12.01.2018

„Der Fehler steht hinterm Kasten“

Interview mit Gerhard Liebig

Titelbild

Foto: jarmoake via Pixabay / CC0

Alarmistische Meldungen über ein angebliches Bienensterben beruhen auf einseitigen Kampagnen gegen die moderne Landwirtschaft, so Bienenexperte Gerhard Liebig.

Novo: Herr Dr. Liebig, wie lange beschäftigen Sie sich schon mit Bienen?

Gerhard Liebig: Ich habe von 1970 bis 1975 an der Universität Hohenheim in Stuttgart Agrarbiologie studiert. Am Institut für Phytomedizin habe ich mich in meiner Diplomarbeit und Doktorarbeit mit Blattläusen beschäftigt. Über diese Blattläuse bin ich zu den Bienen gekommen, denn es gibt auch bienenwirtschaftlich wichtige Läuse auf Waldbäumen wie Fichte und Tanne. Nur wenn diese an der Rinde saugenden Blattläuse in Massen auftreten und dann viel Honigtau produzieren, gibt es Wald- und Tannenhonig. Dieser ist besonders begehrt. Ich erhielt einen Forschungsauftrag, die Populationsdynamik dieser Insekten zu untersuchen. Das habe ich dann 37 Jahre lang gemacht und in den 1980er-Jahren auch den Hype um das „Waldsterben“ vor Ort miterlebt. „Nebenbei“ habe ich mich mit der Honigbiene und ihrer Haltung beschäftigt. Daraus ist dann eine weitere Langzeitstudie entstanden, in der ich 22 Jahre lang untersucht habe, wie sich Bienenvölker entwickeln und welchen Einfluss die Umwelt auf die Volksentwicklung hat. Dabei bin ich selbst zum Bienenhalter geworden.

Was meinen Sie, wird man bei uns die Obstbäume bald auch per Hand bestäuben müssen wie in China?

Das ist ein Beispiel, wie durch ständige Wiederholung die Lüge, wenn nicht zur Wahrheit, aber zur Tatsache wird. Mit dem Kinofilm „More than Honey“ wurde diese Behauptung im November 2012 in die Welt gesetzt. Im Fernsehen wurde dieser preisgekrönte Film mehrmals ausgestrahlt. China ist Honigexportland! Die Völkerdichte liegt in China höher als in den USA. Die Apfelproduktion hat sich in China seit den 1990er-Jahren bei nahezu konstanter Anbaufläche mehr als verfünffacht. Die Handbestäubung in China wird praktiziert, wenn es darum geht, neue Apfelsorten zu züchten, die auch für den Export geeignet sind.

Gibt es Ihrer Meinung nach also gar kein Bienensterben?

Es kommt darauf an, wie man „Bienensterben“ definiert. In einem Bienenvolk sterben jährlich etwa eine Viertelmillion Bienen eines natürlichen Todes, im Sommer sind es etwa 2000 täglich, im Winter im Durchschnitt nur 30. Das Volk bleibt dennoch am Leben, denn es kommen auch Bienen zur Welt. Im Frühjahr schlüpfen mehr Bienen als Bienen sterben, die Völker wachsen dann. Im Winter werden keine Bienen erbrütet, die Völker schrumpfen dann. Wenn alle Bienen eines Volkes im Winter abgehen, stirbt das Volk. Wenn das vielerorts passiert, gibt es ein „Völkersterben“, das in der medialen Berichterstattung als „Bienensterben“ bezeichnet wird.

„Die Imker, die verlustfrei imkern, bilden die schweigende Mehrheit.“

Im Durchschnitt gehen in Deutschland etwa 10 Prozent der Völker im Winter ein, wobei in jedem Winter bei den etwa 100.000 Bienenhaltern in Deutschland die Schwankungsbreite der Verlustrate zwischen 0 und 100 Prozent liegt. Auch das ist nichts Besonderes. Die Imker, die verlustfrei imkern, bilden die schweigende Mehrheit. Nur die Betroffenen klagen und werden gehört. Hinzu kommt die Einstellung vieler Berichterstatter in den Medien: „Only bad news are good news“. Zuschauer, Zuhörer und Leser bekommen ständig und stetig den Eindruck vermittelt, dass es immer schlimmer wird. Völkerverluste im Winter werden durch die im Frühjahr übliche Völkervermehrung ausgeglichen, so dass die Völkerzahl in Deutschland stabil bleibt oder auch zunimmt – wie in China, wie in den USA und anderswo. Völker sterben im Winter nur, wenn der Bienenhalter Fehler macht. Die Hauptursache für Völkerverluste im Winter ist eine unzureichende Varroabehandlung. Der Fehler steht also hinter dem Kasten.

Seit wann gibt es die Varroamilbe in Deutschland?

Die Varroamilbe wurde in Westdeutschland in den 1970er-Jahren beim Import von Bienenvölkern aus Pakistan eingeschleppt. In die damalige DDR kam sie aus dem Osten Europas. Die Varroamilbe war ursprünglich nur ein Parasit der Asiatischen Honigbiene. Diese Art hatte früher keinen Kontakt zur Europäischen Honigbiene, die in Europa und in Afrika lebte. Die Europäer haben bei der Kolonisierung Asiens Völker der Europäischen Honigbiene in ihre Kolonien verbracht. Dann ist die Varroamilbe auf die Europäische Honigbiene übergewechselt. Das ist auch nach dem Import von Bienenvölkern der Asiatischen Honigbiene im Taunus geschehen. Von dort hat sich die Varroamilbe innerhalb eines Jahrzehntes in ganz Deutschland verbreitet.

Die Asiatische Honigbiene ist resistent gegen die Varroamilbe, die Europäische Honigbiene ist es nicht. In ihren Völkern vermehrt sich die Varroamilbe während der Brutperiode – von März bis Oktober – ungehemmt. Wenn der Varroabefall die Schadenschwelle überschreitet, erkranken die Völker und sterben an Varroose. So nennt man die Krankheit, die ausbricht, wenn die Völker zu viele Milben haben. Die Völker fliegen sich kahl, ihre Bienen gehen ab. In den USA wird sie CCD genannt (Colony Collapse Disorder). Die Schadensschwelle liegt im Herbst und Winter deutlich niedriger als im Frühjahr und Sommer.

„Die Honigproduktion in Deutschland ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges stetig angestiegen.“

Was kann der Imker denn gegen Milbenbefall tun?

Der Imker muss alljährlich seine Völker gegen die Varroamilbe behandeln. Dafür gibt es inzwischen eine große Anzahl zugelassener Medikamente. Die meisten Imker behandeln ihre Völker mit Ameisensäure und Oxalsäure. Diese Säuren werden nur nach der Honigernte angewendet, sodass keine Rückstände in den Bienenprodukten entstehen können.

Sie haben jahrzehntelange Erfahrung mit Bienen: Geht es den Tieren heute schlechter als früher – von der Milbe einmal abgesehen? Es heißt, die Bienen sind wegen der Pestizide aus der Landwirtschaft und aufgrund von Nahrungsmangel anfälliger als früher.

Diese Behauptung ist ähnlich zu bewerten wie die bereits erwähnte Handbestäubung in China. Sie wurde öffentlich gemacht von der Stiftung Warentest in ihrem Augustheft 2013 mit dem Artikel „Wenn das Summen verstummt“. An der Verbreitung dieser Behauptungen haben sich auch der BUND mit dem Flyer „Bienensterben stoppen! Pestizide – Gift für Mensch und Umwelt“ und Greenpeace mit der Broschüre „Bye, Bye Biene?“ beteiligt. Das Ganze gipfelte in einer Studie der Freien Universität Berlin, die von der Bundestagsfraktion der Grünen in Auftrag gegeben wurde und die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es den Bienen in der Stadt besser gehe als den Bienen auf dem Land. Schuld sei die „intensive Landwirtschaft“ mit ihren Monokulturen, durch ihren übermäßigen Pestizideinsatz und durch Düngung.

Das ist schlichtweg falsch. Die Honigproduktion in Deutschland und auch die durchschnittliche Honigleistung pro Volk ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges stetig angestiegen. Das liegt in erster Linie an der Ausdehnung des Rapsanbaus. Dank Züchtung, Pflanzenschutz und Düngung ist nicht nur der Kornertrag gestiegen, der Raps honigt heutzutage besser als vor 40 Jahren, als ich mit meinen Langzeitstudien begonnen habe.

„Man sollte Saatgutbeizung nicht verteufeln und abschaffen, sondern gutheißen und wieder anwenden.“

Experimente zeigen, dass sogenannte Neonicotinoide Bienen orientierungslos machen. Wenn es solche Indizien gibt, dass diese Insektizide den Bienen schaden, wäre es dann nicht besser, die Anwendung dieser Substanzen sofort zu verbieten?

Diese Ergebnisse wurden im Freiland mit präparierten Einzelbienen erzielt, spiegeln aber nicht die Verhältnisse im Freiland wider. Die Versuche beeindrucken durch den Einsatz von „Hightech“, liefern aber nur „hot air“. Wenn man einer Biene einen Chip oder einen Transponder auf den Rücken klebt, um ihren Flug verfolgen zu können, dann verändert bereits das ihr Verhalten. Wenn man die so präparierten Tiere zusätzlich mit einer Zuckerlösung füttert und dieser den Wirkstoff eines Pestizids beimischt, ist diese Verhaltensänderung noch stärker ausgeprägt, wobei es dabei auch auf die Dosis ankommt. Häufig wurde zum Nachweis einer Giftwirkung überdosiert.

Mit einem Neonicotinoid gebeizte Raps- oder Maisfelder werden von Bienen während der Blüte beflogen. Die Bienen sammeln dort Pollen und Nektar. Pollen und Nektar sind in subletalen Dosen mit dem bienengiftigen Wirkstoff kontaminiert. Doch wirkt sich der Eintrag von kontaminierten Pollen und Nektar weder auf das Sammelverhalten noch auf die Volksentwicklung aus. Das wird im Rahmen jedes Zulassungsverfahrens geprüft und später auch überprüft. Die Rückkehrquote der Sammlerinnen liegt bei 99 Prozent, egal ob die Völker gebeizten oder nicht gebeizten Raps oder Mais befliegen. In Versuchen mit der oben beschriebenen „Hightech“ zeigten selbst die unbehandelten Kontrollbienen eine auf weniger als 90 Prozent geminderte Rückkehrquote. Wenn das normal wäre und für alle Sammlerinnen gelten würde, wäre ein Volk nach einem Trachttag, an dem die 20.000 Sammlerinnen eines normalstarken Volkes etwa zehnmal zum Sammeln ausfliegen, bereits nach einem Tag „kahlgeflogen“ – auch wenn keine Pestizide im Spiel sind. Der Pflanzenschutz über Saatgutbeizung ist ökologisch sinnvoller als der Pflanzenschutz über Spritzen. Deshalb sollte man die Saatgutbeizung nicht verteufeln und abschaffen, sondern gutheißen und wieder anwenden.

Wie geht es denn den wilden Verwandten unserer Honigbiene, den Wildbienen aus Ihrer Sicht?

Das ist auch so ein Ding. Es gibt sehr wenige Untersuchungen über Vorkommen und Auftreten von Wildbienen. Die Hochzeit der Wildbienenforschung liegt etwa 20 Jahre zurück. Um die Jahrtausendwende sind mehr Wildbienenfunde gemeldet worden als vorher und nachher. Die Fachleute von damals sind inzwischen im Ruhestand. Der immer wieder gemeldete Rückgang an Wildbienenarten kann auch dadurch bedingt sein, dass es immer weniger Menschen gibt, die die Arten kennen. Nur wer sucht, findet sie. Wenn man nicht sucht, findet man keine.

„Wenn Andersdenkende keine Argumente haben, reagieren sie häufig polemisch.“

Dieser Gedankengang bietet sich auch als Erklärung an für den allgemein beklagten Rückgang der Biodiversität. Von vielen wird nur dort und wenn überhaupt nur so geguckt, dass sie sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen. Von einigen Naturschützern und Wildbienenexperten wird die Meinung vertreten, dass Wildbienen auch unter der Konkurrenz der Honigbiene leiden, und sie betrachten die aktuelle Entwicklung der Honigbienenhaltung – die Anzahl von Bienenhaltern und Bienenvölkern wächst stetig – sehr kritisch. Das sollte vor allem von den Imkern beachtet werden, die vorgeben, „ökologisch“ zu imkern und deswegen die besseren Imker zu sein. Man findet sie bei Demeter und Bioland.

Sind Sie mit Ihrer Ansicht schon angeeckt – quasi als „Bienensterben-Leugner“ betitelt worden oder ähnliches?

Das kam und kommt immer wieder vor. Es gehört dazu, wenn man gegen den „Mainstream“ schwimmt. Wenn Andersdenkende keine Argumente haben, aber fest an ihrem Glauben festhalten wollen, reagieren sie häufig polemisch. Häufig wird mir unterstellt, ich würde von einem Pharmakonzern bezahlt.

In den Medien wird das Bienensterben oft als Faktum dargestellt – zuletzt in der Talkrunde „hart aber fair“ Anfang Dezember im Ersten. Was halten Sie davon?

Durch ständige Wiederholung wird die Lüge nicht zur Wahrheit, aber zur Tatsache. Das ist jetzt auch eine Wiederholung. Ich habe die Sendung gesehen und zwar zweimal, das erste Mal live und dann ein zweites Mal per Mediathek. Beim zweiten Angucken habe ich die Sendung auch mit einer Kamera aufgenommen. Ich will den Film bearbeiten, mit anderen Medienberichten über das Bienensterben – ich sammele sie seit 2006 – kombinieren, um zu dokumentieren, wie die Reise bisher verlaufen ist und wohin die Reise geht. Als Schlusspunkt dieser Reise bietet sich das Jahr 2020 an. In einem bei Phoenix gesendeten Beitrag des Bayerischen Rundfunks über „Das Sterben der Bienen“ wurde vorhergesagt, dass es „in 10 Jahren keine Bienen mehr“ geben würde. Der Dokumentarfilm wurde 2010 hergestellt.

„Dem Publikum ist die einfache Lüge leichter beizubringen als die komplizierte Wahrheit.“

Im April 2006 wurde in der Bild am Sonntag der damalige Präsident des Verbandes der Berufsimker Deutschlands mit den Worten zitiert: „Der Todeskampf der Honigbiene und der Imkerei in Deutschland hat begonnen.“ Die Honigbiene galt damals laut „BamS“ als das viertwichtigste Nutztier. Es ist auf Platz 3 gerückt. In diesem BamS-Artikel findet man auch das „Einstein-Zitat“, das von vielen Kommentatoren erwähnt wird. Es ist eindeutig unsinnig und es stammt nicht von Einstein. Ich habe inzwischen auch alle 1604 Kommentare, die vor, während und nach der Sendung ins Gästebuch der Sendung „hart aber fair“ eingetragen wurden, gelesen und bin dabei, sie auszuwerten. Das wird etwas länger dauern.

Welchen Eindruck haben Sie bisher von den Kommentaren?

Die meisten Kommentare sind emotional und polemisch formuliert. Sie geben den „Mainstream“ wieder, laut dem die „intensive“ Landwirtschaft an der Misere schuld ist und der Zusammenbruch des „Ökosystems“ bevorsteht. Diese Meinung haben auch vier Teilnehmer der Talkrunde „hart aber fair“, hart und nicht fair mit Nachdruck vertreten, der Moderator und drei der fünf eingeladenen Studiogäste, die Imkerin, der Wissenschaftsjournalist und der Grünen-Politiker.

Im Gästebuch haben sich auch einige Zuschauer zu Wort gemeldet, die sowohl beim Thema Bienensterben und auch beim Thema Insektensterben Sachkunde erkennen lassen und die Problematik differenziert betrachten. Diese differenzierte Betrachtung hätte eigentlich im Vorfeld der Sendung passieren müssen. Das ist unterblieben. Den Machern der Sendung kann man somit unterstellen, dass sie sich von einer Erkenntnis haben leiten lassen, die das Handeln vieler Journalisten bestimmt, nach der dem Publikum die einfache Lüge leichter beizubringen ist als die komplizierte Wahrheit. In dieser Hinsicht war es eine gelungene Sendung.

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