01.09.2006

„Die Grünen wollen alles richtig machen, aber sie liegen völlig falsch.“

Analyse von Brendan O’Neill

Für den schwarzen Bürgerrechtler Roy Innis zählt der Umweltschutz heute zu den größten Bedrohungen Afrikas. Brendan O’Neill hat mit ihm gesprochen.

„Wir kämpfen immer noch denselben Kampf für die Befreiung der schwarzen Bevölkerung. Früher hieß das, sich mit den alten Rassisten und Kolonialisten anzulegen – heute heißt es auch, den Umweltschützern den Kampf anzusagen.“


Roy Innis nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Landesvorsitzende der in den 40er-Jahren gegründeten schwarzen Bürgerrechtsbewegung Congress of Racial Equality (CORE) mit Sitz in New York hat mit seinen Angriffen gegen die Grünen für Aufregung gesorgt. Laut Innis trägt das Denken der Umweltschützer dazu bei, „Afrika abzuwürgen“. Er sagt, die Beschränkungen der EU bezüglich des Einsatzes des Pestizids DDT zur Bekämpfung von Malaria „töten schwarze Babys“; das Ringen westlicher Liberaler um gentechnisch verändertes Saatgut und gentechnisch veränderte Futtermittel „hält Afrika zurück“, und die Idee nachhaltiger Entwicklung bewirke eine „Stagnation der Entwicklung Afrikas“. Natürlich hat er sich damit nicht besonders beliebt gemacht – von einigen radikalen Grünen wurde er sogar schon als „Onkel Tom“ bezeichnet, als Handlanger des (weißen) Big Business.


„Ja, das habe ich gehört“, sagt er. „Ich wüsste gerne, wo diese Leute in den 50er- und 60er-Jahren waren, als die Stoßtruppen in der Schlacht um die Bürgerrechte von meiner Organisation kamen. Wer mein Engagement für die Bürgerrechte kennt, weiß: Ich bin das Gegenteil von Onkel Tom.“


Warum ist der Vorsitzende einer Organisation, deren Mitglieder sich im hitzigen Sommer 1964 den rassistischen Polizisten und den KKK-Mitgliedern des American Deep South entgegenstellten, im Jahr 2006 ein derart entschiedener Feind der Grünen? CORE wurde im Jahr 1942 von Studenten verschiedener Rassenzugehörigkeit in Chicago gegründet. In den 50er- und 60er-Jahren erfuhr die Gruppe großen Zulauf und wurde zu einer der wichtigsten Vereinigungen, die 1963 und 1964 an den Protesten gegen die Rassentrennung im amerikanischen Süden beteiligt waren. CORE organisierte die „Freedom Rides“, bei denen weiße und schwarze Aktivisten gemeinsam in öffentlichen Bussen durch Birmingham und Montgomery (Alabama) fuhren – ein offener Affront gegen die staatliche Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln –, und sie protegierte den Marsch auf Washington von 1963, bei dem Martin Luther King seine „I Have A Dream“-Rede hielt.[1]


Dennoch spricht Innis, seit 1968 Vorsitzender von CORE, heute leidenschaftlich davon, den Grünen den Kampf anzusagen. Ist das nicht eine Wende um 180 Grad? Kommt man hier nicht vom Kampf gegen rassistische Obrigkeiten zum Kampf gegen Leute, die um die Natur besorgt sind? „Wir sind uns treu“, sagt er. „Unser Ziel war immer, die Schwarzen hier und in Afrika zu stärken. Einige diesbezügliche Hürden bestehen immer noch, aber es gibt auch einige neue.“ Und eine der größten neuen Hürden ist die Umweltpolitik, sagt er. Besonders beunruhigt ist er über die globalen Beschränkungen bezüglich des Einsatzes von DDT zur Malariabekämpfung. „Was mich immer und immer wieder erschüttert, ist, dass wir diese Krankheit eigentlich kontrollieren können“, sagt er. „Wir haben sie in Amerika und Europa mit DDT ausradiert, warum also nicht in Afrika?“


DDT (Dichlorodiphenyltrichloroethan) steht im Brennpunkt der Debatte über Umweltschutz. Das Pestizid tötet die Blut saugenden Moskitos, die Malaria übertragen. Früher starben jährlich tausende Amerikaner und Europäer an Malaria. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Regierungen in Europa und den USA aggressiv gegen Malaria vor, unter anderem mit DDT, und die Krankheit landete – zumindest in den westlichen Ländern – auf dem Müllhaufen der Geschichte.
In den 60er- und 70er-Jahren brachten jedoch grüne Aktivisten Bedenken über den Einfluss von DDT auf die Tier- und Pflanzenwelt zum Ausdruck. In ihrem 1962 erschienenen Buch Silent Spring (Der stumme Frühling), das in weiten Kreisen als die Bibel des Umweltschutzes gilt, behauptete Rachel Carson, DDT schädige Greifvögel und ihr Gelege.[2] Nach ausgiebiger Lobbyarbeit und vielen Kampagnen wurde DDT 1972 in den USA von der Environment Protection Agency verboten, und der Einsatz in Europa wurde sehr stark beschränkt. Dies wirkte sich auch auf den Einsatz in lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern aus, wo Malaria immer noch ein großes Problem darstellt. Ein Mitglied der Organisation Africa Fighting Malaria weist darauf hin, dass die gelegentlichen tatsächlichen Schädigungen von Greifvögeln durch starken agrarwirtschaftlichen DDT-Einsatz sich nachträglich als „erwiesenermaßen reversibel“ herausstellten und dass „nach 50-jähriger Beobachtung keine einzige Wiederholungsstudie Schädigungen von Menschen belegt“.[3]
 

„‚Wir wollen nicht, dass Afrika wieder im Stich gelassen wird und die gentechnische Revolution verpasst.‘“



Dennoch werden afrikanische Staaten weiterhin gedrängt, DDT nicht einzusetzen. In diesem Jahr drohte die EU mit möglichen agrarwirtschaftlichen Sanktionen gegen Uganda, Kenia und andere Länder, die unbeirrt DDT verwenden und das auch weiterhin kompromisslos tun wollen. Ein EU-Vertreter warnte die Regierung von Uganda, wenn das Sprühen von DDT in Gebäuden zu einem „Kontaminationsrisiko bezüglich der Nahrungskette“ führe, habe das „zwar nicht automatisch ein Verbot der Lebensmittelprodukte zufolge …, aber es führt sehr wohl zu einem Einfuhrverbot für bestimmte Lieferungen nach Europa“.[4] „Die EU sollte lieber darauf hinweisen, dass DDT sicher ist und keine Gefahr für EU-Verbraucher darstellt“, sagt Innis. „Stattdessen werden direkte oder indirekte Handelssanktionen angedroht. In Wirklichkeit sagen sie: ‚Wir haben von DDT profitiert und die Malaria überwunden, aber ihr in Afrika könnt das so nicht machen.’“


Das Thema Malaria macht Innis auch deswegen so wütend, weil die Krankheit sogar in den ärmsten Regionen Afrikas durch einfache DDT-Anwendung besiegt werden könnte. „Man sprüht zweimal im Jahr kleine Mengen auf die Häuserwände, und 90 Prozent der Moskitos bleiben draußen. Und diejenigen, die doch hereinkommen, sind so irritiert, dass sie nur selten stechen. Jeder afrikanische Haushalt sollte bei Bedarf DDT auf die Wände sprühen können.“
 

‚„Das grüne Denken ist eine neue Form des Kolonialismus.“‘



Aber Innis ist nicht nur über die Beschränkungen bei DDT verärgert. Er verteidigt auch die Entwicklung gentechnisch veränderten Saatguts und betont, afrikanische Bauern könnten davon erheblich profitieren. „Wir wollen nicht, dass Afrika wieder im Stich gelassen wird und diese wissenschaftliche Revolution verpasst. Gentechnisch verändertes Saatgut würde die Erträge steigern und eine gute Ernährungsqualität sichern.“ Kalt lassen ihn die Argumente für nachhaltige Entwicklung, denen zufolge „dadurch nur die eigentliche Entwicklung aufgehalten würde, die Afrika tatsächlich braucht“.


Innis erkennt an, dass es die meisten grünen Aktivisten nur gut meinen. „Sie wollen alles richtig machen, aber sie liegen bei manchen Sachen völlig falsch“, sagt er. Er ist vor allem darüber besorgt, dass das umweltbewusste Denken mittlerweile zum offiziellen Dogma geworden ist, das in vielen Debatten der UN und der EU über die Entwicklungsländer den zentralen Raum einnimmt. Er behauptet sogar, das grüne Denken über die Dritte Welt sei „eine neue Form des Kolonialismus“; und er spricht von „Öko-Imperialismus“. „Das ist eine kolonialistische Mentalität“, sagt er. „Da werden für andere Leute Entscheidungen aus eigener Perspektive getroffen, statt aus der Perspektive derjenigen, die betroffen sind – das ist meine Definition von kolonialistischer Mentalität, und genau das ist der Standpunkt, den einige Beamte und grüne Aktivisten gegenüber der Dritten Welt einnehmen.“


Natürlich ist die Haltung grüner Gruppierungen (und anderer Hilfsorganisationen) gegenüber Afrika und seinen Problemen hochgradig bevormundend und gefährlich. Aber ich glaube, Innis und andere Kommentatoren und Aktivisten, die den orthodoxen Umweltschutz hinterfragen, konzentrieren sich zu sehr auf die eigentlichen Grünen – als gäbe es eine heimtückische Verschwörung von Greenpeace oder Friends of the World, mit der sie die Dritte Welt ihren politischen Launen unterwerfen und UN und EU zur weltweiten Verbreitung des Umweltschutzes zwingen. Ich sehe diese Gruppierungen eher als besonders deutliche Zeichen dafür, wie kurzsichtig und engstirnig die westliche Politik heute im Allgemeinen ist. Im Rahmen westlicher Top-down-Verfahren – und insbesondere in der trägen und knarrenden Institution EU – gelten wirkliche Entwicklung und Industrialisierung als zu riskant und potenziell schädlich. Demzufolge sind die Grünen nur das radikale Glanzlicht auf der faktischen Mainstream-Orthodoxie.


Insofern die anti-grünen Kritiker sich auf Streitthemen wie DDT und gentechnisch verändertes Saatgut beschränken, könnte man letztlich auch von ihnen behaupten, sie wollen nicht sehen, was die Dritte Welt wirklich braucht. Zweifellos würde ein einfacher Zugang zu DDT helfen, Malaria zu bekämpfen. Aber es gibt tiefer liegende Gründe – im Umkreis mangelnder Entwicklung und verbreiteter Armut –, weshalb sich Krankheiten in Afrika in einer Weise verbreiten können, die in den westlichen Ländern größtenteils unmöglich ist. Natürlich brächte die Einführung gentechnisch veränderten Saatguts in Afrika den Bauern viele Vorteile, aber das ist kein Ersatz für Industrialisierung und Urbanisierung, also letztlich die Befreiung der Menschen aus ihrer Abhängigkeit von der Landwirtschaft, mag diese nun gentechnisch verändertes Saatgut verwenden oder nicht.


Dennoch wirft Innis wichtige Fragen auf. Einige Grüne zeigen sich insbesondere darüber irritiert, dass ein im Kampf um Bürgerrechte erprobter schwarzer Aktivist es wagt, ihre Pläne und Ziele zu kritisieren. Sie behaupten, er habe CORE von den bürgerrechtlichen Wurzeln abgeschnitten und nach „rechtsaußen“ befördert. Ein Kommentator hat CORE den „Onkel-Tom-Award“ zugesprochen.[5] Ferner wurde die Organisation beschuldigt, „schwarzes Gold“ von Ölgesellschaften zu erhalten oder von Monsanto bestochen zu sein, dem internationalen Biotech-Unternehmen, das Technologien für gentechnisch verändertes Saatgut entwickelt. Innies bestreitet das. „Ich wünschte, es wäre so. Wo ist das Geld? Ich habe keins gesehen. Ich wünschte, Regierungen und Industrie würden unsere Programme stärker unterstützen, aber das ist nicht der Fall.“


Wie reagieren die Grünen aber auf die Argumente von CORE bezüglich des Einflusses des Umweltschutzes auf Fortschritt und Entwicklung in Afrika? „Wenn man das kritisiert, kommt man in Teufels Küche“, sagt Innis. „Der Umweltschutz gilt vielen als neues Evangelium. Wir sollten aber über diese Themen frei diskutieren können. Für manche Menschen geht es dabei um Leben und Tod.“

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