01.03.2007

Angst vorm Riesenrad?

Analyse von Sabine Beppler-Spahl

Sabine Beppler-Spahl über eine seltsame Berliner Debatte um Museen und Riesenräder.

Berlin ist notorisch knapp bei Kasse. Und nun muss die Stadt ungewollt auch noch 5,5 Mio. Euro für ein Grundstück ausgeben, auf das das Deutsche Technikmuseum expandieren wollte, aber vorerst wohl nicht kann. Was ist passiert? Ein privater Investor wollte das größte Riesenrad der Welt (175 Meter hoch soll es werden) vor dem Deutschen Technikmuseum in Berlin errichten. Doch der Direktor des Museums, Dirk Böndel, wollte das Riesenrad nicht in seiner Nähe haben. Unterstützt wurde er vom damaligen Kultursenator Thomas Flierl (PDS). Gemeinsam präsentierten sie der Öffentlichkeit und der Senatsverwaltung Ende des Jahres 2004 einen Mäzen (Erfinder und Unternehmer sei er, so hieß es) aus England. Dieser werde 5,5 Mio. Euro spenden, damit das Museum das Grundstück selber kaufen könne, verkündeten sie. Bereits im Frühjahr 2005 schloss der Senat einen Kaufvertrag für das neue Museumsgelände ab. Dumm nur, dass die versprochenen Millionen aus England nie eingingen und der Mäzen unterdessen Zahlungsschwierigkeiten einräumen musste.
Der Riesenradbetreiber hat sich für einen anderen Standort in der Nähe des Zoos in Berlin entschieden. Nun beschäftigten sich die Presse und das Abgeordnetenhaus mit dem Fall. Senatoren und Museumsdirektor hätten leichtfertig und gutgläubig gehandelt, wurde kritisiert. Doch die Kulturpolitik Berlins als solche scheint über jeden Zweifel erhaben. Auch, dass ein Museumsdirektor so entschieden gegen ein in Deutschland bisher einmaliges Unterhaltungsprojekt eintreten konnte, wurde verständnisvoll aufgenommen. Die Ende Januar vorgestellten Pläne des Direktors für das neue Grundstück mochte keiner kritisieren.

„Kann sich ein Museum nicht inhaltlich, sondern nur räumlich von einem Rummel abgrenzen?“


Kultur versus Event?
Vordergründig stellt sich der Streit um das Riesenrad als ein Konflikt zwischen Kultur und Kommerz oder Freizeitindustrie dar. Das Technikmuseum „bekäme ein Imageproblem, da eine öffentliche Kultur- und Bildungseinrichtung eng mit einem privatwirtschaftlichen Freizeitunternehmen kooperieren müsste“, war eine der Begründungen Böndels für seine ablehnende Haltung. [1] Ein anderes Mal äußerte er die Befürchtung, das Konzept des Hauses werde zu einem Rummel verkommen. [2] Gemeint ist nicht ein Rummel im Sinne eines zu großen Publikumsansturms. Gerne verweist Böndel auf ein Gutachten eines Freizeitforschungsinstituts, welches bezweifelt, ob das Museum tatsächlich von den Besucherströmen des Riesenrads profitiert hätte. [3] Nein, der Direktor fürchtet um die inhaltliche Ausrichtung seines Hauses und die Gefahr einer „Disneyisierung“ der Kultur. Doch gerade diese Sorge stimmt skeptisch. Wieso gerät das Konzept des Hauses, für das schließlich Böndel verantwortlich ist, durch die geografische Nähe zum Riesenrad unter Druck? Warum sollte sich ein Museum nicht klar von einer Freizeitattraktion abgrenzen können?
Natürlich ist es schwerer, große Kreise für die Artefakte des Industriezeitalters zu begeistern als für Freizeitevents oder populäre Unterhaltung. Ein Theater, das Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ zeigt, muss mit weniger Publikum rechnen als das Broadway-Musical „Der König der Löwen“. Doch damit lebten Kultureinrichtungen schon immer, und genauso, wie das klassische Theater seinen Platz neben dem populären Musical hat, werden Menschen, die bisher Museen besucht haben, sich nicht plötzlich nur noch auf Riesenrädern amüsieren wollen. Warum der defensive Ton des ehemaligen Kultursenators, als er sagte, das Technikmuseum sei „auch ohne das Riesenrad schon attraktiv genug“? [4] Na dann, möchte man hinzufügen, braucht es doch ein Riesenrad nicht zu fürchten und muss nicht ein Unterhaltungsprogramm, das – wie eine Umfrage jüngst ergab – von den meisten Berlinern begrüßt wird, so vehement bekämpfen. [5] Soll doch jeder zu seinem Recht kommen. Ist nicht ein möglichst breites Kultur- und Freizeitangebot gut für die Stadt?


Anbiederung ans Publikum
Die Angst von Senatsvertretern und Museumsleitung vor dem Riesenrad zeigt, wie unsicher jene Berufenen, die unsere Kultur wahren und fördern möchten, werden, wenn sie es mit einem größeren Publikum zu tun bekommen. Hier kommt zum einen ihre Unfähigkeit zum Ausdruck, für die Bedeutung einer anspruchsvollen Kultur zu werben. Zum anderen zeigt sich, wie wenig sie dem eigenen Publikum vertrauen. Die Diskussion fügt sich ein in die seit einigen Jahren in der Kulturszene geführte Debatte über Aufgaben und Konzepte eines Museums. Das klassische Museum sieht seinen Zweck darin, erstens Sammlungen aufzubauen und zu pflegen und zweitens den Zugang zu seltenen, schönen oder beeindruckenden Exponaten (aus Geschichte, Kunst oder Technik) zu ermöglichen. Die Exponate geben dem Museum seine Daseinsberechtigung, und die Museumsleitung vertraut darauf, dass das Publikum interessiert, intelligent und neugierig genug ist, um diese sehen zu wollen und schätzen zu können. Dieser Maxime ist das Technikmuseum bis heute gefolgt und bietet dem Besucher eine Fülle ausgezeichneter Exponate.
Doch im Zuge einer vermeintlichen Öffnung und Modernisierung ihrer Häuser gingen viele Museumsdirektoren dazu über, nicht mehr die Sammlungen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern alles andere (angefangen bei publikumswirksamen Sonderschauen bis hin zu Kinderprogrammen und interaktiven Spielereien). Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen – die klassischen Aufgaben eines Museums – gehen ihnen nicht mehr weit genug. In einem 2005 erschienen Aufsatz mit dem Titel „Industrie- und Technikmuseen im Wandel. Perspektiven und Standortbestimmungen“ plädiert der Herausgeber, Hartmut John, für die weitere Öffnung von Museen gegenüber „Darbietungs- und Kommunikationsformen anderer Anbieter auf dem Kultur- und Freizeitmarkt“. [6] Tolle Effekte, Spektakel oder seichte Unterhaltungsprogramme sollen die Besucherzahlen steigern. Es steht zu befürchten, dass auch in Berlin diese Richtung eingeschlagen wird. Zurzeit wirbt das Technikmuseum in Berlin, das sich selbst als „attraktiven Erlebnisort für aktive Besucher“ bezeichnet, beispielsweise für eine Sonderausstellung mit dem Titel „Spielkind“, die den „Wechselwirkungen zwischen Spiel und Technik in den vergangenen 250 Jahren … in unterhaltsamer Form“ nachspüre.

„Die viel beklagte ‚Disneyisierung der Kultur‘ ist selbstverschuldet.“


Das mag eine interessante Ausstellung sein, als wesentliches Prädikat wird jedoch die „unterhaltsame Form“ hervorgehoben. Die Museumsleitungen möchten auf die Menschen zugehen. Man glaubt, dies am besten dadurch zu tun, dass man die Standards nicht zu hoch ansetzt. Hinter vorgehaltener Hand beklagen sich Kulturvertreter über die Vorlieben der „normalen Leute“, die lieber einen Rummel besuchen als ein Museum, und merken dabei nicht, dass sie es sind, die diesen Vorlieben Vorschub leisten. Böndel kann sich zwar als Schifffahrtsexperte für die „Ästhetik alter Segelschiffe“ begeistern, traut aber seinem Publikum möglicherweise weit weniger Gefühl für das „Schöne und Wahre“ zu. Immer kleiner und seichter wird die Auswahl dessen, was zahlreiche Museen ihren Besuchern zumuten.
Die Leidenschaft für Technik weicht so z. B. dem immer wieder beschworenen „spielerischen Umgang“. Statt uns herauszufordern und unseren Horizont zu erweitern, trachten Museen danach, uns zu bestätigen. In diesem Sinne wird das Museumskonzept nicht durch äußere Einflüsse wie die Nachbarschaft zu einem Riesenrad bedroht, sondern vielmehr durch die selbstverschuldete Abwertung der eigenen Inhalte. Die viel beklagte „Disneyisierung der Kultur“ hat schon lange die Museen erreicht. Die Debatte über das Riesenrad hat diesen Trend nur verdeutlicht. Wer als Museumsdirektor die Konkurrenz eines Freizeitevents fürchtet, muss sich fragen, ob er sich nicht vielleicht selber zu sehr in Richtung Freizeitunterhaltung bewegt. Für Spaß sind nämlich andere zuständig, und egal, wie sehr sich ein Direktor auch anstrengt: Wer das unmittelbare Vergnügen sucht, das uns nichts abverlangt, ist auf einem Riesenrad besser aufgehoben als in einem Museum.


Faule Ausreden
Bereits im Jahr 2004 schrieb Die Zeit in einem Artikel über den Museumsboom in Deutschland, dass sich das moderne Museum „mit Mode- und Autoschauen, mit Galadiners und langen Trubelnächten“ anbiedere und so sein größtes Kapital, seine Glaubwürdigkeit, verspiele. Der neue Typ des Museumsdirektors wird so beschrieben: „Mehr noch als bisher gilt nun das Primat der großen Namen und der großen Zahl. Und der Direktor droht vollends zum Unterhaltungskünstler, zum Sponsorenjäger und Werbeonkel zu werden.“ [7]
Die Begehrlichkeiten und Ambitionen eines Direktors und das Buhlen um Sponsoren oder um Anerkennung sind eine Sache, die Art, wie dies geschieht, jedoch eine ganz andere. Neben Galadiners und Trubelnächten gibt es noch andere Wege, sich in den Augen von Sponsoren, staatlichen Förderern und der Öffentlichkeit ins Gespräch zu bringen. Manche Aktivitäten wirken seriös und dürfen nicht als seichte Unterhaltung gelten. Dennoch haben sie mit dem Auftrag und dem Anspruch eines Museums wenig zu tun. Sie stellen die vielleicht größte Gefahr für das Museum dar, da sie nur sehr selten kritisiert werden.
Die Zukunftspläne des Technikmuseums deuten in diese Richtung. So will Böndel auf dem neuen 3,4 Hektar großen Gelände das „Museum der Zukunft“ errichten. Dieses „Technoversum“ soll nicht die „Sammlungen in den Mittelpunkt stellen“, sondern „übergeordnete Themenbereiche, die die Beziehung zwischen Mensch und Technik beleuchten“. Damit liegt es ganz im Trend der Zeit und kann sich einer breiten Unterstützung gewiss sein. Es soll um die Abhängigkeit vom Öl, die Problematik der Kernkraft und der Gentechnologie gehen, aber auch um Fragen wie z. B.: „Welche Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben die rasanten Fortschritte in automatisierter Produktion und weltweiter Logistik?“ Natürlich sind dies alles wichtige Themen, aber darum geht es hier nicht. Stattdessen versucht sich das Museum aufzuwerten und für Sponsoren sowie öffentliche Geldgeber interessanter zu machen. Statt „nur“ ein Museum zu betreiben, will Böndel ein Forum schaffen, in dem Besucher für die Probleme unserer Zeit sensibilisiert werden. Dabei entsteht ein Eindruck von Dringlichkeit und großer Bedeutung, denn schließlich geht es um existenzielle Fragen.
Doch in Wirklichkeit drückt sich das Technikmuseum vor seinen eigentlichen Aufgaben und Herausforderungen. Statt den Besuchern die Technik und insbesondere auch die geschichtliche Entwicklung der Technik, wie sie in den Exponaten zu bewundern ist, näherzubringen, geht man dazu über, sie durch Vorträge zu belehren. Statt an der Fülle der Objekte Technikgeschichte zu studieren, sollen wir uns mit Debatten befassen, die in Schulen oder Bildungsstätten usw. ebenso diskutiert werden können. Schade, wenn ein Museum kein Museum mehr sein möchte. Sollte sich das Technoversum durchsetzen, wird vielleicht das eintreten, was Dirk Böndel, als er vor der Konkurrenz des Riesenrades zurückschreckte, befürchtet hat: Das Museum würde zu einem Allerweltsort. Es würde sich selber überflüssig machen. Dann hätte Böndel mehr zur Abwertung der Kultur beigetragen als jeder Freizeitunternehmer. Wahrscheinlich ist man dann tatsächlich besser bedient, seinen Sonntag damit zu verbringen, aus 175 Metern Höhe Berlin zu bewundern, als sich durch prätentiöse Foren zu quälen.
Vorausgesetzt natürlich, das Riesenrad wird nun endlich gebaut – der Museumsdirektor kann es nicht mehr verhindern, dafür aber vielleicht die Tierschützer. Sie fürchten zwar nicht, dass der Zoo durch die Konkurrenz des Freizeitunternehmens an Attraktivität einbüßt. Dafür sorgen sie sich um die Gesundheit der Tiere. Manchmal wirkt die Hauptstadt einfach ein bisschen provinziell und unambitioniert.

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