01.04.2003

ZUR SACHE

Von Thomas Deichmann

Krieg

Im letzten Heft kündigten wir an, dass bei der Herausgabe des vorliegenden die »100-Tage-Schonzeit« der Bundesregierung vorüber sei und man auch klarer sehen werde, wie es mit dem Irak weitergeht. Sabine Reul beschrieb in ihrem Stichwort die Verödung der politischen Landschaft und warnte vor den Folgen einer Politik, die sich von jeder neuen Entwicklung überrollen lasse, statt selbst gestaltend auf sie einzuwirken. Dass sich aber sogar in weniger als 100 Tagen Rot-Grün in der Innen- wie Außenpolitik ein solches Debakel anrichten ließe, wagte kaum jemand zu denken. Überall liegen Scherbenhaufen. Das mit Spannung erwartete gesellschaftspolitische Reformprojekt der Regierung taugt bestenfalls noch zur Abschreckung der eigenen Wähler (wie wir in Niedersachen und Hessen gesehen haben). In der Weltpolitik hat es Rot-Grün vor allem um der kurzfristigen Effekthascherei willen fertig gebracht, Deutschland in die Isolation zu treiben. Auf dem internationalen Parkett kündigen sich neue Konflikte an, die alles, was wir in dieser Hinsicht in der Nachkriegsgeschichte erlebt haben, voraussichtlich in den Schatten stellen werden.

Die Opposition hat zwar wahlarithmetisch und in Umfragen zugelegt, ist aber inhaltlich ebenso blass wie zuvor. Ihre großspurige Ankündigung, den Kanzler nach den Wahlniederlagen in Wiesbaden und Hannover mit einem Mißtrauensvotum aus dem Amt zu jagen, sind rasch verstummt. Offenbar fehlen den Oppositionsparteien eigene Konzepte und folglich der Mumm, in die Offensive zu gehen. Manch einer in CDU/CSU und FDP wird wohl vor allem froh sein, in diesen chaotischen Zeiten nicht in der Regierungsverantwortung zu stehen. Der Bundeskanzler hat sich zwar mit seiner Haltung gegen die Kriegspläne der USA außenpolitisch isoliert, aber die Umfragen in ganz Europa zeigen, dass die meisten Menschen den Krieg ablehnen. Einem Kanzler Stoiber ginge es daher wohl auch nicht viel besser – egal, ob er sich nun für oder gegen eine Kriegsbeteiligung ausgesprochen hätte. In der Irakfrage weiß die Opposition im Übrigen auch nicht mehr, ob sie ihrer gewohnten Bündnistreue den Vorrang geben oder vielleicht doch auf Distanz zu Amerika gehen soll.

Mit dem Irak haben diese Vorgänge nichts mehr zu tun. Es geht um eine Neugewichtung der Machtbalance der westlichen Staaten. Daher irren die vielen Menschen, die glauben, in Berlin sei eine Rückbesinnung auf pazifistische Werte im Gange. Und jene, die den Konflikt zwischen Deutschland und Amerika in der Irakfrage als Beginn einer Emanzipation der Europäischen Union mit ihren vermeintlich besonderen zivilisatorischen Werten von der amerikanischen Supermacht begrüßen, sollten sich das vielleicht noch einmal genauer überlegen. In Schröders Irakpolitik zeigen sich bloß blanke Nerven, der Verlust des letzten Funkens politisch-klugen Instinkts und außenpolitisches Abenteurertum. Sie gefährdet die Stabilität des Weltfriedens in jedem Fall mehr als Saddam Hussein und gewiss ebenso nachhaltig wie die Politik von US-Präsident Bush. Hier treibt ein Trend, den wir seit Jahren in Novo analysieren und kritisieren, neue gefährliche Blüten. Nicht aus politischer Überzeugung oder für eine bessere Zukunftsvision bietet man den USA die Stirn, sondern aus taktischer Profilierungssuche gegenüber dem eigenen Wahlvolk und nun auch auf der internationalen Bühne.

Erinnern wir uns an die Wahlen 1998: Nach der „100-Tage-Schonfrist“ von Rot-Grün sah es auch nicht viel besser aus. Lafontaine war zurückgetreten, die Regierung kriselte an allen Ecken. Damals flüchtetet sie sich mit ihren militärischen und moralischen Einheizern Scharping und Fischer in einen verlogenen Waffengang. Ohne UN-Mandat und gegen die deutsche Verfassung und das Nato-Selbstverständnis begann am 28. März 1999 der Bombenkrieg gegen Jugoslawien. Damit gewann die angeschlagene Schröder-Regierung Autorität zurück (und die später einsetzende Parteispendenaffäre der CDU half, ihr den Rücken weiter frei zu halten). Diesmal werden die Argumente herumgedreht. Vor vier Jahren duften Schröders Minister das Blaue vom Himmel herunter lügen und die Erinnerung an den Holocaust instrumentalisieren, um einen Angriffskrieg gegen ein souveränes Land zu legitimieren. Heute regt man sich in Berlin künstlich darüber auf, dass Briten und Amerikaner zu den gleichen Stil- und Propagandamitteln greifen, um Anhänger für ihren Krieg zu finden. Viele Medien haben mit Rot-Grün die Fronten gewechselt. Heute warnen die Scharping-Fans von einst vor amerikanischer Kriegspropaganda. Was den Konflikt zwischen Berlin und Washington angelangt, lässt sich nun vortrefflich darüber streiten, auf welcher Seite des Atlantik das größere Problem sitzt. Wir halten es dabei klassisch und kehren vor der eigenen Haustür. Die Entscheidung überlassen wir Ihnen. Die Schwerpunktartikel in diesem Novo bieten da mit Sicherheit viel Stoff zum Nachdenken.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.


Thomas Deichmann
Chefredakteur

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