12.08.2024
Wahrer olympischer Kampfgeist
Von Mick Hume
Beim 100-Meter-Lauf der Männer während der Olympischen Spiele kam es zu einem spannenden Finale, jedoch nicht zum größten aller Zeiten.
Das 100-Meter-Finale der Männer am vorletzten Sonntag war alles, was olympischen Sport auszeichnen sollte: spannend, dramatisch und gnadenlos umkämpft. Der Amerikaner Noah Lyles (9,784 Sekunden) kämpfte sich vom letzten auf den ersten Platz vor und gewann Gold mit nur fünf Tausendstelsekunden Vorsprung vor dem Jamaikaner Kishane Thompson (9,789 Sekunden), der Rest lag nur einen Herzschlag dahinter. Zum ersten Mal blieben alle acht Finalisten unter 10 Sekunden.
Wenn es allerdings eines nicht war – wenn ich es wagen darf, dem großen Olympiasieger Michael Johnson (wie auch vielen überschwänglichen Experten) zu widersprechen –, dann das größte 100-Meter-Finale aller Zeiten. Die Uhr zeigt, dass Lyles und Thompson, wenn sie 2012 bei den Olympischen Spielen in London diese Zeiten gelaufen wären, um die Bronzemedaille gekämpft hätten. Weit hinter dem unvergleichlichen Usain Bolt, obwohl sie angeblich auf einer neuen superschnellen Bahn gelaufen sind.
Doch zunächst wollen wir das großartige olympische Spektakel feiern, das 100-Meter-Finale, das Rennen zur Krönung des „schnellsten Mannes der Welt". Für einige von uns Fans der alten Schule fangen die Olympischen Spiele, die ja aus mmer mehr Sportarten bestehen, erst dann richtig an, wenn die Leichtathletik beginnt und den Geist der ursprünglichen Spiele im antiken Griechenland heraufbeschwört. Und die 100 Meter der Männer sind das explosive Herzstück des ersten Wochenendes auf der Bahn, das alle Gedanken an BMX-Fahrradtricks oder Badminton in unter 10 Sekunden vertreibt. Das bemerkenswerte Finale wurde auch diesmal seiner Bedeutung gerecht und machte dem wahren olympischen Geist des Sports alle Ehre.
„In den letzten Jahren wurde zu viel politisiertes Gerede darüber verbreitet, dass es bei den Spielen in Wirklichkeit darum gehe, die Völker der Welt zusammenzubringen usw.“
In den letzten Jahren wurde zu viel politisiertes Gerede darüber verbreitet, dass es bei den Spielen in Wirklichkeit darum gehe, die Völker der Welt zusammenzubringen usw. (es sei denn, man ist Israeli, wie es jetzt scheint). Der Kern des olympischen Geistes wird seit jeher vom Gründungsmotto der modernen Spiele, „Citius, Altius, Fortius" – lateinisch für „schneller, höher, stärker" (im Deutschen meist „schneller, höher, weiter“) – verkörpert. Vor den letzten Olympischen Spielen in Tokio fügte das Internationale Olympische Komitee sogar ein zusätzliches Wort hinzu, nämlich „communiter" – was „gemeinsam" bedeutet –, um angeblich den „integrativen" Geist der Spiele zum Ausdruck zu bringen.
Nun ja, die acht 100-Meter-Finalisten landeten am Ende tatsächlich „gemeinsam" in einem großen Finish. Aber jeder der Olympioniken hat alle Adern fast zum Platzen gebracht, um zu beweisen, dass er den Bruchteil einer Sekunde schneller ist als die anderen.
Nachdem das digitale Zeitmesssystem die ersten beiden um 0,005 Sekunden getrennt hatte, wurde der Silbermedaillengewinner Thompson gefragt, ob er der Meinung sei, dass die Goldmedaille lieber geteilt werden sollte, da sich zwei Hochspringer in Tokio darauf geeinigt hatten, die Goldmedaille zu teilen, anstatt ein Stechen zu riskieren. Die Antwort des bitter enttäuschten Jamaikaners war eine treffende Widerlegung derjenigen, die die Olympischen Spiele zu einem woken Love-in verkommen lassen wollen. „Ich finde, dass es in dem Sport zu sehr um Wettbewerb geht, nichts gegen andere Sportarten!", sagte er. „Es geht zu sehr um Wettbewerb, als dass wir uns eine Goldmedaille teilen könnten."
So ist es, und das zu Recht. Es kann immer nur einen „schnellsten Mann auf Erden' geben.
„Der schnellste Mann der Welt ist natürlich nach wie vor der dreifache 100-Meter-Goldmedaillengewinner Usain Bolt.“
Der schnellste Mann der Welt ist natürlich nach wie vor der dreifache 100-Meter-Goldmedaillengewinner Usain Bolt, der sowohl den Weltrekord von 9,58 Sekunden als auch den Olympischen Rekord von 9,63 Sekunden hält. Als der jamaikanische Koloss in London 2012 die letztgenannte Marke aufstellte, überquerte er die Linie mit einem Vorsprung von 1,5 Metern – eine Meile für einen Sprinter. Kein Fotofinish erforderlich.
Doch selbst der deutlich geschlagene Silbermedaillengewinner von London, Bolts Landsmann Yohan Blake, lief die Strecke in 9,75 Sekunden. Das wäre schnell genug gewesen, um in jedem anderen olympischen 100-Meter-Finale seit Beginn der modernen Spiele im Jahr 1896 Gold zu gewinnen (mit Ausnahme von Bolts erstem Gold in Peking 2008). Der Bronzemedaillengewinner von 2012, Ex-Champion Justin Gatlin, folgte in 9,79 Sekunden – ungefähr die gleiche Zeit, die die Gold- und Silbermedaillengewinner in Paris erzielten. London war sicherlich das größte olympische Finale aller Zeiten.
Anders betrachtet muss ich gestehen, dass der Zyniker in mir beim Anblick des spannenden Zieleinlaufs in Paris einen Moment lang an den etwas abfälligen Ausdruck „sie kamen in einem Haufen ins Ziel" erinnert wurde, der verwendet wird, um einen Wettkampf zu beschreiben, der so knapp war, weil sich kein einzelner Läufer klar vom Rest abhob. Aber wenn man darüber nachdenkt, wäre das sehr unfair gegenüber dem neuen Goldmedaillengewinner und den anderen sieben Olympioniken, die beim Rennen alles für den Ruhm und unsere Unterhaltung gegeben haben.
Es ist niemandes Schuld, dass sie nicht Usain Bolt sein können. Lyles sticht in einer anderen Kategorie besonders hervor. Er ist nun einer der wenigen Spitzenläufer der jüngeren Vergangenheit, die nie wegen Dopings gesperrt wurden. Lyles selbst sagte Anfang des Jahres: „Besonders wenn man über die fünf besten 100-Meter-Zeiten [in der Geschichte] spricht. Bis auf einen sind alle auf dieser Liste gesperrt worden. Irgendwie ist das scheiße.“ Diesre „eine“, der nie gesperrt wurde, ist Bolt. Zu den Spitzenläufern, die bei Dopingkontrollen durchgefallen sind, gehören Blake und Gaitlin. Im knallharten olympischen Kampf darum, wer der schnellste Mann der Welt ist, ist fast alles erlaubt.