01.05.2002

Antirassismusexperten befördern, was sie verhindern wollen

Rezension von Brendan O’Neill

Elisabeth Lasch-Quin entlarvt in ihrem Buch "Race Experts" die zweifelhafte Rolle der antirassistischen Therapieindustrie.

„Wie konnten die Forderungen nach Abschaffung rassistischer Diskriminierung und sozialer Ungleichstellung aus den 60er-Jahren zum oberflächlichen Anti-Rassismus-Benimmknigge der heutigen Zeit führen, in dem es mehr Unsicherheit und Angst im Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft gibt als je zuvor?“

Elisabeth Lasch-Quinn, Geschichtsprofessorin an der Syracuse-Universität in New York, hat „eine Menge Menschen“ mit ihrem neuen Buch Race Experts verärgert. In diesem Buch beschreibt sie den geschichtlichen Verlauf von der Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre hin zu der heutigen Vorstellung, Rassismus sei weniger ein Problem sozialer Veränderung als vielmehr eine Frage „zwischenmenschlicher Beziehungen, die mit Hilfe therapeutischer Intervention“ zu lösen sei.

Race Experts zeigt die Entwicklung der amerikanischen Rassismus-Debatte seit den 60er-Jahren, an die sich die Autorin noch als ein Jahrzehnt erinnert, in dem sie von ihren Eltern zu Protestveranstaltungen unter dem Motto „Gleichheit für alle“ mitgenommen wurde. Sie führt den Leser durch die 70er-Jahre, die durch die separatistischen Forderungen schwarzer Radikaler gekennzeichnet waren, und die 80er-Jahre, in denen eine Diskussion über Rassismus quasi nicht erwünscht war, bis hin in die heutige Zeit, in der häufiger und bereitwilliger über Fragen des Rassismus diskutiert wird als je zuvor. Die neue Offenheit zu einem Thema wäre eine positive Entwicklung, meint Lasch-Quinn, wenn die Rassismus-Debatte nicht mit der „Therapiebewegung“ zusammengetroffen wäre, die ein neues, gefährliches, rassistisch fundiertes Sektierertum begründet hat.

Für Lasch-Quinn war es eine Tragödie, dass die US-Bürgerrechtsbewegung ihr ehrgeiziges Ziel einer „demokratischen Nation, die Rassenunterschiede in einer neuen, fortschrittlichen und humanen Gesellschaftsordnung überwindet“, nicht erreichte. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagt sie, „die Bürgerrechtsproteste waren sehr erfolgreich. Sie haben viele Ungerechtigkeiten wie z.B. die Rassentrennung und -unterdrückung beseitigt und geholfen, die rechtlichen Schranken einzureißen, die schwarze Amerikaner daran hinderten, als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft aufzutreten. Man muss den Bürgerrechtsaktivisten also für vieles danken.“

Doch laut Lasch-Quinn geriet die Bürgerrechtsbewegung Mitte der 60er-Jahre in eine zu enge Bindung mit den therapeutischen Weltbildern und verkam im Zuge dessen zu Rassenetikette und Kulturalismus. Dabei wurde „der Universalismus der Bürgerrechtsbewegung vom Kleinklein der Identitätspolitik und der Black-Identity-Bewegung verdrängt. Es ging nicht mehr um egalitäre und universelle Ideale, sondern darum, sagen zu können: ‚Ich bin anders, du bist anders, lass uns also mit den Unterschieden umgehen und wir werden glücklich sein.’ Das war der Punkt, an dem die Dinge anfingen, in die falsche Richtung zu laufen, und so ist es bis heute geblieben.“

Lasch-Quinn baut mit ihrer Analyse auf den Überlegungen ihres verstorbenen Vaters, des einflussreichen US-Intellektuellen Christopher Lasch, auf, der in den 60er- und 70er-Jahren über Therapie und die „Kultur des Narzissmus“ schrieb. Laut Lasch-Quinn ist die „therapeutische Sensibilität“ der 60er mit ihrer Betonung von „individueller Identität, emotionalem Ausdruck und einem unmittelbaren, oberflächlichen Gefühl von Wohlergehen“ heute zum „vorherrschenden politischen Thema des neuen Jahrtausends geworden“.

„Wir leben im Zeitalter der Therapie“, sagt sie, „und das beruht auf der Überzeugung, nicht die Welt ändern zu können, sondern nur das Ich. So ist auch die Rassenfrage zu einer Frage von individuellem Verhalten und Einstellungen und nicht gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geworden. Und das ist nichts anderes als ein Desaster.“

Die unheilige Verbindung zwischen therapeutischem Weltbild und Rassenpolitik ist der Kern von Lasch-Quinns Analyse. Im neuen, therapeutischen Amerika sind die größten Schadenverursacher die selbst ernannten „Rassenexperten“, die Heerscharen von Beratern, Pädagogen, Diversity-Trainern und Benimm-Experten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Menschen zu korrekter Sprache, korrektem Benehmen und korrekten Einstellungen in allen Fragen, die etwas mit Rasse zu tun haben, und an allen Orten umzuerziehen. Laut Race Experts kam eine Studie aus dem Jahr 1992 zu dem Schluss, dass etwa 65 Prozent aller großen amerikanischen Firmen „Toleranztrainings“ durchführen, bei dem Verschiedenartigkeit (oder Rassenunterschiede) besonders hervorgehoben und als „schützenswert“ dargestellt werden.

Sind es also die professionellen Antirassisten, die rassistische Vorurteile schüren?

„Ja“, sagt Lasch-Quinn. „Aber sie tun dies nicht absichtlich. Es handelt sich nicht um eine seltsame Verschwörung mit dem Ziel, den Rassismus am Leben zu erhalten. Ihr Verständnis von Rasse hat jedoch eine neue rassistische Etikette geschaffen. Eine Etikette, die ebenso starr und rigide ist wie jede andere, die zur Zeit der weißen Vorherrschaft vor Beginn der Bürgerrechtsbewegung in Amerika existiert haben mag.“

Lasch-Quinn betont, dass der neue Blickwinkel, unter dem Rassismus heute betrachtet wird, sich auch auf die Realität zwischenmenschlicher Beziehungen auswirkt. „Die heutigen Rassenexperten sehen Rassismus als Konsequenz individuellen Verhaltens“, sagt Lasch-Quinn; „dies bedeutet, dass sie Lösungsansätze anbieten, die dieser Vorstellung entsprechen. Die vorherrschende Meinung ist, dass Weiße immer unterschwellig rassistisch sind, selbst wenn sie dies nicht wissen, und dass Schwarze Minderwertigkeitskomplexe haben, selbst wenn sie sich stark und selbstbewusst fühlen. Die Experten, die sich auf Weiße konzentrieren, haben demnach ein Interesse daran, unterschwellige, mentale rassistische Angewohnheiten, die sich im Verhältnis von Weißen zu Schwarzen manifestieren, zu bekämpfen. Die Experten, die sich auf Schwarze konzentrieren, möchten die von ‚Afro-Amerikanern’ internalisierte Unterdrückung beseitigen, indem sie deren unbewusste, auf rassistische Minderwertigkeitsgefühle zurückzuführende Angewohnheiten herausfordern.“

Das Ganze basiere auf Stereotypen bzw. Rollen, die den Menschen zugeschrieben werden. Diejenigen, die von sich behaupten, diese Rollen passten nicht zu ihnen, gelten als Leugner. Die so genannten „Experten“ haben neue Barrieren zwischen den Rassen aufgebaut, die sie damit begründen, dass ihre „Zielgruppen“ unterschiedliche Verhaltens- und Denkweisen haben. Vertuscht wird hingegen das Versäumnis der amerikanischen Gesellschaft, Menschen zu integrieren. Statt dessen werden Vorstellungen von „Diversität“ und „Unterschiedlichkeit“ kreiert.

„Ich finde die heutige Debatte über Rassen beleidigend“, sagt Lasch-Quinn. „Sie basiert auf der Vorstellung, dass wir ‚normale Menschen’ nicht in der Lage seien, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen selber zu managen, und dass wir deswegen Hilfe durch Außenstehende benötigen. Unser verinnerlichtes rassistisches Denken soll derart dominant sein, dass wir mit unseren Mitmenschen nur auskommen können, wenn man uns ein korrektes Verhalten und die richtige Ausdrucksweise beibringt. Das einzige, was aus der Sicht von Rassismusexperten benötigt wird, sind die richtigen Techniken, um uns rückständigen und sogar dummen Menschen diese Verhaltensweisen beibringen zu können.“

Die therapeutische Sicht von Rasse hat eine verheerende Auswirkung auf die gesellschaftliche Diskussion. Die Folge ist ein von Lasch-Quinn als „Hypersensibilität“ bezeichnetes Phänomen: „Eine Welt von Opfern und Tätern – eine Welt, die sich ständig bessern muss.“ – „Wenn man Menschen sagt, dass ihre Probleme und ihr Selbstverständnis von ihrer Hautfarbe herrühren und von ihrem Verhalten gegenüber anderen Rassen, dann kann sie dieses recht unsicher machen“, meint Lasch-Quinn. „Die Weißen sollen die Rolle des sündigen ehemaligen Unterdrückers spielen, während die Schwarzen die Rolle des Opfers und des durch Minderwertigkeitskomplexe geplagten Sklavennachfahren spielen sollen. Da ist es kein Wunder, dass Menschen diesen Rollen gerecht werden.“

Ein Beispiel für die hysterische Atmosphäre im Hinblick auf Rassenfragen war die jüngste Debatte über schwarze Studenten und die von ihnen studierten Fächer. Ein führender amerikanischer Akademiker verursachte einen Aufschrei, als er im Dezember 2001 konstatierte, dass schwarze Studenten eher „Dünnbrett-Studienfächer“ wählten, statt sich für die Wissenschaften zu interessieren. Er wurde von schwarzen Akademikern und Kommentatoren beschuldigt, ein Rassist zu sein. „Es wurde ein Uni-übergreifendes Treffen organisiert, bei dem manche schwarze Studenten über diesen rassistischen Vorfall Tränen vergossen“, sagt Lasch-Quinn. „Andere weiße Studenten drückten ihr Schuldbewusstsein aus. Die Menschen spielten die ihnen zugeschriebenen Rollen, und die ganze Angelegenheit verkam, wie so oft dieser Tage, zu einem hypersensiblen, hysterischen Zirkus.“

Am destruktivsten an der heutigen Rassendebatte ist jedoch für Lasch-Quinn die völlige Absage an jegliche Form von Integration und Pluralismus („im traditionellen Sinn“, wie sie sagt, „nämlich basierend auf der Forderung nach gleichen Rechten für alle in einer Gesellschaft und als Teil einer universalistischen Perspektive“). Die USA, die einst Immigranten aufforderten, ihrer Nation beizutreten und mit am amerikanischen Traum zu arbeiten, können heute nur noch Verschiedenartigkeit, Unterschiedlichkeit und gegenseitige Abgrenzung anbieten: ein Staat, der sich zusammensetzt aus unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen, Interessen, Glaubensrichtungen, die lediglich (zufällig) im gleichen geographischen Gebiet leben. Dies ist eine außergewöhnliche Niederlage für Gleichheit und Fortschritt und für die Menschheit.

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