01.05.2005

Editorial

Von Thomas Deichmann

Politik, Korruption und Theater - Dass wir in Novo eine Lanze für Joschka Fischer brechen, kam noch nicht vor. Dabei soll es vorerst auch bleiben. Doch im Zusammenhang mit der „Visa-Affäre“ ist es uns ein Anliegen, denen zu widersprechen, die in den vergangenen Monaten dafür sorgten, dass die ohne Frage verbesserungswürdige deutsche Visapolitik weltweit in die Schlagzeilen und von dort nicht mehr wegkam. Die implizite Unterstellung an das Außenministerium, man habe für das grüne „Multikulti-Weltbild“ (oder für wen und was auch immer) zum „Schaden der Nation“ wissentlich Menschenhandel und Schlepperprostitution in die Wege geleitet, ist an Borniertheit kaum zu übertreffen.

Dass es Fischer zunächst zu dumm erschien, auf solch impertinenten Quatsch auch noch öffentlich zu reagieren (was ihm den Vorwurf der Arroganz einbrachte), erschien als durchaus sympathischer und verständlicher Zug des Ministers. Doch seine Opponenten (die dieses Mal die Saubermannfraktion mimten und sich z.T. offenbar genüsslich für den CDU-Spendenskandal rächen wollten) ließen nicht locker und ihn schließlich auf Knien rutschen und nur noch demütiges Agenturen-Deutsch salbadern. Aus einem verunglückten Reformversuch niederer diplomatischer Bedeutung (der wohl einzig das Ziel hatte, das Leben einiger Osteuropäer ein klein bisschen zu erleichtern) inszenierten sie eine Staatskrise von internationalem Rang.


Dieses abgeschmackte Spiel um Einschaltquoten und vermeintliche Wählergunst ist mittlerweile Standard im deutschen Politikgeschäft. Scharping war eines der ersten Opfer aus der rot-grünen Riege. Der einstige Verteidigungsminister musste 2002 seinen Hut nehmen – nicht etwa, weil er dreiste Lügen verbreitet hatte, um seine Bomben auf Serbien zu rechtfertigen, sondern weil belanglose Verbindungen zu einer PR-Agentur ans Licht kamen. Auch für eine politische Auseinandersetzung um Fischer gab es im Zusammenhang mit letzten Kriegen genügend Anlass. Aber da man ihn mangels inhaltlicher Differenzen darüber nicht zu Fall brachte, versucht man heute offenbar umso inbrünstiger, ihm einen Strick aus Versäumnissen bei der Visapolitik zu drehen. Man kann nur hoffen, dass das nicht gelingt. Ähnliches gilt für jüngst entlarvte „Geschäfte“ von Verbraucherschutzministerin Künast (auch nicht gerade ein Liebling der Novo-Redaktion). Sie soll ein Rednerhonorar als Spende für die grüne Partei umdeklariert haben. So what?, fragt man sich. Seit wann ist es anrüchig, dass Politiker Lobby für ihre Partei machen? Dass Künast seit Jahr und Tag mit allen Mitteln der Kunst die Biotechnologieforschung in Deutschland plättet, wird zwar hin und wieder diskutiert, aber ihr Spiel weitertreiben darf sie trotzdem – weil das beim Wahlvolk gut ankommt.


Im Zuge dieser Umtriebe erscheinen Untersuchungsausschüsse heute immer mehr Menschen interessanter als die Parlamente. Doch wen wundert’s? Die deutsche Politik dreht sich mittlerweile fast pausenlos um Skandale, Affärchen, Verfassungsklagen, Ausschüsse und dergleichen. Das populistische Abwatschen politischer Gegner mit halbseidenen Korruptionsvorwürfen ist offenbar zu einem Ersatz für die seriöse Auseinandersetzung um gesellschaftspolitische Perspektiven geworden. In den Ausschüssen wird deshalb auch nicht Politik, sondern Unterhaltung im TV-Stil geboten – und dabei die Quote gemessen. So interessierten sich die Kontrahenten der aktuellen Visa-Affäre alsbald auch fast nur noch für die Frage, ob man die Ausschusssitzungen live übertragen solle. Hochdotierte Medienberater gingen in Stellung, um die Auftritte zu inszenieren. Der nichtige Anlass dieses Theaters geriet damit vollends in den Hintergrund.
Wer meint, seine Energie (als Parlamentarier oder politischer Kommentator) in solche Manöver stecken zu müssen, sollte sich zumindest einmal überlegen, was er damit anrichtet. Fischer kurzerhand loszuwerden, erscheint vielen attraktiv. Aber der Preis, den die politische Kultur dafür unwiederbringlich zu zahlen hat, ist weit höher.


Sabine Reul und James Heartfield widmen sich dem Thema, das nicht nur in Deutschland Wellen schlägt. Auch und insbesondere die Beiträge von Sabine Beppler-Spahl und Michael Fitzpatrick in dieser Ausgabe von Novo werfen wieder ein ganz eigenes Licht auf das, was sich in der Welt derzeit abspielt.

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