17.04.2013

Anschlag von Boston: Menschlichkeit trotzt dem Terror

Von Frank Furedi

Durch ihrer tapfere Haltung und gegenseitige Solidarität stellte die Bostoner Bevölkerung unter Beweis, dass man mit Bomben zwar Menschen, aber damit noch lange nicht eine Gemeinschaft töten kann. Der britische Soziologe Frank Furedi kommentiert den Terroranschlag von Boston.

Der Bombenanschlag auf den Boston-Marathon macht uns einmal mehr schmerzlich bewusst, dass durch Terrorakte immer wieder unschuldige Menschen getötet und verstümmelt werden. Sie bringen Schmerz und Leid und schüchtern so Teile der Bevölkerung ein. Aber das Widerstandsvermögen und den Anstand einer Gesellschaft oder die Lebensweise einer Nation können sie nicht zerstören. Entgegen der Terrorismusdarstellungen aus Hollywoodfilmen schaffen es die meisten Bostoner, einfach mit ihrem Leben weiterzumachen, ohne sich ängstigen zu lassen.

Wir sollten den in Katastrophenfilmen präsentierten Bildern von Massenpaniken und dem Zusammenbruch der sozialen Ordnung keinen Glauben schenken. Die Menschen in Boston haben gezeigt, dass die physischen Auswirkungen der Bomben ihren festen Sinn für Solidarität nicht zerstören können. Das Verhalten der Menschen, die den verwundeten Läufern und Zuschauern helfen, belegt: niemand stand mit den Folgen der Bombenanschläge allein, immer gab es sofortige Unterstützung.

Besonders berührten mich die spontanen Hilfsangebote der Menschen, die in der Nähe des Trümmerfeldes wohnten. Die folgenden Meldungen auf Twitter sind ein Beweis für den Großmut und das Mitgefühl der Menschen:


„Wir können eine L-förmige Couch mit einem langen und einem kurzen Teil bieten, auf den eine kleinere Person (5 Fuß) passt. Nicht viel, aber wir freuen uns, helfen zu können!“


„Ich lebe in Hopkinton - würde aber überall hinfahren, um einen Läufer abzuholen, der Essen, Obdach und Trost braucht.“


„Ich hole gerne jeden ab, der eine Bleibe braucht. Ich habe ein freies Schlafzimmer mit einem Queen-Size-Bett. Ich wohne etwa 15 Minuten von der Franklin MBTA Haltestelle und 20 Minuten vom Providence Flughafen entfernt. Ich werde tun, was ich kann.“


„Wir haben zwei Kinderbetten (nicht zu 100 Prozent privates Zimmer) und eine Couch. Jede Menge Bettzeug und gutes Essen. Zögern Sie nicht, uns anzurufen, wenn Sie eine Bleibe brauchen. Wir werden unser Bestes tun, damit Sie es bequem haben. Eine Anmerkung: Wir haben zwei freundliche Katzen.“


Solche Hilfsangebote zeigen, dass Menschen auch in einer Welt urbaner Distanziertheit und Anonymität über Gemeinschaftsgefühl verfügen und sich gegenseitig Hoffnung geben können.

Und die Erfahrung von Boston ist keineswegs ungewöhnlich. Jahrzehntelange Forschungen über die Auswirkungen von Katastrophen bestätigen, dass in betroffenen Gemeinschaften tatsächlich ein Anstieg sozial verantwortlichen Verhaltens beobachtet werden kann. Neueste Untersuchungen über menschliche Reaktionen auf Terrorismus und Gewalt zeigen, dass die meisten Gemeinschaften über die notwendigen Handlungsmechanismen verfügen, die negativen Auswirkungen auf ihre Lebensweise zu minimieren.

Studien über den Sarin-Angriff 1995 in Tokio, die Zerstörung des World Trade Center in New York 2001 und die Londoner Bombenanschläge 2005 zeigen eine relative geringe Rate von egoistischem Verhalten nach Terroranschlägen und ein Anwachsen zwischenmenschlicher Solidarität.

Durch Erfahrungen, wie die Bostoner Bombenanschläge, lernt eine Gemeinschaft sich selbst besser kennen und entdeckt dabei nicht nur ihre Schwächen, sondern vor allem auch ihre Stärken. Deshalb sollten die von einer solchen Tragödie direkt oder indirekt betroffenen Menschen unbedingt Gelegenheit haben, eigene Rückschlüsse aus ihren Erfahrungen zu ziehen und eine persönliche Umgangsweise mit den Erlebnissen zu entwickeln. Leider bedrängen Experten die Opfer von Katastrophen oft vorschnell mit technischen und medizinischen Lösungen, obwohl es besser wäre, wenn die Betroffenen eigene Lösungen finden würden.

Die Menschen in Boston sind, wie alle, die Terrorismus erlebt haben, mit einer plötzlichen Störung ihrer Normalität konfrontiert, die eingelebte Einstellungen und Verhaltensweisen infrage stellt. Die betroffenen Gemeinschaften sind dann gezwungen, den Sinn, den sie ihrem Leben bisher beigemessen haben, zu überdenken und die kollektiven Bindungen des sozialen Lebens neu zu entdecken. So kann das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft den Menschen einen Sinnzusammenhang bieten, der sie gegen das Chaos des Terrors immunisiert. Vor dieser Herausforderung stehen die Bostoner jetzt – und sie haben mehr als bewiesen, dass sie ihr gewachsen sind.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!