15.04.2014

Die Gefahren des gut Gemeinten (1/2)

Essay von Phil Mullan

Im ersten Teil seines zweiteiligen Essays über die Corporate Social Responsibility analysiert der Ökonom Phil Mullan die Hintergründe für den Aufstieg dieser Leitidee moderner Unternehmensführung. Dabei kritisiert er die CSR als demokratiegefährdend.

Fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise erleben wir noch immer fast täglich Angriffe auf Bankerboni und Managergehälter. Die Vorstellung, dass große Auszahlungen an Geschäftsleute eine der Hauptursachen unserer wirtschaftlichen Probleme sind, ist mittlerweile zu einem kaum hinterfragten Allgemeinplatz geworden; leider wird so eine dringend benötigte tiefere Analyse und Diskussion darüber behindert, was in den westlichen Volkswirtschaften tatsächlich schiefgelaufen ist.

Wirtschaft und Verantwortung

Es gibt viele Gründe für diesen engen Fokus auf Spitzengehälter und Boni. Eine zentrale Rolle spielen dabei große Unternehmen, die durch die Übernahme der Maximen der Corporate Social Responsibility (CSR) zu solcher Kritik geradezu eingeladen haben. Dem CSR-Denken nach sollen Unternehmen ihren Blick über die tagtäglichen Geschäftsziele und -herausforderungen hinaus richten und überlegen, wie sie „Gutes“ für die Gesellschaft tun können. Dahinter steckt die Annahme, dass die Wirtschaft die Gesellschaft andernfalls irgendwie im Stich ließe, dass sie zur Unverantwortlichkeit neige. Warum sollte CSR sonst notwendig sein? So wie wir Straßenverkehrsregeln benötigen, weil es andernfalls auf viel befahrenen Straßen viel mehr Unfälle gäbe, brauchen wir auch CSR-Regeln, sonst hätten wir anscheinend viel mehr soziale Verantwortungslosigkeit. Einige CSR-Befürworter scheinen zu glauben, dass die Wirtschaft von Natur aus unmoralisch ist.

Offenbar ist es zu einer Binsenweisheit geworden, dass sich die Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft verantworten muss. In der Praxis ist CSR eine vornehme Form der Unternehmensbeschimpfung. In einem solchen Klima geht die Verurteilung von Managergehältern locker von der Hand. Durch die Anerkennung der Notwendigkeit von CSR-Maßnahmen durch große Teile der Wirtschaft wird diese veredelte Version der Wirtschaftskritik aufgewertet und den Angriffen auf Wirtschaftsführer, ihr Gehalt sowie Boni und ihr vermeintlich gieriges, gefährliches Verhalten Tür und Tor geöffnet.

„Mittlerweile ist CSR ein Rahmen, der von der Wirtschaft selbst gut geheißen wird.“

Das verweist auf das Hauptproblem der CSR: Sie ist nicht mehr, falls sie das je war, eine Kritik der Wirtschaft von Außenstehenden – von Lobbyisten oder von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Mittlerweile ist CSR ein Rahmen, der von der Wirtschaft selbst gut geheißen wird. Die meisten Wirtschaftsbosse akzeptieren, dass die bisher gängigen Spielregeln der Wirtschaft defizitär seien, und verlangen selbst nach alternativen, CSR-artigen, moralisch und ethisch orientierten Herangehensweisen. Die Wirtschaft scheint zu akzeptieren, dass sie ohne CSR-Grundsätze und -Maßnahmen keine verantwortliche Kraft in der Gesellschaft sei; dass sie nichts „Gutes“ für die Gesellschaft leiste.

Wozu dient die Wirtschaft?

Die Akzeptanz von CSR sogar in der Wirtschaft selbst liegt im heutigen gesellschaftlichen Klima begründet. Sie wurzelt im defensiven Verhalten der Wirtschaftsbosse. In den letzten 30 bis 40 Jahren haben sie zunehmend ihren Glauben an sich selbst und ihre Bedeutung für die Gesellschaft verloren. Sie fühlen sich nicht länger in der Lage, für den von ihren profitorientierten Unternehmen verkörperten Grundgedanken des Kapitalismus einzustehen. Wirtschaftliche Unternehmen dienen dazu, Güter oder Dienstleistungen zu produzieren –- und sie an Kunden zu verkaufen. Das ist ihr primärer gesellschaftlicher Zweck. In diesem Rahmen übernehmen sie Verantwortung und wirken in die Gesellschaft hinein. Die Verwischung dieser drei Kategorien – Zweck, Verantwortung, Auswirkungen – zeugt von Verwirrung und Unsicherheit über die Funktion der Wirtschaft.

Unternehmen haben keine „Verantwortung gegenüber der Gesellschaft“ in dem Sinne, dass sie diese direkt für die Gesellschaft erfüllen müssen. Ihre alleinige Pflicht besteht gegenüber ihren Eigentümern, normalerweise den Aktionären, im Alltag also gegenüber dem Aufsichtsrat, der von den Aktionären ernannt oder gewählt wurde. Wie Peter Drucker (1909 – 2005), der gemeinhin als einer der führenden Management-Theoretiker gilt, bemerkte: „Business, that’s easily defined – it’s other people’s money.“ Bei diesen „anderen Leuten“ handelt es sich um die Eigentümer und Investoren. Die Aktionäre haben ihr Geld in das Unternehmen mit dem Ziel investiert, mehr Geld zu machen, so der grundlegende Gedanke, den Milton Friedman im Jahr 1970 in seinem berühmten Artikel für die New York Times „The social responsibility of business is to increase profits“ bekannt gemacht hat. Die Auswirkung, die dieser Artikel auf alle nachfolgende Diskussionen von gesellschaftlicher Verantwortung hatte, rechtfertigt diesen provokativen Titel zwar, jedoch müsste man genauer – wenn auch umständlicher – formulieren, dass anhaltende Rentabilität eine notwendige Bedingung dafür ist, dass ein Unternehmen seinen Zweck der Warenproduktion erfüllen und fortsetzen kann. Nur dadurch kann es sowohl die Eigentümer – gegenüber welchen es rechenschaftspflichtig und verantwortlich ist ­– zufrieden stellen als auch die Folgen, von denen die Gesellschaft profitiert, herbeiführen. Die Dynamik der kapitalistischen Unternehmen basiert auf ihrem Profitstreben.

„ Die Dynamik der kapitalistischen Unternehmen basiert auf ihrem Profitstreben.“

Unternehmen haben direkte wie indirekte Auswirkungen und Einflüsse auf die Gesellschaft. Direkt stellen sie Beschäftigung für ihre eigenen Arbeitnehmer und für viele Zulieferer zur Verfügung. Unternehmen sind in einer Marktwirtschaft die Hauptformen der Vermögensbildung und dieses Vermögen stellt die Ressourcen für zukünftige Investitionen und für Steuern dar, die gegenwärtige gesellschaftliche Bedürfnisse finanzieren. Unternehmen sind deshalb die Hauptquelle des Vermögens, über das die Gesellschaft verfügen kann, um unsere gemeinsamen gesellschaftlichen oder ökologischen Herausforderungen zu meistern. Auch indirekt können Unternehmen zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen. Indem sie um des Profits willen Chancen verfolgen, stoßen Unternehmen technologische Veränderungsprozesse an, die die Produktivität für die gesamte Gesellschaft verbessern und tragen so zur gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung und zum Fortschritt bei. So sorgen sie indirekt für verbesserte Lebensumstände und gesellschaftliche Modernisierung.

Das kollektive Streben der Unternehmen nach Profit und kommerziellem Erfolg führt zu einem Produktivitätsanstieg, der den Ausschlag zugunsten eines wachsenden Lebensstandards gibt. Unternehmen in Europa und vielen Teilen Amerikas taten dies während des späten 18. und im 19. Jahrhundert kontinuierlich und in großem Umfang und dann wieder während des 20. Jahrhunderts, allerdings ungleichmäßiger und mit den Unterbrechungen der Wirtschaftskrise der 1930er Jahren und der zwei Weltkriege. Die private Wirtschaft ist nicht die alleinige Quelle von Innovation und Produktivitätsanstiegen – der Staat trägt auch zur Innovation bei. Denken wir nur an Atomkraft, Raumfahrt oder das Internet. Nichtsdestotrotz ist die private Wirtschaft eine bedeutende Antriebskraft des menschlichen Fortschritts.

Der Aufstieg der Corporate Social Responsibility

Das Banker-Bashing hat wohl infolge der Finanzkrise von 2007-08 seinen Höhepunkt erreicht, aber wir sollten uns erinnern, dass es schon viel länger, mindestens seit den frühen 1990er-Jahren, verbreitet ist, die Wirtschaft im Allgemeinen öffentlich zu beschimpfen. Der bereits erwähnte Peter Drucker mag die „Wirtschaftsethik“-Bewegung schon 1981 als „ethische Mode“ kritisiert haben; aber so respektiert seine Ansichten damals waren, als so vollkommen anachronistisch gelten sie heute.

Wahrscheinlich war es der Fall Brent Spar, der das Geschäftsgebaren großer Unternehmen und die CSR in den Fokus der Wirtschaftswelt rückte und dieser neuen Anti-Unternehmens-Stimmung zum Durchbruch verhalf. Im Jahr 1995 kämpften Umweltschützer gegen die Entscheidung des Shell-Konzerns, eine seiner alten Ölplattformen, Brent Spar, im Meer zu versenken. Obwohl mehrere Studien das Versenken als sicherste und umweltfreundlichste Lösung empfohlen hatten und Shell die Erlaubnis dazu von der britischen Regierung erhalten hatte, zwang eine Aktion von Greenpeace das Unternehmen, die Entscheidung rückgängig zu machen und die Plattform stattdessen an Land zu zerlegen. In der unabhängigen wissenschaftlichen Zeitschrift Nature kam später ein Artikel zu dem Schluss, dass Shells ursprüngliche Pläne vernünftig waren, eine Ansicht, die seitdem nicht glaubwürdig bestritten worden ist. [1] Shell wurde zu Maßnahmen gezwungen, die kostenintensiver sowie potentiell gefährlicher und schädlicher als die ursprüngliche Entscheidung waren.

„In den letzten zwei Jahrzehnten bewegte die CSR-Lobby viele Unternehmen zu einer defensiven Haltung.“

Nichtsdestotrotz stärkte der verkündete „Erfolg“ dieses Feldzugs gegen die Wirtschaft der CSR-Bewegung den Rücken (in jüngster Zeit wird CSR manchmal als ESG bezeichnet: environmental, social and corporate governance). In den letzten zwei Jahrzehnten bewegte die CSR/ESG-Lobby viele andere Unternehmen zu einer defensiven Haltung und dem „Eingeständnis“, dass viele ihrer Aktivitäten, wenn auch unabsichtlich, Gesellschaft und Umwelt Schaden zufügen. Sowohl Betrachter als auch viele Geschäftsleute selbst sind nun zu der Auffassung gelangt, dass die Wirtschaft ihr Verhalten verändern und im Tagesgeschäft ihrer moralischen und ethischen Verantwortung gerecht werden oder der Gesellschaft „etwas zurück geben“ muss, um unabsichtlich verursachten Schaden auszugleichen.

Ursachenforschung

Diese Offenheit der Wirtschaft gegenüber CSR-Ideen ist vor dem ökonomischen Hintergrund der nach dem Nachkriegsboom ungleichmäßig verlaufenden Wirtschaftsentwicklung seit den 1970er-Jahren zu verstehen. Die ökonomische und technologische Entwicklung ist seither wieder ins Stocken geraten und verläuft allgemein langsamer. Der Grund für stockende Innovation und Produktivitätssteigerung und der daraus resultierenden relativ geringen Verbesserung der Lebensstandards in vielen westlichen Volkswirtschaften liegt in niedrigen Unternehmensinvestitionen. [2]

Wirtschaftsbosse sind Produkte gesellschaftlicher Bedingungen, in denen gerade die Elite sehr unsicher gegenüber der Zukunft eingestellt ist. Der Vertrauensverlust eines großen Teils der Elite in die Fähigkeit, die Gesellschaft voranzubringen, hat den Glauben der Wirtschaftsführer an die eigene Legitimität und die der Unternehmen als angesehene und geschätzte Institutionen geschwächt. Darauf wies David Henderson, ein CSR-Kritiker und ehemaliger Chef der Abteilung Volkswirtschaft und Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hin: „CSR ist zum großen Teil ein Ausdruck, eine Reflektion, des vorherrschenden Meinungsklimas, das Menschen in einem Unternehmen und außerhalb beeinflusst. Das sind keine zwei getrennten Welten. Positive und negative Denkweisen verstärken sich gegenseitig. Einerseits erfährt die attraktive Vorstellung nachhaltiger Entwicklung breiten Zuspruch. […] Fast genauso weit verbreitet ist gleichzeitig aber das Misstrauen gegenüber dem Profitmotiv, gepaart mit einer abwertenden Sicht auf die gegenwärtig in der Privatwirtschaft vorherrschenden Verhaltensstandards.“

Zwar ist sich die westliche Elite über Bedeutung und Zweck der westlichen Gesellschaft bereits seit Anfang des letzten Jahrhunderts unschlüssig, doch hat das schlechte Funktionieren des Kapitalismus seit den 1970er Jahren noch zur Verschärfung des Unbehagens der Unternehmenslenker über die Mission ihres eigenen Unternehmens beigetragen. Ein Geschäftserfolg in der Produktion ist heute viel schwieriger zu erzielen als in den 1950er und 1960er Jahren. Die Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik hat ihr eigenes Unbehagen verstärkt und zu einer Offenheit gegenüber Strukturen geführt, die nicht nur auf ausdrückliche Profitmaximierung abzielen.

„Wirtschaftsbosse wurden empfänglich für die Auffassung, dass sie sich durch besseres Verhalten eine Art „Betriebslizenz“ verdienen müssen.“

Da sie nicht in der Lage waren, überzeugende Argumente für das Profitstreben als Mittel der Wohlstandsmehrung für die ganze Gesellschaft zu liefen und mit den als größer empfundenen Unsicherheiten nicht umgehen konnten, gingen verängstigte Wirtschaftsführer dazu über, das Risikomanagement als ersatzweisen Organisationrahmen zu fördern. Dies ging einher mit der „reputationssichernden“ Phase der CSR. Anfänglich rechtfertigte die Wirtschaft die Umsetzung von CSR als ein Mittel, um Fehler oder negative Auswirkungen auf die Gesellschaft zu vermeiden, welche das Ansehen des Unternehmens schädigen könnten. Zum Beispiel ergriffen Unternehmen Maßnahmen zur Abschaffung der Kinderarbeit in den eigenen Fabriken oder denen ihrer Zulieferer in Schwellenländern.

Später ging ein Großteil der Wirtschaft dazu über, die Annahmen der CSR ganzheitlicher und entschiedener zu befürworten, was sich in der weitverbreiteten Akzeptanz der „nachhaltigen Entwicklung“ ausdrückte. Wirtschaftsbosse wurden empfänglich für die Auffassung, dass sie sich durch besseres Verhalten eine Art „Betriebslizenz“ verdienen müssen, dass sie sich durch ihren moralischen und ethischen Wert beweisen mussten und nicht nur dadurch, in ihrer Branche gut zu sein. „Gute Geschäfte“ zu machen war nicht mehr das Hauptziel. Vielmehr wurde kommerzieller Erfolg fast zu einer Bürde, wenn er groß genug war, um als „exzessiv“ kritisiert werden zu können. Stattdessen scheint es immer wichtiger, als ein Unternehmen zu gelten, das „Gutes tut“, als gut im Geschäft zu sein. Im Ergebnis akzeptieren Unternehmen CSR nicht nur als Patentlösung, sondern treiben die CSR-Agenda auch noch weiter voran.

Mangels eines authentischen Wirtschaftszwecks wurde der CSR-Denkansatz fast als eine Notwendigkeit und nicht nur als ein optionaler, aber nützlicher Zusatz in die Wirtschaft integriert. Wenn Unternehmen beispielsweise nicht in der Lage sind, der eigenen Institution einen Sinn zu geben, identifizieren sich die Belegschaften weniger mit ihnen. Auch wenn es den Unternehmensbossen Probleme bereitet, ihre eigenen Organisationen in positiver Weise als profiterzeugende Maschinen darzustellen, wissen sie, dass fehlende Motivation und Ansporn ihrer Mitarbeiter sich ebenfalls wenig positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken. Sie wollen also wirklich, dass ihre Mitarbeiter überzeugter von ihrer Tätigkeit sind. Das ist ein Beweggrund für die Integration von CSR und des Schwesterkonzepts, der Philanthropie, zu deren Rechtfertigung oft angeführt wird, dass sie die Moral der Angestellten heben, ihre Einstellung verbessern und ein „gutes Gefühl“ vermitteln. Brian Moynihan, Chef der Bank of America drückte es kürzlich so aus: „Diese Projekte sind bei unserer Belegschaft sehr beliebt.“

„Daher rührt auch der Trend, alberne Unternehmensleitbilder zu erstellen.“

Daher rührt auch der Trend, alberne Unternehmensleitbilder zu erstellen. Vorher kamen die Leitbilder von Unternehmen durch ihre Tätigkeit zum Ausdruck – der Produktion bestimmter Waren und Dienstleitungen für ihre Konsumenten – und man hatte es gar nicht nötig, auf Zetteln und Kantinenpostern Glaubensbekenntnisse festzuhalten.

CSR schadet der Demokratie

In Anbetracht der bestehenden Politikverdrossenheit ist die antidemokratische Neigung der CSR-Brigade das größte Problem. Paradoxerweise ist sie auch die am wenigsten diskutierte, selbst in der CSR-kritischen Literatur, die sich zu oft lediglich auf das Friedmansche Argument der Profitmaximierung als Gegenstandpunkt zum Kreuzzug der sozialen Verantwortung konzentriert. Der antidemokratische Charakter von CSR ist wichtig, nicht zuletzt, weil heute schon eine starke politikablehnende Stimmung vorherrscht. CSR hat diese Stimmung nicht zu verantworten, aber es baut auf ihr auf, betont und verstärkt sie. Es ist inzwischen üblich, bei der Einschätzung von Vertrauenswerten, die von einer CSR-befürwortenden Anschauung geprägt sind, die Ausmaße des Vertrauensmangels gegenüber der Wirtschaft zu betonen. Zum Beispiel haben laut des Edelman Trust Barometers von 2013 weniger als die Hälfte der Briten Vertrauen in Großunternehmen. Unterdessen beginnt der Think Tank Tomorrow’s Company seinen kürzlich erschienenen Bericht zu Unternehmenseigentum mit den Worten: „Die gängige öffentliche Meinung besagt, dass die Wirtschaft nicht vertrauenswürdig ist und sich zu sehr auf kurzfristige Erträge konzentriert anstatt auf eine langfristigere Sicht der Dinge.“ [3] Eine solche öffentliche Stimmung ist in Anbetracht der anhaltenden Unternehmensbeschimpfungen nicht überraschend.

„Politiker machen in Sachen Vertrauen keine bessere Figur als Unternehmen.“

Politiker machen in Sachen Vertrauen jedoch keine bessere Figur und in manchen Umfragen werden sie sogar schlechter bewertet. Das selbe Edelman Trust Barometer berichtete, dass „Regierungsvertretern anhand verschiedener Kriterien durchgehend weniger vertraut wird als Wirtschaftsführern: ihre Fähigkeit soziale oder gesellschaftliche Probleme zu lösen (15 Prozent versus 19 Prozent), Themen innerhalb der Industrie anzugehen (15 Prozent versus 26 Prozent), und ethische und moralische Entscheidungen zu fällen (14 Prozent versus 20 Prozent).“ Zwar werden beide Gruppen niedrig bewertet, aber Politikern vertraut man scheinbar noch weniger als Wirtschaftsleuten. Wirtschafts- und politikfeindliche Stimmungen gehen heutzutage Hand in Hand und spiegeln sich in den Ressentiments gegen fast alle traditionellen Institutionen wieder. Müsste man sich zwischen beiden entscheiden, wäre die Politfeindseligkeit die gefährlichere, weil sie zum Zynismus gegenüber der Demokratie führt. Ohne Demokratie und den einhergehenden politischen Freiheiten läuft jede andere Diskussion – über die Wirtschaft, die Gesellschaft oder alles andere – Gefahr zu verkümmern, beschnitten oder verboten zu werden.

Wer entscheidet, was gut ist?

Wie trägt CSR zur Verschärfung antidemokratischer Tendenzen bei? Weil die allgegenwärtige Forderung an Unternehmen, „Gutes zu tun“, die grundlegende Frage aufwirft, wer denn entscheidet, was gut und was schlecht ist. Und die Frage wird denjenigen entrissen, die das einst entschieden hätten: nämlich den Politikern. Dennoch: Wenn man fordert, Unternehmen sollten „Gutes tun“, muss man sich fragen: „Gutes für wen?“. Wer entscheidet, was gut ist, wenn es unausweichlich zu Zielkonflikten kommt? Angelegenheiten mit sozialen Auswirkungen sind für Unternehmen ausnahmslos strittig. Es gibt keine augenscheinlichen „richtigen“ Antworten. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass Antworten zu diesen Themen ewig gelten oder universell sind, denn sie verändern sich mit der Zeit und können in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich sein.

Betrachten wir die folgenden Fragen:
Sollten Unternehmen in Maßnahmen zur Schonung der Umwelt investieren? Das scheint offensichtlich – natürlich sollten sie. Aber wieviel muss investiert werden, damit es als „korrektes Verhalten“ gilt? Unvermeidbar wird es einen Zielkonflikt zwischen den Kosten und dem Wunsch nach Eliminierung aller Emissionen aller Schadstoffe geben. Hängt die Antwort von der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung ab? Ist es in frühen Phasen der Entwicklung (Großbritannien im 19. Jahrhundert oder das Subsahara-Gebiet heute) nicht wichtiger, Armut durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu bekämpfen, als Unternehmen durch die Verpflichtung zu Umweltschutzinvestitionen aus potentiellen Märkten zu verdrängen? Wer entscheidet das?

„Darf ein Unternehmen zuckerhaltige Getränke produzieren?“

Darf ein Unternehmen zuckerhaltige Getränke produzieren? Ist Zucker gut für die Ernährung, weil er Energie liefert, oder schlecht für die Zähne und macht dick? Vor dreißig Jahren wurde Limonade als gesund beworben. Heutzutage behaupten einige Aktivisten, Zucker sei „der neue Tabak“. Wer entscheidet?

Was ist mit Unternehmen wie AirBnB? Hierbei handelt es sich um einen Dienst, mit dem man sein Zuhause oder Teile davon zur Zwischenmiete anbieten kann. Es wird behauptet, dass dieser Service der britischen Wirtschaft jährlich mehr als eine halbe Milliarde Pfund einbringt und Tausende von Arbeitsplätzen schafft. Aber gleichzeitig gibt es Bedenken, dass die Anbieter bei AirBnB nicht die gleichen Sicherheitsstandards wie ihre Konkurrenten in Hotels und Herbergen erfüllen müssen. Ist es also fair, dass der angebotene Service andere Unternehmen untergräbt? Ist das richtig? Wer entscheidet?

Ist es richtig, dass Nahrungsmittelhersteller ökologisch produzieren? Selbst Menschen, die den Naturschutz als höchstes Ziel verfolgen, können sich hier nicht einigen. Nahrungsmittel ohne „künstliche“ Chemikalien zu produzieren, entspricht der moralischen Agenda einiger Kräfte und wird deshalb als „korrektes Verhalten“ deklariert. Andere Umweltschützer behaupten jedoch, dass reine ökologische Landwirtschaft schädlich für die Biodiversität der natürlichen Wälder sei, weil zur Ernährung der Bevölkerung ungefähr doppelt so viel Land benötigt würde wie beim Einsatz von chemischen Pestiziden und Düngemitteln. Gibt es hier also eine unumstritten richtige Antwort, wie sich Nahrungsmittelhersteller in dieser Situation verhalten sollen? Wer entscheidet?

Was gilt, wenn in einer Filiale der Supermarktkette Waitrose, die sich im Besitz der Belegschaft befindet, treuen Mitgliedskunden kostenloser Kaffee angeboten wird? Welche Auswirkung hat es auf das Café um die Ecke, wenn ein großer Supermarkt ihr Hauptprodukt gratis verteilt? Verhält sich Waitrose hier korrekt? Wer entscheidet?

„Man steht äußerst selten vor einer Wahl zwischen Schwarz und Weiß, bei der es eine zweifelsfrei richtige Verhaltensweise gibt.“

Die unternehmerische Tätigkeit hat fast immer irgendwelche gesellschaftlichen Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit, auf die Gemeinde, in der sie ansässig ist, und auf die Umwelt. Es gibt keine unveränderliche, objektive, ewig währende Antwort auf die Frage, wie gutes Verhalten aussieht. Man steht äußerst selten vor einer Wahl zwischen Schwarz und Weiß, bei der es eine zweifelsfrei richtige Verhaltensweise gibt. Selbst ein Betriebsunfall, der einen Arbeiter verletzt oder sogar tötet – so schlimm diese Vorstellung auch ist – ist nicht unkompliziert. Letztes Jahr gab es in Großbritannien auf dem Bau 39 Todesfälle. Alle werden sich einig sein, dass das 39 Todesfälle zu viel sind, aber bedeutet es, dass das Baugewerbe den Kriterien der sozialen Verantwortung nicht gerecht wird? Tatsächlich waren es vor 20 Jahren doppelt so viele, aber Unfälle sind „Unfälle“ und werden immer passieren. Auch wenn alles sicherer wird, wird das Baugewerbe trotzdem fünfmal so gefährlich wie der durchschnittliche Arbeitsplatz bleiben. Die einzige Lösung, solche Todesfälle im britischen Baugewerbe zu verhindern, ist das Baugewerbe komplett abzuschaffen, aber das ist absurd und würde den Wohnungsmangel, die Unzulänglichkeiten der Infrastruktur und die damit einhergehenden sozialen Probleme nur verschlimmern.

Die Preis-Frage lautet also: Wer entscheidet, was richtig ist? Welche unternehmerischen Tätigkeiten entsprechen den CSR-Maximen? Wir sind als Individuen alle in der Lage, unserer moralischen Richtschnur zu folgen, und Wirtschaftsführern geht es nicht anders. Sie können im Sinne ihrer eigenen Moralvorstellungen Unternehmensentscheidungen treffen, die über ihre rechtliche oder regulative Verantwortung hinausgehen. Hierbei sollten sie für ihre Entscheidungen Rechenschaft ablegen, aber nur gegenüber ihren Aktionären oder wem sie auch immer verantwortlich sind, aber nicht gegenüber vagen Konzept von „der Gesellschaft“. Bei der CSR-Bewegung geht es jedoch um mehr als solche individuellen Unternehmensentscheidungen. Es geht darum Standards für und Erwartungen an die gesamte Wirtschaft. Wer bestimmt also für die Gesellschaft, welche Form des unternehmerischen Verhaltens „richtig“ ist?
Sind es NGOs? Nein – NGOs sind niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig, weshalb sollten sie also für die Gesellschaft entscheiden? Sind es moralische Leitfiguren wie z.B. Religionsführer? Sie sind auch niemandem rechenschaftspflichtig – zumindest keiner irdischen Instanz. Sind es die Unternehmen selbst? Bestimmt nicht – sie handeln für ihre Eigentümer, deshalb können auch sie, unabhängig von ihren eigenen ethischen Entscheidungen, keine angemessenen Richter der Gesellschaft über ethisch korrektes Verhalten sein. Sie sind der Gesellschaft gegenüber nicht verantwortlich. Wir Bürger können Wirtschaftsbosse nicht entlassen, genau wie wir NGOs oder Religionsführer nicht rausschmeißen können.

Die Aufgabe der Politik

Jeder hat das Recht, mit einer Unternehmensentscheidung nicht einverstanden zu sein, selbst wenn die Verantwortlichen diese als sachkundige, berechtigte und sogar prinzipientreue und moralisch richtige Haltung auffassen. Solche Meinungsverschiedenheiten sind legitim. Wenn man aber diese Themen für wichtig genug hält, um soziale Standards und Erwartungen für alle Unternehmen zu formulieren, dann ist die einzig angemessene Arena für eine solche Debatte und ihre Lösung die Politik. So umstrittene Themen wie die Frage, ob es gemeinsame Standards für Unternehmen geben muss – und ich würde argumentieren, dass die Messlatte hier sehr hoch liegen sollte – und wenn ja, wie diese aussehen sollten, können nur im Rahmen einer politischen Debatte vernünftig diskutiert werden. Die einzigen Menschen, die legitim entscheiden können, was „richtig“ für eine Gesellschaft ist, müssen gewählt und rechenschaftspflichtig und damit auswechselbar sein, also Politiker. Wenn uns nicht gefällt, was die amtierenden Politiker im Bereich Unternehmenstätigkeit beschließen, können wir anders argumentieren und sie hoffentlich bei der nächsten Wahl abwählen und durch andere ersetzen. So sollte die repräsentative Demokratie funktionieren.

Wenn man gesellschaftliche und moralische Fragen zur Aufgabe der Unternehmen erklärt, werden sie teilweise oder ganz nicht mehr dort diskutiert, wo sie hingehören: in der politischen Arena. Was die Beweggründe ihrer Befürworter auch sein mögen, die CSR-Agenda ist Teil einer modernen antidemokratischen Tendenz. Sie animiert dazu, umstrittene Themen zumindest teilweise der demokratischen Debatte zu entziehen und sucht nach technischen Lösungen durch Unternehmen, die niemandem gegenüber Verantwortung ablegen müssen.

„Die Umgehung der Demokratie ist inakzeptabel.“

Soziale Herausforderungen sind politischer, nicht technischer Natur, auch wenn sie heute zunehmend apolitisch betrachtet werden. Selbst scheinbar technische Aufgaben wie die Verbesserung der örtlichen Umwelt konfrontieren uns mit politischen Entscheidungen: Wer beschließt über Prioritäten und die Lösung von Zielkonflikten? Das zu ignorieren, stellt eine riesige Gefahr für die Demokratie dar. Die Verantwortung für die Zukunftsgestaltung wird den gewählten, rechenschaftspflichtigen Politikern entzogen und nicht gewählten, nicht rechenschaftspflichtigen Wirtschaftsführern übergeben. Politiker haben aus vielen Gründen Status eingebüßt. Aber es bietet Anlass zur Sorge, dass sich die Ablehnung schwacher Politiker zu einer tieferen Abscheu gegenüber demokratischer Politik an sich entwickelt hat.

Unternehmer und Manager können wie jedes andere Mitglied der Gesellschaft an politischen Debatten teilnehmen, sie können sich sogar zur Wahl stellen. Aber die Umgehung der Demokratie und die Selbststilisierung zu gesellschaftlichen Führern, um bestimmte Standards der Unternehmenstätigkeit für alle im Land durchzusetzen, entweder weil sie persönlich davon überzeugt sind, oder weil sie sich von irgend einem anderen nicht gewählten, nicht rechenschaftspflichtigen Gremium dazu gedrängt fühlen, eine Haltung als die „richtige“ anzunehmen, ist inakzeptabel.

Dies würde bedeuten, dass die Aufgabe der Politik und der Demokratie durch nicht repräsentative, nicht gewählte Personen – aus der Wirtschaft oder sonst woher – übernommen würde. Das täte der Gesellschaft nicht gut. Aus demokratischem Prinzip sollten Unternehmen nicht dazu ermutigt werden, oder nicht damit betraut werden, ihre zweifelsfreie gesellschaftliche und ökonomische Macht für das Ziel der „sozialen Verantwortung“ zu nutzen. Damit würden die demokratischen Kanäle des gesellschaftlichen Wandels und der Verbesserung verdrängt und geschwächt und die verbreitete Politikfeindlichkeit weiter bestärkt werden.

„Mir ist nichts bekannt von guten Taten derer, die vorgeblich für das Allgemeinwohl handeln.“

Vor langer Zeit argumentierte Adam Smith, ein Moralphilosoph und Begründer der klassischen Nationalökonomie (der gleiche Mann, nicht zwei verschiedene Personen, wie CSR-Befürworter gerne behaupten), dass Staat und Wirtschaft nicht zusammenpassen. „Keine zwei Charaktere“, schrieb er, „wirken grundverschiedener als der Kaufmann und der Fürst.“[4] Er sprach nicht über angeborene Verhaltensweisen oder Unterschiede, sondern die Ziele der Wirtschaft und des Staats seien eben sehr verschieden. Smith scheint sogar eine frühe Warnung vor CSR auszusprechen: „Mir ist nichts bekannt von guten Taten derer, die vorgeblich für das Allgemeinwohl handeln.“ [5]

Vor nicht ganz so langer Zeit, während des Wirtschaftsbooms der Nachkriegsjahre, warnte Theodore Levitt, früher Professor an der Harvard Business School und Herausgeber des Harvard Business Review, vor dem gefährlichen Reiz der sozialen Verantwortung auf Unternehmen: „Wohlfahrt und Gesellschaft gehen die Unternehmen nichts an. Ihre Aufgabe ist es, Geld zu erwirtschaften, nicht liebliche Musik zu machen. […] Die Aufgabe des Staats liegt nicht im Wirtschaften und die Aufgabe der Wirtschaft liegt nicht im Regieren.“ [6]


Dieser Artikel ist der erste Teil des CSR-Essays von Phil Mullan. Teil 2 des Essays finden Sie hier.

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