02.02.2013

Die Heuchelei geht weiter

Von Johannes Richardt

Die PID ist in Deutschland in Ausnahmefällen erlaubt. Eine Verordnung dazu hat am Freitag den Bundesrat passiert. Über die Anwendung entscheiden aber nicht die Betroffenen selbst, sondern Ethikkommissionen. Das ist paternalistisch und entmündigend. Ein Kommentar von Johannes Richardt

Eineinhalb Jahre unklarer Rechtslage haben endlich ein Ende gefunden: Paare, die befürchten müssen, ein Kind mit einer schweren Erbkrankheit zu bekommen, sind nun nicht mehr dazu gezwungen in die Niederlande, nach Belgien oder Tschechien zu reisen. Sie können künstlich befruchtete Embryonen jetzt auch hierzulande in speziellen Zentren auf genetische Erkrankungen untersuchen lassen, bevor sie in den Mutterleib eingepflanzt werden.

Eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums zum im Sommer 2011 verabschiedeten Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik (PID) passierte an diesem Freitag den Bundesrat. Darin wurde geregelt, wie die nun möglichen Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Präimplantationsdiagnostik konkret zu gestalten sind.

Das ist ohne jeden Zweifel erst mal eine gute Nachricht für die betroffenen Paare. Nach deren jahrlanger Kriminalisierung und dem ethisch-moralischen Hickhack um seine Verabschiedung, bedeutet selbst dieses neue Gesetz, das die PID zwar nach wie vor theoretisch verbietet, praktisch aber erlaubt, eine Verbesserung. Die heuchlerische Formel „rechtswidrig, aber straffrei“ kennt man ja bereits vom Paragraphen 218.

Das Grundproblem bleibt aber bestehen: Nach wie vor missachtet der Gesetzgeber das Recht der betroffenen Paare für sich selbst zu entscheiden. Ok, es ist jetzt für sie straffrei, zu testen, ob die genetischen Anlagen eines Embryos eine Tot- oder Fehlgeburt oder schwere Krankheit des Kindes wahrscheinlich machen. Aber die Entscheidung, ob sie solch einen Test tatsächlich durchführen können, haben laut Gesetzgeber nicht sie, sondern eine aus Medizinern, professionellen Ethikern und Kirchenvertretern zusammengesetzte Ethikkommission zu treffen.

„Konservative Kritiker befürchten ein „Kommissions-Hopping“, wenn sich erst mal rumgesprochen hat, welche eher liberal und welche eher streng entscheiden. Es ist sehr zu hoffen, dass die betroffenen Menschen wenigstens diesen kleinen Freiraum reichlich nutzen werden!“

Nun erleben wir hierzulande spätestens seit Gerhard Schröders Nationalem Ethikrat, dass die Politik immer öfter meint, die Diskussion über wichtige gesellschaftliche Fragen an beratende Expertengremien auslagern zu können. Diese sollen dann per Mehrheitsbeschluss die Antworten finden, vor denen sich die gewählten Volksvertreter drücken.

Das ist im Allgemeinen schon ein sehr besorgniserregender Trend, der viel über die zunehmende Handlungs- und Entscheidungsunlust unseres politischen Führungspersonals verrät. Aber gerade im Zusammenhang mit solch intimen Lebensentscheidungen zu meinen – letztlich, weil der Bundestag 2011 vor einer klaren Entscheidung für oder gegen die PID gekniffen hat!-, den Betroffenen einen Haufen fremder Menschen vor die Nase setzen zu müssen, deren Urteil solch einen gravierenden Einfluss auf deren zukünftiges Leben haben kann, ist zutiefst entmündigend und paternalistisch.

Die Entscheidung muss allein bei den Paaren liegen, die das Kind zur Welt bringen wollen. Die „Ethikexperten” mögen für sich selbst zu noch so wohl überlegten und moralisch einwandfreien Urteilen kommen, aber am Ende muss einzig und allein das Paar, dem sie eine Untersuchung erlaubt oder verboten haben, den Rest des Lebens mit den Konsequenzen dieser Entscheidung leben. Deshalb sollte die Frage, wie man bei der jeweils gegebenen genetischen Situation der Eltern vorgehen will, nur von diesen selbst nach eingehendem Gespräch mit den sie unmittelbar beratenden Ärzten entschieden werden.

Niemand kann deren spezielle Situation, die Bedeutung der einen oder anderen Entscheidung für sie und ihre Familie besser beurteilen als sie selbst. Dafür brauchen erwachsene Menschen keine Ethikkommissionen, die ihnen erklären, was richtig oder falsch für sie ist. Sie sind grundsätzlich gut dafür gerüstet, auch schwere Entscheidungen, die ihr eigenes Leben betreffen, rational und bewusst zu treffen.

Konservative Kritiker, wie Floretine Fritzen in einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung , verspüren ein „starkes Unbehagen” wegen der neuen Regelung. Sie befürchten ein „Kommissions-Hopping“, wenn sich erst mal rumgesprochen hat, welche eher liberal und welche eher streng entscheiden. Es ist sehr zu hoffen, dass die betroffenen Menschen wenigstens diesen kleinen Freiraum reichlich nutzen werden!

Wir sollten uns gar nicht erst an den neuen, verlogenen Status Quo gewöhnen. Es geht jetzt darum, dafür zu streiten, dass die PID wirklich jedem offen steht, der sie nutzen will – ohne Einschränkungen und ohne Ethikkommissionen.

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