28.01.2010

Atommülllager Asse: schließen statt räumen!

Kommentar von Hermann Hinsch

Der Forderung, den radioaktiven Abfall aus dem Bergwerk herauszuholen, ist zu widersprechen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen sollte der „Kette fataler Fehlentscheidungen“* ein Ende bereiten, statt sich vor den Karren der Atomkraftgegner spannen zu lassen.

Die Asse sei die weltweit erste unterirdische Atommülldeponie, aus der Abfall zurückgeholt werde, sagte der Gartenbauingenieur und derzeitige Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König. Obwohl er wegen fehlender Englischkenntnisse Schwierigkeiten hat, die internationale Entwicklung zu verfolgen, ist diese Aussage absolut zutreffend. Überhaupt gibt es weltweit kaum unterirdische Deponien für Abfälle wie in der Asse. Das folgende Bild vom Lager „Andra 6“ zeigt, wie in Frankreich Fässer mit radioaktivem Abfall endgelagert werden: natürlich oberflächennah. Obwohl zum Schluss eine wasserdichte Schicht aufgebracht wird, kommen die Fässer langfristig mit Wasser in Kontakt.

Andra 6

Der Wasserkontakt ist ein Argument für die Rückholung der Abfallfässer aus der Asse, ein weiteres die mangelnde Standsicherheit der Grube. Zweifellos werden die Grubenräume durch den Gebirgsdruck zusammengequetscht, und das eingedrungene Wasser mit darin gelösten radioaktiven Stoffen wird herausgepresst, möglicherweise bis an die Erdoberfläche. Dann, so Herr König, sei nicht auszuschließen, dass irgendwann radioaktive Teilchen in die Umwelt gelangten.
Da kann man nicht widersprechen, denn schon heute kommt einiges an Radioaktivität aus dem Asseberg in die Umwelt. Im Ort Groß Denkte gibt es eine Quelle, deren Wasser 23.400 Becquerel pro Kubikmeter an Betastrahlern enthält. Zum Vergleich: Im Trinkwasser hat man kaum mehr als 100, in Flusswasser manchmal nur 30 Becquerel pro Kubikmeter als natürliche Gesamtaktivität. Kämen diese 23.400 Becquerel des Quellwassers aus den radioaktiven Abfällen, dann würden die Einwohner von Groß Denkte wohl umgesiedelt. Aber es handelt sich um eine Quelle, die gar nichts mit dem Endlager zu tun hat, die irgendwo anders mit dem Salz in Kontakt steht und als wesentlichen radioaktiven Stoff das natürliche Isotop Kalium 40 herauf transportiert.
Ist das in biologischer Hinsicht ein Unterschied? Nein, für die möglicherweise krankmachende Wirkung sind Beta-, Gamma- und Alphastrahlen verantwortlich, welche immer dieselben sind, egal wo sie herkommen. In meiner Heimatstadt Hannover hat die Firma DeHaen radioaktive Altlasten aus der Zeit vor 1902 hinterlassen. Alles Natur, künstliche Isotope gab es noch lange nicht. Aber natürliche Isotope liegen dort in unnatürlich hohen Konzentrationen vor, und so sind Personen Strahlendosen ausgesetzt, welche um mehr als 50 Prozent über der normalen Umgebungsstrahlung liegen. Da wird zu Recht saniert, obwohl zusätzliche Krankheitsfälle nicht beobachtet werden.
In Groß Denkte bewirkt das Quellwasser keine derartige zusätzliche Strahlenbelastung der Bewohner, zumal es Salzwasser ist, was sowieso keiner trinkt. Fazit: Würde eine Quelle in ähnlichem Umfang künstliche radioaktive Isotope an die Oberfläche fördern, wäre das kein Grund zur Beunruhigung.

Aber kann das überhaupt passieren? Radioaktive Stoffe können nur von Wasser aufgelöst werden, bevor die Grubenräume sich geschlossen haben, oder wie man heute gern sagt, bevor das Grubengebäude zusammenstürzt. Je eher das passiert, umso besser. Nun sind viele radioaktive Stoffe gar nicht oder nur schwer in Wasser löslich. Ganz anders das eigentliche Radioisotop der Asse, nämlich das dort in ungeheuren Mengen vorhandene natürliche Kalium40. Das löst sich leicht auf und wäre in allen denkbaren Fällen der radioaktive Hauptbestandteil im Wasser. Man sieht aber an abgesoffenen Salzbergwerken, dass auch bei offenem Schacht in langen Zeiten nichts nach oben kommt. Würde man das vom Helmholtz-Zentrum vorgesehene Schließungskonzept realisieren, bei dem u.a. eine sorgfältige Verfüllung des Schachtes vorgesehen war, dann wäre gar nichts zu befürchten. Nach allen in Jahren erarbeiteten Sicherheitsanalysen sind Strahlendosen wie bei den Altlasten in Hannover gänzlich unrealistisch.

Nun spielen Dosiswerte im Strahlenaberglauben keine Rolle, jedes einzelne strahlende Atom wird als gefährlich hingestellt, jedenfalls in der Propaganda. Ganz anders ist die Sache, wenn es um das eigene Leben geht. Die Asse-Gegner waren alle schon in der Grube und haben sich der Strahlung aus den Fässern ausgesetzt. Die Fässer sind nicht dicht; zumindest Tritium kommt heraus und ist in erstaunlich hoher Konzentration in der Grubenluft vorhanden. Kein Personendosimeter zeigt es an. Das atmen diese Leute bedenkenlos ein. Aber wenn die Aktivität einmal auf wenige Prozent abgeklungen ist, sich tief unter der Erde befindet oder höchstens als kleine Beimischung zur natürlichen Radioaktivität an die Oberfläche kommt, dann wäre das ein Zustand, den wir unseren Nachkommen nicht zumuten dürfen?

Um wie viel Radioaktivität geht es überhaupt? Da muss ich den Gegnern einmal Recht geben, denn das ist nur ungenau bekannt. Allerdings gibt es keinen hochaktiven Abfall. Der erzeugt Wärme, und das wäre aufgefallen. Ist nun mehr oder weniger Aktivität, als von den Ablieferern angegeben, in der Grube? An Tritium ist es offensichtlich mehr. Sonst ist es möglicherweise weniger. Warum sollte ein Angestellter mehr als erlaubt in ein Fass getan haben? Um Gebühren zu sparen? Die waren sehr niedrig, und der Angestellte hätte von solch einer Einsparung nichts gehabt. Zu viel dagegen hätte ihm Ärger einbringen können, wenn es herausgekommen wäre. Mit dem Abfallinventar war ich selbst einmal befasst und würde plus minus 30 Prozent für möglich halten.
Die meisten Fässer enthalten ganz schwach aktive Dinge aus Medizin und Forschung, wie Handschuhe, Überschuhe, oder Arbeitskleidung, bei welcher ein vorsichtiger Strahlenschutzbeauftragter verbot, sie in die Wäscherei zu geben. Es liegt auf der Hand, dass man in solchen Fällen keine aufwändige Aktivitätsbestimmung durchführte, sondern einen Maximalwert schätzte.
Die gesamte Aktivität in der Asse ist auf jeden Fall geringer als die Aktivität einer einzigen Kokille aus einer Wiederaufarbeitungsanlage. Von solchen Kokillen stehen in Gorleben schon über 2000 Stück.

Um die Bedeutung der radioaktiven Abfälle beurteilen zu können, muss man deren Aktivität mit der natürlichen Aktivität im Asseberg vergleichen. Diese lässt sich nur ungenau schätzen. Ich bin kein Geologe, kann aber sagen, an langlebigen radioaktiven Isotopen hält die Natur dort das Vielfache der künstlichen Aktivität bereit.
Genauer lässt sich berechnen, um wie viel Radioaktivität man den Asseberg bereits entlastet hat, nämlich durch den Kaliabbau von 1908 bis 1925. Jährlich wurden mit dem Kalisalz etwa sechs Tonnen radioaktives Kalium40 an die Oberfläche gebracht. Dessen Aktivität ist 1,6 Mal 10 hoch 12 Becquerel. Im gesamten Zeitraum hat man etwa so viel herausgeholt, wie auch bei der geplanten Rückholaktion an langlebigen (über 30 Jahre Halbwertszeit) Isotopen heraus befördert würde. Übrigens sind das keineswegs nur künstliche Isotope, zum ach so gefährlichen Asse-Inventar zählen auch Uran, Thorium und Kohlenstoff14.

Es ging an der Asse einmal ganz friedlich und vernünftig zu. Tausende von Besuchern wurden durch das Bergwerk geführt. Gegner gab es auch, aber nur im Rahmen dessen, was bei jedem Industrieprojekt normal ist. Das Schließungskonzept wurde in mehreren Veranstaltungen in Remlingen ganz manierlich diskutiert. Trotz sehr unterschiedlicher Ansichten ging man ausgesprochen zivilisiert miteinander um. Der Betriebsleiter, Günther Kappei, beantwortete so geduldig jede Frage, dass die Veranstaltungen immer doppelt so lange dauerten wie geplant.
Was ist im Herbst 2008 geschehen, dass alles plötzlich ganz anders wurde? An der Asse nichts. Seit 1979 wurden in der Asse Versuche gemacht, mit dem Ziel herauszufinden, wie sich im Fall eines Wassereinbruchs die radioaktiven Stoffe aus dem Abfall herauslösen. Der Wassereinbruch 1988 war also kein Ereignis, mit dem niemals gerechnet wurde, und 2008 auch schon ein alter Hut. Die Verfüllung der Grubenräume war abgeschlossen und besondere Bruchereignisse hatte es nicht gegeben.
Wie die Akteure der Asse-Angstkampagne den Umschwung bewirkt haben, oder ob ihnen ihr Erfolg einfach in den Schoß gefallen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Den wesentlichen Anteil haben daran die Medien. Journalisten konnten die Dinge dann besonders klar und sicher beurteilen, wenn ihnen naturwissenschaftliche Kenntnisse gänzlich fehlten. Falls der Abfall wirklich in den Schacht Konrad umgelagert wird, wäre das schon ein wirkungsvoller Schlag gegen die Endlagerung, denn Konrad ist dann zu einem Drittel voll.

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