16.07.2021

Wird Bares Rares?

Von Alexander Eisenkopf

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Foto: AKuptsova via Pixabay / CC0

Banken müssen Herkunftsnachweise für höhere Bargeldeinzahlungen verlangen. Neue staatliche Vorschriften bilden einen weiteren Mosaikstein bei der Einschränkung und Stigmatisierung des Barzahlens.

Ein Vorstoß der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) von Anfang Mai zur Reglementierung von Bargeldeinzahlungen bei Banken blieb in der Öffentlichkeit – angesichts der die Medien dominierenden heftigen Diskussionen um die Corona- und Klimapolitik sowie der politischen Schaukämpfe im Vorfeld der im Herbst anstehenden Bundestagswahl – weitgehend unbeachtet. Mittlerweile hat die BaFin ihre Auslegungs- und Anwendungshinweise zu dem im Februar vom Bundestag verabschiedeten „Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche“ veröffentlicht. Mit diesem Gesetz wurde die Richtlinie (EU) 2018/1673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 umgesetzt.

Das Gesetz bringt für die betroffenen Akteure besondere (Sorgfalts-)Pflichten bei ihrer Geschäftstätigkeit mit sich, nicht nur im Finanzsektor, sondern z.B. auch für Immobilienmakler und Kunstvermittler. Dabei geht es insbesondere um Meldepflichten, wenn – wie Juristen es ausdrücken – Tatsachen darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte.

Mit den Ausführungsbestimmungen für die Banken beabsichtigt die BaFin, deren Sorgfaltspflichten im Bargeldverkehr zu konkretisieren. So sollen „regelmäßige Kunden“ der Bank bei Bargeldeinzahlungen ab 10.000 Euro grundsätzlich die Herkunft der Vermögenswerte über geeignete Dokumente nachweisen müssen. Bei Bartransaktionen unterhalb dieser Schwelle haben solche Maßnahmen nur „auf risikobasierter Basis“ zu erfolgen. Bei „Gelegenheitskunden“ würde die Schwelle sogar bei nur 2500 Euro liegen. Nun wird ‚Otto Normalverbraucher‘ sich die Augen reiben und wundern, wann er zuletzt mit solchen Summen in bar hantiert hat, außer er hat vielleicht gerade privat einen Gebrauchtwagen ge- oder verkauft.

„Die Politik versucht zusammen mit anderen Interessensgruppen seit Jahr und Tag auf verschiedensten Wegen, die Nutzung von Bargeld zurückzudrängen.“

Da Bargeldgeschäfte in dieser Größenordnung nicht die Lebenswirklichkeit der meisten Deutschen betreffen, wird eine solche Regelung auch regelmäßig nicht als Problem wahrgenommen. Möglicherweise erfährt sie sogar ausdrückliche Zustimmung, da die einschlägige Propaganda gegen das Bargeld schon länger das Bewusstsein der Öffentlichkeit manipuliert hat: Mit großen Summen von Bargeld hantieren doch nur (potenzielle) Verbrecher! – Unkontrollierter Bargeldverkehr fördert Kriminalität, Schwarzarbeit, Drogen, Prostitution und Steuerhinterziehung und muss daher unbedingt reglementiert werden. Räuberpistolen wie die Geschichte von der Großrazzia gegen einen Leverkusener Clan bieten genügend Anschauungsmaterial. Allerdings liegt das Bargeld von Kriminellen nicht zwangsläufig unter der Fußmatte eines Autos wie in diesem Fall oder wird im Garten verbuddelt, wo allerdings in Leverkusen erfolgslos gesucht wurde. Eine auch am Bodensee aktive Bande von kalabrischen Drogendealern hat dagegen das Geld aus ihren kriminellen Geschäften wohl in so genannten Erdbunkern in ihrer Heimat vergraben und auch nicht bei einem Kreditinstitut ihres Vertrauens eingezahlt.

Stigmatisierung von Bargeldnutzern

Zu Recht haben die Verbände der Kreditinstitute gegen die Neuregelung der Nachweispflichten bei Bargeldeinzahlungen protestiert. Sie verweisen darauf, dass Bargeld stigmatisiert werde, ohne dass dem ein entsprechender Mehrwert bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gegenüberstehe. Terroristen und Schwerverbrecher zahlten ja nicht typischerweise ihr Geld am Bankschalter ein. Zudem seien die Banken im Geschäftsverkehr regelmäßig vertraglich dazu verpflichtet, Bareinzahlungen auf Konten anzunehmen. Es gibt zudem auch noch Einzelhändler, die täglich ihre Einnahmen bei ihrer Hausbank abliefern. Die Banken fürchten allerdings primär die potenziellen Auseinandersetzungen mit ihren Kunden sowie den erheblichen Aufwand für die Umsetzung und Dokumentation ihrer Kontroll- und Sorgfaltspflichten – ein Erfüllungsaufwand, den man in der Gesetzesbegründung zur Reform des Geldwäschegesetzes wie so oft einfach negiert hat.

Damit greift ihre Kritik aber letztlich zu kurz und reicht nicht an den Kern des Problems: Dass die Politik zusammen mit anderen Interessensgruppen seit Jahr und Tag auf verschiedensten Wegen versucht, die Nutzung von Bargeld zurückzudrängen und damit die Freiheit der Bürger einzuschränken. Aktuell sind Pläne bekannt geworden, dass die EU-Kommission ein Limit für Bargeldzahlungen von 10.000 Euro auf dem Verordnungswege einführen will, wovon z.B. Deutschland betroffen sein wird, wo es eine solche Bargeldobergrenze in der nationalen Gesetzgebung noch nicht gibt. Auch eine neue EU-Behörde zum Kampf gegen Geldwäsche ist geplant. Bereits heute gilt die Regelung, dass Barmittel über 10.000 bei der Ein- bzw. Ausreise in/aus der EU unaufgefordert schriftlich anzumelden sind; innerhalb der EU gilt nur eine mündliche Anzeigepflicht nach etwaiger Befragung durch den Zoll.

„Man soll am besten gar nichts mehr vom Geldausgeben spüren, auch wenn am Ende des Kontos noch so viel Monat übrig ist.“

Man muss nicht gleich Verschwörungstheorien der Art anhängen, dass die Regierungen planen, über eine Digitalisierung des Geldsystems zusammen mit Social Scoring die Menschen gefügig zu machen, um die sich an verschiedenen Indizien ablesbare Entwicklung zu missbilligen. Vorgänge wie die Einflussnahme der chinesischen Regierung auf den (geplatzten) Börsengang des Fintechs Ant (Alipay) und Planspiele im Bundesforschungsministerium könnten einen ja durchaus auf solche Ideen kommen lassen. Aber nein, ein Blick auf die Fakten und deren Einordnung in das Gesamtbild des aktuellen Wirtschafts- und Währungssystems zum Beispiel in Europa sollte genügen, um sine ira et studio vor einer weiteren Diskriminierung des Bargelds zu warnen.

Gedruckte Freiheit

„Bargeld ist gedruckte Freiheit“ – dieses Zitat wird heute verschiedenen, zum Teil ‚umstrittenen‘ Protagonisten zugeschrieben. Völlig unverdächtig ist in diesem Kontext allerdings Johannes Beermann, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und dort auch für Zahlungsverkehr und Bargeld zuständig. Er spricht in einem Zeitungsinterview gerade diesen treffenden Satz aus und betont die Entscheidungsfreiheit der Bürger hinsichtlich der Wahl ihrer Zahlungsmittel. Außerdem verweist er auf die bekannte Tatsache, dass das Bezahlen mit Bargeld mehr „Schmerzen“ verursache als das Zücken einer Kreditkarte (bei der ja nur virtuelles Geld abgebucht wird), was zu einer selbstverständlichen Ausgabenkontrolle und Disziplinierung führt. Diesen Effekt machen sich umgekehrt alle Anbieter zunutze, die den Bezahlvorgang für den Kunden so einfach wie möglich machen. So hat Amazon das „Einkaufen ohne Kassen“ erstmals auf Supermarktgröße etabliert. In diesem einer Totalüberwachung unterliegenden „Selbstbedienungsladen ohne Kasse“ wird nach dem Verlassen einfach per App abgebucht. Man soll am besten gar nichts mehr vom Geldausgeben spüren, auch wenn am Ende des Kontos noch so viel Monat übrig ist.

Der Satz „Bargeld ist gedruckte Freiheit“ ist aber auch grundsätzlicher zu diskutieren. Zunächst ist festzuhalten, dass die frühere nationale und auch die heutige europäische Währungsverfassung Bargeld bzw. Banknoten als ausschließliches gesetzliches Zahlungsmittel definieren. So heißt es in § 14 Abs. 1 Satz 2 Bundesbankgesetz ausdrücklich: „Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel“. Und selbst die deutsche Wikipedia formuliert: „Die ausgegebenen Euro-Banknoten sind das einzige unbegrenzte gesetzliche Zahlungsmittel […]. Für den Gläubiger ist in allen Staaten mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel ein Annahmezwang verbunden (man spricht auch von Annahmepflicht oder schuldbefreiendem Annahmezwang).“

Jeder Versuch, die Nutzung von Bargeld mit Einschränkungen oder Erschwernissen zu belegen – und davon gibt es mittlerweile zahlreiche, wie noch zu besprechen sein wird – ist damit ein Versuch, die Rolle des Bargelds als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel zu behindern, zu begrenzen oder gar zu diskreditieren. Warum ist das potenziell für die Bürger so gefährlich und daher kritisch zu sehen?

Kein Rechtfertigungszwang für Bargeldnutzer

Grundsätzlich meint „Bargeld ist gedruckte Freiheit“, dass die Nutzung von Bargeld für wirtschaftliche Aktivitäten genau diese Freiheit manifestiert, insbesondere wenn Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat verstanden werden. Transaktionen können nach Belieben anonym vollzogen werden, wenn die Bürger dies wünschen und keine anderen zwingenden gesetzlichen Vorschriften dagegensprechen. Der Bürger muss sich insbesondere nicht rechtfertigen, wenn er Bargeld nutzt – es ist ja wie gesagt ausschließliches gesetzliches Zahlungsmittel. Bei Verwendung von Bargeld sind weder staatliche Institutionen noch Wirtschaftsunternehmen in der Lage, vollständige Nutzungsprofile von Bürgern bzw. Kunden zu erstellen und gegebenenfalls gegen deren Willen für andere Zwecke einzusetzen, wie das bei ausschließlich bargeldlosen Zahlungen im Bankensystem möglich ist. Bargeld bietet sozusagen „kostenlose Datensicherheit“, wenn man von den selbstverständlichen vorhandenen üblichen Transaktionskosten der Bargeldnutzung abstrahiert. Es kann auch nicht passieren, dass in einem „Überwachungskapitalismus“ Menschen entsprechend der Historie ihrer digitalen Zahlungsströme z. B. unterschiedliche Preise für Hotels oder Reisen zahlen müssen oder gegebenenfalls von bestimmten Dienstleistungen ausgeschlossen werden könnten.

„Die propagierte höhere Bequemlichkeit digitaler Zahlungen wird an anderer Stelle bezahlt; wie bei vielen digitalen Geschäftsmodellen selbstverständlich mit ‚Daten‘.“

Wichtig ist, dass Bargeld die Option schafft, solche unerwünschte Entwicklungen erst gar nicht eintreten zu lassen. Anbieter von digitalen Bezahlsystemen sind ja nicht unterwegs, um den Kunden etwas Gutes zu tun, sondern um Geld zu verdienen. Auch den Banken ist die Bargeldnutzung schon immer ein Dorn im Auge, weil sie für sie kostenträchtig ist und insbesondere die Schöpfung von Geld im Bankensystem (Giralgeldschöpfung) behindert. Die propagierte höhere Bequemlichkeit digitaler Zahlungen für den Kunden wird an anderer Stelle bezahlt; wie bei vielen digitalen Geschäftsmodellen selbstverständlich mit „Daten“. Wer das nicht möchte, weil er den Paternalismus des Staates oder die Lenkung seiner Konsumwünsche durch moderne Internetgiganten fürchtet, hat mit Bargeld eine solide Alternative.

Bargeld als Fluchtmöglichkeit

Der besondere Stellenwert des Bargelds in unserer Gesellschaft zeigt sich aber in Krisen und Ausnahmezeiten. So war im Zuge des ersten Corona-Lockdowns zu beobachten, dass die Bargeldnachfrage massiv gestiegen ist, ähnlich wie während der Lehmann-Brothers-Krise im Herbst 2008. Die EZB bewertet dies als Ausdruck der Gewohnheit, Bargeld als Sicherheitsmaßnahme zu horten, um die Liquidität für einen „schlechten Tag“ in der Zukunft sicherzustellen. Gleichzeitig wurde in den Medien zeitweise die Sorge geweckt, dass das Coronavirus durch Bargeld übertragen werden könne. Im Ergebnis nahm die Bargeldnutzung allerdings ab; dies vor allem wegen der Verlagerung wirtschaftlicher Transaktionen ins Internet. Es dürfte aber fest in den Köpfen der Menschen verankert sein, dass man mit Bargeld jederzeit liquide ist, auch wenn Banken zusammenbrechen, Geldautomaten wegen eines Blackouts nicht mehr funktionieren oder Konten ohne Angaben von Gründen gesperrt bzw. gekündigt werden.

Umgekehrt kann es natürlich ohne Bargeld nicht zu einem Bank Run kommen, wie er auch in der Eurozone bereits zu beobachten war. Ein fragiles und instabiles Finanz- und Währungskonstrukt wie die Eurozone wäre damit zumindest nach innen abgesichert; die äußere Flanke kann dann ergänzend über Kapitalverkehrskontrollen stabilisiert werden. Außerdem ist es möglich, ohne Bargeld problemlos negative Zinsen für alle festzusetzen, da für Bürger und Unternehmen keine Ausweichmöglichkeit mehr besteht. Mit ausschließlich digitalem Geld wäre sogar die Einführung eines sogenannten „Schwundgeldes“ vorstellbar, bei dem die Menschen Anreize haben, das Geld aufgrund des systematisch vorgesehenen Wertverlustes sofort auszugeben, und auf diesem Wege angebliche Störungen des Wirtschaftskreislaufs durch das Horten von Geld verhindert werden.

Bereits heute wird die Schlinge bei diesem Thema enger gezogen, wie aktuelle Pressemeldungen nahelegen. So müssen alle Neukunden, die ein Privatkundenkonto bei der Deutsche-Bank-Marke „Postbank“ eröffnen, seit dem 21. Juni schon ab einem Guthaben von 50.000 Euro auf Girokonten und ab 25.000 Euro auf Tagesgeldkonten 0,5 Prozent „Verwahrentgelt“ zahlen. Ähnliche Regelungen sind bei vielen anderen Banken bereits etabliert oder werden aktuell vorbereitet, so auch bei der im Markt für Tagesgelder sehr stark vertretenen ING-Diba. Solche Negativzinsen lassen sich viel besser durchsetzen, wenn die Aufbewahrung von großen Bargeldbeträgen erschwert oder unmöglich gemacht wird.

„Die Einstellung der Ausgabe von 500-Euro-Scheinen Ende 2018 war nur ein erster Schritt in diese Richtung.“

Wir alle wissen, dass das Eurosystem aufgrund seiner Konstruktionsfehler fragil und krisenanfällig ist. Mit Negativzinsen und dem massiven Ankauf von Staatsanleihen versucht die EZB Staatspleiten und Zusammenbrüche von Unternehmen zu verhindern bzw. zu verzögern. Da sie die Zinsen nicht erhöhen kann, ohne aller Voraussicht nach einen Kollaps des Euroraums und eine veritable Wirtschaftskrise auszulösen, bleibt am Ende nur die Durchsetzung eines Negativzinses für alle Guthaben. Ohne einen solchen Preis für Bankeinlagen wird eine Stabilisierung des Bankensystems nicht gelingen, da die Banken durch negative Zinsen auf der Aktivseite erheblichen Belastungen ausgesetzt sind. Einer Verwahrgebühr für Bankguthaben kann man sich aber nur schwer entziehen, wenn die Bargeldnutzung erschwert und Bargeldtransaktionen begrenzt oder sogar unmöglich gemacht würden.

Die Einstellung der Ausgabe von 500-Euro-Scheinen Ende 2018 war nur ein erster Schritt in diese Richtung. Niedrige Grenzen für Bar-Transaktionen in mehreren europäischen Ländern sprechen eine ähnliche Sprache. Auch die Absenkung des Schwellenwertes für den anonymen Kauf von Gold oder Goldmünzen auf 2000 Euro lässt sich dahingehend interpretieren, dass dem Bürger Fluchtmöglichkeiten für sein Vermögen vor der finanziellen Repression durch Inflation, Negativzins und Steuererhöhungen erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden sollen. Auf die Erklärungspflicht von Barmitteln jenseits von 10.000 Euro beim Verlassen der EU wurde bereits hingewiesen. Es sei daran erinnert, dass es in der modernen Wirtschaftsgeschichte private Goldbesitzverbote gab – nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Ein Lerneffekt der handstreichartigen Außerkraftsetzung von Grundrechten im Zuge der Corona-Pandemiepolitik könnte sein, dass auch in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise ein dann vielleicht nicht mehr möglicher Zugriff das gesamte Fiat-Geld zeigt, was eben dieses Geld ist: „Money out or thin air“.

Der digitale Euro

Ein weiteres offizielles Projekt zur Marginalisierung der Bargeldnutzung ist der digitale Euro. Während es um das maßgeblich von Facebook betriebene Projekt der privaten Kunstwährung Libra (bzw. heute Diem) schon lange sehr ruhig geworden ist, arbeitet die EZB kontinuierlich an der Einführung eines digitalen Euro als Zahlungsmittel, über dessen Einführung bald entschieden werden soll. Zwar ist digitales Geld faktisch nichts wirklich Neues. Der Bargeldumlauf in der Eurozone macht aktuell nur knapp 10 Prozent der Geldmenge M3 aus. Der große Rest ist letztlich digitales Geld, das vom Bankensystem geschaffen wird (Giralgeld). Privathaushalte und Unternehmen halten Bankeinlagen, also von den Geschäftsbanken geschaffenes digitales Geld, über das die Haushalte und Unternehmen wiederum bei ihren (digitalen) Zahlungen verfügen. Einen direkten Zugang zur Zentralbank in Form von Guthaben bei der Zentralbank haben derzeit allerdings nur die Geschäftsbanken, während private Haushalte und Unternehmen außen vor bleiben müssen. Der digitale Euro würde auch ihnen den Zugang zu einem Konto bei der EZB eröffnen. Kontoguthaben wären dann genauso sicher und einfach einsetzbar wie Bargeld, und eine breite Nutzung dieser Fazilität vermag die Transaktionskosten der Bargeldnutzung verringern und damit Wohlfahrtssteigerungen ermöglichen.

So weit so gut, wenn damit nicht die institutionellen Rahmenbedingungen des europäischen Bankensystems fundamental verändert würden. Wenn der private Sektor direkt auf Zentralbankgeld dieser Art zurückgreifen kann, um Zahlungen zu tätigen, wird die Funktion der Geschäftsbanken als Intermediären tendenziell kannibalisiert, da kurzfristige Bankeinlagen als wichtige Refinanzierungsquelle immer weniger zur Verfügung stehen. Unternehmen und Haushalte werden diese in verstärktem Maße bei der EZB halten. Auch wenn die Auswirkungen im Detail heute kaum absehbar sind, ist klar, dass sich die Funktionsmechanismen des europäischen Geschäftsbankensystems massiv verändern werden. Damit kann die Marktmacht der Zentralbank zu Lasten der Geschäftsbanken weiter gestärkt und eine umfassende Kontrolle der Finanzströme abgesichert werden. Der EZB-Kritiker und Ökonom Richard Werner vergleicht die EZB bereits heute mit der Deutschen Reichsbank, weil ihrer Politik den Geschäftsbankensektor systematisch kannibalisiere. Das würde sich mit einem digitalen Euro zusätzlich verschärfen.

„Mit dem Herkunftsnachweis bei Bargeldeinzahlungen wird die Nutzung von Bargeld wieder ein bisschen schwerer gemacht – eine Politik der Nadelstiche“

All diese Entwicklungen wirken zusammen und komplementär, aber es ist nicht zu erwarten, dass die Politik die deutsche Bargeldnutzung in absehbarer Zeit komplett verbieten wird. Zudem verändern sich faktisch die Zahlungsgewohnheiten, allein weil die nachwachsende Generation den Sirenengesängen der Digitalwirtschaft aufgeschlossener gegenübersteht als ihre Vorgänger. Eine aktuelle Studie des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI sagt aus, dass der Anteil der Barumsätze im stationären Einzelhandel im Jahr 2020 um rund 5 Prozentpunkte auf 40,9 Prozent gesunken ist.

Zermürbende Politik der Nadelstiche

Insgesamt mehren sich jedoch die Anzeichen, dass die Daumenschrauben der finanziellen Repression auch beim Bargeld enger angezogen werden. An diesem Prozess sind nicht nur die Politik, sondern auch die Banken und die Wissenschaft beteiligt. Während der Vorschlag Wolfgang Schäubles von Anfang 2016, eine Obergrenze für Bargeldzahlungen von 5000 Euro einzuführen, bei den bargeldverliebten Deutschen noch für einen Aufschrei sorgte, blieb die eingangs angesprochene Pflicht zum Vorlage eines Herkunftsnachweises bei Bargeldeinzahlungen in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Auch gegen die geplante europaweite Obergrenze von 10.000 Euro für Barzahlungen wird sich kaum Widerstand regen. Vergegenwärtigen sollte man sich auch, dass der seinerzeitige Vorstandschef der Deutschen Bank bereits beim Weltwirtschaftsforum des Jahres 2016 in Davos prophezeite, dass es in zehn Jahren kein Bargeld mehr gebe. Und in der Wissenschaft wird die Abschaffung des Bargelds als zentrale Voraussetzung angesehen, um über Negativzinsen die Geldpolitik zum Abbau des Sparüberhangs wirksam werden zu lassen (Savings-glut-Hypothese). Der amerikanische „Star-Ökonom“ Kenneth S. Rogoff plädierte bereits 2015 in einem Handelsblatt-Interview für die Abschaffung des Bargeldes.

Mit dem Herkunftsnachweis bei Bargeldeinzahlungen wird die Nutzung von Bargeld wieder ein bisschen schwerer gemacht – eine Politik der Nadelstiche. Die Wirkung ist eher eine langfristig zermürbende und besonders perfide, weil Bargeldbesitzer mit dieser Regelung systematisch unter einen Generalverdacht gestellt werden. Nicht der Staat muss ihnen nachweisen, dass sie ihr Geld gegebenenfalls unrechtmäßig erworben haben, sondern sie selbst müssen lückenlos belegen, dass die Herkunft des Geldes „sauber“ ist. Mit einer solchen Umkehr der Beweislast wird aber unsere freiheitliche Wirtschaftsverfassung in einem wesentlichen Bereich auf den Kopf gestellt. Dabei tröstet es nicht, dass auch in anderen Ländern ähnliche Praktiken Standard sind. Ob die bisher noch nicht erwähnten Kryptowährungen wie der Bitcoin einen möglichen Ausweg aus dieser Misere bieten, ist dann noch ein ganz anderes Thema – auch hier zeichnen sich massive staatliche Eingriffe ab, von den absurd hohen täglichen Wertschwankungen einmal abgesehen.

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