08.01.2015

Charlie Hebdo: Ein schwarzer Tag für Europa

Kommentar von Brendan O’Neill

Gestern wurde nicht nur eine Redaktion in Paris angegriffen. Gestern wurde Europa angegriffen. Doch wir sollten unsere Aufmerksamkeit nicht auf äußere Feinde, sondern auf den Umgang mit unseren Werten richten. Es gilt die Redefreiheit ohne jedes Wenn und Aber zu verteidigen, meint Brendan O’Neill

Gestern war ein schwarzer Tag für Europa. Das barbarische Attentat auf das Büro des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo ist in erster Linie ein Angriff auf die dort arbeitenden Journalisten und Zeichner, von denen zehn getötet wurden. Sie wurden eiskalt hingerichtet für die „Sünde“, ihre Meinung geäußert zu haben. Aber dieser Anschlag hat auch Europa an sich zum Ziel, jeden von uns, unsere grundlegenden Rechte auf Gedanken- und Meinungsfreiheit. Niemanden schmerzt das so sehr wie die Freunde und Familien der Opfer – doch wir alle sollten uns angegriffen fühlen. Denn wir sollen stumm werden vor Angst, uns entweder selbst zensieren oder die Konsequenzen spüren.

Die Mitarbeiter von Charlie Hebdo wurden auf brutale Art und Weise dafür bestraft, provokativ, anstößig und blasphemisch zu sein. Wie es vor der Aufklärung üblich war, wurden diejenigen, die sich blasphemisch gegenüber Gott und Glauben äußern, gefoltert und hingerichtet. Sie wurden umgebracht, weil sie Mohammed verhöhnt haben, weil sie einer bestimmten Religion und ihren Symbolen keinen Respekt zollten. Unsere Antwort sollte ein Eintreten für unsere Meinungsfreiheit sein, ganz besonders dafür, jeden Glauben verspotten, provozieren und lächerlich machen zu dürfen. Von Flugblättern gegen feudale Machthaber bis zu Thomas Paines Religionskritik, war Götter und Könige zu beleidigen, gegen die Dogmen der Zeit anzukämpfen, ein zentraler Teil der Aufklärung und hat so seinen Beitrag zur Entstehung der modernen Welt geleistet. Wenn wir uns nicht mit Charlie Hebdo und anderen solidarisieren, die sich keinen religiösen oder politischen Maulkorb aufzwingen lassen wollen, würden wir zentrale Errungenschaften der Aufklärung über Bord werfen. Europa würde sich in ein Zeitalter der Selbstzensur und moralischen Selbstunterwerfung zurückkatapultieren.

Die Versuchung, den Anschlag auf Charlie Hebdo als einen von außen kommenden Angriff auf die Werte der Französische Republik zu deuten, ist groß. Doch hier geht es nicht nur um die Anhänger eines fremden islamistischen Todeskultes. Die traurige Wahrheit ist, dass dieses Massaker in ein deprimierendes Muster des modernen Europa passt. Es verhält sich in Einklang mit dem Trend, Kommentare, Kunst oder Literatur, die kleinen Gruppen von Menschen missfallen, zu zensieren und zu zerstören. Das Attentat ist eine extremere Variante – eine viel, viel extremere – der heutzutage alltäglichen Angriffe der Intoleranz gegen provokante Ideen. Ob es ein Mob ist, der erfolgreich eine Ausstellung verhindert, oder Gruppen, die online die Veröffentlichung von Artikeln oder die Ausstrahlung von Fernsehsendungen verhindern, in unserer Zeit werden verletzte Gefühle oft über Gedanken- und Redefreiheit gestellt. Der Anschlag von Paris ist eine brutalere, blutigere Variante dieses Verlangens, provokante Inhalte im Namen „verletzter Gefühle“ zu vernichten.

„Die beste, zivilisierteste Antwort auf diese barbarische Tat ist das Versprechen, Redefreiheit gegen jeden Angriff zu verteidigen.“

Der Unterschied zwischen dem alltäglichen Kampf gegen anstößige Meinungen und dem gewaltsamen Angriff auf politisch und religiös unkorrekte Journalisten liegt in der Ausführung, dem Grad der Gewalt, nicht in der moralischen Absicht. In allen Fällen geht es darum, jene, die gegen die eigene Meinung verstoßen, zum Schweigen zu bringen, mit Drohungen oder Gewalt. Individuen und Gruppen in ganz Europa fühlen sich legitimiert, aus verletzten Gefühlen moralische Autorität zu gewinnen und damit Ideen oder Inhalte zu zensieren. Überall, von Twitter über Universitäten bis in Moscheen wird die Intoleranz gefördert. Charlie Hebdon wurde tatsächlich nicht nur brutal angegriffen (wie bereits 2011 schon, als ein Brandanschlag auf das Büro verübt wurde), sondern auch nach französischer Gesetzgebung von Muslimen verklagt; wegen Blasphemie und Hetze. In ganz Europa laden Gesetze sowie eine Kultur des Beleidigtseins und der Selbstzensur nun aktiv dazu ein, auf Grund verletzter Befindlichkeiten und unter Einsatz von Machtmitteln unliebsame Meinungen zum Schweigen zu bringen.

Schluss damit. Der Pariser Anschlag zeigt die schrecklichen Gefahren dieser Gegenaufklärung, dieser Abkehr von Gedanken- und Redefreiheit hin zu einer neuen, politisch-korrekten begründeten Intoleranz. Die beste, zivilisierteste Antwort auf diese barbarische Tat ist ein Versprechen: Wir sollten versprechen, Redefreiheit gegen jeden Angriff zu verteidigen, aufzuhören den Beleidigten nachzugeben, keinen Mobs, keinen Kampagnen, keinen Attentätern zu weichen, die meinen, sie hätten das Recht, andere zum Schweigen zu bringen. Vielmehr sollten wir unseren Kampf für die Freiheit, anstößig, provokant und beleidigend zu sein, noch unnachgiebiger führen - im Gedenken an die Journalisten von Charlie Hebdo und im Namen von Freiheit und Aufklärung.

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