26.04.2015
Betreuungsgeld: Der Kitawahn
Von Thilo Spahl
Eine Frau, die ihr Kind nicht von klein auf in die Kita schickt, handelt angeblich dem Nachwuchs und sich selbst gegenüber unverantwortlich. Qualifizierte Erzieherinnen sollen unqualifizierte Eltern ersetzen. Thilo Spahl plädiert für Wahlfreiheit.
Nach der Klage Hamburgs ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Anspruch auf die 150 Euro Betreuungsgeld, die Eltern seit August 2014 erhalten können, wenn sie ihre Kinder vom Beginn des 15. Lebensmonates bis zum Ende des 36. Lebensmonates selbst betreuen, durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wird.[1] Warum hat Hamburg geklagt? „Als Familiensenator ist es mein Job, Kindern unabhängig vom Geldbeutel der Eltern einen frühen Zugang zu Bildung zu verschaffen“, lautet die Begründung von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) im Interview mit der Zeit.[2]
Wer sind die Frevler, die ihren unter dreijährigen Kindern die frühkindliche Bildung versagen? Natürlich Unterschichtseltern und vor allem Ausländer. In den Augen der Gegner des Betreuungsgelds also genau die, für die die Wohltaten der Kitaerziehung in erster Linie bestimmt sind. Das Integrationskonzept vieler, die sich selbst für progressiv halten, besteht darin, Migrantenkinder so gut es geht, dem Einfluss ihrer unqualifizierten Eltern zu entziehen. Für den Kommentator der Berliner Zeitung, Christian Bommarius, haben wir es mit einem No-brainer zu tun: „Dass die Integration von Migrantenkindern in einer Kita leichter gelingt als am Rockzipfel der Mutter, ist offenkundig.“ „Krimineller Unsinn“, sei es, Müttern einen finanziellen Anreiz zu bieten, die eigenen Kinder in den ersten drei Jahren selbst zu erziehen.[3]
Staatliche Elternaufsicht
Aus Sicht der Betreuungsgeldgegner ist die Abschaffung selbstverständlich auch im Interesse der Eltern. Insbesondere die Mütter sollen sich in der Zeit, die sie sonst damit verschwenden würden, den eigenen Kindern Förderung vorzuenthalten, gefälligst um ihre Karriere (an der Supermarktkasse) kümmern. Eine zweijährige Pause einzulegen, wäre auch in dieser Hinsicht höchst unverantwortlich. Laut Bommarius sind die „Nachteile im Berufsleben in aller Regel kaum mehr auszugleichen.“ Am Ende sorgt so das Betreuungsgeld dafür, dass die junge türkische Mutter es nicht in den Aufsichtsrat der Telekom schafft.
„150 Euro reichen bei Weitem nicht, um Mütter gegen ihr eigenes Interesse zu ködern“
Bitte nicht falsch verstehen: Der Anspruch auf einen Kitaplatz ist eine wichtige Errungenschaft, hinter die wir nicht zurückgehen sollten. Jede Frau muss die Chance haben, ihre berufliche Karriere unterbrechungsfrei zu verfolgen. Es ist aber auch jede zu respektieren, die sich diese Auszeit für die Kindererziehung erlauben will. 150 Euro reichen bei Weitem nicht, um sie gegen ihr eigenes Interesse zu ködern.
Mit der Gefahr einer unzulänglichen Erziehung durch die eigene Mutter ist es nicht getan, Scheele wittert weiteren Missbrauch: „Wer seine Kinder in einer privaten Krabbelgruppe betreuen lässt, hat Anspruch auf Betreuungsgeld. Aber wer kontrolliert, ob die Aufsichtsperson auch qualifiziert für die Betreuungsaufgabe ist?“ Diese Kontrolle kann (heute auch in Westdeutschland) offenbar natürlich nur staatliche Aufgabe sein. Und nicht etwa die der Eltern, die womöglich ihre Kinder zu anderen Müttern oder gar der eigenen Oma geben, die sie spielen lassen, statt sie durch einen Frühförderungsparcours zu lotsen und jeden Fortschritt säuberlich zu dokumentieren.
Akademisierung der Erzieherinnen
Womit wir bei einem zweiten Thema wären: der Qualifizierungs- und Wertschätzungsoffensive in Hinblick auf Erzieherinnen. Da diesen heute die Verantwortlichkeit dafür zugeschrieben wird, die Weichen für die spätere Karriere der Kleinen zu stellen und so nebenbei das Integrationsproblem zu lösen und die Chancengleichheit in der Gesellschaft herzustellen, darf es offenbar nicht sein, dass der Beruf weiter von Frauen gewählt wird, deren Schlüsselqualifikation früher darin bestanden hat, dass sie Kinder mögen und geduldig und liebevoll mit ihnen umgehen. Folglich müsse der Beruf akademisiert und entsprechend honoriert werden. In den letzten 6 Jahren sind die Gehälter von Erzieherinnen an kommunalen Einrichtungen laut F.A.Z. vom 24. März um stolze 33 Prozent gestiegen. Dennoch werden in der gegenwärtigen Tarifrunde weitere zweistellige Zuwächse für dringend erforderlich erachtet. Und Familienministerin Schwesig hält es für nötig, die Tarifautonomie zu missachten und zu verkünden, dass ihrer Meinung nach noch deutlich mehr gezahlt werden sollte, als die Gewerkschaften fordern. Der Widerspruch hält sich in Grenzen. Denn es geht ja um das Wohl unserer Kleinen.
„Die Erzieherin wird als Entmündigungsagentin instrumentalisiert.“
Natürlich gönne ich jeder Erzieherin ihr wachsendes Gehalt. Die starke Erhöhung relativiert sich angesichts des sehr niedrigen Ausgangsniveaus. Ich sorge mich allerdings, dass sie und wir es teuer erkaufen. Das Problem ist der ideologische Hintergrund der Neubewertung des Berufs. Die Erzieherin wird als Entmündigungsagentin instrumentalisiert. Sie soll deshalb so gut bezahlt werden, weil sie die Erziehungsaufgabe der Eltern weitgehend übernehmen soll. Und schlimmer noch: Sie soll nebenbei auch noch die Eltern erziehen und überwachen, ob sie sich in allen Fragen des staatlich definierten guten Lebens vom korrekten Frühstück bis zur behelmten Laufradnutzung konform verhalten.
Mit den heutigen Erzieherinnen ist das offenbar nicht zu meistern. „Die Einkommen sind so niedrig, dass aus dem Erzieherberuf ein Job für kinderbegeisterte Idealistinnen mit besserverdienendem Partner wurde. Auch deshalb zieht es bisher wenig Männer in diesen Beruf“, klagt die Zeit-Redakteurin Elisabeth Niejahr.[4] Wollen wir unsere Kleinen etwa „kinderlieben Idealistinnen“ anvertrauen? Wohl kaum. (Sonst könnten wir den Job für 150 Euro im Monat ja glatt selber machen.) Daher muss man schon noch ein bisschen mehr Geld drauflegen, um Kandidatinnen (und Kandidaten!) zu finden, die durch umfassende pädagogische Qualifizierung so weit gebracht wurden, sich in dieser Rolle wohlzufühlen. Die Bezeichnung ist längst weg und nun verschwindet auch Zug um Zug mit jeder weiteren Eskalationsstufe der Kleinkinderbildungsqualitätsoffensive der Beruf der „Kindergärtnerin.“ Schade.