs fehlt es an mit den Parlamenten vergleichbarer demokratischer Legitimation.“

Dabei unterscheiden NGOs sich im Grunde gar nicht so sehr von Unternehmens- oder Wirtschaftsverbänden. Beide vertreten die Interessen einer Gruppe von Menschen mit gemeinsamen Zielen. NGOs assoziiert man dabei mit dem Gemeinwohl, Wirtschaftsverbände mit Interessen Einzelner. Kepplinger stellt dieses Verständnis in Frage. Mit Blick auf Wirtschaftsverbände sagt er: „Da geht es wirklich um Gemeinwohl.“ Und um das mit einer Zahl deutlich zu machen: Der Bundesverband der Industrie spricht für 100.000 Unternehmen mit etwa acht Millionen Beschäftigten.

II. NGOs sprechen für sich, nicht für uns alle

Die weltweite Zahl der NGOs steigt. Mittlerweile dürfte sie auf etwa 9000 gewachsen sein. Die meisten der Organisationen sind klein. Sie bestehen aus wenigen Menschen, die festlegen, für welche Ziele die Organisationen kämpfen. Und sie sind von relativ kleinen Gruppen legitimiert. Greenpeace hat in Deutschland nach eigenen Angaben 580.000 Fördermitglieder. Foodwatch gibt an, auf 37.000 Förderer zu kommen. Diese Menschen signalisieren mit ihrer Mitgliedschaft oder ihrer Spende, dass sie die Ziele der Organisationen unterstützen. Aber selbst im Falle von Greenpeace sind das weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Die Frage ist: Was ist mit den anderen?

In einer Demokratie kann sich natürlich jeder mit anderen zusammentun, um sich für gemeinsame Ziele einzusetzen. Die Gruppe kann dann allerdings nur für ihre Mitglieder sprechen, so wie politische Parteien nicht für das gesamte Volk sprechen, sondern nur für die von ihnen repräsentierten Wähler. NGOs treten gerne so auf, als würden sie im Sinne aller Verbraucher handeln – oder im Sinne aller Menschen. Aber diese Menschen haben ihr Einverständnis gar nicht gegeben. NGOs fehlt es an mit den Parlamenten vergleichbarer demokratischer Legitimation.

„NGOs sind außer ihren Mitgliedern niemandem Rechenschaft schuldig.“

Hinter dieser Selbstlegitimierung steht die Überzeugung, dass Menschen einen Vormund brauchen, der ihnen sagt, was gut und richtig für sie ist. Wäre das nicht so, hätten NGOs in der Kampagne gegen das Freihandelsabkommen TTIP nicht nur die Angst vor gentechnisch bearbeiteten Lebensmitteln geschürt, sondern auch die Vorteile des globalen Handels genannt, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Urteil zu bilden. In der Diskussion um den Unkrautvernichter Glyphosat hätten sie nicht nur den Eindruck vermittelt, es handle sich um ein lebensgefährliches Teufelszeug, sondern ausgewogen darüber informiert, was für Glyphosat sprechen würde und was dagegen (so wie beispielsweise in diesem Spiegel-Artikel).

Für die NGOs hat bietet Einseitigkeit Vorteile. Sie bleiben schlagkräftig. Die Devise lautet „Make it short and simple“. Denn Sachkenntnis wirkt nicht zwingend legitimierend. Im Gegenteil, hohe Legitimität für Entscheidungen kann durch Einbußen in der Qualität erreicht werden, schreibt der Wissenschaftler Vladislav Valentinov in einem Beitrag für das Debatten-Magazin The European. Aber ist das redlich?

III. Transparenz muss Pflicht sein

NGOs sind außer ihren Mitgliedern niemandem Rechenschaft schuldig. In der Regel prüft das Finanzamt, ob sie gemeinnützig sind. Aber sie müssen niemandem verraten, von wem sie Geld erhalten und wohin dieses Geld fließt. Sie können sogar öffentliche Fördergelder an andere NGOs weiterleiten, ohne dies öffentlich zu machen, wie der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper kritisiert.

Das Problem ist das gleiche wie oben. Wenn die Geldflüsse nicht transparent sind, ist von außen nicht zu erkennen, um wessen Interessen es geht. Große NGOs bemühen sich im eigenen Interesse um Transparenz. Wer Forderungen an andere stellt, wird angreifbar, wenn er den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Aber eine Verpflichtung gibt es bislang nicht. Weder in Berlin noch in Brüssel. Die von Transparency International gegründete Initiative Transparente Zivilgesellschaft gibt Organisationen die Möglichkeit, Finanzen und Ziele offenzulegen. Die EU stellt ein freiwilliges Transparenzregister zur Verfügung. Vor zwei Jahren waren dort nach Angaben des BDI allerdings lediglich 60 Prozent aller NGOs registriert – im Vergleich zu 75 Prozent der Unternehmensvertreter.

„Wer Forderungen an andere stellt, wird angreifbar, wenn er den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.“

Eine Lösung könnte sein, die Regeln des Vereinsrechts zu ändern und sie denen des Parteiengesetzes anzugleichen. Das fordert zum Beispiel Edda Müller, die Vorsitzende von Transparency International. Begründen ließen sich die verschärften Veröffentlichungspflichten laut dem Politikwissenschaftler Rudolf Korte damit, „dass NGOs – anders als der Name suggeriert – zum Teil beträchtliche öffentliche Mittel erhalten, etwa um Studien zu verfassen, Büros und Mitarbeiter zu unterhalten oder Projekte umzusetzen“.

Das ist lange bekannt, dennoch sind seit Jahren alle Bemühungen gescheitert, NGOs zu mehr Transparenz zu verpflichten. Die aktuellste Entwicklung stammt aus dem Januar. Das Europäische Parlament hat angekündigt, den Ausbau des Transparenzregisters in Angriff zu nehmen. Bis das passiert ist, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Dass sich in Deutschland bis dahin etwas verändert haben wird, ist unwahrscheinlich. Der Versuch, ein Lobbyregister zu schaffen, das etwa zeigt, wer bei neuen Gesetzen alles mitgemischt hat, ist in den Koalitionsverhandlungen soeben wieder einmal gescheitert.

IV. Skandale sind gut fürs Geschäft

Ende Januar hat die Hilfsorganisation Oxfam wie jedes Jahr zu Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos ihren Armutsbericht vorgestellt. Der Tenor ist immer sehr ähnlich: Die Reichen werden reicher, die Armen immer ärmer. Und die Ungleichheit wird schlimmer. Der Bericht liefert zuverlässig griffige Überschriften. Die in der Zeitung Die Welt lautete: „42 Milliardäre besitzen so viel wie die halbe Welt.“ Dabei hatte die gleiche Zeitung schon ein Jahr zuvor in einem Beitrag erklärt, dass die Ergebnisse der Studie alles andere als seriös sind.

„Mit der Aufmerksamkeit wächst in der Regel das Spendenaufkommen.“

Ein Problem ist: Oxfam vermittelt den Eindruck, dass der Reichtum der Reichen der Grund für die Armut der Armen ist. Aber das ist falsch, denn auch die Armen profitieren vom wachsenden Wohlstand auf der Welt. „Der Titel der Oxfam-Studie hätte auch lauten können: ‚Jeden Tag schaffen 100.000 Menschen den Weg aus der Armut‘“, merkt Franz Schellhorn, der Leiter des liberalen Thinktanks Agenda Austria, in einem Beitrag für das österreichische Nachrichtenmagazin Profil an. Doch Oxfam möchte lieber eine andere Botschaft transportieren. Sie lautet: Die Lage ist so schlimm wie noch nie. Und diesen Eindruck vermitteln viele NGOs, denn besonders freigiebig und hilfsbereit sind Menschen, wenn sie Mitleid oder Angst haben.

Der Wissenschaftsjournalist Ludger Weß, der bis vor 20 vor Jahren auch im Auftrag von Greenpeace gearbeitet hat, erzählte der Wochenzeitung Die Zeit im vergangenen Jahr von einem Erlebnis, das seiner Darstellung nach dazu führte, dass er sich von der Organisation abwandte. Weß war im Jahr 1998 für Greenpeace nach Washington gereist, um an einer Anhörung teilzunehmen und mit Wissenschaftlern über die Gefahren der grünen Gentechnik zu sprechen. Doch er kam nicht mit den Erkenntnissen zurück, die man für die Kampagne hätte gebrauchen können. Es gebe viele Argumente gegen die Gentechnik, aber die gesundheitlichen Gefahren gehörten nicht dazu, teilte Weß nach seiner Rückkehr mit. Der für die Kampagne zuständige Mitarbeiter Benedikt Härlin habe entgegnet: „‚Wir bleiben dabei. Das Portemonnaie der Spender gehe nicht auf, wenn sie nicht Angst hätten um ihre Gesundheit.‘ Alles andere sei zu kompliziert und nicht kampagnentauglich.“

Benedikt Härlin bestreitet heute, dass das Gespräch damals so verlaufen ist, aber der Gedanke ist das Grundmuster einer Kampagne. Wenn es darum geht, ein Ziel zu erreichen ist die Wirkung noch etwas wichtiger als die ganze Wahrheit, denn mit der Aufmerksamkeit wächst nicht nur der öffentliche Druck, sondern in der Regel auch das Spendenaufkommen – und das sichert die nächste Kampagne. Beinahe legendär ist ein Greenpeace-Fact-Sheet, das 2006 versehentlich in einer unfertigen Fassung an die Öffentlichkeit geriet, und das Ludger Weß in einem Text über die Greenpeace-Praktiken erwähnt. Es ging um eine Kampagne gegen Atomenergie. In dem Text war zu lesen: „In the twenty years since the Chernobyl tragedy, the world’s worst nuclear accident, there have been nearly [FILL IN ALARMIST AND ARMAGEDDONIST FACTOID HERE]“.

„Um den öffentlichen Druck so groß wie möglich werden zu lassen, suchen NGOs sich mitunter bewusst falsche Adressaten aus.“

Das alles entwertet die guten Absichten hinter den Kampagnen nicht. Oft legen NGOs den Finger an der richtigen Stelle in die Wunde und ahnen zu Recht, dass sich für das Anliegen niemand interessieren wird, wenn sie es in Zimmerlautstärke vorbringen. Und anders als früher sprechen die Organisationen vor allem im Netz selbst mit ihrem Publikum. Es ist kein Journalist zwischengeschaltet, der die Skandal-Rufe herunter pegeln und kommentieren könnte. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen wissen: Was sie gerade sehen, ist vielleicht nicht ganz falsch, aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht das komplette Bild.

V. NGOs sind mächtige Zwerge

Um den öffentlichen Druck so groß wie möglich werden zu lassen, suchen NGOs sich mitunter bewusst falsche Adressaten aus. Ein Beispiel dafür ist die Palmöl-Kampagne gegen den Nahrungsmittelhersteller Nestlé, deren Ziel es war, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Zulieferer im Regenwald den Lebensraum von Affen zerstören. Aber um Zulieferer ging es nie, immer nur um Nestlé. Andrea Rexer beschreibt das methodische Vorgehen in ihrem Essay „Die Problemverkäufer“, der vor zwei Jahren in der Süddeutschen Zeitung erschien.

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat dieser Strategie den Namen „Bypassing“ gegeben. Das Vorgehen hat eine gute und eine schlechte Seite. Laut Pörksen ist es effektiv und kann helfen, Missstände öffentlich zu machen, aber es besteht auch die Gefahr, dass am Ende Unschuldige am Pranger stehen. In jedem Fall ist es eine sehr große Keule. Und das widerspricht dem Narrativ, das NGOs sich mit dieser Technik zunutze machen. Sie setzen auf das alte David-gegen-Goliath-Schema. Sie suchen sich große Gegner, um selbst möglichst klein zu erscheinen, und das wirkt immer, auch wenn es nicht stimmt.

„Für NGOs arbeiten keine arglosen Weltverbesserer, sondern in allen Bereichen Profis, die international auch so bezahlt werden.“

Allein Greenpeace Deutschland hat im Jahr 2016 laut seinem Jahresbericht 56 Millionen Euro an Spenden eingenommen und beschäftigt fast 250 feste Mitarbeiter. Für NGOs arbeiten keine arglosen Weltverbesserer, sondern in allen Bereichen Profis, die international auch so bezahlt werden. Laut einem Deutschlandfunk-Bericht verdient Helle Thorning-Schmidt, die Chefin der Kinderhilfs-Organisation Save the children, 345.000 Dollar im Jahr, der Präsident von Oxfam America, Raymond Offenheiser, kommt danach auf 458.000 Dollar. NGOs stehen auch nicht mehr am Zaun, wenn die Mächtigen sich treffen, sie sitzen mit am Tisch. Und dort geraten sie in ein Dilemma, denn wenn sie sich auf die politischen Spielregeln einlassen, müssen sie Kompromisse schließen.

Das muss nicht schlecht sein. Um ein großes Ziel zu erreichen, kann es sinnvoll sein, Einschränkungen bei einem kleineren hinzunehmen. Aber dieser politische Pragmatismus steht im Widerspruch zum Image des weißen Ritters, das die Grundlage ihrer Argumentation ist und aus dem sich ihre Überzeugung ableitet, Lobbyisten aus der Wirtschaft moralisch überlegen zu sein. Außerdem nährt der Kompromiss einen Verdacht, nämlich den, dass beide Seiten sich unter der Hand entgegenkommen – nach dem Prinzip: Wir geben euch Geld, wenn ihr an der einen oder anderen Stelle ein Auge zudrückt.

Oxfam zum Beispiel ist vor zwei Jahren in die Kritik geraten, weil die Organisation auf der einen Seite Geld von Konzernen wie Coca Cola oder Unilever nimmt, um Hilfsprojekte zu finanzieren, und auf der anderen Seite den Eindruck entstehen lässt, sie würde Nahrungsmittelkonzerne in ihren Kampagnen schonen. Oxfam weist das zurück. Und möglicherweise steht beides tatsächlich in keinem Zusammenhang. Man darf es eben nur nicht einfach glauben. Es ist wichtig, genau hinzuschauen.

VI. Poltern führt nur zu Blockaden

Das große Kapital von NGOs ist ihre Reputation. Unternehmen geht es um Geld, NGOs um eine bessere Welt. Dieses Bild ist in der Öffentlichkeit verbreitet. Deswegen ist die Glaubwürdigkeit von NGOs größer als die von Lobbyisten aus der Wirtschaft. Mit ihren Kampagnen nutzen die Organisationen das wirkungsvoll aus. Aber einige NGOs setzen ihr Kapital aufs Spiel, indem sie es ausbeuten. Und das hat Folgen, die für beide Seiten schlecht sind.

„Die eigene Glaubwürdigkeit leidet, und die Unternehmen, gegen die sich das Poltern richtet, machen irgendwann dicht.“

In dem oben bereits erwähnten Welt-Bericht über die Arbeitsweise von Foodwatch sagt Harald Melwisch vom Nahrungsmittelhersteller Unilever: „Es hat Treffen und Gespräche mit Foodwatch gegeben. An einem konstruktiven Dialog ist die Organisation aber nicht interessiert. Im Vergleich mit anderen Nichtregierungsorganisationen ist dieses Verhalten ineffektiv. Inhaltlich erreicht Foodwatch gar nichts.“ Der Vorwurf lautet: Foodwatch poltert, weil der Effekt dann am größten ist. Das nützt dem Verbraucher nicht, aber es nützt Foodwatch, weil es sich in Aufmerksamkeit und Spenden niederschlägt.

Langfristig hat dieses Vorgehen für NGOs zwei Nachteile: Die eigene Glaubwürdigkeit leidet und die Unternehmen, gegen die sich das Poltern richtet, machen irgendwann dicht. Ihre Bereitschaft, überhaupt etwas zu ändern, wird kleiner, wenn die Firmen in jedem Fall auf den Deckel bekommen, weil Verbraucherschützer nicht den Schritt in die richtige Richtung sehen, wenn Hersteller den Zucker im Pudding reduzieren, sondern nur, dass der Pudding in ihren Augen immer noch viel zu süß ist. Es führt auch dazu, dass Veröffentlichungen von Organisationen wie Foodwatch in der Nahrungsmittelbranche nicht zum Anlass genommen werden, selbstkritisch über die eigenen Produkte nachzudenken, sondern direkt in den Müll wandern.

VII. Gegenwehr kann sich lohnen

Die gegenseitigen Vorwürfe und Unterstellungen haben irgendwann nichts mehr damit zu tun, was sinnvoll und möglich wäre. Sie verpesten nur noch die Atmosphäre. Carolin Emke spricht in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung von choreographierten Konflikten, „in denen Themen oder Fragen nur noch tangiert, aber nicht mehr wirklich erörtert werden, weil es allen irgendwie reicht, sich gegenseitig zu beschuldigen oder zu verachten“.

„Wenn NGOs damit rechnen müssen, dass unseriöse Panikmache in der Öffentlichkeit entlarvt wird, hat das Einfluss auf ihre Kampagnen.“

Was Emke vor allem auf die große Politik bezieht, trifft auch auf den Konflikt zwischen Wirtschaft und NGOs zu. Wobei es für die Unternehmen riskant ist, sich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen. „Da könnten sie eigentlich nur verlieren“, sagt der Kommunikationsberater Jörg Waldeck in dem Welt-Beitrag. NGOs gelten in der Öffentlichkeit als Kämpfer für die gute Sache, sie haben die Moral auf ihrer Seite – und damit die Sympathien der Öffentlichkeit. In ihren Kampagnen arbeiten sie wie Boulevard-Medien. Mit emotionalen Bildern und zugespitzten Fakten. Dagegen können Unternehmen auch dann kaum etwas ausrichten, wenn sie die Wahrheit auf ihrer Seite haben. Sie sollten es aber dennoch versuchen.

Dass es sich für Firmen lohnen kann, sich zur Wehr zu setzen, zeigt ein Beispiel aus Kanada. Dort hatte der weltgrößte Zeitungspapierhersteller Resolute Forest Products Greenpeace nach einer jahrelangen Kampagne gegen das Unternehmen vor Gericht gebracht, wo die Organisation zugab, es mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau nehmen. „Greenpeace gibt in seiner Einlassung sogar zu, gelegentlich die Unwahrheit zu sagen – macht aber nichts, denn ‚nicht jede Lüge, selbst wenn sie absichtlich vorgebracht wurde, ist Betrug‘“, schreibt Ludger Weß in einem Beitrag für das Debatten-Magazin Salonkolumnisten.

Am Ende der Auseinandersetzung entschuldigte Greenpeace sich und sicherte zu, die Vorwürfe nicht zu wiederholen. Es ist ein Negativbeispiel, das neben vielen positiven steht, die das Image von Greenpeace und anderen NGOs geprägt haben. Ich möchte das nicht unterschlagen, denn mit meiner Kritik will ich nicht in Frage stellen, was NGOs machen, sondern wie sie es machen und unter welchen Bedingungen es geschieht. Das ist zum einen von den Regeln abhängig, die wir schaffen. Diese Regeln müssen klar sein. Transparenz darf keine freiwillige Zusatzleistung sein, sie muss zur Verpflichtung werden. Zum anderen hängt es von Anreizen ab, wie NGOs sich verhalten. Und wenn sie damit rechnen müssen, dass unseriöse Panikmache und destruktives Poltern in der Öffentlichkeit entlarvt werden, hat das auch Einfluss auf ihre Kampagnen. Um diese Voraussetzungen zu schaffen, ist es wichtig, ein realistisches Bild davon zu gewinnen, was NGOs sind, nämlich mächtige Interessenvertreter, die mit den gleichen Mitteln arbeiten wie andere Lobbyisten.

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