13.01.2021

Das Netto-Null-Gaskraftwerk – Ein Game Changer

Von James Conca

Titelbild

Foto: InfraServ Knapsack via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Kohle- und Gaskraftwerke ohne CO2-Emissionen können das fossile Zeitalter verlängern, ohne zur Klimaerwärmung beizutragen.

Während wir in unseren klimatisierten Räumen sitzen und dies lesen, wird in La Porte, Texas, eine Technologie erprobt, die ein echter Game Changer werden kann. Dahinter steckt das Unternehmen NET Power aus North Carolina. Bei dem Verfahren werden fossile Brennstoffe mit Sauerstoff anstelle von Luft verbrannt, um Strom zu erzeugen, ohne dabei Kohlendioxid zu emittieren. Durch den Verzicht auf Luft vermeidet man auch die Erzeugung von Stickoxiden, den wichtigsten Schadstoffen für Atmosphäre und Gesundheit, die von Gaskraftwerken ausgehen.

Unter den Technologien, die unter dem Oberbegriff Carbon Capture and Sequestration (CCS) bekannt sind, gelten emissionsfreie fossile Kraftwerke als Traum, der in der Praxis nie verwirklicht wurde, da er viel kosten und den Strom um fünf bis zehn Cent pro Kilowattstunde verteuern würde. Dies lag hauptsächlich daran, dass die meisten Versuche am Ende des traditionellen Prozesses der Elektrizitätserzeugung nur einen weiteren Schritt hinzufügen, also End-of-Pipe-Lösungen sind. Einige fossile Kraftwerke haben es versucht und sind gescheitert, das berühmteste ist wohl das siebeneinhalb Milliarden Dollar teure Kohlekraftwerk in Kemper (Mississippi).

Aber die neue Technologie von NET Power verändert den Ansatz von Grund auf. Sie basiert auf dem Allam-Fetvedt-Kreislauf, kurz Allam-Kreislauf. 1 Dies ist ein Verfahren, bei dem gasförmiger Brennstoff unter hohem Druck in reinem Sauerstoff verbrannt wird. Auf diese Weise wird kostengünstiger Strom aus fossilen Brennstoffen erzeugt. Gleichzeitig ist das Verfahren so sauber, dass es praktisch keine Luftemissionen gibt. Das gesamte entstehende CO2 kann als Nebenprodukt unter hohem Druck in Pipelines abtransportiert und in der Ölförderung und in industriellen Prozessen genutzt oder in geeigneten geologischen Formationen unterirdisch eingelagert werden, so dass es für Millionen von Jahren nicht in die Atmosphäre gelangt. Der Allam-Kreislauf hat auch den Vorteil, dass das Kraftwerk viel kleiner ist und es daher mehr geeignete Standorte gibt als für konventionelle Anlagen.

Die 50-MW-Anlage in Texas zeigt, dass die Technologie funktioniert. Das Projekt hat einige starke Partner gefunden. Exelon Generation betreibt das Kraftwerk, das Infrastrukturunternehmen McDermott International (ehemals CB&I) ist für Engineering und Bau zuständig, 8 Rivers Capital, der Erfinder der NET-Power-Technologie, für die Weiterentwicklung der Technologie und Oxy Low Carbon Ventures, eine Tochtergesellschaft von Occidental Petroleum, ist Ende 2018 als Investor bei NET Power dazugestoßen. Toshiba entwickelte die Brennkammer sowie die CO2-Turbine und setzt die Weiterentwicklung fort.

„Das gesamte entstehende CO2 kann als Nebenprodukt unter hohem Druck in Pipelines abtransportiert und in der Ölförderung und in industriellen Prozessen genutzt oder in geeigneten geologischen Formationen unterirdisch eingelagert werden.“

Die meisten Kraftwerke beruhen auf Wärmekreisläufen für die Stromerzeugung. Diese Systeme erzeugen Hitze, indem sie fossile Brennstoffe mit dem Sauerstoff der Luft verbrennen. In Kohlekraftwerken geschieht dies in einem großen Kessel, in dem Kohle verbrannt und aus Wasser Hochdruckdampf generiert wird, der dann eine Dampfturbine antreibt, um Strom zu erzeugen. In Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken wird Erdgas oder Kohle-Synthesegas in einer Brennkammer mit Druckluft verbrannt. Die erwärmten Gase dehnen sich dann aus und treiben eine Gasturbine an. Die Turbinenabgase sind extrem heiß, so dass sie anschließend zum Erhitzen von Wasser verwendet werden, um Hochdruckdampf zu erzeugen und eine Dampfturbine anzutreiben und so beide Kreisläufe kombinieren. In beiden Systemen wird Wasserdampf genutzt.

Nicht so in einer Allam-Kreislauf-Anlage wie der von NET Power. In der texanischen Demonstrationsanlage wird das Erdgas mit einer Mischung aus heißem CO2 und Sauerstoff im so genannten Oxyfuel-Verfahren verbrannt. Die Anlage verwendet eine standardmäßige kryogene Luftzerlegungsanlage, um Sauerstoff zu erzeugen, und integriert die Wärme dieser Einheit. Der zusätzliche Aufwand der Sauerstoffproduktion ist in ihren Wirkungsgraden berücksichtigt und verringert aufgrund des hohen Wirkungsgrads des Allam-Kreislaufs die Wirtschaftlichkeit nicht wesentlich. Das resultierende Arbeitsmedium ist ein Gemisch aus Hochdruck-CO2 und Wasser, das anschließend durch eine Turbine expandiert und in einem Wärmetauscher (Rekuperator) wieder abkühlt. Das ist der Kern des Verfahrens. Die Turbine wird also nicht mit Dampf, sondern mit CO2 betrieben. Am Ende kondensiert das Wasser und wird abgetrennt, so dass in der Dampfphase ein reiner CO2-Strom entsteht. Dieser Strom wird komprimiert und zur Wiederverwendung unter hohem Druck zurückgepumpt, während das überschüssige CO2 in eine Pipeline geleitet wird, um anderweitig genutzt oder unterirdisch gelagert zu werden. Der verbleibende Flüssigkeitsstrom wird im Rekuperator wieder erwärmt und gelangt zurück zur Brennkammer, wo das heiße CO2 dazu beiträgt, eine Temperatur von etwa 1150 Grad Celsius zu erzeugen, wobei die hohe Temperatur den Wirkungsgrad deutlich steigert.

Bei etwas geminderter Effizienz kann die Anlage auch luftgekühlt betrieben werden, um in trockenen Regionen Wasserverbrauch zu vermeiden und aus Methan und Sauerstoff sogar Wasser zu gewinnen. Durch den Einsatz von CO2 als Arbeitsmedium bei sehr hohen Drücken anstelle von Dampf vermeidet NET Power die Phasenwechsel, die dazu führen, dass Dampfkreisläufe so ineffizient sind. Anstatt einen Dampfkreislauf anzutreiben und Wärmeenergie durch den Schornstein zu verlieren, hält NET Power die Wärme im System, so dass weniger Brennstoff benötigt wird, um die erforderliche Betriebstemperatur zu erreichen.

Ermöglicht wurde die Demonstrationsanlage durch Steuererleichterungen für CO2-Abscheidungsprojekte. Diese belaufen sich auf 50 US-Dollar pro Tonne Kohlenstoff. Das NET-Power-Kraftwerk fängt sein gesamtes CO2 im Prozess ab, recycelt es teilweise und leitet den Rest zum Verkauf weiter.

Adam Goff, Policy Director bei NET Power, sieht vor allem in Entwicklungsländern großes Potenzial. Dort könnte diese Technologie einen Beitrag zur Verringerung der globalen Erwärmung leisten. Diese Länder benötigen dringend Energie und planen die Installation von Tausenden von traditionellen Kohlekraftwerken, die für den größten Teil des Anstiegs der Kohlenstoffemissionen in den nächsten Jahrzehnten verantwortlich wären. Laut Goff „werden die meisten Projekte nicht in den USA sein. Sie werden in Entwicklungsländern in Asien und in Afrika sein, auch in China, Indien, Indonesien. Um das zu ermöglichen, muss man wirklich billig sein. Man muss zu den gleichen, wenn nicht sogar mit geringeren Kosten als mit konventionellen Kraftwerken produzieren können“. 2

„Die Entwicklungsländer planen die Installation von Tausenden von traditionellen Kohlekraftwerken, die für den größten Teil des Anstiegs der Kohlenstoffemissionen in den nächsten Jahrzehnten verantwortlich wären.“

Der CO2-Ansatz ist einzigartig. Die Anlage von NET Power produziert hochwertiges CO2 als Nebenprodukt. Es kann unter hohem Druck direkt über eine Pipeline abgeführt werden. Dieses CO2 kann sequestriert, also unterirdisch gelagert, oder in industriellen Prozessen, wie beispielsweise der verbesserten Ölförderung (enhanced oil recovery, EOR), eingesetzt werden. EOR ist ein seit Jahrzehnten erprobter Prozess, bei dem über die vorhandene Förderinfrastruktur CO2 verpresst wird, um aus alten Ölfeldern deutlich mehr Öl herauszuholen und gleichzeitig CO2 dauerhaft unter Tage einzulagern. Allein in den Vereinigten Staaten sind 85 Milliarden Barrel Öl mit EOR förderbar.

Die meisten industriellen CO2-Abscheidungstechnologien können kein kostengünstiges, EOR-fähiges CO2 produzieren, obwohl die Industrie enormen Bedarf hat. NET Power wird sowohl über die Kapazitäten als auch über die Wirtschaftlichkeit verfügen, damit die EOR-Industrie die riesigen Ressourcen erschließen kann und gleichzeitig CO2 aus Tausenden von Kraftwerken unter Tage eingelagert werden kann.

Tatsächlich ist es die Sequestrierung von CO2, die die größte Herausforderung sein dürfte. Wir können CO2 heute nutzen. Aber wenn wir diese Netto-Null-Anlagen in großem Stil aufbauen, haben wir nicht genug industriellen Bedarf für das gesamte CO2 aus der jährlichen Erzeugung von Billionen Kilowattstunden. Es muss also unter Tage verpresst werden, und dabei können Problem auftreten, beispielweise durch Erdbeben. Aber das ist eine Geo-Engineering-Aufgabe, die wir angehen können. Norwegen hat ohne große Probleme über 20 Millionen Tonnen CO2 sequestriert, und Archer Daniels Midland sequestriert CO2 in Illinois, ebenfalls ohne nennenswerte Probleme.

Noch interessanter sind die Kosten für die Stromerzeugung. Die NET-Power-Anlage verkauft nicht nur Strom, sondern auch das CO2 und andere Nebenprodukte wie Stickstoff und Argon. Diese Verkäufe senken die Stromkosten auf 1,9 Cent pro Kilowattstunde, so Goff, verglichen mit 4,2 Cent für ein traditionelles Gaskombikraftwerk. Es ist somit aktuell die billigste Stromquelle und zudem CO2-frei.

Wenn die Anlage in La Porte wie erwartet funktioniert, und bisher sieht es so aus, ist dies ein echter Wendepunkt für die Elektrizitätsgewinnung aus Erdgas. Da die Vereinigten Staaten auf mehr Erdgas sitzen als jedes andere Land der Welt und es immer billiger wird 3, es aus dem Boden zu holen, ist das ein ganz großes Rad, an dem hier gedreht werden könnte.

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