23.07.2021

Das Märchen vom „Wumms“ aus der Krise

Von Alexander Horn

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Foto: 贝莉儿 NG via Unsplash / CC0

Mächtige Interessengruppen haben großes Interesse an der fortschreitenden Zombifizierung der Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik dient diesen Interessen auch in der Corona-Krise.

Der Tiefpunkt der Corona-Krise soll überwunden sein. Nach Überzeugung der EZB-Direktorin Isabel Schnabel sei man nun an „einem Wendepunkt“. Auch der Staatsekretär im Bundesfinanzministerium und ehemalige Deutschlandchef von Goldman Sachs, Jörg Kukies, ist zuversichtlich, dass die destabilisierenden Faktoren, die während der Finanzkrise 2008 und der Eurokrise fast einen Crash auslösten, dieses Mal unter Kontrolle sind. Bei der Vorlage des Jahresberichts zur Finanzstabilität in Deutschland sagte er, dass sich das Finanzsystem „bislang sehr gut bewährt“ habe. Man sei „durch die Corona-Krise besser als durch die Finanzkrise gekommen“.1 Auch eine zwischenzeitlich befürchtete Insolvenzwelle, die die wirtschaftliche Erholung oder sogar das Bankensystem in Deutschland gefährden könnte, wird inzwischen von Experten ausgeschlossen.

Kommt die Wirtschaft nun mit dem von Bundesfinanzminister Olaf Scholz angekündigten „Wumms“ aus der Krise? Ja, meinen unisono EU-Kommission und EZB. Alles weise auf „eine starke Erholung“ noch in diesem Jahr hin, so Schnabel. Die Notenbank rechnet in der Eurozone mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4,6 Prozent bis zum Jahresende, nachdem es im letzten Jahr um 6,6 Prozent geschrumpft war. Im nächsten Jahr soll die Wirtschaft um 4,7 Prozent wachsen. Für Deutschland, dessen Wirtschaft um 5 Prozent geschrumpft war, schätzt das Ifo-Institut eine weniger dynamische Erholung. In diesem Jahr soll ein BIP-Wachstum von nur 3,3 Prozent erreicht werden, 2022 könnte dann mit einem Wachstum von 4,3 Prozent das Vorkrisenniveau, wie auch in der Eurozone, überschritten werden.

Es gibt jedoch ein Problem. Bei der Vorstellung der Ifo-Konjunkturprognose warnte der Chef des ifo-Instituts, Clemens Fuest, dass dieses Szenario und die Aussicht, dass die deutsche Wirtschaft nach 2022 nicht in eine Stagnation zurückfällt, eine deutliche Steigerung der Investitionen voraussetzt. Das Ifo-Institut unterstellt, dass die Bruttoanlageinvestitionen, die zu etwa 90 Prozent von der Wirtschaft getätigt werden (etwa 10 Prozent investiert der Staat), von heute 740 Milliarden Euro jährlich auf mehr als 900 Milliarden Euro bis 2025 ansteigen. In vier Jahren würde dann die vom Ifo unterstellte Investitionsquote von 23 Prozent am BIP erreicht. Dies würde bedeuten, dass sich der seit Anfang der 1970er Jahre ungebrochene Trend, der die Quote von damals deutlich über 30 Prozent des BIP auf durchschnittlich nur noch etwa 20 Prozent in den beiden letzten Jahrzehnten gedrückt hat, nun umdreht.2

„Sogar in Deutschland, wo die Industrie seit der Finanzkrise 2008 nicht massiv geschrumpft ist, gehen die Investitionen in neue Maschinen und Anlagen kontinuierlich zurück.“

Das Ifo-Institut begründet dies mit der Fortsetzung des seit 2005 erkennbaren Trends steigender Bauinvestitionen. Gleichzeitig soll sich die Quote der Ausrüstungsinvestitionen am BIP auf dem Niveau halten auf das es nach der Finanzkrise 2008 abgesackt war. Indem Fuest den derartigen Anstieg der Investitionsquote zur Bedingung für die zügige Überwindung des Corona-Krise macht, beschreibt er zwar, was geschehen müsste, impliziert jedoch, dass es längst nicht so kommen muss.

Damit liegt er nicht mehr weit von der Linie seines Vorgängers als Ifo-Präsident, Hans-Werner Sinn, der den Optimismus bei den Investitionen nicht teilt. Sinn räumt zwar ein, dass mit dem Überwinden der Pandemie und in Verbindung mit den international gestarteten gigantischen Rettungs- und Konjunkturprogrammen auch in Europa ein schneller wirtschaftlicher Wiederaufstieg möglich ist. Dennoch werde die Wirtschaftsleistung in Europa und auch in Deutschland „nicht auf das Ursprungsniveau“ zurückkehren. Der konjunkturelle Verlauf werde „kein V, sondern ein umgekehrtes Wurzelzeichen“ abbilden, so Sinn. Es werde in Deutschland also Jahre brauchen, um das Vorkrisenniveau wieder zu erreichen oder sogar zu übertreffen. Ist das Schwarzmalerei?

Erstarrte Unternehmen

Das von Sinn vertretene Szenario basiert darauf, dass die Wirtschaft in Europa und auch in Deutschland schon lange feststeckt. Die Unternehmen investieren immer weniger im Verhältnis zu der von ihnen geleisteten Wertschöpfung. Sogar in Deutschland, wo die Industrie seit der Finanzkrise 2008 – anders als in den meisten anderen EU-Ländern – nicht massiv geschrumpft ist, gehen die Investitionen in neue Maschinen und Anlagen kontinuierlich zurück. Diese Ausrüstungsinvestitionen gehen typischerweise mit der Einführung neuer Technologien und Produkte einher und sind daher nicht nur für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit und den Erhalt der Arbeitsplätze entscheidend, sondern führen unmittelbar zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Reallöhne. In Deutschland sind diese Ausrüstungsinvestitionen im Verhältnis zur Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes von über 12 Prozent Anfang der 1990er Jahre auf nur noch etwa 8 Prozent in den 2010er Jahren gesunken.

Trotz des immer massiveren Einsatzes der Geldpolitik, die die Unternehmen mit niedrigen Zinsen lockt, sowie wirtschaftspolitischer Instrumente – wie etwa Subventionen und Investitionsförderungen – springen die Investitionen nicht an. Wegen ihrer niedrigen Investitionen erzielen die Unternehmen in Deutschland seit den frühen 2020 Jahren sogar Finanzierungsüberschüsse. Sie müssen also netto kein Kapital aufnehmen, sondern stellen dem Kapitalmarkt freie Mittel zu Verfügung. Das ist eine völlige Umkehr früherer Verhältnisse, als Kapitalgesellschaften zur Finanzierung ihres Wachstums auf zusätzliches Fremdkapital angewiesen waren. Die Finanzierungsüberschüsse blähen sich von Jahr zu Jahr immer weiter auf und liegen inzwischen bei satten drei Prozent des BIP.3

Andere europäische Länder sind vom Substanzverlust ihrer Wertschöpfung noch stärker betroffen als Deutschland. Das zeigte sich sehr deutlich nach der Finanzkrise 2008. In Spanien und Italien war die industrielle Wertschöpfung im Krisenjahr um etwa 25 Prozent eingebrochen. Danach hatte die Wirtschaft sich nur kurzzeitig etwas aufgerappelt, aber nie wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Zum Beginn der Corona-Krise, also etwa zehn Jahre später, hatten beide Länder erst 80 Prozent des Vorkrisenniveaus erreicht. Ähnlich dramatisch ist die Entwicklung in Frankreich. Dort brach die industrielle Wertschöpfung 2009 auf etwa 80 Prozent des Vorkrisenniveaus ein und übertraf seitdem nicht wieder die 90- Prozent-Marke.

„Besonders problematisch ist, dass der Deindustrialisierungsprozess in Europa nicht durch neu entstehende Unternehmen oder andere Wirtschaftsbereiche ausgeglichen wird.“

In Deutschland gelang nach der Finanzkrise zwar ein V-förmiger Verlauf, so dass die Industrie in kurzer Zeit wieder das Vorkrisenniveau erreichte und die Wertschöpfung bis 2018 sogar leicht anstieg. Doch danach ging es abwärts. Zum Beginn der Corona-Pandemie lag die Industrieproduktion wieder auf dem gleichen Niveau, das sie bereits vor der Finanzkrise 2008 erreicht hatte.

Besonders problematisch ist, dass der Deindustrialisierungsprozess in Europa nicht durch neu entstehende Unternehmen oder andere Wirtschaftsbereiche ausgeglichen wird. Daher gelang auch der Gesamtwirtschaft nach der Finanzkrise 2008 keine V-förmige wirtschaftliche Erholung. Fünf Jahre benötigte die EU, um den Rückgang des Bruttoninlandsprodukts (BIP) um damals 4,3 Prozent auszugleichen und das Vorkrisenniveau wieder zu erreichen. In der Eurozone dauerte es sogar noch ein Jahr länger. Spanien und Portugal erreichten erst 2017 und 2018 wieder die frühere Gesamtwirtschaftsleistung. In Italien und Griechenland ist das Wachstum der letzten zehn Jahre sogar so schwach und von wiederholten Rezessionen durchzogen, dass das BIP beider Länder auch vor der Corona-Krise noch immer weit unter dem Vorkrisenniveau lag.4

Wirtschaftspolitik versursacht Zombifizierung

Die seit Jahrzehnten in den entwickelten Volkswirtschaften eingesetzten wirtschaftspolitischen Instrumente erweisen sich zunehmend als ungeeignet, um den Rückgang der Unternehmensinvestitionen aufzuhalten. Schon vor der Finanzkrise 2008 versuchte man daher, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen schwindsüchtiger Investitionen zu kompensieren, indem die Bedingungen zur Ausweitung privater Verschuldung verbessert und so zusätzliche Nachfrage geschaffen wurde. Nach der Finanzkrise haben die Staaten der entwickelten Volkswirtschaften und ihre Zentralbanken die Funktion übernommen, dieses schuldenfinanzierte Wachstumsmodell wiederherzustellen und weiter voranzutreiben. Mit immensen Schuldenaufnahmen stabilisieren sie nun die Wirtschaft und defizitäre Sozialsysteme. Sie verhindern konjunkturelle Einbrüche und schaffen Wachstumsimpulse, die wegen schwacher Investitionen nicht mehr von den Unternehmen ausgehen. Während eines G20-Treffens 2016 geißelte Wolfgang Schäuble, damals noch deutscher Finanzminister, dieses Modell. Es sei an seine Grenzen gestoßen und schaffe neue Probleme, indem es „steigende Schulden, Blasen und das übermäßige Eingehen von Risiken“ bewirke und zudem die „Wirtschaft zombifiziert.“

Die entwickelten Volkswirtschaften schaffen es immer weniger, den Niedergang der Investitionen und die damit einhergehende Stagnation von Arbeitsproduktivität und Massenwohlstand zumindest auszugleichen. Die Ursache liegt darin, dass die dominierende wirtschaftspolitische Orientierung einseitig die Stabilisierung des schuldenfinanzierten Wachstumsmodells um fast jeden Preis anstrebt, dabei jedoch gleichzeitig das wertschöpfende Potenzial der Unternehmen unterhöhlt und die Wohlstandsentwicklung lähmt.

Staatliche Institutionen sind konsequent darauf ausgerichtet, jeden möglichen wirtschaftlichen Rückschlag zu verhindern, der das fragile und blutarme Wachstum gefährden und noch dazu negative Kettenreaktionen auslösen könnte. So gelingt es, die schwächsten der schwachen Unternehmen sogar dauerhaft zu erhalten. Es entstehen die sogenannten Zombieunternehmen, die von Staats wegen nicht sterben dürfen, obwohl sie ihre eigentliche gesellschaftliche Funktion der Wohlstandsmehrung nicht mehr wahrnehmen können. Diese Unternehmen sind kaum profitabel und besitzen daher in der Regel nicht mehr die Finanzkraft, um in neue produktivitätssteigernde Technologien investieren zu können. Analysen zufolge waren bis zu 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland bereits vor der Corona-Krise zu solchen Zombieunternehmen geworden.5

Unterschätzte Zombifizierung

Trotz ihrer großen und zunehmenden Zahl sind diese Untoten nur der geringere Teil des Schadens, den diese Wirtschaftspolitik anrichtet. Weit problematischer als die Entstehung von Zombieunternehmen ist die ebenfalls von der staatlichen Stabilisierungsorientierung ausgehende Zombifizierung der Gesamtwirtschaft. Indem die Zombieunternehmen vor dem Ausscheiden bewahrt werden, wird auch der Wert des in diesen Unternehmen gebundenen Kapitals erhalten. Durch das Fortbestehen der vielen, unter anderen ökonomischen Rahmenbedingungen wertlosen Unternehmen wird die gesamtwirtschaftliche Kapitalbasis künstlich aufgeblasen.

Der gleiche Effekt geht auch von den besser aufgestellten Unternehmen aus, denn auch sie versuchen die Stilllegung von weniger profitablen Betrieben und die damit verbundene Entwertung von Kapital zu vermeiden. In einer Zombiewirtschaft, in der die Arbeitsproduktivität kaum mehr ansteigt, also auch die Wettbewerber technologisch kaum vorankommen, können solche Betriebe sogar auf Dauer überleben. Obwohl sie wegen oft nur geringer Investitionen technologisch stagnieren, erzielen sie dennoch Gewinne. Daher besteht keine Veranlassung die Betriebe zu schließen und auch das in diesen Betrieben gebundene Kapital bleibt erhalten. So werden nicht nur die kaum profitablen Zombieunternehmen, sondern auch unterdurchschnittlich profitable Betriebe und Unternehmen sowie deren Kapital erhalten.

„Die große Masse der Unternehmen hat über Jahrzehnte die gleichen Symptome wie die Zombieunternehmen entwickelt.“

Die Zombifizierung bedeutet, dass eine immer höhere gesamtwirtschaftliche Kapitalbasis erhalten wird und die in der Gesamtwirtschaft erzielten Gewinne dann dieser höheren Kapitalbasis gegenüberstehen, wodurch auch die Profitabilität der besser aufgestellten Unternehmen negativ beeinträchtigt wird. Es entsteht ein Teufelskreis, indem niedrige Profitabilität die technologische Entwicklung hemmt, dies immer mehr geschwächten Unternehmen ermöglicht, wirtschaftlich über die Runden zu kommen und hieraus erneut eine Schwächung der Profitabilität entsteht.   

Die große Masse der Unternehmen hat daher über Jahrzehnte die gleichen Symptome wie die Zombieunternehmen entwickelt. Wegen schwacher Profitabilität verfügen sie kaum über die erforderlichen Finanzmittel, die erforderlich sind, um die mit hohen Risiken und enormem Kapitalaufwand verbundene Entwicklung und Einführung technologischer Innovationen voranzutreiben. Die technologische Entwicklung bleibt auf wenige hochprofitable Vorreiterunternehmen beschränkt. Weil sich nur noch wenige Unternehmen beteiligen können, wird nicht nur die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts gebremst. Auch die Diffusion dieser Technologien ist blockiert, weil die große Masse der Unternehmen die erforderliche Profitabilität nicht erreicht, um an deren Entwicklung teilzunehmen und diese einzuführen. Nur den „Hidden Champions“, oft mittelständische Weltmarktführer – die jedoch nur etwa 0,5 Prozent der deutschen Unternehmen ausmachen – bescheinigt der Unternehmensberater Hermann Simon, eine hinreichende Rendite. Während diese mehr als das Doppelte des im internationalen Vergleich sehr schwachen deutschen Durchschnitts erreichen, zeige sich „das Bild einer weitverbreiteten Gewinnschwäche deutscher Unternehmen“, so Simon.6

Die direkte Folge dieser Zombifizierung ist eine wirtschaftliche Erstarrung, die alle entwickelten Volkswirtschaften fest im Griff hat. Auch die bisher noch vergleichsweise gut laufende deutsche Wirtschaft ist betroffen, denn auch die hiesigen Unternehmen haben in der großen Masse die für die Zombifizierung typische Investitions- und Produktivitätsschwäche ausgebildet. Nachdem sich die deutsche Wirtschaft im Anschluss an die Finanzkrise wieder berappelt hatte, ist der Industrie ab 2011 nur noch ein minimaler Anstieg der Arbeitsproduktivität von 5 Prozent gelungen. Seit 2017 ist dieser Erfolg jedoch vollkommen zunichte gemacht worden.7 Das heutige Produktivitätsniveau der Industrie ist mit dem des Jahres 2011 identisch.

Die Falschen gerettet

Die Corona-Krise hat der Zombifizierung einen weiteren massiven Schub verliehen. Dieser wurde jedoch nicht durch die Krise selbst ausgelöst und auch nicht durch das Bestreben, die Folgen der Pandemiepolitik bestmöglich durch Wirtschafts- und Sozialpolitik auszugleichen. Verantwortlich ist erneut die wirtschaftspolitische Orientierung, die einseitig darauf hingewirkt hat, eine ohnehin geschwächte Wirtschaft mit allen verfügbaren Mitteln zu stabilisieren. Es wird eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die die unprofitabelsten und unproduktivsten Betriebe zu Lasten der besser aufgestellten Unternehmen behütet.

So kritisiert der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, dass die während der Corona-Krise gezahlten Unternehmenshilfen nicht zielgerichtet den besser aufgestellten Unternehmen helfen, durch die Corona-Krise zu kommen. Hätten die Hilfen an den Betriebsüberschüssen vorangegangener Jahre angesetzt, würden diejenigen Unternehmen stärker unterstützt, die auch vor der Corona-Krise über profitablere Geschäftsmodelle verfügten, so Felbermayr. Bei diesen würde vermieden, dass die Eigenkapitalbasis wegen auflaufender Verluste angegriffen oder gar aufgezehrt wird. Nun sei jedoch zu befürchten, dass viele dieser Unternehmen, sofern sie die Krise überleben, keine Kredite mehr bekommen, ihnen also das Geld für Investitionen fehlt.

„Die üppigen staatliche Subventionen und die erneute Ausweitung der EZB-Maßnahmen zur Gewährung zinsgünstiger Kredite haben viele bereits zuvor angeschlagene Unternehmen vor dem Untergang bewahrt.“

„Wir haben die Falschen gerettet“ resümiert Felbermayr. Denn es würden auch diejenigen gerettet, „die schon vor der Krise kein funktionierendes Geschäftsmodell hatten.“ Diesen Befund bestätigt eine aktuelle Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform und des Leibnitz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die „undifferenzierte Verteilung der Hilfsgelder […] nach dem Gießkannenprinzip“ bewirke bei vielen Unternehmen nur ein zeitverzögertes Ausscheiden. Es schädige die gesünderen Unternehmen zusätzlich, da die verdeckt insolventen Unternehmen weiter am Markt bleiben und im Insolvenzfall ihre Geschäftspartner leichter in die Tiefe reißen können.

Diese Effekte werden noch durch das – seit der Finanzkrise 2008 zur Verhinderung einer Pleitewelle in Deutschland immer weiter aufgeweichte – Insolvenzrecht verschärft. Damals wurde der in der Insolvenzordnung geregelte Überschuldungstatbestand ausgesetzt und nicht wieder hergestellt. Seitdem können Unternehmen trotz Überschuldung recht einfach der Insolvenzantragspflicht entgehen, so dass Überschuldung de facto kein Insolvenzgrund mehr ist, sondern nur noch die Zahlungsunfähigkeit. Ende letzten Jahres hat die Bundesregierung aus Angst vor der anrollenden Insolvenzwelle großer Zombieunternehmen in aller Eile eine EU-Vorgabe umgesetzt, um mit einem weiteren Gesetz nachzulegen. Es zielt darauf ab, vor allem Großinsolvenzen zu verhindern, indem Sanierungen nun auch zu wirtschaftlichen Lasten und gegen den Willen von Gläubigern durchgesetzt werden können.

Auch mit dem Ziel, Insolvenzen zu verhindern, wurden während der Corona-Krise Konjunkturprogramme für Wirtschaftsbereiche aufgelegt, obwohl diese von der Krise kaum oder nicht betroffen waren. Zudem haben die für einige Branchen überlebenswichtigen Hilfen, wie etwa das Kurzarbeitergeld, das weit höher als üblich vom Staat subventioniert wurde, Mitnahmeeffekte bewirkt. Vor allem für bereits zuvor geschwächte Industrieunternehmen, die schon lange vor dem Beginn der Corona-Pandemie unter der 2018 beginnenden Rezession litten, war diese Unterstützung, die weit über traditionelle Krisenhilfen hinausging, wie ein warmer Regen, der ihnen half, auch diese Krise zu überwinden. Diese üppigen staatliche Subventionen und die erneute Ausweitung der EZB-Maßnahmen zur Gewährung zinsgünstiger Kredite haben viele bereits zuvor angeschlagene Unternehmen vor dem Untergang bewahrt.

So ist es trotz des tiefen Einbruchs der deutschen Wirtschaft im vergangenen Jahr gelungen, die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland auf ein Allzeittief seit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 zu drücken. Da ab dem 1. Mai 2021 die zu Beginn der Pandemie ausgesetzte Insolvenzantragspflicht wieder gilt, wird zwar mit einem signifikanten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen gerechnet. Dank des staatlichen Krisenmanagements ist die Insolvenzwelle jedoch entschärft und nun werden nur noch vor allem „kleine, finanziell schwache Unternehmen“, betroffen sein, so Simona Murmann, eine der Autorinnen einer vom ZEW und Creditreform vorgelegten Studie.

Das Mantra der Stabilisierung

Tragisch ist, dass die wirtschaftspolitische Orientierung, die die fortschreitende Erosion der wertschöpfenden Kapazitäten verantwortet, immer mehr Fürsprecher findet, je weiter die Zombifizierung voranschreitet. Die Politik sei zu stark „von Interessengruppen abhängig, die ihre Besitzstände wahren und damit die ‚Zombifizierung´ der Wirtschaft vorantreiben“, schreibt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.

„Unter den Bedingungen einer Zombiewirtschaft, führt die Aushöhlung der wirtschaftlichen Substanz der Unternehmen sogar zu steigenden Gewinnen und Dividenden.“

Von der Zombifizierung profitieren in erster Linie die Vermögenden, denn die in den Unternehmen gebundenen Kapitalwerte werden erhalten und eine schmerzhafte Entwertung dieser Vermögenswerte wird auf Dauer verhindert. Obendrein ist die wirtschaftspolitische und vor allem die geldpolitische Agenda, auf deren Basis alles Erdenkliche (und auch bisher kaum Vorstellbares) zur Erhaltung der Zombieunternehmen getan wird, dafür verantwortlich, dass die Vermögenspreise sogar noch weit über die künstlich hochgehaltenen Kapitalwerte hinaus aufgeblasen werden. So steigen die Aktienkurse, obwohl die große Masse der Unternehmen wegen ihrer schwindenden Investitionen technologisch kaum mehr vorankommt.

Rückläufige Investitionen sind zu einem wichtigen Gewinntreiber geworden. Wenn Unternehmen ihre Investitionen zurückfahren, sinkt ihr betriebswirtschaftlicher Aufwand und folglich steigt der buchhalterische Gewinn. Unter den Bedingungen einer Zombiewirtschaft, in der die große Masse der Unternehmen technologisch stagniert und daher wettbewerblich mehr oder weniger auf der Stelle tappt, führt die Aushöhlung der wirtschaftlichen Substanz der Unternehmen sogar zu steigenden Gewinnen und Dividenden. Es ist absurd, dass die derart generierten Gewinnsteigerungen wiederum die exorbitanten Aktienkurssteigerungen der letzten Jahre und Jahrzehnte rechtfertigen.

Von der Zombifizierung profitieren jedoch nicht nur Aktionäre, sondern wegen der allgemeinen Vermögenspreisinflation etwa auch Eigentümer von Immobilien und Grundstücken. Die Vermögenden sitzen zwar in gewisser Weise auf einem Pulverfass; solange jedoch die Wirtschaftspolitik die konsequente Stabilisierung der letzten Jahre immer weiter vorantreibt und die entwickelten Volkswirtschaften dabei weiterhin am gleichen Strang ziehen, lässt sich sicher noch so mancher von Crash-Propheten als unausweichlich und unmittelbar bevorstehend ankündigte Crash vermeiden lassen. Wenn es diesen Interessengruppen auch weiterhin gelingt, die Erwerbstätigen in Deutschland, die seit Mitte der 1990er Jahre mit praktisch stagnieren Reallöhnen schon jetzt die Zeche zahlen, für die Stabilisierung der Zombiewirtschaft einzunehmen, wird die Wirtschaft nicht wieder auf die Beine kommen.

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