01.05.2004

Der europäische Emissionshandel wird zur Farce

Kommentar von Edgar Gärtner

Welcher Stellenwert dem Emissionshandel jetzt überhaupt noch zukommen kann, fragt Edgar Gärtner.

Da soll noch jemand durchblicken: Erst bekämpfen Grüne und Umweltverbände den „Ablasshandel mit heißer Luft“. Dann machen sie sich im „Luft-Kampf“ (Der Spiegel) zwischen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Bundesumweltminister Jürgen Trittin für eine besonders anspruchsvolle Ausgestaltung des Nationalen Allokationsplans (NAP) für europaweit handelbare „Treibhausgasemissionslizenzen“ (Zertifikate) für den Ausstoß des Verbrennungsproduktes Kohlendioxid (CO2) stark. In diesem Konflikt ziehen sie Ende März scheinbar den Kürzeren, weil Clement eine großzügige Ausstattung der betroffenen 2400 deutschen Industrieanlagen mit CO2-Zertifikaten durchsetzt. Doch wenige Tage später, am 2. April, triumphieren die Grünen mit der Verabschiedung des novellierten „Erneuerbare Energien Gesetzes“ (EEG). Wer hat nun gewonnen?

Nach der ursprünglichen „Beschlusslage“ im Europaparlament und im EU-Ministerrat sollte der EU-weite Handel mit CO2-Zertifikaten zum wichtigsten Weg der Umsetzung des Kioto-Protokolls in der EU werden. Am 1. Januar 2005 soll der Emissionshandel beginnen. Auf der Klimakonferenz von Kioto im Dezember 1997 hatte sich die EU verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis zum Jahre 2010 (Bemessungsperiode 2008 bis 2012) gegenüber 1990 um insgesamt acht Prozent zu verringern. Mit der Zusage, die deutschen CO2-Emissionen im gleichen Zeitraum sogar um 21 Prozent zu reduzieren, übernahm die damals noch von Helmut Kohl (CDU) geführte Bundesregierung ohne Not die Hauptlast dieser Verpflichtung. Konkret bedeutete das, dass die deutschen CO2-Emissionen von 1014 auf 846 Mio. Tonnen im Jahr sinken, wovon Industrie und Energieerzeugung den größten Teil übernehmen sollten: Ihre CO2-Emissionen sollen von derzeit etwa 505 bis 2005/2007 auf 488 und bis 2008/2012 auf 480 Mio. Tonnen im Jahr absinken.

Anfang Januar 2004 legte das Trittin-Ministerium einen Plan für die kostenlose Erstzuteilung von Zertifikaten mit komplizierten Zuteilungsregeln und Erfüllungsfaktoren auf der Basis historischer Emissionsdaten vor. Dieser enthält Ausnahmen für die Kraft-Wärmekopplung, für Stahl- und Zementwerke sowie für Betriebe, die in den vergangenen Jahren bereits „pro-aktiv“ Vorleistungen im Sinne des Klimaschutzes erbracht haben. Strittig waren dabei vor allem die Zuteilungsregeln für neue Elektrizitätswerke. Trittin drängte darauf, die Zuteilung am Benchmark modernster gasbefeuerter GuD-Kraftwerke mit einem Nettowirkungsgrad von 57,5 Prozent und einem CO2-Ausstoß von 365 Gramm CO2 je Kilowattstunde zu orientieren. Danach hätten Betreiber von Kohlekraftwerken etwa die Hälfte der von ihnen benötigten Zertifikate zukaufen müssen. Ein Investor, der sich für den Bau von GuD-Kraftwerken anstelle eines optimierten Braunkohle-Kraftwerkes mit 1000 Megawatt Leistung entschiede, hätte schon bei einem angenommenen Zertifikatpreis von zehn Euro je Tonne CO2 jährlich 40 Mio. Euro durch den Verkauf überschüssiger Emissionsrechte gutmachen können.

„Käme es zum erhofften Wirtschaftsaufschwung, könnte man die Kioto-Ziele ohnehin vergessen.“

Trittins Plan hätte also nach dem begonnenen Ausstieg aus der Atomkraft auch noch die Verabschiedung der heimischen Kohle als Brennstoff nach sich gezogen. Dagegen stemmte sich Clement mit der NRW-Kohlelobby im Rücken. Er verwies dabei auf die Risiken einer zu starken Abhängigkeit der deutschen Energieversorgung von Gaslieferungen aus Russland. Unterstützung erhielt er durch ein hochkarätiges Gutachten, das vom Energiewirtschaftlichen Institut der Uni Köln unter Prof. C. Christian von Weizsäcker, vom Leipziger Institut für Energetik und Umwelt und vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) erarbeitet wurde. Dieses unterstrich die Kostenvorteile eines ungehinderten Emissionshandels gegenüber der vielleicht gut gemeinten, aber teuren einseitigen Förderung so genannter erneuerbarer Energien. Immerhin sind die Investitionskosten von Windkraftanlagen (WKA), bezogen auf die Jahresleistung, selbst bei günstigen Annahmen mindestens zehnmal so hoch wie bei modernen Kombi-Kraftwerken. Käme es in Europa zu einem nennenswerten Zertifikatehandel zu Preisen zwischen 5 und höchstens 30 Euro je Tonne CO2, würde das EEG „überflüssig“, schätzen die Gutachter. Windmühlen hätten dann in der Tat wenig Chancen, zum bevorzugten Investitionsziel zu werden, weil bei ihnen die Vermeidung einer Tonne CO2 durch den Ersatz moderner Braunkohlekraftwerke mindestens 65 Euro kostet.

Vor diesem Hintergrund muss der Ende März erzielte Kompromiss eingeschätzt werden. Dabei konnte Clement die Interessen der Kohle-Lobby (beziehungsweise des Stromkonzerns RWE) wahren, indem er durchsetzte, dass Industrie und Energiewirtschaft mit Zertifikaten für 503 statt der von Trittin geforderten 488 Mio. Tonnen CO2 ausgestattet werden. Da der CO2-Ausstoß der Industrie wegen der Wirtschaftsflaute wahrscheinlich schon heute unter 503 Mio. Tonnen liegt, dürfte der Emissionshandel zumindest bis 2007 nur schleppend in Gang kommen. Auch in den übrigen EU-Ländern wurde die Industrie so großzügig mit Zertifikaten ausgestattet, dass eine Nachfrage nach zusätzlichen Emissionsrechten gar nicht erst aufkommt. Außer in Deutschland denkt kaum jemand an strengere Auflagen, solange unklar ist, ob der russische Präsident Vladimir Putin das Kioto-Protokoll ratifizieren und damit in Kraft setzen wird.

Wie wenig ernst die meisten EU-Mitgliedsstaaten den Emissionshandel nehmen, zeigt sich daran, dass nur fünf von ihnen (neben Deutschland noch Dänemark, Finnland, Österreich und Irland) pünktlich zum Stichtag 31. März ihren NAP in Brüssel vorgelegt haben. Die meisten Pläne sprechen den in Kioto eingegangen Verpflichtungen Hohn. Außer Schweden, Großbritannien, Deutschland, Luxemburg und vielleicht noch Frankreich dürfte kein weiteres EU-Land den Kioto-Zielen näher kommen. Einige von ihnen bewegen sich sogar in Riesenschritten davon weg. So liegt das „Öko-Musterland“ Dänemark schon um fast 40 Prozent über den Reduktionsvorgaben, gefolgt von Spanien mit einem Drittel sowie Irland und Österreich mit je etwa einem Viertel.

Käme es auch in den anderen EU-Ländern zum erhofften Wiederaufschwung der Wirtschaft, könnte man die Kioto-Ziele ohnehin vergessen. Etliche Regierungen scheinen auch darauf zu spekulieren, dass sich im Jahre 2010 kaum noch jemand daran erinnern wird. Denn es spricht sich langsam herum, dass das Kioto-Protokoll, selbst wenn es buchstabengetreu umgesetzt würde, keinen Einfluss auf die Durchschnittstemperatur der Erde hätte.

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