01.11.2005
Begrabt das Waldsterben!
Analyse von Heinz Horeis
Heinz Horeis über einen dringend notwendigen Schlussstrich.
Wird eine neue Bundesregierung, ohne grüne Beteiligung, sich dazu entschließen, das berüchtigte „Waldsterben“ zu begraben? Ein solcher Schlussstrich ist schon lange überfällig. Denn das Land schleppt nun schon seit Jahren mit dem „Waldsterben“ eine Altlast aus grünen Zeiten mit sich herum, die endlich in den Mülleimer der Geschichte gehört. Entstanden ist der Mythos vom „sterbenden Wald“ in den 80er-Jahren; 1984 hatte die damalige Bundesregierung den ersten Waldschadensbericht veröffentlicht. Seitdem kommt es jedes Jahr zu dem gleichen Ritual: Im Spätsommer schwärmen Forstbeamte in die deutschen Wälder. Sie mustern die Kronen von 13.000 Bäumen und bewerteten sie nach dem Grad ihrer Belaubung bzw. Benadelung. Je lichter die Krone, desto kränker der Baum. „Steht man unter einer Fichte und man sieht den Himmel, dann ist der Baum krank“, so hatte der Münchener Forstbotaniker Peter Schütt schon in den 80er-Jahren den Forstleuten geraten.
Die Landesministerien veredeln diese Beobachtungen dann routiniert zur Statistik und machen daraus den jährlichen „Waldzustandsbericht“, früher auch „Waldschadensbericht“ genannt. Die Zahlen sind von Jahr zu Jahr mehr oder weniger gleich, und auch die Kommentare der Ministerien: „Entwarnung kann noch nicht gegeben werden“, heißt es mit schöner Regelmäßigkeit. Und die Umweltverbände sind, wie immer, sehr besorgt.
Ein paar Millionen Euro dürfte dieses alljährlich wiederkehrende Ritual kosten, das Ende der 70er-Jahre in den bayerischen Wäldern begann. Forstämter hatten dort Schäden an Tannen beobachtet. Schütt forderte unverzügliche Untersuchungen des „Tannensterbens“ und erhielt eine Million Mark für ein vierjähriges Forschungsprogramm. Dann traf es die Fichten im Sauerlacher Forst südlich von München. Wilhelm Knabe, Forstwirt aus Nordrhein-Westfalen und Gründungsmitglied der Grünen Partei, sprach nun von einem „Fichtensterben“ und dem „entscheidenden Einfluss der Emissionen“.
Der „unselige Begriff“ (so damals der Freiburger Forstbotaniker Braun) Fichtensterben stieß auf heftigen Widerspruch. Zu Recht – denn es bestand kein Grund zur Panik. Zweifellos zeigten Tannen und Fichten Schäden, doch die hatte es, wie jeder Forstmann wusste, schon immer gegeben. Bäume erkranken an Pilzfäule, werden von Viren befallen oder von Insekten kahlgefressen. Stürme dezimieren die Bestände ebenso wie strenger Frost oder Trockenheit. Schwefeldioxid aus Kohlekraftwerken und Kohleöfen vertrieb einst die Fichten aus Großstädten, bis sie mit sinkenden Emissionen wieder zurückkehrten.
Epidemiewellen ungeklärter Ursache rafften Ende des 19. Jahrhunderts große Tannenbestände in Sachsen dahin. Davor traf es die Buchenwälder in Bayern, und im abgelegenen Ostpreußen hatte es Anfang der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Fichten erwischt. Kein Forstwissenschaftler aber wäre auf die Idee gekommen, daraus ein allgemeines, flächendeckendes Waldsterben abzuleiten.
Wahrscheinlich wäre es auch dabei geblieben, hätte nicht der Spiegel Ende 1981 mit einer dreiteiligen Serie über „Das stille Sterben“ das Thema aufgenommen. Dramatisch schildern die Autoren, wie der „saure Regen“ Bäume, Luft und Nahrung vergiftet. Der Begriff „Waldsterben“ wurde geboren. Kronzeugen waren Forstexperten und Wissenschaftler, etwa der Göttinger Bodenkundler Bernhard Ulrich, der den „sauren Regen“ entdeckt hatte, oder Peter Schütt, der zur wissenschaftlichen Galionsfigur der Bewegung wurde.
„Den noch jungen Umweltverbänden kam der kranke Wald gerade recht; Katastrophen sind schließlich ihre Geschäftsgrundlage. ‚Das Waldsterben hat uns geholfen.‘“
Dramatisierende Journalisten zusammen mit besorgten Wissenschaftlern erwiesen sich als wirkungsvolles Mittel, um die Botschaft zu verkünden. Das „Waldsterben“ breitete sich erstaunlich schnell aus, nicht im Wald, aber in den Köpfen. Jüngeren Waldforschern fällt es schwer, die Gründe dafür nachzuvollziehen. Der Freisinger Botaniker Prof. Jörg Ewald etwa vermutet, dass eine „bestimmte Synchronizität von Ereignissen“ eine Rolle gespielt haben müsse.
Und in der Tat: Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre herrschte in vielen deutschen Köpfen ein Gemenge aus Pessimismus, Zukunftsangst, Selbstzweifel und Lust am Untergang. Globale Abkühlung und eine neue Eiszeit drohten ebenso wie nuklearer Winter und Atomraketen. Der Club of Rome prophezeite das baldige Ende der Ressourcen, und der Bericht Global 2000 zeichnete das düstere Bild einer verarmten, heruntergekommenen Erde. Den noch jungen Umweltverbänden kam der kranke Wald gerade recht; Katastrophen sind schließlich ihre Geschäftsgrundlage. Gerade hatten sich auch die Grünen als Partei organisiert. „Das Waldsterben hat uns geholfen“, erinnert sich Knabe. „Es machte auf drängende Umweltprobleme aufmerksam.“
So nahm die Apokalypse ihren Lauf, und dies vor allem als Medienereignis. Der Spiegel sieht ein „ökologisches Hiroshima“ und ein „gigantisches globales Öko-Sterben“. Schon 1984 sind für den Stern 90 Prozent der Tannen nicht mehr zu retten, und in einem Dossier der Zeit heißt es: „Am Ausmaß des Waldsterbens könnte heute allenfalls ... ein pathologischer Ignorant zweifeln.“
Vor der Öffentlichkeit entfaltete sich ein umfassendes Katastrophenszenario: Grundwasser und Trinkwasser würden rar, Landwirtschaft und Denkmäler nähmen Schaden ebenso wie die menschliche Gesundheit. Alpentäler würden unbewohnbar. Der wirtschaftliche Schaden durch das Waldsterben, so berichtete die FAZ 1987, werde auf 440 Milliarden Mark geschätzt. Fazit, laut Hubert Weinzierl, dem Vorsitzenden des BUND: „Das Sterben der Wälder wird unsere Länder stärker verändern als der zweite Weltkrieg.“
Die wissenschaftliche Unterfütterung lieferte Peter Schütt 1983 mit dem Buch So stirbt der Wald. Darin ist vom „Hinsterben unserer Wälder“ und einer „rasch fortschreitenden Krankheit“ die Rede. Es gehe um „Sein oder Nichtsein und letztlich auch um unsere Daseinsgrundlage“. In der zweiten Ausgabe des Buches von 1985 hatte sich das Waldsterben bereits weltweit ausgebreitet. Auch die Ursache war nun klar. „Verantwortlich für das Waldsterben ist die Gesamtheit der Luftverunreinigungen.“ Man müsse deshalb sofort handeln: Tempolimit, keine Müllverbrennung mehr, Energiesparen.
„Natürlich gab es auch geschädigte Bäume. Aber die zu finden, war gar nicht so einfach. Und auch für die meisten Förster sah der Wald nicht viel anders aus als sonst.“
Kritiker derartiger Alarmprognosen fanden kein Gehör. Natürlich gab es sie. Prof. Reinhard Hüttl, heute Bodenkundler an der TU Cottbus, meint rückblickend, dass die Mehrheit der ernstzunehmenden Wissenschaftler immer eine differenzierte Sicht gehabt habe. Das Heft aber war den Forschern bereits aus der Hand genommen worden. Die Angst und der hohe Handlungsdruck, die der „sterbende Wald“ in der öffentlichen Meinung erzeugte, machten sie zu Getriebenen. Und sie ließen sich gerne treiben, denn mit dem Waldsterben begann auch ein warmer Geldregen zu fließen, Allein von 1984 bis 1994 erhielt die einschlägige Forschung eine halbe Milliarde Mark. Mehr Mittel hatten vordem nur die deutsche Kernforschung und die Raumfahrt erhalten. Bis 1995 wurden mehr als 850 Forschungsvorhaben gestartet, im Schnitt jede Woche eines. Schließlich musste sich eine Forschungsgruppe gar damit befassen, wer denn nun wo was im Wald untersuchte.
Der Forschungsauftrag war klar: Belegt den Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und dem Sterben der Bäume. Denn dass hier die Ursache des Siechtums liege, galt von Anfang an als erwiesen. Derartig „eilig formulierte, wenig hinterfragte Arbeitshypothesen“ sind nach Reinhard Hüttl typisch für die Prognosen von Umweltkatastrophen. Im Zusammenspiel von Wissenschaftlern und Medien entwickle sich dabei eine „Mainstream-Forschung“, welche die Katastrophenprognosen möglichst untermauere. Eine „wissenschaftliche Zweiklassengesellschaft“ entstehe: auf der einen Seite Forscher, die das Thema orientiert am Mainstream vorantriebe; auf der anderen „seriöse Wissenschaftler“, die sich differenziert mit kritischen Arbeitshypothesen auseinander setzten. Bevorzugt gingen die Mittel dabei in Projekte, die die Katastrophenthese stützen. Kritische Forschung geriet so automatisch ins Hintertreffen. „Das Waldsterben,“ so Hüttl, „bildete so einen sich selbst verstärkenden Teufelskreis. Es gab kein Pro und Contra mehr, das für den wissenschaftlichen Diskurs so wichtig ist.“
Natürlich gab es auch geschädigte Bäume. Aber die zu finden, war gar nicht so einfach. Der Spaziergänger im Wald sah vor allem Grün. Gesund schienen auch die Wälder längs der Autobahnen und viel befahrenen Straßen, wo doch die Belastung durch Schadstoffe besonders stark hätte sein müssen. Und auch für die meisten Förster sah der Wald nicht viel anders aus als sonst. Für sie waren damals lichte Kronen an Bäumen nichts Ungewöhnliches. Und recht hatten sie: Der Münchener Botaniker Prof. Otto Kandler (einer der wenigen Wissenschaftler, die sich unbeirrt gegen den Strom stemmten) verglich Fotos von Bäumen aus alten Forstberichten mit nunmehr geltenden Schadensbildern. Was damals als guter Zustand galt, so fand Kandler, wurde nunmehr als „sterbender Wald“ beurteilt. Das Ganze also nur eine Frage der Wahrnehmung?
Auf der Suche nach Waldruinen mussten die Fotografen jedenfalls weit fahren. Fündig wurden sie etwa im Bayerischen Wald oder im Fichtelgebirge. Dort konnten sie umgestürzte Bäume fotografieren, davor Förster mit sorgenvoller Miene, im Hintergrund nackte Baumstümpfe, Fichten mit dürren Ästen, die Nadeln abgefallen, die Kronen abgebrochen. Dumm nur, dass diese Kronzeugen des Waldsterbens nichts mit den „neuartigen Waldschäden“ zu tun hatten. Es waren die altbekannten Rauchschäden an Fichten, hervorgerufen durch bei der Verbrennung von Kohle freigesetztes Schwefeldioxid. So hatten Rauchschäden im Laufe der Industrialisierung die Fichten schon frühzeitig aus Industrie- und Ballungsgebieten vertrieben.
Was also als Beleg für ein allgemeines, flächendeckendes Waldsterben dienen musste, waren lokal begrenzte Schäden. Er betraf nicht alle Baumarten, sondern die Fichte. Und auch ihre Ursache war nicht die „Gesamtheit aller Luftschadstoffe“, sondern eindeutig der Schadstoff Schwefeldioxid. Seit mit dem Ende des Sozialismus die tschechischen und ostdeutschen Kohlekraftwerke stillgelegt oder umgerüstet wurden, wachsen auch die Fichten im Erz- oder Fichtelgebirge wieder.
Ansonsten brachten 20 Jahre Waldforschung zwar einen bunten Strauß an Hypothesen. Aber eine allgemeine Schädigung durch Luftschadstoffe haben die Forscher nicht belegen können. So sollen Stickoxide aus dem Straßenverkehr im Boden über eine lange Ereigniskette dazu führen, dass Bäume an Nährstoffmangel leiden. Diese Hypothese hat sich genauso wenig belegen lassen wie die Vorstellung, dass das Ozon die inneren Blattorgane schädige. Die Einführung des Katalysators, damals mit dem Waldsterben begründet, dürfte deshalb auf die Bäume herzlich wenig Einfluss gehabt haben. Immerhin brachte er den Stadtbewohnern bessere Luft, und das ist ja auch ganz schön.
Eine weitere Folge des „Waldsterbens“ ist der faktische Stopp für den Bau neuer Müllverbrennungsanlagen, da sie angeblich zu viele Schadstoffe in die Luft abgeben. Seitdem sortieren Deutschlands Bürger ihren Müll; ein ganzer Industriezweig recycelt ihn, so gut es geht. Und wenn es nicht geht, werden Joghurtbecher und Plastikflaschen auch schon mal ins Ausland exportiert. Den Verbraucher kostet das etliche Milliarden pro Jahr – bei fragwürdigem Nutzen. Die Akademie für Technologiefolgenabschätzung Baden-Württembergs hat jedenfalls vor drei Jahren empfohlen, die Mülltrennung erheblich zu vereinfachen und die energetische Verwertung (Verbrennung) wieder als gleichrangig zuzulassen.
Der erste Waldschadensbericht erschien 1984. Er zeichnete ein düsteres Bild, das auch in den Jahren danach kaum besser wurde. Jahr um Jahr waren die Wälder zu 60 Prozent, 70 Prozent oder mehr geschädigt. Erstaunlich nur, dass bereits Ende der 80er-Jahre Forstwissenschaftler über breiten Zuwachs im Gehölz berichteten. 1995 stellte Heinrich Spiecker eine Studie des Europäischen Forstinstitutes über Wachstumstrends in europäischen Wäldern vor. Ergebnis: der Wald wächst schneller, und die Bäume werden immer älter. Zwischen 1950 und 1990, so die Messungen, sei das Gesamtholzvolumen der europäischen Forste um schätzungsweise 43 Prozent angestiegen.
Die Studie ließ noch einmal die Wellen hochschlagen. Der Spiegel titelte: „Der Wald wächst sich zu Tode“; Umweltverbände unterstellten Spiecker, er werde von der finnischen Holzindustrie bezahlt (Spieckers Frau ist Finnin); Kollegen rügten ihn: „Freiburg ist eine grüne Stadt. Da macht man so etwas nicht“. Doch im selben Jahr rückte auch Bernhard Ulrich, zuvor prominenter Verfechter des Waldsterbens, von dieser Idee ab: „Die Hypothese, das der Wald in absehbarer Zukunft großflächig abstirbt“, so schrieb er, „lässt sich durch Daten nicht belegen und kann aufgegeben werden.“
Drei Jahre später ruderte auch die Schweizer Waldforschung zurück. In einem internen Rundbrief stellte der Direktor der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) Mario Broggi 1997 fest: „Ein Waldsterben gab und gibt es bei uns nicht.“ Fakten gegen das Waldsterben lieferten vor drei Jahren auch Karl-Eugen Rehfuess, Münchener Professor für Bodenkunde, und Jörg Ewald, Professor für Botanik an der Fachhochschule Weihenstephan, die ein 350 Quadratkilometer großes Waldgebiet in den Alpen rund um Garmisch-Partenkirchen auf neuartige Waldschäden untersucht hatten. Diese Bergwälder wachsen in so genannten Reinluftgebieten. Lokale Belastungen etwa durch Rauchgase gibt es nicht. Wenn irgendwo, dann müssten dort in den Alpenwäldern die flächendeckenden Schäden durch Luftschadstoffe („saurer Regen“) zu finden sein, die im Mittelpunkt der These vom Waldsterben stehen.
„Nur künstliche Beatmung hält das Waldsterben noch am Leben.“
Auf den ersten Blick scheint das auch der Fall zu sein. Fast die Hälfte der Fichten und 40 Prozent der Buchen hatten eine Kronenverlichtung von mehr als 25 Prozent. Nach gängiger Definition ist das ein „deutlicher Schaden“, und das entspricht dem Bild vom siechenden Bergwald, das immer noch in den Köpfen steckt. Bei genauerer Untersuchung fanden Rehfuess und Ewald allerdings, dass die Bäume umso weniger Nadeln und Blätter trugen, je nährstoffärmer der Boden war. Und auch das Alter der Bäume spielte eine wichtiger Rolle: je älter der Baum, desto weniger Nadeln oder Blätter trug er. Die Forscher ziehen den Schluss: der Zustand der Bäume des Bergwaldes lässt sich völlig mit ihrer Nährstoffversorgung und ihrem Alter erklären. Hinweise auf einen Einfluss von Luftschadstoffen ergeben sich dagegen nicht.
„Beim Waldsterben haben alle schlecht abgeschnitten – Wissenschaftler ebenso wie Politiker, Medien und Umweltverbände.“
Zu wenig Nährstoffe und Alter als Ursache für schlechtes Aussehen – brauchte es dafür 20 Jahre Waldforschung? Das wussten Förster und Forstexperten auch schon früher. War also der Aufruhr um das Waldsterben nur ein grotesker Irrweg? Jörg Ewald ist geneigt, dem zuzustimmen: „Was immer die Waldzustandsstatistik in den vergangenen Jahren aussagte, die Bäume in den Alpen sehen nach wie vor so aus, wie sie immer aussahen.“
Nur künstliche Beatmung hält das Waldsterben noch am Leben. Und ein paar alte Reflexe sind geblieben. So ignorierte das Bayerische Umweltministerium die Bergwaldstudie und gab erneut den üblichen Waldzustandsbericht heraus. Auch die Medien übergingen die Arbeit von Rehfuess und Ewald – mit Ausnahme von Spiegel und NZZ. Die Wissenschaft regiert da schon feinfühliger auf den Stimmungswandel: „Außer einem oder zwei Kollegen, die noch der These von der Bodenversauerung anhängen, widersprach niemand unserer Studie“, sagt Ewald. Die Forscher haben das Interesse an dem Thema verloren. „Es ist,“ so Ewald, „einfach ausgelutscht.“ Karriere, so wie früher, lässt sich damit nicht mehr machen.
War es das also? Nicht ganz. Etwas Vergangenheitsbewältigung und Selbstkritik wären schon angebracht. Aber das will nicht jeder: Die frühere Galionsfigur Peter Schütt gibt keinen Kommentar; mancher Medienkollege hat einfach das apokalyptische Pferd gewechselt und ist vom Waldsterben auf die Klimakatastrophe umgesattelt. Immerhin Otto Kandler sieht in der Geschichte „eine große Blamage für die deutsche Biologie“. Heinrich Spiecker verweist darauf, dass viele Wissenschaftler gewusst hätten, dass beim Waldsterben die Voraussetzungen nicht stimmten. Dennoch, so seine Kritik, hätten sie geschwiegen und sich damit der Verantwortung entzogen. Er sieht nur Verlierer: „Beim Waldsterben haben alle schlecht abgeschnitten – Wissenschaftler ebenso wie Politiker, Medien und Umweltverbände.“
Letztlich war das Waldsterben keine wissenschaftliche Hypothese. Es war vor allem ein politischer Irrweg, der richtig viel Geld gekostet hat und noch kostet: über eine halbe Milliarde für Forschung, etwa ebenso viel für Sanierungsmaßnahmen wie das Kalken von Wäldern, viele Milliarden für das fragwürdige Konzept einer überzogenen Mülltrennung. Das Geld hätte man auch woanders investieren können, etwa in die Bildung. Dann hätten Deutschlands Schüler bei PISA vielleicht besser abgeschnitten.
Das Waldsterben ist mittlerweile zu einer Altlast geworden – typisch für die „blockierte Republik“, Teil des lähmenden Gespinstes aus Besitzständen, Pfründen und gedankenlosen Ritualen, das sich wie Mehltau über die Gesellschaft gelegt hat. Es ist an der Zeit, das Waldsterben endlich zu Grabe zu tragen – offiziell und öffentlich.