25.02.2013

Armutseinwanderung: Zukunftsvergessene Panikmache

Von Sabine Beppler-Spahl

Die Angstdebatte um osteuropäische Einwanderer zeigt, wie wenig sich unsere Gesellschaft heute noch zutraut. Dort, wo wirtschaftliche Dynamik fehlt, wird Einwanderung bloß als zusätzliche Last statt als Bereicherung empfunden. Ein Kommentar von Sabine Beppler-Spahl.

Das Schreckgespenst der „Armutseinwanderung“ geht um, denn die Zahl der Roma und Sinti, die aus Südosteuropa zu uns kommen, steigt jährlich. Ein Positionspapier des deutschen Städtetages sieht darin ein „enormes Gefährdungspotential für den sozialen Frieden“. Schlimmer noch: Wenn im nächsten Jahr die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen eingeführt sei, so die Einschätzung, könne die Lage unbewältigbar werden.

Hat niemand diesem Lied der Angst, das hier angestimmt wird, etwas entgegen zu setzen? Natürlich geht es nicht darum, Probleme herunterzuspielen oder die Realität der Lebensverhältnisse vieler Einwanderer romantisch zu verklären. Einwanderung kann zu Konflikten führen. Aber ist es die Aufgabe der Politik, gestützt von den Medien, zu bestätigen, was viele ohnehin glauben und dazu noch aufzuwiegeln?

Ärgerlich ist vor allem die Untergangsstimmung, die mit solch alarmistischen Warnungen verbreitet wird. Sie sagt mehr über den Zustand unserer eigenen Gesellschaft und der Politik aus, als über die Menschen, die zu uns kommen. Gewiss, sie sind arm, aber warum geht jeder Kommentator davon aus, dass sich an diesem Zustand nie etwas ändern wird und kann?

Die Perspektivlosigkeit, die hier in Hinblick auf unsere eigenen Städte und Kommunen zum Ausdruck kommt, ist verblüffend. Letzte Woche hieß es zum Beispiel in einem Bericht der F.A.Z. über ein sogenanntes „Problemhochhaus“ in Duisburg, dies sei früher ein respektables Gebäude gewesen, in dem Bergleute und Stahlarbeiter lebten. Nun wohnten dort 300 „rumänisch- und bulgarischstämmige Personen“. Das Hochhaus sei ein Symbol dafür, wie deutsche Kommunen mit einem ungelösten Problem der EU Erweiterung zu Recht kommen müssten.

„Schon immer haben sich Menschen aufgemacht, um dem Elend ihrer Heimatländer zu entkommen. Was aus ihnen wurde, hängt nicht nur mit ihnen selbst, sondern auch mit den Bedingungen im Einwanderungsland zusammen.“

Tatsächlich aber ist es ein Symbol des strukturellen Niedergangs. Dort, wo die wirtschaftliche Dynamik fehlt, wird Einwanderung als zusätzliche, unerträgliche Last empfunden. Bezeichnend ist, dass in dem Artikel sogar der Müll, der entsteht, wenn viele Menschen auf engem Raum leben, zu einem unlösbaren Problem stilisiert wird.

Die Tatsache, dass es sich bei vielen der Zuzügler um Roma und Sinti handelt, scheint für einige Beweis genug, dass hier „Schrott“ einwandert. Guntram Schneider, der nordrhein-westfälische Arbeits- und Integrationsminister, behauptet in einem Interview, die Menschen kämen von „Müllhalden“ in Bulgarien. Sie könnten, wegen ihrer geringen Qualifikation und ihres schlechten Gesundheitszustands, nichts anderes als Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beantragen. Der rassistische Tonfall lenkt davon ab, dass Herr Schneider offensichtlich keinen Plan für Aufschwung und Wohlstand für seine Region hat. Er weicht der Frage aus, wie Städte wie Duisburg zu dynamischen Zentren werden können, in denen auch notleidende Menschen und ihre Kinder Perspektiven finden. Welch Armutszeugnis für einen Arbeitsminister!

Tatsächlich ist die Situation der Roma und Sinti weniger außergewöhnlich, als oft getan wird. Wenn wir aufhören, alles immer aus dem begrenzten Blickwinkel des Hier und Jetzt zu betrachten, dürften wir feststellen, dass sie mit anderen Einwanderergruppen vieles gemeinsam haben. Schon immer haben sich Menschen aufgemacht, um dem Elend ihrer Heimatländer zu entkommen. Was aus ihnen wurde, hängt nicht nur mit ihnen selbst, sondern auch mit den Bedingungen im Einwanderungsland zusammen.

Der englische Schriftsteller und Guardian-Journalist, Sarfraz Manzoor beschreibt eindrucksvoll, wie sein Vater, als ärmster der Armen, in den 1960er Jahren aus Pakistan nach England kam. Unterkommen konnte Mohammed Manzoor bei einem Cousin. Der „lebte“ in einer 7 Zimmerwohnung, die von 31 anderen Pakistanis bewohnt war. Die Männer teilten sich die Betten. Sie schliefen in Schichten. Die eine Schicht nutze das Bett nachts, die andere am Tag. Wichtig war, dass jeder das Bett pünktlich verließ. Diese Form des „kommunalen Lebens“, so Manzoor, habe es den Männern ermöglicht, mit geringsten Mitteln zu überleben und Nachbarn oder Verwandte aus der Heimat nachziehen zu lassen.[1] 

Wie Millionen anderer Einwanderer, die zu dieser Zeit nach England strömten, konnte auch Manzoors Vater kein Englisch. Er schlug sich als Tagelöhner durch. Der Erfolg seines Sohnes ist nicht untypisch. Er spricht für den Überlebenswillen ganzer Generationen von Einwanderern und für die integrative Kraft des aufnehmenden Landes. Die hatte nichts damit zu tun, dass die englische Gesellschaft der 1960er Jahre aufgeschlossener war. Auch konnten Männer wie Mohammed Manzoor kaum auf Sozialhilfe hoffen. Ihre Chance bestand darin, dass sie auf eine Gesellschaft stießen, die optimistisch in die Zukunft blickte und an sozialen Fortschritt glaubte. Welch Unterschied zu heute, wo Menschen als Problem gesehen werden! Wir sollten uns überlegen, was bei uns schief läuft, statt Zeter und Mordio angesichts einer zu begrüßenden Grenzöffnung zu schreien. Das wird unseren Kommunen mehr helfen.

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