31.10.2025
Begegnungen im Stadtbild
Was eine junge Frau in einer deutschen Universitätsstadt so erlebt, passt zu den „Stadtbild“- und „Töchter“-Aussagen von Kanzler Merz. Sie vermisst Sachlichkeit in der Auseinandersetzung.
Ein Stadtbild ist nicht nur aus Beton und Glas gebaut, sondern auch aus Meinungen, Begegnungen und dem Respekt, den wir einander entgegenbringen. Wer glaubt, man könne all das ausblenden, was nicht ins eigene Bild passt, verkennt: Demokratie lebt von Vielfalt und Aushandlung.
Die Debatte über das Stadtbild in Deutschland wurde nicht durch die Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz („Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem […]“) ausgelöst. Vielmehr war sie längst überfällig. Es geht nicht nur um Beton oder Straßengestaltung – unsere Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, in dem Konflikte zwischen Miteinander und Gegeneinander deutlich werden und manche anderen Ihre Meinungen aberkennen zu versuchen – durch Einschüchterung. Während linke Kräfte zu Demonstrationen gegen rechts aufrufen und sich als die Verfechter einer offenen Gesellschaft verstehen, fehlt oft der konstruktive Austausch über die tatsächlichen Probleme auf der Straße und in unserer Gesellschaft.
Als junge Frau mit Anfang 20 erlebe ich diese Probleme täglich, wenn ich durch die Innenstadt Bonns gehe. An U-Bahn-Stationen werde ich von jungen Männern angesprochen, die kein Deutsch sprechen, auf meinen Körper schauen oder mich beobachten. Worte wie „geil“ fallen, Lippen werden geleckt, und sie stellen sich mir in den Weg. Häufig sind diese Begegnungen begleitet von Marihuana- oder Alkoholgeruch. Wenn ich aus Sorge ein Taxi nehme, erhalte ich Aussagen wie: „Ich kann dich jetzt einfach mit in die Türkei nehmen und dich heiraten, ob du willst oder nicht.“ Im folgenden Moment höre ich die Autotürverriegelung klicken. In diesen Momenten wird deutlich, wie unsicher öffentliche Räume für Frauen sein können.
Ich komme aus der Eifel und dachte lange, es handele sich um Einzelfälle. Doch diese Erlebnisse wiederholen sich tagtäglich. Egal, ob Rock oder Jeans – die Gefahr bleibt. Ich bin die Tochter, von der Merz sprach, und wer leugnet, dass solche Erfahrungen existieren, verleugnet Opfer sexueller und verbaler Übergriffe.
„Demonstrationen, die Täter stützen, statt Opfer zu schützen, offenbaren eine Doppelmoral unserer Gesellschaft.“
Diese Debatte dreht sich nicht um ethnische Herkunft, sondern um die Männer, die gesellschaftliche Werte nicht respektieren. Frauen werden als Objekte betrachtet, Machtmissbrauch wird toleriert, und der Staat versäumt es, präventiv zu handeln und Integration zu fördern. Jedoch spielt dort ebenso die gezielte Abschiebung von Straftätern eine große und relevante Rolle. Täter verkennen grundlegende Werte: Sie spucken auf den Boden, werfen Müll, konsumieren Drogen, respektieren andere nicht. Wir tragen als Gesellschaft eine Mitschuld, aber es liegt auch an uns, diese Entwicklung zu korrigieren.
Wir leben in einer Zeit, in der Frauen emanzipiert sind und Kleidung frei wählen können – dennoch schützt uns diese Freiheit nicht vor Belästigung. Demonstrationen, die Täter stützen, statt Opfer zu schützen, offenbaren eine Doppelmoral unserer Gesellschaft. Wenn dies noch von den Parteien ausgeht, welche zuvor die Strafbarkeit des Catcalling gefordert haben, wirkt es noch perfider.
Die Auseinandersetzung um das Stadtbild ist eine Frage darüber, wer wir als Gesellschaft sind und wer wir sein wollen. Viele demonstrieren gegen Merz, doch dagegen zu sein ist der einfachste Weg. Den Dialog zu führen, ist anstrengender, aber notwendig. Es geht um Sicherheit, Ordnung, Respekt und ein Stadtbild, in dem sich Menschen aller Herkunft wohlfühlen können. Der Ton in der öffentlichen Debatte fehlt oft – viele schreien, wenige diskutieren sachlich.
„Ich als junge Frau fühle mich oft nicht gesehen und respektlos behandelt, wenn meine Wahrnehmung als ‚rechts‘ abgetan wird.“
Wir müssen eine funktionierende Mitte finden, die Debattenkultur stärken und Mut zeigen. Es geht nicht um rechts oder links, sondern um die Fähigkeit, fundiert und respektvoll zu diskutieren. Extremismus, egal welcher Seite, schadet der Gesellschaft. Nur durch Zuhören, Verstehen und Zusammenarbeit können wir eine stabile Demokratie erhalten. Die zentrale Frage bleibt: Lassen wir uns dadurch spalten oder entscheiden wir uns aktiv für das gemeinsame Wachstum?
Die Stadtbild-Debatte war überfällig, weil sie tiefere gesellschaftliche Probleme aufzeigt. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die Frage: Wer wollen wir in Zukunft sein? Eine Gesellschaft, in der sich jeder jederzeit vollkommen sicher fühlt, wird es nie geben. Aber wir können eine Annäherung wagen, statt uns in Spaltung und Aggression zu verlieren.
Ich als junge Frau fühle mich oft nicht gesehen und respektlos behandelt, wenn meine Wahrnehmung als „rechts“ abgetan wird. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern darum, die Mitte unserer Gesellschaft zu stärken – sachlich, respektvoll und konstruktiv. Nur so bleibt unsere Demokratie stabil und unsere Stadt wirklich lebenswert.
 
						
						