16.04.2014

Die Gefahren des gut Gemeinten (2/2)

Essay von Phil Mullan

Im zweiten Teil seines CSR-Essays erklärt Phil Mullan, warum die Corporate Social Responsibility den Nutzen von Unternehmen für das Gemeinwohl nicht vergrößert. Im Gegenteil: Sie behindert Innovationen, Wachstum und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt

Die Duldung und gelegentliche Zuneigung, die Wirtschaftsbosse ihren CSR-Verpflichtungen entgegenbringen, stehen ihrem unternehmerischen Erfolg im Weg. In der Tat wäre der wirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden geringer, wenn die Forderung nach gesellschaftlicher Verantwortung der Unternehmen nur eine Kampagne von wirtschafts- und wachstumsfeindlichen Gruppierungen wäre. Ebenso wäre CSR relativ harmlos, wäre sie bloß eine PR-Maskerade von Unternehmen – oder „Greenwashing“, wie Umweltschützer gerne spotten. Das wäre vielleicht scheinheilig, aber dem Unternehmenserfolg nicht besonders abträglich. Aber gerade, dass die Unternehmen die CSR-Agenda ernsthaft übernommen haben, hat gefährliche Auswirkungen. Die Vorstellung, Unternehmen müssten „Gutes“ tun, ist aus zwei Gründen für die Wirtschaft schädlich: Sie lenkt die Unternehmen von ihrem eigentlichen Zweck ab und unterminiert ihre tatsächliche wirtschaftliche Verantwortung.

Unternehmen unter Druck

Es ist für Unternehmen nicht einfach, ausreichend Rendite zu erwirtschaften und diese anschließend für den Fortbestand oder die Weiterentwicklung zu erhalten. Die Hälfte aller Unternehmen scheitert in den ersten fünf Jahren, und einen Zeitraum von zehn Jahren überleben weniger als ein Drittel. Für sicheren und anhaltenden Unternehmenserfolg gibt es kein Patentrezept, aber die Konzentration auf kaufmännische Grundlagen ist ein notwendiges Fundament. Konzentration, erstens auf die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen für einen kundenorientierten Markt, zweitens darauf, das Produkt so herzustellen oder die Dienstleistung so zu erbringen, dass der Verkaufspreis eine ausreichende Rendite erwirtschaftet, und drittens auf die Umwandlung dieser Erträge in reales Geld, anstatt dieses Geld verschwenderisch für die falschen Dinge auszugeben. Kein Unternehmen überlebt sehr lange, wenn es die falschen Produkte oder Dienstleistungen anbietet, diese nicht effizient genug produziert und nicht ausreichend und langfristig Erlöse erwirtschaftet.

Da die Marktwirtschaft von Natur aus dynamisch oder, um es anders auszudrücken, ungeordnet ist und nach keinem schlüssigen Plan verläuft, garantiert der Erfolg eines Geschäftsjahrs nicht den des nächsten. Die Geschäftslage verändert sich permanent – wie alle Unternehmensberater predigen. Das ist nichts Neues und hat nichts mit den heutigen Umständen zu tun, ob nun Globalisierung, Internet oder anderem Zeittypischem.

Kapitalistische Unternehmen waren schon immer dem Druck ausgesetzt, sich weiterzuentwickeln und zu erneuern. Deshalb müssen sie sich dauerhaft auf das Wesentliche konzentrieren. Sie können Glück haben und für einige Zeit von einem Nischenvorteil profitieren, aber nicht für immer. Es gibt nur wenige Unternehmen, die vor einem Jahrhundert, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, existierten und auch heute noch bestehen. Selbst riesige Monopolisten können sich nicht zu lange auf ihren Lorbeeren ausruhen. Microsoft, die größte Software-Firma der Welt, muss sich sehr anstrengen, um bei der Entwicklung vom Arbeitsplatzrechner hin zu mobilen Technologien noch mithalten zu können.

„CSR ist eine Ablenkung, die Unternehmen andere Ziele als den geschäftlichen Erfolg auferlegt.“

All diese grundlegenden Wahrheiten über die marktwirtschaftliche Tätigkeit bedeuten, dass jegliche Ablenkung von dieser Unternehmensausrichtung letztendlich den Erfolgs- und Überlebenschancen schadet. CSR ist eine solche Ablenkung, die Unternehmen andere Ziele als den geschäftlichen Erfolg auferlegt. Ein Unternehmen, das andere Verantwortung außer der nachhaltigen Profitabilität übernimmt, verkleinert sein Hauptaugenmerk auf die geschäftlichen Verantwortungen und Ziele und kommt deshalb von seinem primären Unternehmensziel ab.

Unternehmen haben bereits die Begeisterung für die Dinge verloren, die einmal normal waren: Experimentierfreudigkeit, Risikobereitschaft, Wandel und organisches Wachstum durch langfristige Investitionen. Die wachsende Auffassung der Unternehmen, dass normales Wirtschaften – oder besser gesagt: was früher einmal als normales Wirtschaften galt – schädigend ist, bestärkt diese ablehnende Haltung gegenüber ambitionierter Unternehmensentwicklung. Umfangreichere und einschneidende Wirtschaftsregulierungen – ob in Form freiwilliger Selbstregulierungs-Kodizes oder gesetzlicher Regeln – werden durch die CSR ermuntert und gefordert; dabei behindert beides bereits zu sehr die Unternehmensausrichtung. CSR erhöht mit Plänen, moralischem Druck und Verhaltenskodizes die bereits bestehenden Hindernisse, die wirtschaftlichem Fortschritt und Überleben im Weg stehen.

„CSR drückt als höfliche Form der Unternehmensbeschimpfung eine tiefe Skepsis gegenüber wirtschaftlichen Motiven aus.“

CSR drückt als höfliche Form der Unternehmensbeschimpfung eine tiefe Skepsis gegenüber wirtschaftlichen Motiven aus. Dies schwächt die Hauptfunktion der Unternehmen und deren Fähigkeit zu effektiven Problemlösungen. Die CSR-Agenda erschwert zudem die Konzentration auf das Kerngeschäft, weil sie die eigentliche Verantwortlichkeit eines Unternehmens – die gegenüber den Eigentümern – verwässert und untergräbt. Wenn Firmen wegen CSR versuchen, der gesamten Welt gegenüber verantwortlich zu sein, sind sie letztendlich niemandem verantwortlich.

Stakeholder-Kapitalismus und Drei-Säulen-Modell

Das Problem für die Wirtschaft bei der Übernahme zusätzlicher sozialer Verantwortung und der daraus resultierenden Rechenschaftspflicht wird mit der Idee des „Stakeholder-Kapitalismus“ und des „Drei-Säulen-Modells“ deutlicher. Beide tragen innerhalb der Unternehmen zu Unklarheit über die eigentliche Wirtschaftstätigkeit und Ausrichtung bei. Der Stakeholder-Kapitalismus geht davon aus, dass Unternehmen neben ihren Eigentümern und Investoren auch Verantwortung gegenüber anderen Parteien haben. Neben den Aktionären sollen Unternehmen auch gegenüber vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen und Interessen verantwortlich sein, darunter den Angestellten, Kunden, Zulieferern, dem Gemeinwesen, ihrer unmittelbaren Umwelt und, in einigen Modellen, der „Weltgemeinschaft“ und dem Planet Erde.

Abgesehen davon, dass einige dieser Konzepte nicht greifbar sind – denn an wen sollen sich Unternehmen etwa wenden, um einen Vertreter der „unmittelbaren Umwelt“, geschweige denn des „Planeten Erde“ anzusprechen? ­– besteht das schwerer wiegende Problem darin, dass eine solche geteilte Verantwortlichkeit von der wirklichen Verantwortung eines Unternehmens ablenkt – der gegenüber seinen Aktionären – oder zu einem Vorwand wird, dieser Verantwortung nicht nachzukommen oder sie zu missachten: „Tut uns leid, liebe Aktionäre, wir konnten die versprochenen Erträge nicht erwirtschaften, weil wir zu beschäftigt damit waren, in unsere anderen Stakeholder zu investieren (d.h. euer Geld für sie auszugeben) und ihnen Rede und Antwort zu stehen.“ So oder so bedeutet Rechenschaftspflicht gegenüber mehreren Stakeholdern effektiv, niemandem rechenschaftspflichtig zu sein. Wirkliche Verantwortlichkeit gegenüber der Gruppe, die für das unternehmerische, organisatorische Grundprinzip wichtig ist, wird vermieden.

Das modische Konzept des Drei-Säulen-Modells – bei dem ökologische, soziale und finanzielle Resultate gemessen und berichtet werden – ist gleichermaßen von Natur aus voller Fehler. Wie kann dieses Vorhaben ein hilfreicher Richtwert sein, wenn stets die Möglichkeit eines Konflikts zwischen den Interessen der Natur, der Gesellschaft und der Aktionäre besteht? Welche haben Vorrang? Welchen Zeitabschnitt soll das Drei-Säulen-Modell berücksichtigen?

Nehmen Sie das Beispiel eines Stromkonzerns, der ein großes, langfristiges Staudammprojekt mit dem Ziel der Energiegewinnung in Gang setzt. Ökologische Einwände gegen dieses Projekt sind einfach anzubringen – die Zerstörung der Landschaft und die Beeinträchtigung der Tierwelt zum Beispiel. Man kann auch mögliche soziale Argumente gegen das Projekt erkennen, etwa Menschen, die von ihrem Wohn- oder Arbeitsort umgesiedelt werden müssen. Aber es sprechen auch erhebliche Argumente für das Projekt, nämlich die Bereitstellung günstigeren Stroms. Indessen können die finanziellen/kommerziellen/Shareholder-Argumente – die Frage, ob der risikogewichtete Kapitalertrag zur Rechtfertigung der Projektkosten ausreicht – aufgrund von Unsicherheiten in der Zukunft, vor allem hinsichtlich der zukünftigen Strompreise, fragwürdig sein.

Solche Unternehmensentscheidungen sind schwierig genug, wenn sie nur hinsichtlich kommerzieller Kriterien getroffen werden müssen. Durch Einbeziehung von Verantwortung und Rechenschaftspflicht bei der Zielerfüllung auf einem wahrscheinlich widersprüchlichen Gebiet geht der Hauptfokus auf die primären kommerziellen Ziele verloren und die wirkliche Rechenschaftspflicht für ihre Erfüllung wird geschwächt. Auf alle Anforderungen des Drei-Säulen-Modells eine eindeutige und unstrittige „richtige“ Antwort zu finden, überfordert sogar einen noch so klugen modernen Salomon, ganz abgesehen von einfachen wohlmeinenden Firmenchefs.

CSR trägt zu der Lähmung und Zögerlichkeit bei, die westliche Unternehmensführer vor allem dann heimzusuchen scheinen, wenn es um große Investitionen geht. Mit Sicherheit hilft es nicht, das kurzfristige Denken, das sich heute in der Schwäche produktiver Investitionen und Innovationen niederschlägt, auszugleichen – eine Schwäche, die den potentiellen Beitrag der Unternehmen zum ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt bremst.

CSR ist nie genug

Die Nachteile der CSR können nicht durch einen nur teilweisen Einsatz begrenzt werden. Es liegt in der Natur der CSR, dass es nicht genügt, als Unternehmen nur ein bisschen, oder gemäßigt, sozial verantwortlich zu sein. Denn sich für die Gesellschaft einzusetzen und Mittel dafür zu verwenden ist immer machbar, solange man nicht insolvent ist. Vollkommen sozial verantwortliches Handeln, wie gutgemeint das Unternehmen auch zu sein vorgibt, wird daher immer ein trügerisches Ziel bleiben.

Ist es aus unternehmerischer Sicht zum Beispiel verantwortlich, sich nach dem CSR-Hauptgebot, „keinen Schaden anzurichten“, zu richten? Der Bau eines Unternehmensgebäudes richtet irgendwie für irgendwelche Leute einen Schaden an, selbst wenn es nur ihre Aussicht ruiniert. Oder wie kann man notwendige geschäftliche Veränderungen vollziehen, wenn man dem grundlegenden Prinzip folgt, nichts oder niemandem zu schaden? Wie kann man Kündigungen rechtfertigen? Ein Stellenverlust ist für den Entlassenen leider ein Schaden. Wie kann eine Firma ihren Betrieb an einem bestimmten Standort verkleinern oder sogar einstellen, ohne dem Gemeinwesen Schaden zuzufügen?

Konsequent jeglichen „Schaden zu vermeiden“, würde die Dynamik der schöpferischen Zerstörung einschränken. Aber es ist schon jetzt erkenntlich, wie das Unbehagen über die destruktiven Aspekte der Marktdynamik jegliches noch vorhandenes kreatives Potential unterminiert. Die finanzielle Unterstützung bereits halbtoter Unternehmen und Volkswirtschaften zweckentfremdet Ressourcen, mit denen neue, dynamischere Märkte geschaffen werden könnten. CSR-Grundsätze verhindern kreative Veränderung – zum Schaden anhaltenden unternehmerischen Erfolgs.

„Der Kern der CSR-Philosophie besagt, dass die Wirtschaft weitreichendere gesellschaftliche Verantwortung hat, die über den Primat der Profitabilität hinausreicht.“

Das unternehmerische Argument für CSR, nämlich, dass „Verträgliches Wirtschaften“ mit Profitabilität vereinbar sei, ist ein Ausweichmanöver. Eine solche Abwehrhaltung schützt nicht hinreichend vor den Übergriffen der CSR-Doktrin. Der Kern der CSR-Philosophie besagt, dass die Wirtschaft weitreichendere gesellschaftliche Verantwortung hat, die über den Primat der Profitabilität hinausreicht. CSR bezieht sich auf das Wohlbefinden der Gesellschaft, nicht die Interessen der Eigentümer oder Profitabilität als Hauptaufgabe eines Unternehmens. Zu behaupten, dass hier kein Konflikt bestehe, hilft nicht weiter, weil es in zu vielen Fällen ganz offensichtlich einen gibt.

Wie hoch sollten „ethische Löhne“ sein? Wie viel muss man darauf verwenden, am Betriebsstandort die Umwelt zu schützen? Wie steht es um Tabakunternehmen? Deren Produkte können die Gesundheit beeinträchtigen. Können sie daher je über eine legitime „Betriebslizenz“ verfügen und Profit machen, oder ist ein Produktionsstopp die einzig moralische und verantwortliche Lösung? Wo zieht man bei diesen und anderen Fällen die Grenze zwischen Profitabilität und „Gutem“ für die Gesellschaft?

Beschwichtigung gegenüber CSR ist keine Lösung, denn die Beschwichtigungstaktik gegenüber schädlichen Ideen wirkt für noch weitreichendere Forderungen einladend. Man kann sämtlichen CSR-Prinzipien folgen, CSR-Kontrollen durchführen, transparente CSR-Berichte erstellen, und dann, wenn etwas schief läuft, oder ein Unfall passiert, und man unbeabsichtigten gesellschaftlichen oder ökonomischen Schaden verursacht, erfährt man nicht nur die gleiche gesellschaftliche Schmach, als wenn man es von Anfang an gelassen hätte, sondern sie wird auch noch durch den Vorwurf, ein falsches Spiel gespielt zu haben, verstärkt.

Nehmen Sie das Beispiel der Öfirma BP nach dem Blowout im Mocando-Ölfeld und der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im Jahr 2010. BP hatte sich in den 2000er-Jahren einen guten Ruf hinsichtlich gesellschaftlicher Verantwortung erarbeitet. Aber dadurch wurden die Angriffe auf das angeblich unverantwortliche Verhalten, das den Blowout verursachte, nur noch giftiger und krasser. Die Lobbygruppe Ethical Corporation kommentierte das damals so: „Das Unternehmen gewann Nachhaltigkeitspreise und stand in CSR- und Ethikindizes und -Rankings bis 2009 und noch 2010 ganz oben. BP war 2007 Sieger beim jährlichen Ranking der weltweit verantwortlichsten Unternehmen von Fortune und AccountAbility […] Noch im Mai 2010 war BP in der Kategorie „Openness and Honesty“ der Preise für CR-Berichterstattung von Corporate Register, die lange vor der Explosion der Deepwater-Horizon-Plattform vergeben wurden, zweitplatziert.“

Man kann also riesige Mengen an Ressourcen und finanziellen Mitteln auf CSR verwenden, wird aber nie genug tun können, um dem Ruf sozialer Verantwortungslosigkeit zu entgehen. Die Schlussfolgerungen der Ethical Corporation zeigen, dass das logische Ziel von CSR das Ende der Wirtschaft selbst ist. Nach der Meinung der Ethical Corporation sind Ölfirmen niemals in der Lage, sich moralisch zu verhalten: „Man muss beachten, dass die Bezeichnung ‚Klassenbester‘ in einer fundamental nichtnachhaltigen Industrie eine totale Fehlbezeichnung ist. Es gibt kein ‚umweltfreundliches‘ Ölunternehmen.“ Nach manchen ethischen Richtlinien kann man also seine Existenz in einer bestimmten Branche nie rechtfertigen. CSR ist nicht nur schädlich für die Wirtschaft. Sie stellt die Existenz der Wirtschaft selbst in Frage.

CSR und wirtschaftlicher Niedergang

Da die Wirtschaft die Hauptquelle des sozialen Wohlstands ist, die die Gesellschaft gegenwärtig finanziert und in ihre Zukunft investiert, muss etwas, das schlecht für die Wirtschaft ist, auch schlecht für die Gesellschaft sein. Soweit die Verpflichtung, „Gutes“ zu tun, die Wirtschaft davon abhält, ihre eigenen Geschäfte zu verfolgen, wird auch der durch die Wirtschaft erbrachte gesellschaftliche Nutzen beeinträchtigt. Störungen in der technologischen Entwicklung sind wahrscheinlich, und am meisten gefährdet sind die indirekten innovationsbedingten gesellschaftlichen Folgen und der soziale Fortschritt. Selbst wenn ein CSR-Befürworter beweisen kann, dass das Befolgen von CSR-Prinzipien für ein Unternehmen zum Schutz seines Ansehens und zur Vermeidung öffentlicher Beschimpfung notwendig und deshalb „gut“ für den Gewinn ist – und viel besser für individuelle Gewinne als die öffentliche Geißelung als „schlechtes“ Unternehmen – profitiert die Gesellschaft nicht, wenn dies auf Kosten der Innovation und des wirtschaftlichen Fortschritts erfolgt, wenn Unternehmen deshalb in ihrem Wirken vorsichtiger und risikoscheuer werden.

„Wenn sich Unternehmen beim Investieren, Innovieren und Expandieren zurückhalten, dann leidet die Gesellschaft wie auch das einzelne Unternehmen.“

Wenn sich Unternehmen beim Investieren, Innovieren und Expandieren zurückhalten, dann leidet die Gesellschaft wie auch das einzelne Unternehmen. Somit ist, was für die Wirtschaft schlecht ist, auch für die gesamte Gesellschaft schlecht. Vor 250 Jahren erklärte Adam Smith in seinem berüchtigten Zitat, wonach man für sein Abendbrot auf Egoismus und nicht das Wohlwollen „des Metzgers, des Brauers und des Bäckers“ setzen muss, dass es im Kapitalismus einen Zusammenhang zwischen dem Verfolgen wirtschaftlichen Eigeninteresses und gesellschaftlichem Nutzen gibt. Dass in der CSR-Mentalität Eigeninteresse als „Gier“ aufgefasst wird und damit das rückhaltlose Verfolgen eigener unternehmerischer Ziele verhindert werden soll, schadet im Ergebnis der Wirtschaft und der Gesellschaft.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, schadet CSR der Gesellschaft zudem in der Sphäre der Debatte und des kritischen Hinterfragens. Selbstverständlich ist CSR nicht der Auslöser für die Verlangsamung der Produktivitätssteigerungen, die die westlichen Volkswirtschaften plagt und die Gesellschaft beeinträchtigt – auch wenn sie eine schlechte Lage noch verschlimmert. Auf diesen Rückgang hinzuweisen, sollte allerdings das erste wirtschaftspolitische Ziel aller sein, denen etwas an gesellschaftlichem Fortschritt liegt. Ohne eine Rückkehr produktiver Investitionen und der daraus folgenden Produktivitätssteigerung wird sich anhaltender Wohlstand nicht wieder einstellen. Aber das CSR-Konzept selbst verhindert die Beantwortung der Fragen danach, was wirklich ökonomisch schief gelaufen ist.

CSR gibt der Auffassung Ausdruck, dass unsere wirtschaftlichen Herausforderungen und selbst große Wirtschaftscrashs wie die Finanzkrise eher moralische und verhaltensbezogene als strukturelle, systematische Gründe haben. Damit ignoriert man zum einen die Gründe für das langfristige Fehlen von Unternehmensinvestitionen und trägt zum anderen zur intellektuellen Verwirrung bei, indem man die Relevanz traditioneller Unternehmensmotive und -ziele anzweifelt. Die weiter reichenden ökonomischen Probleme des Westens, die durch strukturellen Niedergang bedingt sind, werden umgangen, wenn man sie unternehmerischem Fehlverhalten zuschreibt. Die CSR-Perspektive trägt dazu bei, das Problem des Niedergangs der Industrie in ein Problem des Vertrauens, der individuellen Psychologie und des Verhaltens umzuwandeln.

„Der Vertrauensverlust in Menschen ist Ausdruck einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft.“

Im Edelman Trust Barometer von 2013 war die scheinbar wachsende Vertrauenslücke zwischen Institutionen und ihren Verantwortlichen eine Haupterkenntnis. Weltweit ist das Vertrauen in die Wirtschaft 32 Prozentpunkte höher als das Vertrauen in Wirtschaftsführer.
Heutzutage hinterfragt und bezweifelt man die Beweggründe der Verantwortlichen, nicht deren Institutionen. Der Vertrauensverlust in Menschen ist Ausdruck einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft. Der Bedeutungs- und Zweckverlust manifestiert sich im Hinterfragen von Verhalten und Beweggründen.

Die Bedeutung eines Unternehmens und seines wirtschaftlichen Zwecks zu verwässern, lenkt von seiner ursprünglichen gesellschaftlichen Rolle ab und macht es weniger effektiv für die Gesellschaft. Die CSR-Agenda ignoriert die realen Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit und heizt das Problem weiter an, indem sie die Entscheidungsfindung komplizierter macht, als sie eigentlich sein sollte. Ferner trägt sie noch intensiver zu diesem Problem bei, indem sie dieselben Werte verkörpert, die die Wirtschaftsflaute untermauern: eine gesellschaftliche Abneigung gegen Ehrgeiz, Experimentierfreude, Wachstum und Risikobereitschaft. Eine Welt, in der die Verantwortungslosigkeit „traditioneller“ Wirtschaft als selbstverständlich hingenommen wird, ist jenen wagemutigen Taten nicht zuträglich, die die Wirtschaft vollziehen muss, um die Gesellschaft voran zu bringen.

Wie sollten Unternehmen mit CSR umgehen?

Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren die Maximen der CSR bereitwillig übernommen. Dabei ist die Akzeptanz von CSR keine Pose oder PR-Maßnahme. Nichtsdestotrotz wird aus der bereitwilligen Übernahme von CSR-Verpflichtungen durch Unternehmen noch lange kein positiver Beitrag für die Gesellschaft. Vorstandsgremien, führende Unternehmensleiter und teilhabende Investoren mögen die Doktrin des „korrekten Verhaltens“ dulden, oder überzeugt befürworten, aber das macht sie nicht richtig. Wenn viele Menschen die Einschränkung bürgerlicher Freiheit dulden oder befürworten, werden diese Restriktionen dadurch ebenfalls nicht richtig. Die Mehrheitsmeinung kann verfehlt oder falsch sein. Deshalb haben Menschen, die anderer Meinung sind, eine Verantwortung, diese zu äußern und zu versuchen, andere umzustimmen.

Die einzig wirksame Entgegnung der Wirtschaft auf die Gefahren dieser Agenda wäre die vermehrte öffentliche Weigerung, beim CSR-Spiel mitzumachen. Unternehmen müssen öffentlich und klar erklären, warum CSR für sie schädlich ist. Unternehmen sollten das machen, was sie am besten können: also auf ihrem jeweiligen Gebiet Waren und Dienstleistungen erzeugen und sich moralische Ambitionen gegenüber der Gesellschaft unterlassen. Selbstverständlich können Firmen moralische Positionen jenseits ihrer rechtlichen und regulativen Verpflichtungen beziehen, aber dafür sind sie ihren Vorständen und Aktionären rechenschaftspflichtig, nicht „der Gesellschaft“.

Die von den Unternehmen auf dem Markt angebotenen Dienstleistungen können, natürlich, sozialer Natur sein, wie Kinderbetreuung, Altenheime, die Hilfe bzw. Unterstützung beim Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt oder Umweltschutz. Falls in der Gesellschaft eine Nachfrage besteht, kann ein Unternehmen entscheiden, ob es versuchen will, solche Produkte oder Dienstleistung rentabel und dauerhaft anzubieten.

„Es ist nicht die Aufgabe der Wirtschaft zu entscheiden, ob Windfarmen gut oder schlecht für die Umwelt sind.“

Aber egal ob sie Zigaretten oder Windräder herstellen, sollten Unternehmen keine Verantwortung für die gesellschaftliche Akzeptanz oder Ablehnung ihrer Outputs übernehmen – denn das würde die Rolle gewählter und rechenschaftspflichtiger Politiker untergraben. Es ist nicht die Aufgabe der Wirtschaft zu entscheiden, wo oder ab welchen Alter man rauchen darf, oder ob es hierbei Restriktionen geben soll. Es ist nicht die Aufgabe der Wirtschaft zu entscheiden, ob Windfarmen gut oder schlecht für die Umwelt sind. Diese Entscheidungen müssen demokratisch diskutiert werden und von den zuständigen Politikern entschieden werden. Und wenn uns nicht gefällt, was sie entscheiden, können wir widersprechen und schließlich versuchen, sie zu entmachten und durch andere zu ersetzen. So funktioniert demokratische Politik. Gegenüber Wirtschaftsführern haben wir keine solchen Rechte oder Befugnisse. Sie sind uns nicht rechenschaftspflichtig.

Unser grundlegendes wirtschaftliches Problem sind nicht gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit oder unmoralische Wirtschaftsbosse. Das viel größere und reellere Problem liegt in einer Kultur, die annimmt, dass sich Unternehmen unmoralisch und unverantwortlich verhalten, und im moralisierenden Zwang, der alle Unternehmen zu einer „moralisch begründeten“ CSR-Agenda verpflichten will.

Die Wirtschaft mit moralischen Autorität zur Übernahme wertebasierter Leitlinien für die Gesellschaft auszustatten, ist antidemokratisch und lenkt Unternehmen von ihrem Kerngeschäft ab. Es birgt das Risiko in sich, viele positive Effekte abzuschwächen, die die Wirtschaft auf den sozialen und ökonomischen Fortschritt der Gesellschaft haben kann. Außerdem wird populistischen Unternehmensbeschimpfungen Vorschub geleistet, die einer dringend benötigten Analyse und Diskussion über die realen, grundlegenden Probleme der gegenwärtigen ökonomischen Malaise des Westens im Wege stehen.


Dieser Artikel ist der zweite Teil des CSR-Essays von Phil Mullan. Teil 1 des Essays finden Sie hier.

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