07.06.2010

Der Aufstieg der grünen Taliban

Kommentar von Klaus-Dieter Humpich

Man sollte den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) nicht einfach nur belächeln oder seine Machwerke als Spinnereien abtun – dazu ist er viel zu einflussreich.

Der Satiriker Wischmeyer hat mal in der Auseinandersetzung mit dem ständig bevormunden Ökopolitiker den Begriff vom „Grünen Taliban“ geprägt. Gemeint ist die Sorte, die, erleuchtet von ihren persönlichen Überzeugungen, den Rest der Welt zu ihrem Glück zwingen will. In diesem Sinne könnte man den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) als deren ideologisches Zentralorgan betrachten. Der SRU ist laut Selbstbeschreibung ein „wissenschaftliches Beratungsgremium der Bundesregierung mit dem Auftrag, die Umweltsituation und Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland und deren Entwicklungstendenzen darzustellen und zu begutachten sowie umweltpolitische Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder Beseitigung aufzuzeigen“. Am 26. Mai hatte der Rat wieder einmal zum „Freitagsgebet“ in die Kassenhalle der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nach Berlin geladen: Er präsentierte seine Stellungnahme „100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher, bezahlbar“. Es wurde eine jener unvergesslichen Stunden, bei denen die Hohepriester des „Klimaschutzes“ den Künstlern der „massiven Kapitalvernichtung“ neue Betätigungsfelder aufzeigen.

Das Schöne an solchen Veranstaltungen ist immer, dass sie vor geladenen und vorwiegend gleichgeschalteten Gästen stattfinden. Im Kreise der vertrauten Gemeinde kann man mal so richtig Tacheles reden, um nach dem Genuss des Buffets die überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierte Dienstreise mit einem Hauptstadtbummel abzuschließen. Es wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn es lediglich um die Verbriefung neuer – eigentlich wertloser – Forderungen gehen würde. Schließlich stellt unsere Perle der Uckermark solche „systemische Risiken“ erfahrungsgemäß in wenigen Tagen zu Lasten ihrer Wähler und Nichtwähler wieder glatt.

Nein, diesmal geht es um viel mehr: „100 Prozent erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher bezahlbar“. Mit anderen Worten, um die Erschaffung einer völlig neuen Gesellschaft. Weg mit der ungeliebten Marktwirtschaft, weg mit der lästigen Demokratie, weg mit dem schwerfälligen Rechtsstaat! Ein solches Projekt hat es seit Pol Pot nicht mehr gegeben: Die zwangsweise Rücktransformation eines kompletten Staates in eine mittelalterlich bäuerliche Gesellschaft zur anschließenden Schaffung eines „neuen Menschen“.

Wie aber laufen solche Feldzüge ab? Wichtigstes Muster ist der Grundsatz des wahrscheinlich fürchterlichsten Popagandaexperten der Deutschen Geschichte: Es ist egal, ob etwas falsch oder wahr ist, wichtig ist nur, dass man es oft genug wiederholt. In diesem Sinne erfolgt im Minutenabstand das Bekenntnis: Jawohl, es ist möglich! Irgendwann soll beim Zuhörer das Gefühl entstehen: Wenn so viele (selbsternannte) Experten sagen, dass es möglich ist, wird es schon so sein. Nein und noch einmal nein! Es ist zumindest nicht wünschenswert! Der Verlust an Freiheit und Wohlstand ist durch nichts zu rechtfertigen!

Warum erblöden sich Professoren mit Farbklecksereien, die jedem Studenten der Ingenieurwissenschaften um die Ohren gehauen würden, an die Öffentlichkeit zu treten und diesen Voodoo-Zauber als wissenschaftliche Berechnung zu verkaufen? Sollten diese Einfaltspinsel tatsächlich der Meinung sein, dass irgendwelche Zahlenfriedhöfe aus Simulationsprogrammen das Denken ersetzen könnten? Wahrscheinlicher ist, dass es ein Hintertürchen ist, falls der Wind doch dreht. Schließlich hat man es sich als staatlich bezahlter Hofgutachter mit Pensionsberechtigung komfortabel eingerichtet.

Wer weiß schon, was in zehn Jahren der angesagte Klassenstandpunkt ist? Die Rechtfertigung könnte sich dann ungefähr so anhören: Innerlich war ich ja auch der Meinung, dass man eigentlich nichts in den Diagrammen erkennen könne. Gewissenlose Spekulanten der Elektronikindustrie haben diese Maschinen gebaut, um daran zu verdienen. Profitgierige Konzerne haben damit Programme erstellen lassen, die keiner richtig verstanden hat, aber alle mussten damit rechnen. Schließlich hätte man ja sonst keine Forschungsgelder (= Steuergelder) mehr erhalten. Eine strengere Regulierung ist nötig. Eine Umsatzsteuer auf Zahlen muss her, um das ausufernde Produzieren von Zahlen zu begrenzen… Ähnlichkeiten mit der „Bankenkrise“ sind mehr als zufällig. Das (ebenfalls politisch gewollte und geförderte) Modell „Jedem Amerikaner sein eigenes Haus, unabhängig davon ob er es bezahlen kann“, ist ausgelaufen. Möge uns hoffentlich auch das Geschäftsmodell „100 Prozent Regenerative“ erspart bleiben!

Nun gibt es bei der „100-Prozent-Versorgung“ ein klitzekleines Problem. Nachts scheint keine Sonne, und der Wind weht – oder auch nicht –, wann er will. Also muss Energie gespeichert werden. Unsere „Experten“ haben selbstverständlich auch dafür eine Lösung. Druckluftspeicher hier und Wasserkraftwerke in Norwegen. Kosten spielen bei der Rettung der Welt selbstverständlich keine Rolle. Nur, man kann nicht einen Staudamm beliebig auf und zu drehen. Wird die Leistung gesteigert, um eine Flaute zu kompensieren, muss mehr Wasser entnommen werden und es ergibt sich eine Flutwelle im Fluss. Wird zu viel Windenergie produziert, muss der Staudamm abgesperrt werden und der Wasserstand im Fluss sinkt. In der Realität ist für jeden Staudamm nur ein sehr enges Regelband in Abhängigkeit von der Jahreszeit zulässig.

Aber, was ist schon Natur- und Landschaftsschutz? Nach den Gesetzen der „Klimaretter“ geht ohne „100 Prozent Erneuerbare“ die Welt unter. Muss man sich wohl so vorstellen wie den Einschlag eines Meteoriten und das Aussterben der Saurier. Wozu also auf ein paar Fische oder einer Handvoll mauliger Norweger Rücksicht nehmen? Wenn es denen nicht passt, dass wir ihre Bergkuppen betonieren und ihre Täler unter Wasser setzen für unsere Pumpspeicher-Kraftwerke, sollen die doch… ja, was eigentlich? Bevorzugen wir die „sanfte“ chinesische Methode der zwangsweisen Umsiedlung oder besinnen wir uns gleich auf alte koloniale „Beseitigungsformen“?

Jedenfalls können wir den Schweden und Finnen schon mal dankbar sein, dass die durch den Bau von Kernkraftwerken noch Flüsse und Bergkuppen für uns freigehalten haben. Ist doch wirklich nett, dass die sich der täglichen tödlichen Bedrohung durch das Atom aussetzen, damit wir Deutsche (mal wieder) die Welt retten können. Aber vielleicht gehen wir auch ein bisschen voran, durch den Bau von Druckluft-Speichern. Wenn wir erst mal unsere Flüsse mit der Salzlake beim Ausspülen der Kavernen abgetötet haben, werden die Skandinavier erkennen, dass Opfer notwendig sind und sicherlich im Rahmen der internationalen Solidarität ebenfalls ihre Lebensgrundlage zerstören. Umweltschutz war gestern – Klimarettung ist heute!

Es gibt schon heute ein weiteres Problemchen: Der Strom wird hauptsächlich im Norden produziert, aber in den südlichen Ballungszentren verbraucht. Für den Übergang von der verbrauchsnahen zur zentralen Erzeugung braucht man neue Leitungstrassen. Nun weiß jeder, der schon mal praktisch mit Hochspannungsleitungen zu tun hatte, dass, kaum wird eine Trassenführung bekannt, sich unzählige Bürgerinitiativen dagegen gründen. Von der „Angst gegen Strahlung“ bis zur Angst um die Wertminderung des eigenen Grundstücks: Eine unendliche Geschichte von Prozessen, Protesten, Planungsänderungen und Entschädigungsverhandlungen nimmt seinen Lauf.

Nun leben wir in einem Rechtsstaat. Und das ist uneingeschränkt gut so. Fühlt sich jemand von der Obrigkeit ungerecht behandelt, kann er (noch) den Rechtsweg beschreiten. Unsere Klimaretter sehen das etwas anders. Sie sind doch die Guten, nicht etwa profitgierige Konzerne. Sie schicken doch „Biostrom“ durch ihre Leitungen und nicht den gefährlichen „Atomstrom“. Deshalb wünschen sie eine Veränderung der bisherigen Planungsverfahren. Unverhohlen wird zu einer deutlichen Abkürzung des Verfahrens aufgerufen. Man kann ja nicht alles haben. Wer den „guten Windstrom“ haben will, muss für eine Demontage unseres Verwaltungs- und Rechtssystem sein. Kann man nicht schnell genug die Landschaft verdrahten, könnte die Mehrheit der Bevölkerung feststellen, dass trotz „wegen Klima“ immer noch keine Palmen in Wanne-Eickel wachsen. Dazu noch ein Stromausfall, und schon will der unberechenbare Wähler lieber sein dezentrales Versorgungssystem behalten.

Deswegen, lieber schnell zurück zu den Grundsätzen vergangen geglaubter Zeiten: Der Zweck heiligt die Mittel! Bin gespannt, was „Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke“ sagen, wenn die „Atom-Mafia“ anfängt, beim „grünen Taliban“ in die Lehre zu gehen. Ich finde, langsam muss es damit aufhören, solche Kreise wie den SRU einfach nur zu belächeln oder deren Machwerke als Spinnereien abzutun. Wer den SRU belächelt, muss auch über alle nationalen Sozialisten lächeln. Die wollen auch nur die Gesellschaft verändern. Könnte allerdings sein, dass ihnen ihr bürgerliches Lächeln zum dritten Male im Halse stecken bleibt.

Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Es geht hier nicht um Energie oder Klimaschutz, sondern um Gesellschaftsveränderung. Hier wird wieder ein fadenscheiniger Grund konstruiert, um die Gesellschaftsveränderung auf undemokratischem Wege zu legitimieren. Hier werden ganz bewusst zentrale Grundsätze unserer Verfassung: Bürgerrechte (Mitwirkung bei Planungsverfahren), Eigentumsrechte (Restlaufzeiten von Kraftwerken) und Marktwirtschaft (Subvention und Abgaben bei erneuerbaren Energien) infrage gestellt.

Das eigentlich perfide daran ist, dass dies diesmal von innen, aus gesicherter Staatsstellung mit Pensionsberechtigung erfolgt. Die jungen Leute, die in den 80er-Jahren noch gegen den „Atomstaat“ gekämpft haben, sind immerhin ein erhebliches persönliches (wirtschaftliches und strafrechtliches) Risiko eingegangen. Es geht aber um noch mehr: Es geht um die Gefährdung von Freiheit in Wissenschaft und Forschung. Professoren sind Beamte (=Staatsdiener) mit dem von der Gesellschaft erteilten Privileg der nahezu völligen beruflichen Freiheit. Finanziert durch die Allgemeinheit. Als Gegenleistung haben sie die Verpflichtung, ihre Forschungsergebnisse der wissenschaftlichen Gemeinde zur Prüfung und Beurteilung zur Verfügung zu stellen. Das Verfassen von Propagandaschriften ist ausdrücklich nicht darunter zu verstehen.

Allerdings muss man auch der wissenschaftlichen Gemeinde in Deutschland einen Vorwurf machen. Von jedem Arzt erwartet die Bevölkerung, wenn Scharlatane durchs Land ziehen und eine Heilung von Krebs durch Zaubermittel versprechen, sachkundige Aufklärung. Wo bleiben also die Kollegen von den (einst) angesehenen Fakultäten in München, Stuttgart, Darmstadt, Karlsruhe usw.? Mehr Geld für Bildung ist immer schnell gefordert, aber die Bevölkerung (=Steuerzahler) würde es schätzen, wenn sie hin und wieder auch mal das Gefühl vermittelt bekäme, es würde auch etwas dafür geleistet. Und noch wichtiger: Sie könnte diesen gelehrten Herren und Damen auch vertrauen. Und hier kommen Gedanken und Ort wieder zusammen: Jeder Bankangestellte kann heute Nachhilfe erteilen, was es bedeutet, wenn man das Vertrauen der Öffentlichkeit erst mal verspielt hat. Ich bin mir sicher, daß die „100 Prozent Erneuerbaren“ genauso schnell in der Versenkung verschwinden werden wie unzählige andere Patentrezepte, die ich in 30 Berufsjahren in der Energietechnik am Zenit habe aufsteigen und wieder verglühen sehen.

Allerdings haben wir es hier mit einer neuen Qualität zu tun: Es wird erstmalig der Versuch unternommen, die Energietechnik als ein Vehikel zur Gesellschaftsveränderung zu missbrauchen. Alle, die Energietechnik als Beruf betreiben, sollten endlich aufwachen und Position beziehen. Wenn nicht, werden wir es zukünftig klaglos hinnehmen müssen, dass uns verstärkt Leute sagen, wie Technik auszusehen hat, die nicht einmal das Grundstudium in den Ingenieurwissenschaften erfolgreich hätten abzuschließen können.

Wenn wir weiterhin schweigen, besteht die Gefahr, dass wir selbst ein „TÜV-geprüft“ zu einem Warnhinweis ummünzen. Obendrein wird das gesellschaftliche Ansehen von Ingenieuren ins bodenlose fallen, weil man uns auf ewig und zu Recht den Vorwurf machen wird, nicht eindringlich gewarnt zu haben. Wie gesagt, unterhalten Sie sich einmal mit Bankangestellten und Versicherungsvertretern…

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