01.10.2004

ZUR SACHE

Von Thomas Deichmann

Dick und Doof

Es heißt, Leserbriefe seien ein Gütezeichen für eine Zeitung, weil darin zum Ausdruck komme, dass sich Leser mit den Inhalten wirklich auseinandersetzen (was freilich nicht mit Zustimmung gleichzusetzen ist). Für Novo trifft das gewiss zu. Jedenfalls bekamen wir in den letzten Wochen wieder zahlreiche Leserzuschriften – diesmal überwiegend Proteste gegen den Artikel „Ratten und Mäuse vor Gericht“ zum Thema Tierschutz im letzten Heft. Auf unseren Leserbriefseiten finden Sie eine Auswahl dieser Schreiben und eine Erwiderung unseres Autors. Helene Guldberg und Peter Kunzmann nähern sich dem Thema im vorliegenden Heft erneut – mit dem Bemühen, unsere Kritik und unseren Standpunkt noch deutlicher zu machen.
Um derartige Klärung geht es auch in dem Beitrag von Thilo Spahl, der sich einer anderen Zeitgeisterscheinung widmet: der von Verbraucherschutzministerin Renate Künast lancierten Kampagne gegen „dicke Kinder“ beziehungsweise gegen deren Eltern – eine Kampagne, die sich Frau Künast offenbar in Großbritannien von New Labour abgeschaut hat.
Zu diesem Text passt der Artikel von Sabine Beppler, die sich mit weiter gehenden Erziehungsfragen befasst. Mit diesen und den übrigen Beiträgen im aktuellen Novo versuchen wir wie gewohnt, grundsätzliche Probleme unserer politischen Kultur richtungsweisend anzusprechen. Wir hoffen, dass dabei auch die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Themenbereichen ersichtlich werden.

Im ansonsten recht ereignisarmen Hochsommer hat die von Regierung und Opposition gerade erst verabschiedete Reform der Arbeitslosen- und Sozialversicherung Reaktionen in Gang gesetzt, die befürchten lassen, dass der Reformkurs der Regierung schon wieder im Chaos endet. Dieses Mal ziehen Gegner von Hartz IV auf die Straßen, was angesichts der chronischen Unfähigkeit nicht nur der Regierungsparteien, sondern auch von Union und FDP, den von ihnen gemeinsam gewollten Abbau des Sozialstaats in ein nachvollziehbares Konzept für die Entwicklung des Landes einzubetten, durchaus verständlich ist. Doch schon bevor die ersten Menschen sich überhaupt auf den eher mäßig besuchten Protestkundgebungen einfanden, malten prominente Vertreter genau jener Parteien, die seit Jahren eine härtere Gangart beim Sozialstaatsabbau einfordern und Hartz IV an der Seite der rot-grünen Koalition gerade erst im Bundesrat verabschiedet hatten, den drohenden Zusammenbruch des „sozialen Friedens“ an die Wand und stahlen sich hinterrücks aus der Verantwortung für das gerade verabschiedete Gesetzeswerk. Aus CDU und FDP wurden Forderungen nach Milderung oder gar Rücknahme der neuen Regelung der Sozialbezüge laut, ganz so, als habe man mit der ganzen Sache nie etwas zu tun gehabt. Daraufhin kündigte die Bundesregierung in gewohnter Weise umgehend „Nachbesserungen“ an. Business as usual? Sabine Reul befasst sich mit diesem Thema in ihrer Rubrik „Stichwort“.
Ich wünsche einen schönen Sommerausklang und eine anregende Lektüre, Ihr


Thomas Deichmann
Chefredakteur

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