01.04.2004

ZUR SACHE

Von Thomas Deichmann

Jahr der Innovationen

Als verkündet wurde, dass das Jahr 2004 zum „Jahr der Innovationen“ werden solle, ging es uns wahrscheinlich ähnlich wie vielen anderen Menschen im Lande: Eine Art Erleichterung und die vage Hoffnung auf eine wieder mehr von positiven Visionen geprägte Regierungspolitik flammten auf. Politik sollte sich nicht mehr überwiegend um Effekthascherei für bessere Umfrageergebnisse drehen. Sie sollte sich vielmehr verstärkt um einen ehrlichen politischen Dialog mit der Bevölkerung über alte und neue Leitbilder bemühen mit dem Ziel, unsere Gesellschaft voranzubringen. Die Naturwissenschaften und neue Technologien sollten dabei auch endlich wieder zu mehr Ansehen gelangen, statt von vielen Menschen als Unheilsbringer wahrgenommen zu werden.
Freilich war diese Hoffnung von Anfang an dünn, hatten wir doch in den letzten Monaten den anhaltenden Zerfall der politischen Kultur im Lande immer wieder thematisiert. Dass sich nun im Januar alles durch ein Machtwort des Kanzlers zum Positiven ändern würde, war angesichts der Probleme, die Sabine Reul noch in ihrem letzten „Stichwort“ dazu veranlasst hatten, eine grundlegende Politikreform zu fordern, ein frommer Wunsch.
So kam es, wie es kommen musste. Innerhalb weniger Tage entpuppten sich die meisten der angekündigten „Innovationen“, gelinde gesagt, als wenig durchdacht. Statt für mehr Freiheiten und mehr Mut bei der Gestaltung unserer Zukunft sind viele Vorschläge von Zukunftspessimismus geprägt und stehen für eine verstärkte Regulation und ein ausgeprägtes Misstrauensklima. Deutlich wurde dies unter anderem an den Vorschlägen zur Gentechnik und zur Schwarzarbeit. Ob positive Impulse wie die Entbürokratisierung der Unis sich überhaupt umsetzen lassen, ist fraglich.
Das Problem ist, dass es der Schröder-Mannschaft nicht gelungen ist, die einzelnen Innovationsaspekte als Bestandteile eines schlüssigen und positiv nach vorne gerichteten Gesamtkonzepts zu präsentieren. Deshalb fliegt ihr jetzt alles um die Ohren.
Die verschärfte Krise im Regierungsapparat gipfelte im Rücktritt Florian Gersters als Chef der BfA. Darin zeigte sich auch erstmals die Zerreißprobe, in der sich die SPD befindet. Schröder ahnte wohl, dass es zum offenen Eklat mit den rückwärtsgewandten Kräften in der Partei gekommen wäre, hätte er offen zu Gerster gestanden. Er zog später eigene Konsequenzen und legte das Amt als Parteivorsitzender nieder. Kurz darauf begann der Stuhl von Wirtschaftsminister Clement zu wackeln.
Das alles verspricht wenig Gutes – nicht zuletzt deshalb, weil schon heute immer seltener hoch ambitionierte Menschen dazu bereit sind, ins politische Geschäft einzusteigen. Zudem sind die Spitzen der Oppositionsparteien nicht willens oder nicht in der Lage, dem politischen Leben neuen Schwung zu geben. Sie geben sich offenbar lieber damit zufrieden, auf dem Misserfolg der Regierung herumzureiten. So stimmten Union und Liberale nach dem Abgang Gersters in den Stammtischgesang ein, demzufolge das, was in Politik und Wirtschaft organisiert wird, ohnehin von korrupten Netzwerken und Beraterfilz durchsetzt ist – als sei das Vertrauen in die Parteienlandschaft nicht ohnehin schon am Boden.
So sind wir in den letzten Wochen dem Zerfall der politischen Kultur in Deutschland wieder ein Stück näher gekommen. Es gibt allerdings auch Anzeichen dafür, dass immer mehr politisch Verantwortlichen klar wird, dass dieser destruktive Politikstil endlich ein Ende haben muss. Wir hoffen, dass sie sich durchsetzen werden.


Eine anregende Lektüre wünscht


Thomas Deichmann
Chefredakteur

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!