01.02.2012

Autofahrer haben ausgequalmt

Analyse von Rob Lyons

Das moderne Expertentum ist die Moralapostelkaste unserer Zeit. Mit Hilfe pseudowissenschaftlicher Kampagnen sollen persönliche Verhaltensweisen staatlicher Regulierung unterwerfen werden. Über eine Kampagne in Großbritannien, die das Rauchen in Autos verbieten möchte.

Anlässlich eines entsprechenden Beschlusses auf seiner letztjährlichen Jahresversammlung hat der Britische Ärzteverband (BMA) ein Dossier veröffentlicht, in dem ein vollständiges Rauchverbot in privaten Kraftfahrzeugen gefordert wird. Ganz abgesehen von einer sehr fragwürdigen Untermauerung mit Fakten ist der Vorschlag ein gutes Beispiel dafür, wie heutzutage moralische Forderungen in die Sprache der Wissenschaft gekleidet werden.

Die Hauptaussage des Dossiers lautet: Durch Rauchen in Fahrzeugen werden Nichtraucher starken Konzentrationen von Chemikalien aussetzt. Dies sei ganz im Allgemeinen, insbesondere aber für Kinder gefährlich. Das Rauchen sei zudem eine Ablenkung vom Straßenverkehr, die das Risiko von Verkehrsunfällen erhöhe. Weiter liest man: Die öffentliche Meinung stehe Rauchverboten grundsätzlich wohlwollend gegenüber, zumal ein derartiges Verbot lediglich eine Ausweitung schon bestehender Regelungen wäre. Auch solle Großbritannien nicht den Anschluss an andere Länder verlieren, die bereits Rauchverbote in Kraftfahrzeugen eingeführt haben.

Unbestritten ist, dass aktives Rauchen das Risiko der Betroffenen erhöht, an Lungenkrebs und Atemwegsbeschwerden zu erkranken, und auch mit erhöhten Risiken anderer Erkrankungen in Verbindung zu stehen scheint. Doch die Prohibitionsbefürworter müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten, wenn sie den Rauchern das Recht verwehren wollen, ihre eigenen Gifte zu genießen, zumal dann, wenn nur sie selbst davon geschädigt werden. Deshalb haben die Antirauch-Aktivisten ja auch die Idee in Umlauf gebracht, das Rauchen anderen Menschen schade, den so genannten „Passivrauchern“, die den Rauch unfreiwillig einatmen. Das Problem dabei: Auch wenn die Idee plausibel erscheinen mag, deutet die Beweislage darauf hin, dass „Passivrauch“ – wenn überhaupt – nur ein sehr geringes Risiko mit sich bringt.

Und doch wird so etwas unsere Gesundheitswächter nicht davon abhalten, auch noch das fadenscheinigste Indiz zu nutzen, um Politikern die weitere Einschränkung der Freiheit der Raucher schmackhaft zu machen. Nachdem sie erfolgreich ein Rauchverbot in der „Öffentlichkeit“ durchgesetzt haben (und damit an vielen Orten, die sich, wie Kneipen, in Wahrheit in Privatbesitz befinden), wollen die Aktivisten jetzt auch in den Privatbereich eingreifen. Da ein Rauchverbot in Privatwohnungen derzeit wohl noch etwas zu weit ginge, setzt man eben den Hebel am Privatwagen an, genauer: an den Auswirkungen, die das Rauchen im Auto mutmaßlich auf Kinder mit ihren sich noch entwickelnden Körpern habe.
Um die vermeintlichen Gefahren zu illustrieren, behauptet das BMA-Pamphlet, das Zusammenleben mit einem Raucher erhöhe das Risiko eines Kindes auf plötzlichen Kindstod, Infektionen der unteren Atemwege, Asthma, Mittelohrentzündungen und bakterielle Hirnhautentzündung. Tatsächlich sind dies aber vermutete Zusammenhänge, und keineswegs bewiesene Kausalitäten, was die BMA aber nicht davon abhält, sie trotzdem als nachgewiesene Rauchfolgen zu behandeln. [1]

Und dann geraten wir erst Recht in fragwürdige Sphären. Als Erstes geht die BMA ganz einfach davon aus, dass Kinder im Auto regelmäßig Rauch ausgesetzt sind. „In England rauchen geschätzte dreißig Prozent der Raucher in ihren Fahrzeugen, und mehr als die Hälfte der Fahrten, die von Kindern unter 16 Jahren unternommen werden, erfolgen in Privatfahrzeugen. Es ist wahrscheinlich, dass Privatfahrzeugen ein wesentlicher Anteil an der Passivrauchexposition von Kindern zukommt.“ Aber der letzte Satz ergibt sich nicht logisch aus den Vorangegangenen. Wie eine Studie in der Zeitschrift Tobacco Control aus dem Jahre 2007 feststellt, gibt es „einen ausgeprägten Langzeittrend in Richtung rauchfreies Zuhause, selbst wenn die Eltern Raucher sind“. Mit anderen Worten: Ein nennenswerter Teil der Eltern raucht bereits jetzt nicht mehr in Gegenwart ihrer Kinder.

Weiterhin behauptet das BMA-Dossier: „Eine Studie der Britischen Lungenstiftung (BLF) hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte (51%) der Acht- bis Fünfzehnjährigen Zigarettenrauch ausgesetzt gewesen sind, während sie sich in einem Fahrzeug befanden.“ Bei dieser „Studie“ handelt es sich um eine Pressemitteilung, die auf einer Umfrage unter 1.000 Kindern beruht. Wie weiland Tony Blair, als er nach Beweisen für Saddams „Massenvernichtungswaffen“ wühlte, muss man auch heute noch jedes Beweisfitzelchen aufblähen, wie schwach es auch sein mag.

Und nun folgt eine Scheinwahrheit, die in einem ernstzunehmenden Dokument über das Rauchen keinen Platz haben sollte: „Weitere Studien zeigen, dass die Giftstoff-Konzentration in einem verrauchten Fahrzeug 23 mal so hoch ist wie in einer verrauchten Kneipe, selbst unter realistischen Lüftungsbedingungen“, so behauptet die BMA. Nun hieß es aber schon vor einiger Zeit in einem Artikel im Canadian Medical Association Journal: „Wir empfehlen, Forschern und Organisationen, die Scheinwahrheit von der dreiundzwanzigfachen Toxizität nicht mehr zu verwenden, da dafür kein Beweis in der Fachliteratur vorliegt.“ Es handelt sich nicht um eine Tatsache, sondern um ein Gerücht, das von Anti-Rauch-Aktivisten per „Stiller Post“ endlos wiederholt wird.

Tatsächlich widerspricht diese mutmaßliche Scheinwahrheit einer Studie, die sogar als Literaturnachweis für sie zitiert wird. Diese wurde im American Journal for Preventive Medicine veröffentlicht und enthält einige Messungen zur Frage, wie rauchig es in Autos nun wirklich wird. Diese Studie fand Partikel-Konzentrationen (d.h. Feinstaub) von 272 Mikrogramm (Millionstel Gramm) pro Kubikmeter Raumluft in einem Wagen mit geschlossenen Fenstern und 51 Mikrogramm pro Kubikmeter bei offenen Fenstern. Zum Vergleich: Die Werte für Kneipen waren entweder vergleichbar (durchschnittlich 206 Mikrogramm in Raucherbars in Massachusetts) oder erheblich höher (412 Mikrogramm im Raucherbars im Staat New York). [2]

Mit anderen Worten: Wenn man es wie die übergroße Mehrheit der Raucher im Auto handhabt und beim Rauchen das Fenster öffnet, sacken die bereits zuvor äußerst geringen Feinstaubwerte unter die verrauchter Kneipen und noch tiefer, sobald die Zigarette ausgemacht wird. Trotzdem fordert die BMA auf Grundlage einer derart hauchdünnen und flüchtigen Beweislage, jegliches Rauchen in Privatfahrzeugen zu verbieten. Wenn Antirauch-Aktivisten eines sind, dann sind sie dreist.

Moralisierende Pseudowissenschaft

In Wahrheit hat die Forderung nach Prohibition nicht das Geringste mit wissenschaftlichen Beweisen zu tun, sondern mit moralisierender Verbotsmanie. Das Dossier erinnert an das an die Regierung des Vereinigten Königreiches herangetragene Begehren der BMA, bis zum Jahre 2035 doch bitteschön eine tabakfreie Gesellschaft zu erreichen. Im Wesentlichen verabscheuen die BMA-Oberen den Gedanken, Sie oder ich könnten uns für eine genussvolle Tätigkeit entscheiden, die möglicherweise dazu geeignet ist, unsere Lebenszeit zu verkürzen. Diese kleinlichen Puritaner halten es für ihr gottgegebenes Recht, uns vorzuschreiben, wie wir zu leben haben. Und an den Schalthebeln der Macht sammeln sich mehr und mehr Politiker und Bürokraten, die dieses Empfinden teilen.

Es gibt durchaus ein moralisches Argument in Hinblick auf das Rauchen im Auto. Man kann mit Recht argumentieren, es sei in einem derart beschränkten Raum durchaus etwas asozial, in Gegenwart anderer zu rauchen, wenn diese das als belästigend wahrnehmen. Die meisten würden dieses Problem durch einen Kompromiss zwischen dem Rauchverlangen des einen und dem Wunsch des anderen nach frischer Luft lösen.

Doch moralische Argumente gegen schlechtes Benehmen oder abträgliche Gewohnheiten tragen heute offenbar nicht mehr. Seit Jahren hören wir, dass wir unsere eigenen Entscheidungen über Gott und die Welt treffen müssen, da es einen klaren Sittenkanon nicht mehr gebe. Was durchaus auch positiv sein mag, denn wer will schon, dass eine höhere Macht bestimmt, wie man sein Leben zu führen hat? Doch an die Stelle der früheren sittlich oder religiös geprägten moralischen Ermahnungen, unser Verhalten zu ändern, sind inzwischen pseudowissenschaftliche Kampagnen getreten, die unsere persönliche Fähigkeit frei zu entscheiden, was wir als gut und was als schlecht werten, schon im Ansatz in Frage stellen und folglich fordern, unser Verhalten staatlicher Regulierung zu unterwerfen.

Und der britische Chef-Moralapostel ist der BMA-Vorstand für Wissenschaft und Ethik, Vivienne Nathanson, eine Frau, die an puritanischen Tugendwächter vergangener Tage erinnert. Mit dem einzigen Unterschied: Nathanson will das Rauchen (und Trinken) verbieten, und nicht, wie ihre historischen Vorbilder, „Schund und Schmutz“ im Allgemeinen.  Doch Nathanson und all die anderen Tugendwächter aus dem modernen Expertenpriestertum, die ihre Verachtung gegenüber den Gewohnheiten des einfachen Volks so gerne hinter ‚evidenzbasierten Politikempfehlungen‘ verstecken, sind letztlich noch schlimmer.

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