01.11.2001

Die Biotechnologie im Bann des Terrorismus

Analyse von Thilo Spahl und Thomas Deichmann

Thilo Spahl und Thomas Deichmann beschreiben, wie durch panikbestimmtes Unwissen Genforschung als Ursache von Bio-Terrorismus gebrandmarkt wird.

Bis vor kurzem brauchte man sich nichts Böses denken, wenn man die Symptome einer beginnenden Grippe an sich verspürte oder irgendwo weißes Pulver entdeckte. Die Ereignisse seit dem 11. September geben solchen Zeichen neue Bedeutung, denn wir alle wissen aus den Medien: Der Kontakt des Puders mit dem Finger könnte uns Haut-, sein Schlucken Darm- und sein Einatmen Lungenmilzbrand bescheren. Grippesymptome könnten außerdem Anzeichen für solche Erkrankungen sein. Die Angst vor Bioterrorismus nimmt mittlerweile panikartige Züge an, längst ist sie größer als die, von Terroristen im Flugzeug entführt zu werden. Dahinter verbirgt sich allerdings mehr Zeitgeist als Sachkenntnis.

Die Geschichte biologischer Kampfstoffe ist lang: Im 14ten Jahrhundert wurden pestinfizierte Kadaver über Mauern belagerter Städte katapultiert; Mitte des 18ten verteilten englische Siedler mit Pockenerregern verseuchte Wolldecken, um die Indianer in Amerika auszurotten. Während des Chinesisch-Japanischen Kriegs in den 30er- und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzten die japanischen Streitkräfte Pestbakterien gegen China ein.

Bis Anfang der 70er-Jahre bauten insbesondere die USA und die Sowjetunion große Arsenale mit biologischen Kampfstoffen auf. Eine Reihe weiterer Staaten versuchte sich an der Entwicklung einsatzfähiger Biowaffen, wobei Israel sicher zu den erfolgreicheren zählt, im Gegensatz zum Irak. Die gefürchteten irakischen Milzbrand-Raketen kamen während des Golfkriegs nicht zum Einsatz, wahrscheinlich weil sie nicht funktionsfähig waren.

Der Bioterrorismus indes hat eine sehr kurze Geschichte. Nur ein wenig spektakulärer Fall wurde vor dem September 2001 bekannt. In Les Dalles im US-Bundesstaat Oregon erkrankten 1984 rund 750 Gäste mehrerer Restaurants, nachdem sie von Salatbuffets gegessen hatten, die zuvor von einer religiösen Sekte mit Salmonellen verseucht worden waren. Der Anschlag war Teil eines „Umsturzversuchs“ der Sekte: Möglichst viele Bewohner der Stadt sollten durch Krankheit davon abgehalten werden, an den Kommunalwahlen teilzunehmen. Statt ihrer plante man, einige Busladungen voll Obdachloser aus der Region zu den Wahllokalen zu kutschieren, wo sie ihr Kreuz an die „richtige“ Stelle setzen sollten.

Weit intensiver bemühte sich die japanische Aum-Sekte, die Millionen in die Vorbereitung zweier Anschläge mit Botulismus- und Milzbranderregern steckte. Es gelang aber nicht, auch nur einen einzigen Menschen im dicht bevölkerten Tokio zu infizieren.

"Jeder Milzbrandbrief bietet manchen Leuten letzte Gewissheit, dass die Biotechnologie nach einer Allianz mit dem Bösen strebt."

Auch heute gehen Experten davon aus, dass biologische Kampfstoffe nicht zum bevorzugten Repertoire von Terrororganisationen gehören. Dazu zählen nach wie vor die in der Handhabung sehr viel einfacheren und in der Wirkung besser kalkulierbaren Explosiva. Noch immer hält sich zwar der Mythos, ein kleines Labor und genug kriminelle Energie genügten, um Biowaffen herzustellen. Übersehen wird dabei allerdings der Unterschied zwischen dem Kultivieren eines Erregers und der Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Wem die Kultivierung gelingt, kann „Bio-Crimes“ mit begrenzter Wirkung verüben – die aktuellen Milzbrandbriefe in den USA zählen hierzu. Biologische Massenvernichtungswaffen erfordern hingegen einen technischen Aufwand, den bislang nur wenige Staaten mit einem gewaltigen Einsatz an wissenschaftlicher Manpower und Geld bewältigt haben.

Das Thema Bioterrorismus hat offenbar einen besonderen Reiz. Das Unbehagen, das viele Menschen angesichts des gerade eingeläuteten „biotechnischen Zeitalters“ verspüren, verlangt nicht erst seit dem 11. September nach einer plakativen Verkörperung, die ihm Gestalt und Halt gibt. Vor ein paar Wochen fürchtete man Klonen oder transgenen Mais. Heute kommt es zur Mesalliance von Terrorismus und Biowissenschaften. Nicht dass an Biowaffen irgendetwas Positives zu finden wäre. Die Popularität der Thematik scheint aber unter dem Strich (wie im Falle des harmlosen Bt-Mais) vor allem einer ganz und gar nicht rational begründbaren oder konstruktiven Geisteshaltung zu entspringen. In der gegenwärtigen Sensationslust einiger Kommentatoren erahnt man gar die unbewusste Sehnsucht nach ultimativer Legitimation für das diffus empfundene Unbehagen gegenüber wissenschaftlichem Fortschritt und Wandel. Jeder Milzbrandbrief und die vermeintliche Bedrohung durch einen neuen Bioterrorismus bietet diesen Leuten letzte Gewissheit, dass die Biotechnologie nach einer Allianz mit dem Bösen strebt. Es wundert in diesem Zusammenhang wenig, dass einschlägig bekannte Gentech-Gegner und Zukunftspessimisten, die sonst gerne die „Globalisierung“ als Schreckgespenst anführen, auch für die Terrorvariante der Bio-Angst sehr empfänglich sind.

Auch Terroristen und andere Kranke und Kriminelle mögen diesem Zeitgeist folgen. Dass man zumindest die Simulation eines neuen Zeitalters des Bioterrorismus herbeireden kann, haben wir jedenfalls in den letzten Wochen auch in den Poststellen Deutschlands erlebt, wo sich die Briefe mit Puderzucker und Waschpulver häuften. Auch bei den abscheulichen Milzbrandinfektionen in den USA handelt es sich sehr wahrscheinlich nicht um lange geplante, sondern erst durch die Debatte inspirierte Verbrechen – begangen von Leuten, die erkannten, dass sie durch ein biologisches Update der klassischen Briefbombe die Aufmerksamkeit für ihre krankhaften Angriffe potenzieren konnten. Dass sich unter den Zielen in den USA neben Medienvertretern und Politikern auch Abtreibungskliniken befanden, zeigt, dass durchaus unterschiedliche Tätergruppen bereit waren, diese Chance zu ergreifen.

"Eine logische oder „natürliche“ Verbindung von Gentechnik zu Terrorismus gibt es nicht."

Dass indes auch die Gefahr besteht, einen Bio-Anschlag größeren Ausmaßes herbeizureden, ist so abwegig nicht, denn vorrangiges Ziel des Terrors nach Art des 11. September ist größtmögliche Publizität. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Biovariante des Terrors nun gewaltig an Attraktivität gewonnen. Ein Anschlag mit biologischen Kampfstoffen wäre ein abscheulicher Akzent, der dem zivilisationspessimistischen Selbstzweifel der westlichen Welt eine vollends morbide Note verleihen könnte. Allein die Häufung von Trittbrettfahrern, die echte oder gefakte Milzbrandbriefe in Umlauf bringen, deutet darauf hin, dass unser zunehmend von Irrationalität geprägtes Klima eine ganze Reihe zerstörerischer Impulse freisetzen kann.

Eine logische oder „natürliche“ Verbindung von Gentechnik zu Terrorismus gibt es nicht. Plausibler erscheint vielmehr eine gegensätzliche Beziehung. Denn während Biowaffen bislang auch ganz gut ohne Gentechnik auskommen, sind die modernen Biowissenschaften für die Verteidigung unerlässlich. Militärwissenschaftler sind dabei zu erforschen, wie mit Hilfe der Gentechnik herkömmliche biologische und chemische Waffen unschädlich gemacht werden können. Französische Forscher können mittlerweile Antikörper herstellen, die Menschen vor den Auswirkungen einiger Giftgase schützen. Um chemische Waffen auf Grundlage chemischer Toxine wie Tabun oder Sarin, das beim Anschlag in Tokio verwendet wurde, neutralisieren zu können, haben sie spezielle Enzyme gentechnisch erzeugt. Derzeit arbeiten sie an Methoden, um das berüchtigte VX-Giftgas unschädlich zu machen. Hierfür benutzen sie in Tierversuchen gewonnene katalytische Antikörper, die die Giftmoleküle zunächst spalten und die instabilen Zwischenprodukte binden, bevor sie schließlich von weißen Blutkörperchen unschädlich gemacht werden. In wenigen Jahren soll auf Grundlage dieser Forschungen ein VX-Gegengift zur Verfügung stehen.

In New Mexiko haben Wissenschaftler ein Verfahren entwickelt, durch das Cholera-Erreger aufgespürt werden können: Mikroskopische Glasperlen, die in künstliche Zellmembranen eingewickelt sind, beginnen rot zu leuchten, wenn sie mit dem Erreger in Kontakt kommen. Militärforscher wollen die Technologie zum Aufspüren von Milzbrand- und anderen Erregern nutzen. Tragbare Sensoren sollen in Sekundenschnelle alle möglichen B-Waffen erkennen, darunter auch bislang unbekannte und solche, die auf gentechnisch veränderten Organismen basieren.

Und in Kalifornien arbeitet ein Biotech-Unternehmen an einer weiteren Technologie, die Militär und Medizin gleichermaßen zugute kommen könnte: Im Erbgut von sämtlichen bekannten bakteriellen Krankheitserregern wird nach RNA-Molekülen gefahndet, die in allen Bakterien identisch sind, aber im menschlichen Organismus und bei Tieren nicht vorkommen. Würde es gelingen, diese Moleküle zu isolieren und ein Gegenmittel herzustellen, das sie angreift, könnten Menschen mit diesem neuen Allround-Antibiotikum gegen bakteriologische B-Waffen sowie gegen alle möglichen bakteriellen Krankheitserreger geschützt werden.

Die biologischen Waffen, von denen derzeit allerorts die Rede ist, sind keine Hightech-Produkte, sondern lediglich natürliche Krankheitserreger – für Milzbrand, Cholera, Pocken oder die Pest. Wenn die gegenwärtige Panik also ein Gutes hat, dann dass sie zeigt, wie wichtig die weitere Erforschung der Infektionskrankheiten und die Entwicklung neuer Impf- und Behandlungsmethoden ist. Die Entschlüsselung des Humangenoms und der Genome vieler Krankheitserreger hat hierfür neue, viel versprechende Voraussetzungen geschaffen.

Täglich gibt es 6.000 Malaria- und 8.000 Tuberkulosetote, eine Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Grippe, eine weitere Million durch Masern, zwei Millionen an Durchfallerkrankungen und weitere zwei Millionen infolge von Lungenentzündungen. An diese traurigen Statistiken haben wir uns längst gewöhnt. Dagegen genügte ein Milzbrandtoter in Florida, um sofort Milliardenbeträge für die biologische Abwehr freizugeben. Es wäre zu wünschen gewesen, dass längst schlagkräftigere Mittel zur Abwehr von solchen und anderen Biowaffen als Beiprodukt der Entwicklung von Medikamenten gegen die großen Seuchen entwickelt worden wären. Nun kommt ein Impuls für neue Forschung aus der Terrorecke.

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