01.07.2000

Zur Sache

Von Thomas Deichmann

AUF NACH HANNOVER

Die Besucherzahlen auf der EXPO 2000 bleiben bislang hinter den Erwartungen zurück, doch wen wundert’s: Seit Monaten hat die erste Weltausstellung auf deutschem Boden mit schlechter Kritik zu kämpfen. Das mag an internen Pannen liegen, aber ebenso an den vielen Miesepetern, die auch ungesehen kein gutes Haar an der EXPO lassen möchten. Es ist leider sehr populär geworden, über Großprojekte einfach nur zynisch herzuziehen. So beherrscht seit dem EXPO-Start vor allem ein Thema die öffentliche Diskussion: die angeblich zu teuren Eintrittspreise. Solche “Kritik” ist zwar extrem einfältig, sie verbreitet aber doch eine merkliche Unlust. Dabei ist ein Besuch der EXPO unbedingt anzuraten. Viele Projekte, die uns in Hannover die Zukunft weisen sollen, wurden sehr kreativ und teils witzig-ironisch umgesetzt. Die Reise nach Hannover sollte man sich also nicht vermiesen lassen.

Was nicht heißt, dass man die dort präsentierten Inhalte unkritisch schlucken sollte. “Nachhaltige Entwicklung” lautet das große EXPO-Motto, das die Menschheit ins 21. Jahrhundert leiten soll. Dieses Motto trug zweifelsohne dazu bei, dass schon im Vorfeld nur vereinzelt echte Begeisterung für die EXPO aufkam. Denn wer Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung predigt, verfängt sich automatisch im Widerspruch, wenn er diese gigantische, im wahrsten Sinne des Wortes ressourcenverschleudernde Veranstaltung preist.

Dieses Dilemma steht aber für weit mehr als nur für Konzeptionsprobleme der EXPO-Macher. Vielmehr zeigt sich darin eine verbreitete Zukunftsangst und Orientierungslosigkeit der Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Aus einer traditionellen Leistungsschau, die früher technologische Errungenschaften feierte und der Zukunft offen gegenüberstand, wurde in Hannover folglich eine mitunter sehr beklemmende Werteschau, die die Zukunft nur noch als recycelte Version der Gegenwart zulässt.
In Mittelpunkt der EXPO stehen die Postulate der Ökologiebewegung, die heute zwar moderater auftritt, die an Bedeutung und Einfluss aber offenbar noch zugelegt hat. Das zeigt sich nicht zuletzt am “intellektuellen Beiwerk” zur EXPO, präsentiert in einer lesenswerten Buchreihe von Campus.

Wer sich also konstruktiv in Zukunftsdiskussionen einmischen möchte, sollte aufhören, über 69 Mark Eintrittsgeld zu lamentieren. Er sollte lieber Novo und einige der Campus-Bücher lesen und dann nach Hannover reisen. Die EXPO bietet reichlich Inhalt, über die es zu diskutieren gilt.


Eine anregende Lektüre wünscht


Thomas Deichmann
Chefredakteur

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