01.09.2003

40 Jahre BOOMdesliga

Essay von Stefan Chatrath

Die Kommerzialisierung des deutschen Fußballs hat entgegen aller Kritik überwiegend positive Wirkungen gezeigt.

Als im Jahre 1963 die Bundesliga aus der Taufe gehoben wurde, war ein Verein den anderen Teams meilenweit voraus: der 1.FC Köln. Beim FC erkannte man schon frühzeitig, dass ein professionell geführter Klub nur dann erfolgreich sein kann, wenn er auf eine breite Basis gestellt wird. Franz Kremer, der damalige Präsident der Kölner, verließ sich nicht allein auf die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern, sondern führte den Klub wie eine Art Aktiengesellschaft. Er gründete einen Verwaltungsrat mit potenten Sponsoren aus der Region. Den Spielern bot er von Anfang an professionelle Bedingungen: Medizinische Versorgung, Betreuung und Ausrüstung waren damals keine Selbstverständlichkeit. „Der Unterschied, den die neue Klasse brachte, bestand in erster Linie darin, dass der Fußball nun vor allen privaten Belangen und vor zivilberuflichen Zielen zu rangieren hatte“, erzählt Hans Schäfer, Kapitän der Kölner in der Premieren-Saison 1963/64. Den Vollprofis vom Rhein konnte kein Team das Wasser reichen: Der 1.FC Köln wurde überlegen mit sechs Punkten Vorsprung Meister.
40 Jahre später ist das, was in Köln zu Gründerzeiten der Bundesliga zaghaft praktiziert wurde, längst Standard geworden: Die Vereine generieren ihre Einnahmen zu 36,8 Prozent aus TV-Honoraren, zu 23,8 Prozent aus der Werbung, zu je 16 Prozent aus Eintrittsgeldern und Merchandising sowie zu 7,2 Prozent aus dem Transfergeschäft.
Die Bundesligisten sind im Laufe der Zeit zu mittelständischen Unternehmen herangereift. Nahm der 1.FC Kaiserslautern in der ersten Bundesligasaison umgerechnet noch rund 600.000 Euro ein, beträgt der Umsatz eines Bundesligaklubs heute im Durchschnitt 62,5 Mio. Euro. Das ist einhundertmal mehr als 1963/64. Wie kaum eine andere Branche profitierte der Fußball dabei von der Entwicklung des privaten Fernsehens. In der Saison 1988/89, als erstmals private TV-Anbieter die Übertragungsrechte erwarben, explodierten die Fernseh-Honorare. Nachdem ARD und ZDF ein Jahr zuvor noch 9,2 Mio. Euro bezahlt hatten, läutete der Vertrag zwischen dem DFB und der Vermarktungsagentur Ufa den Beginn einer neuen Ära ein. Die Bertelsmann-Tochter – zugleich Hauptgesellschafter beim Privatsender RTL – investierte für ihr dreijähriges Bundesliga-Engagement 69 Mio. Euro. In den vergangenen zehn Jahren flossen alles in allem TV-Gelder in Höhe von 1,8 Mrd. Euro in die Kassen der Lizenzvereine – seit der Saison 2000/2001 sind es pro Jahr sogar durchschnittlich mehr als 300 Mio. Euro.

„Die Bundesligaklubs generieren den Großteil ihrer Einnahmen durch die Vermarktung der Übertragungsrechte. Doch ihnen das zum Vorwurf zu machen, ist ein Fehler: Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, als nahezu 100 Prozent der Erlöse aus Eintrittsgeldern stammten, stehen die Vereine heute auf einer gesunden Basis.“

Der relativ hohe Anteil der TV-Einnahmen am Umsatz der Bundesligaklubs wird häufig skeptisch beäugt: „Die Liga hängt am Tropf des Fernsehens“, kritisiert der Kicker-Redakteur Rainer Franzke und wirft den Vereinen vor, in den vergangenen Jahren „schlecht gewirtschaftet“ zu haben. In der Tat erlösen die Bundesligaklubs den Großteil ihrer Einnahmen durch die Vermarktung der Übertragungsrechte. Doch ihnen das zum Vorwurf zu machen, ist ein Fehler: Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, als nahezu 100 Prozent der Erlöse aus Eintrittsgeldern stammten, stehen die Vereine heute auf einer gesunden Basis. Durch die Öffnung des Fußballs für kommerzielle Interessen konnten über das Fernsehen hinaus weitere neue Geldquellen erschlossen werden. Heute kassiert allein Rekordmeister Bayern München jährlich in etwa 20 Mio. Euro von seinem Trikotpartner und Hauptsponsor „Deutsche Telekom“. Auch das Merchandising hat sich zu einem Geschäftszweig entwickelt. Der Umsatz der ersten Bundesliga wird auf annähernd 350 Mio. Euro pro Jahr geschätzt.
Die breite Streuung der Einnahmequellen ist ohne Zweifel ein Fortschritt gegenüber früheren Zeiten, erhöht sie doch die finanzielle Unabhängigkeit der Vereine. Auch wenn eine der wichtigen Umsatzsäulen (kurzfristig) einbrechen sollte, wie jetzt im Zuge der Kirch-Pleite geschehen, dann bedeutet das nicht zwangsläufig das Aus: Kein aktueller Erst- oder Zweitligist ist durch den Zusammenbruch der Münchner Medien-Gruppe Kirch insolvent gegangen – und das, obwohl nach deren Bankrott in der vergangenen Saison 70 Mio. Euro weniger an TV-Geldern in die Kassen der 36 Bundesligavereine strömten. Ursprünglich hatte Kirch der Liga für die Übertragungsrechte 360 Mio. Euro garantiert. Am Ende mussten die Vereine froh sein, mit 290 Mio. Euro aus der Insolvenzmasse bedient zu werden.
Die verstärkte Kommerzialisierung des deutschen Fußballs in den 90er-Jahren und die damit verbundene Generierung neuer Einnahmequellen hat entgegen aller Kritik überwiegend positive Wirkungen gezeigt. Die erste Bundesliga ist heute wieder international konkurrenzfähig, nachdem sie seit Mitte der 80er nach und nach den Anschluss verlor. Erfolge im Europapokal blieben für lange Zeit Mangelware – nicht zuletzt aufgrund der Abwanderung vieler deutscher Nationalspieler zu den finanzkräftigeren Klubs Italiens.
Auch wenn die vergangene Europapokalsaison enttäuschend verlief, ist der Trend zum Positiven unübersehbar. In den letzten sieben Jahren erreichten deutsche Mannschaften sechsmal zumindest das Champions-League-Halbfinale – ein Ergebnis, das zuletzt vor 20 Jahren erzielt wurde. Eine ähnlich gute Bilanz offenbart das Abschneiden deutscher Vertreter im UEFA-Cup: Bayern München und Schalke 04 triumphierten 1996 bzw. 1997. Darüber hinaus war die Bundesliga seit 1993 siebenmal zumindest unter den besten Vier vertreten – zuletzt im vergangenen Jahr durch Borussia Dortmund, das im Finale Feyenoord Rotterdam unterlag. Das Wiedererstarken deutscher Vereine auf internationaler Ebene spiegelt sich auch in der UEFA-Fünfjahreswertung wider. Diese Rangliste berücksichtigt das Abschneiden der am Europapokal teilnehmenden Nationen aus den vergangenen fünf Jahren. Deutschland liegt momentan auf Platz vier hinter Spanien, Italien und England. Aufgrund der guten Leistungen auf internationaler Ebene ist die Bundesliga in den letzten Jahren der schwächelnden Liga Italiens, der Serie A, immer näher gerückt und war kurz davor, diese nach mehr als zehn Jahren in der Rangliste wieder zu überholen. Erst das außergewöhnlich starke Auftreten der italienischen Vertreter in der letztjährigen Champions League verhinderte den Positionswechsel.
Dass der deutsche Vereinsfußball international wieder Anschluss gefunden hat, ist keine zufällige Entwicklung: Die Bundesligaklubs verwendeten einen außerordentlich hohen Teil ihrer in den 90ern generierten Einnahmen für Spielergehälter und Transfers. Dadurch konnten Spieler wieder nach Deutschland gelockt werden, die es in früheren Jahren ins Ausland gezogen hatte. Den Anfang machte Borussia Dortmund, die mit Jürgen Kohler, Stefan Reuter und Andreas Möller gestandene deutsche Nationalspieler zurück in die Bundesliga holte und damit den Grundstein für die äußerst erfolgreichen Jahre Mitte der 90er legte, als man nicht nur zweimal deutscher Meister wurde, sondern auch die Champions League gewann und den Weltpokal holte. Viele Vereine versuchten es, den Dortmundern gleichzumachen – nicht immer war dieser Weg von Erfolg gekrönt. 1994 verpflichtete der Karlsruher SC Thomas Häßler für rund drei Mio. Euro vom AS Rom. Der Versuch, sich mit seiner Hilfe in der Bundesligaspitze zu etablieren, schlug fehl. Nach den Plätzen acht, sieben und sechs, folgte 1997/98 der jähe Absturz in die Zweitklassigkeit, von dem sich der Klub noch immer nicht erholt hat.
Das offensivere Agieren der Bundesligavereine auf dem Spielermarkt machte darüber hinaus die Verpflichtung ausländischer Stars möglich. Dank Spielern wie Bixente Lizarazu, Tomás Rosicky oder Marcelinho hat der deutsche Profifußball deutlich an Qualität gewinnen können. Jüngstes Beispiel dieser Entwicklung ist Andres D’Allessandro. Für neun Mio. Euro wechselte der 22-jährige zu Beginn der laufenden Saison vom argentinischen Rekordmeister River Plate zum VfL Wolfsburg. In Argentinien war D’Allessandro herausragender Akteur der zurückliegenden Meisterschaft, begeisterte die Fans mit Toren und Tricks. „Er hat Unglaubliches drauf. Wenn er davon nur einiges zeigt, können wir uns freuen“, sagt Wolfsburgs Trainer Jürgen Röber.

„Die Bundesliga – eine Zwei-Klassen-Gesellschaft? Das war ein Problem in den 80ern. Heute sind die finanziellen Ressourcen weitaus gleicher verteilt als noch vor 20 Jahren.“

Oft wird behauptet, die Kluft zwischen den Spitzenklubs der Bundesliga und den anderen Vereinen sei in den vergangenen Jahren größer geworden. „Finanzielle Unterschiede“, sagt Fußball-Autor Dietrich Schulze-Marmeling, „hatte es zwischen Klubs auch schon zu den ‚seligen’ Zeiten gegeben, als die Zuschauer die Haupteinnahmequelle der Klubs waren. Ein Großstadtverein verbuchte in der Regel höhere Einnahmen als ein Kleinstadt- oder Vorortverein. Doch waren die Unterschiede bei weitem nicht so groß wie heute, wo es ein paar Gewinner gibt, die immer größer und reicher werden, und viele Verlierer, die sportlich wie wirtschaftlich immer mehr zurückfallen.“ Hat die Öffnung des Fußballs für kommerzielle Zwecke in der Tat dem Wettbewerb in der Bundesliga geschadet und zu einer Konzentration des sportlichen und ökonomischen Erfolgs auf wenige Teilnehmer geführt? Bei genauerer Betrachtung muss diese Frage verneint werden: Die Etats der Erstligisten haben sich über die Jahre in erheblichem Maße angeglichen. In der Saison 1983/84 konnte der finanziell am schwächsten ausgestattete Klub lediglich ein Budgetvolumen in Höhe von zirka zehn Prozent des Etatstärksten realisieren; in der Saison 2003/04 liegt diese Quote bei 38 Prozent. Bayern München geht mit einem Etat von 60 Mio. Euro in die aktuelle Spielzeit, der 1.FC Kaiserslautern als „Schlusslicht“ plant mit 23 Mio. Euro. Die finanziellen Ressourcen sind heute weitaus gleicher verteilt als noch vor 20 Jahren. Durch konsequent marktorientiertes Handeln haben insbesondere die „kleineren“ Vereine die Chancen der Kommerzialisierung nutzen können. Noch in den 80ern bestand eine Zweiteilung der Liga: zum einen eine kleine Anzahl von Vereinen, die die Professionalisierung des Managements vorantrieben, zum anderen eine große Zahl von Klubs, die in „Feierabendmanier“ von Vereinsfunktionären geführt wurden. Die Bundesliga der damaligen Zeit war von ausgesprochener Langeweile geprägt, da die Münchner Bayern lange Zeit die dominierende Mannschaft waren.
In den 90er-Jahren hielt in nahezu allen Klubs betriebswirtschaftlich orientiertes Management Einzug. Die Professionalisierung der Branche erfuhr einen entscheidenden Schub und mit ihr auch der sportliche Wettbewerb in der Liga. Neben den Bayern konnten der 1.FC Kaiserslautern, der VfB Stuttgart, Werder Bremen und Borussia Dortmund die Meisterschaft für sich entscheiden; Newcomer wie der VfL Wolfsburg oder der SC Freiburg schafften den Sprung in den UEFA-Pokal. Auch wenn in den vergangenen fünf Jahren die Meisterschale vier Mal nach München gegangen ist, das Meisterschaftsrennen war – bis auf 1998/99 und 2002/03 – durch äußerst knappe Entscheidungen gekennzeichnet. Wer erinnert sich nicht an das überaus dramatische Saisonfinale 2000/01, als die Bayern erst in der Nachspielzeit den FC Schalke 04 abfingen und ihn zum „Meister der Herzen“ degradierten?
Für die Zuschauer ist es in den Stadien wesentlich angenehmer geworden. Viel Geld ist in den letzten Jahren in die längst überfällige Modernisierung der Arenen geflossen. Hochmoderne Fußballtempel sind entstanden, in denen rundum wettergeschützte Sitzschalenplätze genauso zum Standard gehören wie VIP-Logen mit erstklassigem Catering und Digital-Screens. Auch in diesem Bereich hat Borussia Dortmund stilbildend gewirkt. Ganz nach der Devise, in Steine und Beine zu investieren, hat man dort nicht nur eine starke Mannschaft aufgebaut. 20 Mio. Euro kostete die Modernisierung des Westfalen-Stadions, das nun 83.000 Zuschauern Platz bietet. Auch „kleinere“ Vereine konnten diesen Weg gehen: Der Ostseeklub Hansa Rostock hat für rund 30 Mio. Euro ein Fußball-Stadion gebaut. In Wolfsburg ist die Volkswagen Arena entstanden – mit 22.000 Sitz- und 8000 Stehplätzen sowie 30 Logen und 1500 Business Seats. Darüber hinaus laufen – mit Blick auf die Fußball-WM 2006 – in vielen anderen Städten ehrgeizige Projekte zum Aus- oder Neubau von Stadien. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren in etwa 1,4 Mrd. Euro investiert werden.
Die verstärkte Orientierung des deutschen Vereinsfußballs am Kommerz und die damit verbundenen positiven Wirkungen sind vom zahlenden Publikum honoriert worden. Besuchten in den 80ern im Durchschnitt 19.455 Zuschauer eine Bundesliga-Partie, stieg das Zuschauerinteresse in den vergangenen Jahren um mehr als 40 Prozent. Der deutsche Fußball boomt mehr denn je: Am 34. Spieltag der vergangenen Saison konnte erstmals in der Bundesliga-Geschichte die Schallmauer von 400.000 Besuchern durchbrochen werden; die durchschnittliche Zuschauerzahl lag 2002/03 bei 33.221 – ein Rekord in 40 Jahren Bundesliga.

„Alle haben überlebt: Das Krisenmanagement der Fußballbranche hat sich im Zuge des Kirch-Crashs bewährt und als außerordentlich erfolgreich erwiesen.“

Die Kommerzialisierung des Fußballs ist – trotz aller positiven Aspekte – nicht unproblematisch: Der Zusammenbruch der Kirch-Gruppe und damit der Einnahmen aus dem TV-Rechte-Geschäft hat einige Vereine in arge Existenznöte gebracht. Einer internen Studie der Bundesliga-Dachorganisation DFL zufolge drohte in der vergangenen Saison drei Lizenzvereinen die Zahlungsunfähigkeit. Der Erstligist 1.FC Kaiserslautern konnte erst in letzter Sekunde gerettet werden – dank kräftiger Mithilfe des Landes Rheinland-Pfalz, der Stadt Kaiserslautern und der Gläubigerbanken. Gleichwohl ist es erstaunlich, wie flexibel die Branche auf die veränderten Umstände reagiert hat. Die Maßnahmen, die umgesetzt wurden, um die Ausgaben zu kürzen, haben nachhaltig gewirkt. Gehälter wurden gesenkt, Prämien eingefroren, Kader verkleinert, leistungsbezogene Verträge abgeschlossen. Das Krisenmanagement der Ball-Branche hat sich im Zuge des Kirch-Crashs bewährt und als außerordentlich erfolgreich erwiesen. Kein aktueller Erst- oder Zweitligst ist pleite – ein Ergebnis, das auch Ausdruck dafür ist, wie professionell mittlerweile in der Fußball-Bundesliga gewirtschaftet wird.
Das Kommerzialisierungspotenzial ist jedoch noch längst nicht ausgeschöpft. Mit Borussia Dortmund hat sich erst ein deutscher Bundesligist dafür entschieden, an die Börse zu gehen. Im Herbst 2000 flossen nach Börsengang 150 Mio. Euro in die Kassen des sechsmaligen Deutschen Meisters. Weitere Vereine sollen folgen, wenn auch aufgrund der momentan schlechten Stimmung auf den Kapitalmärkten nicht in unmittelbarer Zukunft. Will der deutsche Vereinsfußball in den nächsten Jahren und darüber hinaus mit den besten Ligen mithalten und weiterhin attraktiven Fußball bieten, muss die Kommerzialisierung weiter offensiv betrieben werden. Wer stattdessen fordert, den Fußball zu „entkommerzialisieren“, outet sich als Ahnungsloser: „Eine Rückkehr des Fußballs zum Amateursport würde die spielerische Qualität des Fußballs zerstören, würde ihn exklusiv, rückständig und borniert machen. Das wäre“, sagt Sport-Journalist Duleep Allirajah, „das Ende des Fußballs.“

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