13.05.2010

Eine große grüne Abzocke

Von Heinz Horeis

70 Milliarden Euro sind ein schöner Batzen Geld. Man könnte es in Forschung und Bildung investieren, Lehrer einstellen, marode Schulen und Universitäten sanieren. Man kann es aber auch für Luxus verbraten.

Zum Beispiel für Strom aus Photovoltaikanlagen: jedes damit produzierte Elektron ist rund zehnmal so teuer wie ein auf herkömmliche Weise erzeugtes. Ausnahmsweise ist dieses Premium-Erzeugnis nicht nur für die Reichen gedacht; es kommt auch der ärmste Bürger in seinen Genuss.
In jedem Falle zahlt er dafür, ob er will oder nicht. Geschätzte 70 Milliarden müssen die deutschen Stromverbraucher in den kommenden zwei Jahrzehnten für Strom aus bereits installierten und noch zu installierenden PV-Anlagen zahlen. Gesamtwirtschaftlich ist dieser Betrag, der auf grotesk überhöhten Preisen beruht, als Verlust zu verbuchen: ihm steht keine echte wirtschaftliche Leistung gegenüber.
Ein Verlust für viele ist meist Gewinn für wenige. Man kennt das Prinzip aus der Finanzkrise. Es gewinnen Investoren und Produzenten von Solarzellen, ein paar Handwerker, Hausbesitzer, die Solarstrom für 40 Cent ins Netz speisen und für 20 Cent den normalen Haushaltsstrom beziehen. Alle Parteien, einschließlich der marktliberalen FDP, stehen hinter diesem Verfahren, dass das Geld vieler in die Taschen weniger spült. Dafür sorgt das Energie-Einspeisegesetz (EEG), das jeden Stromkunden zu einer Zwangsabgabe für ansonsten nicht konkurrenzfähige Energiequellen verpflichtet.
Das EEG gilt als beispielhaft. Im April hat nun auch England ein ähnliches Modell eingeführt – sogenannte „Feed-in-Tariffs“ (FiT), Einspeisevergütungen. Allerdings ging deren Einführung nicht so geräuschlos über die Bühne wie vor zehn Jahren die Verabschiedung des EEGs in Deutschland.

Streit um FiT

Der Widerstand gegen das englische FiT kommt aus einer unerwarteten Ecke; einer seiner vehementesten Gegner ist ein Grüner: George Monbiot, der wohl bekannteste Umwelt- und Klimaaktivist auf den britischen Inseln. Monbiot, der eine wöchentliche Kolumne in der Tageszeitung The Guardian schreibt, ist Überzeugungstäter. Er redet von Klimakatastrophe. Vom amerikanischen Klimatologen James Hansen hat er die schaurig-unwirkliche Idee des „runaway climate“, eines möglichen blitzartigen Umkippens des Klimas, übernommen. Wie sehr er an die nahe Klimakatastrophe glaubt, konnte man seinem Blog im Winter vor zwei Jahren entnehmen, als überall in Mitteleuropa Seen und Teiche zugefroren waren. Damals schnallte er sich noch einmal die Schlittschuhe unter und begab sich, wie er voller Wehmut schrieb, wohl zum letzten Mal in seinem Leben aufs Eis. Richtige Winter würde es in Zukunft nicht mehr geben.
Monbiots Klimafundamentalismus steht im starken Gegensatz zu seiner realistischen Einstellung zu den „neuen Energien“. Hier ist er kein Gläubiger, sondern ein kühler Rechner. Er ist willens zu prüfen, was diese Energien bringen und wem die Einspeisevergütung nutzt. Zudem steht er links. Er hat ein Herz für die kleinen Leute, die den grünen Strom letztendlich bezahlen müssen. Deshalb ist er auch sehr wütend. Für ihn ist das ganze Vorhaben „a Great Green Rip-Off“, eine große grüne Abzocke, wie er im März im Guardian schrieb. (1)
Im Detail: Zum 1. April 2010 hat die britische Regierung die Einspeisevergütung (FiT) eingeführt. Damit verpflichtet sie die Energieversorgungsunternehmen dazu, privat durch Solarzellen und Mikro-Windturbinen erzeugten Strom zu vorgeschriebenen Preisen abzunehmen. Bezahlen müssen, wie auch in Deutschland, die Kunden über ihre Stromrechnung. Wie auch hierzulande kassieren die Kleinproduzenten für ihren grünen Strom überhöhte Preise von bis zu 45 Cent pro Kilowattstunde und verbrauchen selbst den billigeren Strom aus Kernenergie, Kohle oder großen Wasserkraftwerken.
Rund 10 Mrd. Euro (8,6 Mrd. Pfund) soll das Programm im Laufe der nächsten zwanzig Jahre kosten, bei, wie die britische Regierung selbst angibt, einem Verlust von 9,5 Mrd. Euro! Den „Gewinn“ durch das eingesparte CO2 beziffert sie mit 500 Millionen Euro. Mit diesem Programm, so Monbiot, verschiebe die Regierung über neun Milliarden Euro von den Armen an die Mittelschicht, die über eigene Hausdächer verfügt und es sich leisten kann, 10.000 Euro und mehr in eine PV-Anlage zu investieren. Die Einspeisevergütung bringt den glücklichen Dachbesitzern eine jährliche Rendite von fünf bis acht Prozent, steuerfrei und auf 25 Jahre garantiert.
Strom aus Mini-Windturbinen und Photovoltaik sind um das Sieben- bis Neunfache teurer als die Alternativen. „Grotesk ineffizient“ nennt Monbiot diese Leistung. 750.000 Kleininstallationen sollen, so die Regierung in den kommenden zehn Jahren sieben Millionen Tonnen CO2 ersparen. Bei optimistisch geschätzten zwanzig Millionen Tonnen für den gesamten Zeitraum bis 2030, so berechnet Monbiot, koste es 490 Euro, um eine Tonne CO2 einzusparen. Zum Vergleich: vierzig Euro pro Tonne kostet es mit Windenergie; zehn Euro mit Kernenergie.

Die „Deutsche Krankheit“

Natürlich ist Monbiot kräftig unter Beschuss geraten. Greenpeace und Friends of the Earth, Labour-Regierung und Solarindustrie haben seine ketzerischen Aussagen attackiert. Besonders hervorgetan hat sich Jeremy Leggett, Vorsitzende der Firma Solar Century. Auf Monbiots Hauptargument ist der britische Solarguru nicht eingegangen: „Entweder ist PV-Strom eine billige, effiziente Technologie, wie Leggett behauptet, oder sie ist es nicht,“ hatte Monbiot erklärt. „Wenn sie es ist, warum müssen wir sie dann mit 41p (45 Cent) pro Kilowattstunde subventionieren? Dann ist sie weder billig noch effizient.“
Statt hierauf eine Antwort zu geben, hat Leggett Deutschland und das EEG als leuchtendes Beispiel ins Feld geführt. Monbiot hat darauf mit einem Artikel betitelt „The German Disease“ reagiert. Hierbei bezieht er sich auf eine detaillierte Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), veröffentlicht im November 2009 von der Bochumer Ruhr-Universität. (2) Darin stellen die Autoren dem deutschen Photovoltaik-Experiment ein vernichtendes Zeugnis aus, das der gute George genüsslich erläutert.
Das deutsche Programm begann 2000 mit einer Subventionierung von 51 Cent pro Kilowattstunde Solarstrom, garantiert für zwanzig Jahre. Bis heute haben die installierten PV-Anlagen 53 Mrd. Euro verschlungen. Trotz dieser enormen Summe deckte der Solarstrom im Jahre 2008 nur 0,6 Prozent des deutschen Stromverbrauchs. Schlecht für die Stromkunden, aber gut für die glücklichen Dachbesitzer, die sich Solarzellen leisten können und natürlich die Solarindustrie. Die CO2-Vermeidungskosten durch Solarstrom, so die Studie, belaufen sich bei dieser Bilanz auf 716 Euro pro Tonne. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) kommt zu einer noch höheren Schätzung: 1000 Euro pro Tonne. „Es gibt Dutzende von Möglichkeiten, wie man CO2 zu einem Hundertstel der Kosten vermeiden kann, die mit der Photovoltaik anfallen“, resümiert Monbiot. Kein Wunder, dass der Klimaaktivist mit allen Kräften verhindern will, dass sich England mit der „deutschen Krankheit“ ansteckt. (3)
Man muss Monbiots apokalyptische Klimavisionen nicht teilen. Aber anzuerkennen ist seine konsequente Haltung. Wenn der Klimawandel tatsächlich so bedrohlich ist, dann kann man sich zu seiner Bekämpfung nicht mit ineffizienten Technologien abgeben. „Jeder Cent, der in die Photovoltaik geht, ist ein Cent, der nicht dem Klimaschutz zu Gute kommt,” hält der Einzelkämpfer George seinen Gegnern aus dem grünen Lager vor. Unter bestimmten Voraussetzungen, so hat er schon an anderer Stelle gesagt, halte er auch den Einsatz von Kernenergie denkbar.
Monbiots Argument lässt sich auch umkehren: Wer auf PV setzt, der schert sich nicht um das Klima. Dem geht es um das Geld; das Klimaargument ist die werbewirksame Botschaft, um die „große Abzocke” zu bemänteln. Immerhin: das englische Programm ist gedeckelt auf zehn Milliarden. Die deutschen Stromverbraucher hingegen werden ein Vielfaches davon für ein überflüssiges „Luxusprodukt“ zahlen müssen.
Mit Leggett hat sich Monbiot doch noch geeinigt, und zwar auf eine Wette. Nach Leggetts Meinung werde Solarstrom bis 2013 Netzparität erreichen. PV-Strom vom eigenen Dach käme dem Hausbesitzer dann genauso teuer wie Strom aus dem Netz. Monbiot setzt 100 Pfund dagegen.
Hoffnung auf baldige Netzparität hegt man auch in Deutschland. Der hiesige Solarguru Frank Asbeck erwartet sie in einigen Jahren bei 27 Cent pro kWh. Um die Jahrtausendwende prophezeite er noch, dass sich Solarstrom in wenigen Jahren auf 12 Cent pro kWh verbilligen würde. Bislang kostet jede Kilowattstunde vom Dach immer noch um einen halben Euro. Und als jüngst die Bundesregierung bekanntgab, dem Ziel „Netzparität“ durch eine moderate Senkung der Vergütung etwas nachzuhelfen, gab es großes Jammern und Klagen seitens der Solarindustriellen.
Gemäß FiT erhält englischer PV-Strom vom Dach bis zu 45 Ct/kWh. Damit in drei Jahren Netzparität erreicht ist, müssten die Erzeugungskosten um das Drei- bis Vierfache sinken. Gelänge das, hätte Leggett also recht, muss man zu Recht fragen: Warum dann überhaupt die hohe Subventionierung? Man kann wohl getrost darauf wetten, dass Monbiot seine hundert Pfund gewinnen wird.

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