01.03.2003
Ächten, was nicht stattfand
Kommentar von Jennie Bristow
Egal, ob Eve nun ein Klon ist oder nicht: Die moderne Wissenschaft hat mehr verdient, als einfach verboten zu werden.
Eine Firma mit Verbindungen zu einer obskuren amerikanischen Sekte, die erklärtermaßen glaubt, die Menschheit sei von Außerirdischen erschaffen worden, verkündete der Welt Ende letzten Jahres, ein Baby mit dem Namen Eve geklont zu haben. Die Welt reagierte mit einer Woge des Schreckens und der Empörung. Rufe nach einem weltweiten Verbot des Klonens von Menschen wurden laut. Schnell wurde das Szenario einer „Schönen neuen Welt“ heraufbeschworen, in der Designer-Babys auf Bestellung geklont werden und wir unsere Menschlichkeit auf dem Altar der Wissenschaft opfern. Aber ist das realistisch? Und warum wollen wir das eigentlich so gerne glauben?
Lange blieb unklar, ob die Firma Clonaid es tatsächlich geschafft hat, ein Baby zu klonen. Da die Sekte glaubt, die Menschheit sei ursprünglich von Außerirdischen kloniert worden, ist zwar anzunehmen, dass sie solches vorhat; gleichzeitig ist es aber gänzlich unplausibel anzunehmen, sie habe es bereits geschafft. Die Wissenschaftsgemeinschaft ist skeptisch, ob reproduktives Klonen von Menschen derzeit überhaupt möglich ist. Bei der heute gegebenen Wahrscheinlichkeit von Missbildungen und anderen Problemen ist es ohnehin Konsens, dass das keine gute Idee wäre.
Die Diskussionen über ein Verbot hingegen sind nicht wissenschaftlich und werden von Leuten ohne entsprechendes Wissen geführt. Sie kennen weder den aktuellen Stand der Gentechnologie noch die mit reproduktivem Klonen von Menschen verbundenen Vorteile und Risiken. Mit unerschütterlicher Sicherheit wissen sie aber, dass das Klonen von Babys eine schlimme Sache ist und es besser wäre, gar nicht zu wissen, wie das geht. Denn wenn wir derartiges Wissen erst haben, wer weiß, was wir damit zu tun imstande wären?
Hier ist eine Vermeidungsstrategie am Werk, die weitaus gefährlicher ist als die Forderungen und Possen einer randständigen Sekte. Ignoranz wird als seligmachend gepredigt – bis zu dem Punkt, an dem die Gesellschaft aufgefordert wird zu ächten, was möglicherweise noch gar nicht stattgefunden hat, damit in Zukunft nichts schief läuft. Diese paranoide Perspektive impliziert, dass die bloße Fähigkeit, bestimmte Aspekte von Wissenschaft und Technologie anwenden zu können, zwangsläufig böse enden wird. Was dahinter steht, hat nichts mit dem Für und Wider hypothetisch geklonter Kinder zu tun, sondern mit dem Verlust des Vertrauens in uns selbst und unsere Zukunft.
Man stelle sich vor, die Schulmedizin hätte sich gemäß dem Diktat der Vermeidungsstrategie entwickelt. Operationen, Röntgenstrahlen, Transplantationen, Antibiotika – all diese lebensrettenden Errungenschaften wären vereitelt worden. Da niemand hätte sagen können, welche potenziellen Probleme sie bergen, wäre man von vornherein kein Risiko eingegangen.
Scheinbar hat diese Vermeidungsstrategie endgültig Fuß gefasst. Ebenso wie das reproduktive Klonen wurde nun auch das große Fortschritte in der Behandlung schwerer Krankheiten versprechende therapeutische Klonen blockiert. Zwar setzen sich in Großbritannien Politiker, Wissenschaftler und Kommentatoren für die Stammzellenforschung ein, dennoch überwiegt das Unbehagen gegenüber diesen Techniken.
Warum sollten wir heute davor zurückschrecken, Wissenssprünge zu wagen?
Kürzlich hat die bekannte britische Abtreibungsgegnerin Josephine Quintaville einen Prozess gegen die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) vor dem Obersten Gerichtshof gewonnen. Dieser entschied, dass die HFEA Embryoanalyse-verfahren nicht nutzen dürfe, die es Eltern kranker Kinder ermöglicht, „Spender-Geschwister“ zu ermitteln. Anders formuliert: Diese reproduktiven Technologien hätten es Paaren ermöglicht, Kinder zu zeugen, die ihren Geschwistern als Blut- oder Gewebespender hätten dienen können. In den USA sind strenge Auflagen in der Stammzellenforschung von der starken Bewegung der Abtreibungsgegner durchgesetzt worden.
Es ist vielsagend, dass die meisten Befürworter des therapeutischen Klonens nach einem weltweiten Verbot des reproduktiven Klonens rufen. Unterschieden wird zwischen den anerkannten Vorteilen des therapeutischen Klonens für das menschliche Gemeinwohl und dem – wie der britische Guardian schrieb – „morbiden globalen Wettlauf wissenschaftlicher Außenseiter mit dem Ziel, als erster einen menschlichen Klon zu produzieren“. Zweifellos haftet diesen Bestrebungen etwas Dubioses an. Dennoch spricht vieles dafür, die Grenzen der Wissenschaft zu erweitern – auch wenn noch nicht erwiesen ist, ob dies im Einzelfall Vorteile verspricht oder nicht. Aber nur so können wir erfahren, was Wissenschaft im Dienste der Menschheit zu leisten vermag.
Alle bedeutenden wissenschaftlichen, technologischen und medizinischen Entwicklungen waren das Ergebnis des in der Gesellschaft bestehenden Wissensdurstes und der Bereitschaft, den Sprung zu wagen, dieses Wissen anzuwenden. In der überwiegenden Zahl der Fälle geschah dies zum Wohl der Menschheit. Wir leben länger, gesünder und besser als vor der wissenschaftlichen Revolution und genießen ganz selbstverständlich, was vor hundert Jahren noch unmöglich erschien. Warum zweifeln wir heute daran, ob es richtig ist, solche Sprünge zu wagen? Dieser Zweifel entspringt dem unbegründeten Verdacht, dass die Anwendung neuen Wissens und neuer Technologien nur destruktive Folgen haben kann. Ganz so, als ob etwa eine eigentümliche amerikanische Sekte die Möglichkeit hätte, uns und unseren Planeten zu zerstören.
Sobald tatsächlich ein menschliches Baby geklont wird, wird selbstverständlich Bedarf an einer Diskussion über wissenschaftliche Normen, Ethik und gesetzliche Regelungen bestehen. Dass aber ein Gerücht über einen menschlichen Klon größeres Interesse an einem weltweiten Verbot hervorruft als an der Wissenschaft, die das Klonen ermöglicht, ist bemerkenswert. Niemand will die „Schöne neue Welt“ – aber wer will eine Gesellschaft, die vor dem Raum des bloß Möglichen in Angststarre verfällt?