18.01.2013

Der „Fall Kokopelli“: Medienversagen made in Germany

Von Georg Keckl

Für den Agraringenieur Georg Keckl zeigt die peinliche Berichterstattung vieler Medien über den Urheberrechtsstreit zwischen einer französischen Öko-Saatgutkooperative und einem mittelständischen Konkurrenzunternehmen, wie wirkmächtig grüne Propaganda hierzulande ist

Am 12. Juli 2012 veröffentlichten deutsche Medien zum Teil vollkommen widersprüchliche Meldungen zum Ausgang eines Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der französische Öko-Saatguterzeuger Kokopelli (benannt nach einem indianischen Gott der Fruchtbarkeit) hatte diesen Rechtsstreit gegen einen Konkurrenten auf dem für Landwirtschaft und Welternährung unbedeutenden Markt für Hobby-Saatgut verloren. Als Reaktion darauf meldete Spiegel-Online: „EuGH: Richter kippen Saatgut-Monopol der Konzerne“ [1], wenige Stunden später kamen die Tagesthemen genau zum entgegengesetzten Ergebnis: „Europäischer Gerichtshof zementiert die Macht der industriellen Saatgut-Hersteller“. In beiden Interpretationen des Urteils spiegelt sich die Propaganda verschiedener NGOs wider und nicht die Realität des Falls. Interessant ist bei dem Streit zweier Saatgutzwerge aus der französischen Provinz gerade nicht der eigentlich recht banale Sachverhalt, sondern wie und dass er überhaupt so prominent in die Medien kam.

Der Sachverhalt

Der EuGH-Prozessverlierer Kokopelli ist eine Öko-Institution in Frankreich. Sie wurde von Dominique Guillet gegründet, einem Urgestein der grünen Bewegung [2]. Kokopelli verkauft auch Saatgut alter Sorten. Damit trat Kokopelli in Konkurrenz zu einer ebenfalls recht kleinen Saatgutfirma, Graines Baumaux [3] (14 Mio. € Jahresumsatz), die auch alte Sorten verkauft und für diese teilweise Sortenrechte hat eintragen lassen, deswegen die vorgeschriebenen Zuchtgärten für die EU-kontrollierte Erhaltungszucht dieser Sorten betreibt. Kokopelli nahm es mit dem „Kopierschutz“ dieser Graines-Baumaux-Sorten nicht so genau. Graines Baumaux warf Kokopelli nun vor, in über 200 Fällen Saatguttütchen verkauft zu haben, die identisch mit den Graines-Baumaux-Produkten sind [4]. Nun kam es in Nancy zum Prozess und Kokopelli wurde verurteilt, Baumaux einen Schadenersatz von 10.000 Euro zu zahlen. Kurz: Graines Baumaux verhielt sich gesetzeskonform und Kokopelli nahm es mit den „Urheberrechten“ und den EU-Vorschriften nicht so genau, darum wurde Kokopelli verurteilt. Nun klagte Kokopelli gegen seine Verurteilung und schließlich wurde der Sachverhalt dem EuGH vorgelegt, ob denn die EU-Regeln, nach denen Kokopelli verurteilt wurde, rechtens seien. Das EuGH hat am 12.7.2012 geurteilt, dass diese Regeln rechtens sind. Die Gesetzeslage hat sich durch das Urteil nicht verändert, Kokopelli ist mit seiner Klage gescheitert. Also: Nichts hat sich mit dem EuGH-Urteil verändert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kokopelli nun doch die 10.000 Euro zahlen muss, ist gestiegen. Dazu ein Zitat von der Internetseite eines Kokopelli-Verbündeten: „Dass Kokopellis Wunsch, der EuGH möge EU-Richtlinien für ungültig erklären, keinen Erfolg gehabt hat, stärkt Kokopellis Position natürlich nicht.“ [5] Kokopelli hat den Prozess krachend verloren, sagt die Rechtsanwältin der Saatgut-Kooperative, Blanche Magarinos-Rey: „Wir haben eine unglaubliche Niederlage erlitten. Die Massenproduktion hat wieder einmal über den Erhalt der Artenvielfalt gesiegt.“ [6]

In Frankreich läuft in der Öko-Gemeinde eine Solidaritätswelle [7] für den Prozessverlierer Kokopelli, aber in Deutschland feiern die Grünen, samt Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL und BUND, die Niederlage der Aktivisten und verbreiten bis heute absurde oder schlicht falsche Meldungen über den Ausgang des Prozesses:

  • Renate Künast: Die Richter hätten sich „für den Erhalt der genetischen Vielfalt und gegen die internationalen Saatgutkonzerne entschieden, die wie Biopiraten weltweit Patente für die Hauptnahrungsmittel kapern.“ [8]
  • BUND: „Der Agrar-Industrie mit ihrem Saatgut-Monopol wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht“. [9]
  • Der „Ökobauernverband“ AbL: „Sieg der Artenvielfalt“. [10]
  • Die Grünen: „Dieser Richterspruch zeigt den Agrar-Großkonzernen wie Monsanto, Syngenta, Bayer und BASF ihre Grenze auf.“ [11] Oder: „Mit dem Urteil stemmt sich der EuGH gegen den Verlust der biologischen Vielfalt.“ und „Der EuGH hat den Versuch des Konzerns Graines Baumax gestoppt, den Vertrieb derartiger Erhaltungssorten zu beschränken.“ [12]


Noch Stunden vor der Urteilsverkündung haben BUND, die Grünen und der AbL zusammen mit anderen Gruppen Kokopelli unterstützt und nach der Urteilsverkündung feiern diese Organisation zusammen mit den ehemaligen Gegnern, dem Verband der Saatgutindustrie [13], dem Bauernverband, der Bundesregierung [14] das Urteil, die Niederlage von Kokopelli? Nur der Prozessverlierer und einige getreue Unterstützer behalten ihren Standpunkt, melden die Niederlage. Wie kam das?

BUND und Grüne treten Fehlmeldungslawine los

Die Chancen, dass Kokopelli den Prozess gewinnen würde, wurden vor dem Urteil als hoch eingeschätzt, weil die Generalanwältin den Ansichten von Kokopelli weitgehend folgte [15].  Nun ist aber das Gericht der Generalanwältin nicht gefolgt und hat die bestehenden Regeln am Vormittag des 12.7.2012 bestätigt. Kokopelli ist mit seiner Klage auf Rücknahme des Urteils von Nancy gescheitert.

Aber, die Grünen, BUND und der AbL, feste Kompasse bei den Medien, wenn es um landwirtschaftliche Themen geht, rechneten mit einem Sieg von Kokopelli. Darum bejubelten sie schon Stunden vor der Urteilsverkündung einen Sieg, lenkten so die willig folgenden Medien in die falsche Richtung:

Ohne Kenntnis des Urteils twitterte Frau Benning vom BUND um 5:17 Uhr in der Frühe, Stunden vor der Urteilsverkündung: „BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning zum EuGH-Urteil: Heute ist ein guter Tag für die nachhaltige Landwirtschaft und ihre Vielfalt“ [16], zeitgleich auf Facebook schrieb Frau Benning: „Heute ist ein guter Tag für die nachhaltige Landwirtschaft und ihre Vielfalt: Der Europäische Gerichtshof hat der Saatgut-Industrie einen Strich durch die Rechnung gemacht und entschieden, dass Bauern Saatgut aus alten, amtlich nicht zugelassenen Pflanzensorten herstellen und verkaufen dürfen. Die biologische Vielfalt des Saatguts ist entscheidend für eine erfolgreiche Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel, denn alte Saatgutsorten sind häufig widerstandsfähiger als Hochleistungssaatgut.“ [17]

Frau Künast ließ um 7:15 Uhr, ebenfalls Stunden vor Urteilsverkündung, vom „TEAM KÜNAST“ via Facebook melden: „Das Saatgut-Urteil des EuGH ist ein wunderbarer Sieg für die Artenvielfalt, freies Saatgut und kleine Züchtungsunternehmen. Der EuGH hat sich für den Erhalt der genetischen Vielfalt und gegen die internationalen Saatgutkonzerne entschieden, die wie Biopiraten weltweit Patente für die Hauptnahrungsmittel kapern. Bei Mais, Reis, Kartoffeln setzen sie dabei auf die Reduzierung der gehandelten Sorten und machen Bauern von gentechnikverändertem Saatgut abhängig.“ [18] Nur zur Erinnerung: In Wahrheit hat der EuGH in Kokopelli einen Biopiraten gesehen, der zu Recht verurteilt wurde.

Der AbL-Vorsitzende Graefe zu Baringdorf sprach vor der Urteilsverkündung in einem Deutschland-Radio Interview noch vorsichtig von einem zu erwartenden „weltweit nicht zu unterschätzenden Erfolg“ [19]. Das „zu erwartenden“ ging unter und es wurde so verbreitet, als ob er von dem Urteil gesprochen hätte und nicht von seiner Erwartung über das Urteil.

Ohne das Urteil zu kennen oder sich später am Vormittag, als das Urteil im Internet stand, die Mühe zu machen, es zu lesen, spulten nun fast alle Medien ihre vorbereiteten Berichte über den Sieg von Kokopelli ab und verbreiteten den Popanz, den die Grünen und NGOs um den Fall aufgebaut hatten. Am Vormittag des 12.7. lasen vermutlich die ersten Redakteure, dass Kokopelli krachend verloren hat. Es kam nun zum großen Wirrwarr in der Berichterstattung über den Fall. Nicht alle Redaktionen haben ihre voreiligen Berichte wie FAZ-Online [20] korrigiert, wo am 12.7. die allgemeinen Falschinfos zu lesen waren: „Damit scheiterte im Wesentlichen die Klage eines industriellen Saatgut-Herstellers, der dem bäuerlichen Netzwerk Kokopelli den Handel mit 233 alten Saatgutsorten verbieten wollte.“ Und am 13.7.: „Tatsächlich haben die Richter entschieden, dass auf dem Saatgutmarkt alles beim Alten bleibt“.

Bis zum Nachmittag des 12.7. berichtete die Tagesschau von einem „Sieg der Bauern“ oder „EuGH hebt Verbot alter Saatgutsorten auf“ [21]. In den Tagesthemen am Abend hieß es dann: „EuGH zementiert die Macht der industriellen Saatgut-Hersteller“ [22]. Hat man etwa das Urteil gelesen oder die Prozessbeteiligten gefragt oder reagierte man nur auf die geteilte Meinung innerhalb der NGO-Gruppen, die sich im Laufe des Tages verbreitete [23]? Die Realität, dass hier beide Male über NGO-Popanze statt über Fakten berichtet wurde, kam nicht vor. Den Aktienkurs von Monsanto oder KWS haben die vielen Falschmeldungen um die „Niederlage der Saatgutmonopolisten“ übrigens nicht im Geringsten tangiert. [24] Sie waren von dem Urteil um den Klau von Hobby-Saatgut schlicht nicht betroffen. Um professionelles Saatgut ging es in dem Prozess gar nicht, das unterliegt anderen Rechtsvorschriften.

Mangel an Distanz deutscher Medien zu den NGOs

Hätten BUND, Grüne und AbL vor der Urteilsverkündung gewusst, dass ihre Kokopelli verlieren wird, hätten sie statt vom „Sieg der Artenvielfalt“, und „Niederlage der Agrarkonzerne“ andersrum posaunt: „Niederlage der Artenvielfalt“ und „Sieg der Agrarkonzerne“. Wie bringen BUND, Grüne, andere NGOs die Medienmehrheit bei landwirtschaftlichen Themen zu solch blinder Gefolgschaft? Man verkauft den Medien eine spannende Geschichte statt der Realität: Aus dem diebischen Kokopelli wurde ein edler Ritter, der im Namen der Welternährungszukunft für das Recht auf Sortenklau bzw. die Freiheit der Sorten kämpft. Aus der Saatgutklitsche Graines Baumaux wurde ein „industrieller Saatguthersteller“, ein „Saatgutkonzern“, oft in einer Reihe genannt mit „Monsanto“. Damit hatte man die Feindbilder, die die Medien gewohnt sind, sozusagen Massensaatgut samt Gentechnik gegen Ökopflänzchen. Die Saatgut-Kampagne ist typisch für den Großteil der landwirtschaftlichen Berichterstattung der deutschen Medien. Sie beschäftigen sich mit Märchenbauernhöfen und NGO-Schreckgespenstern, schüren Ängste, die bestimmten Gruppen nützlich sind, negieren die Realität. Bis heute haben die Grünen, der AbL und der BUND ihre falsche, voreilige Einschätzung des Ausgangs des Prozesses nicht korrigiert. Warum auch? Der Medienschaden durch die Wahrheit wäre für sie größer und Kokopellis Sache spielt letztlich keine Rolle. Kokopelli war nur Mittel für einen größeren Popanz, den Kampf gegen die böse Gensaatgut-Mafia. Dass dieser Popanz wiederum nur die Zweidrittel-Kehrtwende der Grünen bei der Gentechnik verdecken soll, fällt wenigen auf. Die weiße und rote Gentechnik hat inzwischen sogar den Segen der einstigen Kritiker. Als böse gilt heute nur noch die grüne Gentechnik [25]. Auch hier wird die Realität irgendwann zum 100-Prozent-Wandel zwingen, aber der Flurschaden, der der Pharmabranche, den Wissenschaften, der Wettbewerbsfähigkeit der Republik seit der Ernennung von Joschka Fischer zum hessischen Umweltminister 1985 entstanden ist , der bleibt. Es geht um Posten, Listenplätze, Pensionsansprüche, Macht, Spenden, Stimmen und die dafür nötige Medienpräsenz, nicht um Wahrheit, Fakten oder Kokopelli.  [26]

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