24.04.2013

Wulff-Affäre: Verramschung des Politischen

Von Kai Rogusch

Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff ist einem Transparenzkult zum Opfer gefallen, den er selbst mitgeschaffen hatte. Unser Mitleid mit ihm sollte sich deshalb in Grenzen halten. Der Verfall des Politischen hingegen ist besorgniserregend. Ein Kommentar von Kai Rogusch.

Eigentlich möchte man sich mit dem Thema ja gar nicht mehr beschäftigen – zu nervend erscheint die Angelegenheit, trotzdem:

Ex-Präsident Christian Wulff (CDU) war möglicherweise nicht gut beraten, als er das Angebot der Staatsanwaltschaft ablehnte, das eröffnete Strafverfahren wegen Bestechlichkeit gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Fast jeder hätte Verständnis dafür gehabt, wenn Wulff die leidige Angelegenheit mit einer Geldzahlung bereinigt hätte – zu groß war bei den meisten Bürgern ohnehin schon der Verdruss über das ewige Hickhack rund um diese „Korruptionsaffäre“. Inwieweit Herr Wulff durch seine unglückliche und nicht sehr souverän erscheinende Handhabung der Affäre mit zu diesem Verdruss beigetragen hatte, soll an dieser Stelle offen bleiben. Aber als ein „Schuldeingeständnis“ hätten die Verfahrenseinstellung jedenfalls nur die Verbohrtesten gewertet. Denn der Schaden ist bereits jetzt immens: Nicht nur ist Wulffs Ansehen bis auf Weiteres ruiniert. Auch seine Ehe ist kaputt. Und was uns als Bürger dieses Landes weitaus verdrießlicher stimmen muss: Die Wulff-Affäre hat uns einmal mehr vor Augen geführt, auf welch trauriges Ramschniveau die Bedeutung des Politischen in unserer Gesellschaft herabgesunken ist.

“Die politische Sphäre wird immer banaler und die Wulff-Affäre versinnbildlicht das auf‘s Trefflichste.”

Der Fall des Christian Wulff hat offen gelegt, wie zersetzend die überall geäußerten Anforderungen an „Transparenz“ sich auf die handelnden Personen und die Politik als solche auswirken. Wenn der Gedanke der „Transparenz“ zum Dreh- und Angelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung stilisiert wird, regiert der Verdacht. Wer auf diesen Verdacht gar nicht (oder nur ausweichend) eingeht, zieht noch mehr Verdacht auf sich. Wer aber versucht, den Verdacht zu widerlegen, erzeugt damit immer wieder neue Verdachtsmomente. Denn der Transparenzgedanke konzentriert sich ja gerade auf der Öffentlichkeit bislang verborgene Motive und Verfehlungen. In diesem Lichte interessiert nicht, was ein Politiker offen tut und sagt, sondern was dieser verbirgt. Wer heute Politiker werden möchte, bewegt sich deshalb in einem Mienenfeld: Er darf sich keine persönlichen Fehltritte erlauben, weil diese vielleicht Jahre später in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Mit Blick auf seine späteren politischen Stationen sollte er freundschaftliches Verhalten gegenüber anderen am besten gar nicht erst aufkommen lassen, weil es vielleicht auch irgendwann gegen einen verwendet werden könnte. Das Politikerideal unserer Tage ist der/die von persönlichen Beziehungen weitestgehend entkoppelte Saubermann/-frau. Bemerkenswert ist, dass gerade Christian Wulff sich im Laufe seiner politischen Karriere immer wieder als der größte Saubermann profilierte. So geißelte er etwa in der CDU-Spendenaffäre 1999/2000 Altbundeskanzler Helmut Kohl, als dieser sich hinter seinem „Ehrenwort“ verschanzte. Auch hat Wulff mit dazu beigetragen, die Kultur des Verdachtes im öffentlichen Leben zu verankern. Gefragt ist heute verstärkt eine von der übrigen Gesellschaft enthobene Politikerkaste, deren Mitglieder als „unabhängige“ Vertreter der Staatsräson wirken sollen – unkorrumpierbar, interessenfrei und leidenschaftslos. Ein bisschen so wie der gute alte deutsche Beamte. Nun ist aber interessant zu sehen, dass ausgerechnet jetzt, wo der Zeitgeist nach solcherlei blassen Sachwaltern eines angeblichen Allgemeinwohls verlangt, die eigentlich wichtigen politischen Fragen mehr und mehr durch eine Boulevardisierung des öffentlichen Diskurses verdrängt werden. Jeder merkt es: Die politische Sphäre wird immer banaler und die Wulff-Affäre versinnbildlicht das auf‘s Trefflichste. Sollte das hannoversche Gericht die Anklage gegen Wulff abweisen (womit nicht allzu viele rechnen), könnte dies ein Zeichen dafür sein, dass die Justiz letztlich nicht bereit ist, sich zum Schauplatz einer medialen Schmierenkomödie herabzuwürdigen. Andernfalls tritt die Kaffeesatzleserei in der Causa Wulff in eine neue Phase. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat penibel „Verbindungen“ im Graubereich zwischen Privatem und Dienstlichem zusammengetragen. Damit hat sie den vorläufigen Schlusspunkt eines „Diskurses“ eingeleitet, der so seicht ist wie die C-Promi-Gesellschaft, in der sich Wulff herumgetrieben hatte.

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