13.03.2019

Aufstand der Aufstehenden?

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Sven Teschke via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Anlässlich Sahra Wagenknechts Rückzug von ihrer Initiative „Aufstehen" lässt sich fragen, ob dieses Projekt für progressiven Populismus taugt oder versanden wird.

Kann es gelingen, in Deutschland eine linke populistische Bewegung aufzubauen? Jeder, der etwas sozial verändern will, müsse sich wünschen, dass Menschen auf die Straße gehen, sagte Sahra Wagenknecht im Dezember, drei Monate nachdem sie ihre Initiative Aufstehen ins Leben gerufen hatte. Sie wolle die Straße nicht länger Pegida und den Rechten überlassen – und wenn sich nichts ändere, dann sei dieses Land in fünf oder zehn Jahren nicht mehr wiederzuerkennen, warnte sie.

Drei Monate später hat sich Ernüchterung breit gemacht. Zwar registrierten sich über 170.000 Unterstützer auf der Aufstehen-Webseite, aber an einer „Bunte-Westen“-Demonstration unter dem Motto: „Wir sind viele. Wir sind vielfältig. Wir haben die Schnauze voll“ nahmen weniger Personen teil als erhofft. Nur etwa 2000 gingen in 14 Städten für bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bildung und bessere Pflege auf die Straße. Nun, im März, hat Wagenknecht angekündigt, sich zurückziehen zu wollen. Die Bewegung könne besser gedeihen, wenn sie denen übergeben wird, die sie an der Basis ohnehin tragen.

War es das also? Man könne keine Bewegung von oben beschließen, Deutschland sei nicht Frankreich und Aufstehen werde sich Schritt für Schritt von selbst erledigen, hatte Gregor Gysi bereits im Februar prophezeit. Doch unabhängig davon, ob er recht hat, ist die Distanz, mit der die Linkspartei auf die Bewegung reagierte, interessant. Warum stieß Aufstehen, dessen Ziel es ist, AfD-Wähler zurückzugewinnen und dem rechten Populismus eine linke Alternative entgegenzusetzen, auf so viel Ablehnung? Die Antwort ist, dass die Initiative die ungelösten Spannungen innerhalb der Linkspartei verdeutlicht. In der Kritik an Wagenknecht zeigen sich die Schwierigkeiten der Parteiführung, mit dem neuen Populismus umzugehen.

„Die Linkspartei hat sich von ihren früheren, radikaleren Positionen Schritt für Schritt verabschiedet.“

Traditionell richtete sich die Politik der Linken an ungefähr dieselbe Wählerschicht, die heute zur Zielgruppe der AfD zählt. Bei der Bundestagswahl 2017 verlor die Linke 430.000 Wähler an die AfD. Aber das ist nur die eine Hälfte der Geschichte, denn die Partei konnte auch neue Wähler von der SPD und den Grünen dazugewinnen. Verschoben haben sich zudem die Hochburgen der Partei – weg von den ländlichen Regionen im Osten oder den Industrieregionen und hin in die trendigen Stadteile Hamburgs, Kölns oder der Universitätsstädte. Mit 9,2 Prozent der Stimmen erzielte die Partei 2017 ihr bisher zweitbestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl.

Gleichzeitig änderte sich der politische Fokus der Partei, die sich ein neues Image zulegte. Lang scheint es her, dass die Linke noch als ebenso gefährlich galt wie die heutige AfD. Als hemmungslos populistisch und demokratiebedrohend bezeichnete 1994 ein Autor die PDS (die Vorgängerpartei der Linken) in der Zeit. Mit Sorge wurden die Wahlerfolge der Partei im Osten betrachtet, die ab Mitte der 1990er Jahre Millionen von Protestwählern anzog. Doch mit dem Aufstieg der AfD wurde die Linke immer respektabler – allerdings zum Preis, dass sie sich von ihren früheren, radikaleren Positionen Schritt für Schritt verabschiedet hat. Ein Beispiel dafür lieferte der jüngste Parteitag im Februar, der mit einem klaren Bekenntnis zur EU endete: „Wir treten an, weil wir die europäische Integration wollen“. Europa müsse reformiert werden, war die Kompromissformel an all diejenigen, für die die EU nach wie vor eine neoliberale und undemokratische Institution ist.

Die Linke hat sich auch vielen anderen grün-liberalen Mittelschichtsthemen geöffnet: vom Umweltschutz und dem Kampf gegen den Klimawandel über die Frauenquote bis hin zur Flüchtlingspolitik. Damit aber hat sie Wähler, die sich in dieser Politik nicht wiedererkennen, abgeschreckt. Bisher fiel Sahra Wagenknecht die Rolle zu, diese Wähler weiterhin anzusprechen. Gleichzeitig aber wurde sie zunehmend als Querschießerin und Störenfried empfunden. Ähnlich wie die Grünen sahen auch Teile der Linken ihre Aufgabe darin, sich als die größten Gegner des neuen Populismus darzustellen – und das passte schlecht mit Wagenknechts Haltung zusammen. Auf viel Kritik stieß ihre Äußerung im Juni 2016, dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen große Probleme verursachen werde. Ein Jahr später behauptete sie, Angela Merkel habe mit ihrer unkontrollierten Grenzöffnung den islamischen Terror erst ermöglicht. „Team Kipping gegen Team Wagenknecht“ titelte die F.A.Z. daraufhin vor dem Parteitag 2018 und spielte auf die tiefe Spaltung innerhalb der Linken an.

„Ein progressiver Populismus, der die Debatten zurück auf die Straße bringt, sollte nicht abgeschrieben werden.“

Sollte Aufstehen ein verdeckter Versuch gewesen sein – wie zeitweise gemutmaßt wurde –, eine neue Partei zu gründen? Sicher ist, dass die Veränderungen und Spaltungen, die sich zeigen, nicht nur die Linkspartei betreffen. Wagenknechts größter Coup bestand darin, auch bekannte Dissidenten aus anderen Parteien für ihre Bewegung zu gewinnen. Einer davon ist der Grünen-Politiker Ludger Volmer, der bei der Auftakt-Pressekonferenz im September behauptete, seine Partei sei mittlerweile eine „Funktionspartei der Mitte“ geworden – von der viele sogar hofften, dass sie Angela Merkel retten könne. Die Linke habe versäumt, den Dialog mit denjenigen zu führen, die sich von der Politik zurückgesetzt fühlten. „Wir brauchen eine Erneuerung der Demokratie“, so sein Credo. Ähnlich sieht es Simone Lange (SPD-Oberbürgermeisterin von Flensburg), die letztes Jahr vergeblich gegen Andrea Nahles als Parteivorsitzende kandidierte. Jeden Tag sehe sie, wie die Gruppe derer wachse, die meinen, dass die Politik ihnen nichts mehr zu sagen habe.

Leider scheint es im Moment wenig wahrscheinlich, dass Aufstehen eine neue progressive, populistische Bewegung wird. Der Gründungsaufruf liest sich wie eine Aufzählung der Lieblingsthemen der alten bundesdeutschen Linken: soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Anti-Amerikanismus („Wir halten es für falsch, dass die deutsche Regierung sich einer unberechenbaren, zunehmend auf Konflikt orientierten US-Politik unterordnet“). Vergeblich sucht man eine Forderung nach mehr Wirtschaftswachstum – trotz der vielen Hinweise auf die wachsende Armut. Übrig bleibt einzig die Umverteilung als Lösung für die sozialen Probleme. Mit dem eingeschränkten Blick auf die Frage, wem als erstes geholfen werden muss (den armen Deutschen, den Flüchtlingen, den Kindern?), geht auch die Sprache des Opferkults einher.

Trotzdem: Immerhin haben Wagenknecht und ihre Mitstreiter erkannt, dass der Populismus nicht einfach verschwinden wird und die opportunistische Abkehr der ehemals linken Parteien von Millionen Wählern ernste Konsequenzen hat. Recht haben sie außerdem damit, dass es noch viele, viele Wähler gibt, die sich eine neue Alternative wünschen. Zwar ist Deutschland nicht Frankreich, aber auch hierzulande sollte ein progressiver Populismus, der die Debatten zurück auf die Straße bringt, nicht abgeschrieben werden. Ob Aufstehen diese Lücke füllen kann, bleibt abzuwarten.

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