01.10.2002

ZUR SACHE

Von Thomas Deichmann

BIORevolution

Wenig strittig ist die Feststellung, dass es den westlichen Gesellschaften derzeit an glaubwürdigen Zukunftsvisionen mangelt. Dass sie materiell wie ideell stagnieren, verdeutlichen nicht zuletzt die Kurseinbrüche, die eher subjektiv als objektiv bedingt sind – und der aktuelle »Wahlkampf«. Nur die Biowissenschaften scheinen nicht recht ins Bild zu passen, denn hier werden ständig revolutionäre Durchbrüche gemeldet. Unser Autor Michael Fitzpatrick ist der Frage nachgegangen, warum solche »Biorevolutionen« ein so beliebtes Thema geworden sind. Er geht davon aus, dass das nur wissenschafts-externe Gründe haben kann, denn wirkliche Revolutionen bei den Naturwissenschaften hat es seiner Meinung nach schon lange nicht mehr gegeben. In den Diskussionen über aktuelle Themen vollzieht sich offenbar ein anderer Trend: Hoffnung und Furcht hinsichtlich der Zukunft werden aus der Politik in die Biologie verlagert.

Dass die Grenzen zwischen Politik und Wissenschaften längst verschwommen sind, verdeutlicht der aktuelle Streit über Nahrungsmittel-Hilfslieferungen ins südliche Afrika. In sechs Ländern bedroht eine Dürreperiode das Leben von etwa 13 Mio. Menschen. Die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) hat vor einigen Monaten Industrienationen um Hilfe gebeten. Die EU sagte einen kleinen Beitrag zu. Den Hauptanteil werden die USA liefern. Das Notprogramm geriet jedoch ins Kreuzfeuer, weil sich unter dem über den Atlantik geschickten US-Mais auch große Mengen gentechnisch verbesserter Sorten befinden. Zuletzt verweigerte nur noch Sambia, wo Nahrungsmittel bereits rationiert sind und in den nächsten Monaten potenziell 2,3 Mio. Menschen Hunger leiden werden, immer noch die Verteilung transgener Nahrungsmittel.


Vordergründig sieht es so aus, als ginge es hier um die Biowissenschaften. In Wirklichkeit werden aber auf deren und der betroffenen Menschen Rücken politische und ideologische Konflikte ausgetragen. Da gibt es zum einen das Bestreben einflussreicher Umweltorganisationen, den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft zu verhindern. Diese Gruppierungen schüren – auch vor Ort in Afrika – apokalyptische Ängste mit der Behauptung, der Verzehr transgener Ackerfrüchte könne zu Krebs, Impotenz und neuen Allergien führen.
Darüber hinaus ist der umstrittene »Gen-Mais« (der seit 1996 von Millionen von US-Amerikanern konsumiert wird) eine Metapher für politischen und ökonomischen Streit auf anderen Ebenen. Der sambische Präsident moniert nicht zu Unrecht, die Industrienationen hätten statt ihrer millionenschweren Hilfslieferungen die Lebensmittelproduktion in benachbarten afrikanischen Ländern rechtzeitig ankurbeln können, um die Not zu lindern. Damit wäre der Region mehr geholfen, als sie jetzt wieder mit Getreide zu überhäufen und damit die einheimischen Märkte zu schwächen. Das Argument ist so abwegig nicht, hat man doch in der Vergangenheit wiederholt beobachten können, dass als Folge massiver Hilfslieferungen einheimische Agrarstrukturen zusammenbrachen und sich die Probleme und die Abhängigkeiten in Krisenregionen weiter verschärften. Angesichts der derzeitigen Dramatik der Situation ist es aber sehr fragwürdig, ob allein der Beistand afrikanischer Länder wie Uganda und Tansania Sambia aus der Misere helfen könnte. UN-Experten bezweifeln, dass die Bereitstellung von insgesamt 1,2 Mio. Tonnen Lebensmitteln, die laut dem World Food Program bis März 2003 für die sechs Länder benötigt werden, ohne Hilfe aus dem Norden durchführbar wäre.


Es ist das Recht souveräner afrikanischer Regierungen, selbst, oder noch besser im Einvernehmen mit internationalen Hilfsorganisationen darüber zu befinden, ob und welche Art von Hilfe ihr Land erreicht – ganz so, wie auch europäische und nordamerikanische Regierungschefs das tun. An diesem Punkt scheint es beim Schnüren des Hilfspakets Defizite gegeben zu haben. Dass es dem sambischen Präsidenten Mwanawasa aber weniger um die Nahrungsmittelhilfe an sich als um Lieferungen transgener Agrarprodukte geht, deutet darauf hin, dass der Sachverhalt weit komplizierter ist. Einerseits zeigt sich daran, dass die Kampagnen von Greenpeace und Friends of the Earth mittlerweile auch in Afrika im wahrsten Sinne des Wortes lebensbedrohliche Wirkung zeigen. Viel wichtiger aber ist der EU-Eiertanz zur Grünen Gentechnik, der die Durchführung des aktuellen Hilfsprogramm gefährdet.


Hinter der Aufregung um vermeintlich zu engstirnige afrikanische Despoten schwelt nämlich ein gewichtiger Konflikt zwischen den USA und der EU. Die Europäische Union hält seit 1998 an einem Moratorium gegen transgene Nahrungs- und Futtermittel fest und somit fremde Agrarprodukte von den eigenen Märkten fern. Längst wird über die Marktblockade, die sich mit wissenschaftlichen Argumenten nicht begründen läßt, auf höchster politischer Ebene gestritten. Afrikanische Politiker befürchten nun, dass es ihnen zum Verhängnis werden könnte, sollten sich transgene Sorten aus den USA in ihren Regionen unkontrolliert ausbreiten – abwegig ist diese Vorstellung nicht. Der Zugang zum für sie bedeutenden EU-Markt könnte für afrikanische Produzenten erschwert oder sogar gänzlich geschlossen werden. Die Regierungen in Mosambik und Simbabwe akzeptierten deshalb die Hilfslieferungen erst, als vereinbart wurde, dass der Mais vor der Verteilung an die Bevölkerung gemahlen wird. Dadurch kann er im eigenen Land nicht mehr angebaut werden und sich auch nicht mehr mit einheimischen Sorten vermischen. Zukunftsweisend sind all diese Streitigkeiten ganz sicher nicht.


Es wird Zeit, politische Probleme wieder beim Namen zu nennen und die grüne Biotechnologie als das zu nehmen, was sie ist: eine Option, deren Vor- und Nachteile unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu erörtern sind. Vernünftige Menschen im Norden und Süden sollten dazu doch eigentlich in der Lage sein.


Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre


Thomas Deichmann
Chefredakteur

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!