04.06.2014
“Wir wenden uns gegen Bevormundungs-Feminismus.“
Interview mit Juanita Henning
Die Vorsitzende der Prostituierten-Selbsthilfeorganisation Doña Carmen kritisiert die überhandnehmende Kontrolle und Einschränkung der Prostitution. Staatliche Repression hilft nicht weiter, die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen zu verbessern
NovoArgumente: Frau Henning, ist die Prostitution ein Beruf wie jeder andere auch?
Junita Henning: Aus meiner Sicht ist Prostitution ein Beruf, der wie jeder andere Beruf Besonderheiten aufweist. Dazu gehört der höchstpersönliche und intime Charakter sexueller Dienstleistungen. Aber das ist nur die Form. Entscheidend ist der Inhalt: Professionell betriebene Prostitution beruht auf einer Trennung von Sexualität und Liebe. Sie gewährleistet – in der Regel dem Mann – eine einvernehmlich vereinbarte, vom Zufall und der Gunst des Augenblicks losgelöste, jederzeit mögliche, nicht reproduktive sexuelle Befriedigung jenseits sozialer Verpflichtungen. Die „Trennung von Sexualität und Liebe“ konkurriert mit dem zur Norm erhobenen christlich-abendländischen Modell der „Einheit von Sexualität und Liebe“. Daher die gesellschaftliche Diskriminierung und die rechtliche Ungleichbehandlung der in ihrer überwiegenden Mehrzahl weiblichen Sexarbeiter in der Prostitution. Daher auch die hohe Mobilität von Sexarbeitern und die in der Regel auf Anonymität und Diskretion beruhende Ausübung dieses Berufs. Die Herausforderung, vor der wir gegenwärtig stehen, ist eigentlich klar: Eine freiheitliche Rechtsordnung hat zu gewährleisten, dass diese Besonderheiten nicht länger als Anlass für eine diskriminierende rechtliche Sonderbehandlung der Sexarbeiter und der Betreiber von Prostitutionsstätten dienen dürfen. Die Anerkennung von Prostitution als Beruf ist noch keineswegs verwirklicht.
„Schwarzer definiert immer für andere, was deren ‚Menschenwürde‘ ist.“
Ende letzten Jahres haben Sie massiv Alice Schwarzes „Appell gegen Prostitution“ kritisiert. Wieso?
Schwarzers Appell beruhte auf einer Aneinanderreihung von Unwahrheiten: „700.000 Frauen“ in der Prostitution, das Prostitutionsgesetz eine Begünstigung der „Frauenhändler“, Deutschland eine „Drehscheibe des Frauenhandels“ etc.– alles blanker Unsinn, aber bestens geeignet für eine mediale Stimmungsmache gegen Sexarbeiter, um einer neuen repressiven Reglementierung von Prostitution den Weg zu ebnen. Das haben wir kritisiert und im Detail widerlegt. Wir haben uns gegen den illiberalen Gestus der „Ächtung“ von Prostitution gewandt. Denn eine schärfere Gangart gegen Prostitution war historisch schon immer ein Vorbote dafür, dass es tatsächlich gegen die freizügige Sexualität aller Frauen, gegen eine freie Gesellschaft ging. Gibt es auch nur ein einziges geschichtliches Beispiel dafür, dass ein Verbot von Prostitution die Gleichstellung von Mann und Frau vorangebracht hat? Das suggeriert Schwarzer. Sie argumentiert mit der Menschenwürde. In Wirklichkeit spielt sie die Würde des Menschen gegen sein Selbstbestimmungsrecht aus. Schwarzer definiert immer für andere, was deren „Menschenwürde“ ist. Der Wille der Betroffenen, ihre eigene Entscheidung, das ist ihr egal.
Wir wenden uns gegen einen solchen Bevormundungs-Feminismus. Wenn Schwarzer und die 10.000 Unterzeichner ihres Appells gegen Prostitution sind, so ist das ihr gutes Recht. Wir respektieren diese moralische Position, auch wenn wir sie nicht teilen. Aber Moral darf nicht zur Maßgabe des Rechts werden und darf nicht über das Recht gestellt werden. Moral und Recht gehören entkoppelt. Ich bin gegen einen fundamentalistischen Kulturkampf „Pro“ oder „Contra“ Prostitution. Stattdessen sollten wir die Souveränität haben, das „Recht auf Prostitution“ zu respektieren und es all jenen zugestehen, die es als Anbieter oder Käufer sexueller Dienstleistungen in Anspruch nehmen möchten.
Kritiker, wie Alice Schwarzer, sprechen den Frauen in der Prostitution grundsätzlich ab, dass sie ihrem Beruf aus freien Stücken nachgehen. Was entgegnen Sie?
Hinter der „Grundsätzlichkeit“, mit der ja schon „aus Prinzip“ den Frauen in der Prostitution jede Freiwilligkeit abgesprochen wird, verbirgt sich meiner Meinung nach ein Wegducken vor der facettenreichen Realität. Prostitutionsgegnern wie Frau Schwarzer geht es um die Kultivierung ihrer Lebenslüge, Frauen würden in der Prostitution nicht einvernehmlich eine Dienstleistung, sondern stattdessen ihren Körper, ihre Seele oder ihre Person verkaufen. Wenn dem so wäre, hätten die Prostitutionsgegner zweifellos Recht. Nur: Dem ist nicht so. Denn professionell betriebene Prostitution versteht zwischen Sexualität und Liebe zu trennen. Ausgehend von der unhistorischen Verabsolutierung der „Einheit von Sexualität und Liebe“ sehen Prostitutionsgegner in dieser Trennung jedoch lediglich einen Defekt, ein Indiz für ein krankhaftes „Abspalten“ der Gefühle, nicht aber eine besondere Befähigung, eine durch Erfahrung und Professionalisierung entwickelte Kulturtechnik. Deshalb wollen sie nicht begreifen, dass hier keineswegs der gesamte Mensch „verkauft“ wird, sondern nur ein zeitlich befristeter Dienst angeboten wird.
Hinzu kommt ein weiterer Fehler der Prostitutionsgegner, wenn sie „Freiwilligkeit“ nicht als den Gegenpol von „Zwang“, sondern als Gegensatz zu Notwendigkeit und Verpflichtung interpretieren. Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, aber nicht ihr Gegensatz. Wer aus ärmeren Ländern wie Rumänien und Bulgarien hierher migriert, handelt aus der Notwendigkeit heraus, ein Auskommen zu finden. Das hat aber mit Zwang nichts zu tun. Nehmen wir ein Beispiel: Der Schulbesuch kann als Notwendigkeit angesehen werden („Schulpflicht“). Wenn wir uns dem unterwerfen, ist das kein Zwang, kein Gegensatz zur Freiheit, sondern deren ureigenste Voraussetzung. Eine solche Differenzierung tut not. Prostitutionsgegner aber identifizieren – seltsamerweise nur im Falle von Prostitution – „Notwendigkeit“ und „Zwang“ mit der Folge, dass sie nirgends eine Freiwilligkeit mehr erkennen können. Ein Fall von Interesse geleiteter Selbsttäuschung. Den Realitäten in der Prostitution wird man so jedenfalls nicht gerecht.
Was ist dran an der Vorstellung, dass viele ausländische Prostituierte gar nicht wissen, was sie in Deutschland erwartet – sie sozusagen unter falschen Vorzeichen in das Sexgewerbe gelockt werden?
Ich habe zwanzig Jahre lang mit Prostitutionsmigrantinnen gearbeitet und habe speziell zu dieser Problematik viele kolumbianische Prostituierte in Frankfurt interviewt. Die Frauen – auch wenn sie aus sehr weit entfernten Ländern kommen – wissen vorab sehr wohl, was sie hier tun und in der Regel auch, wie viel sie hier verdienen werden. Wenn die Frauen gut verdienen, sind ihnen die konkreten Arbeitsbedingungen oftmals gleichgültig – ob sie nun ihren Vorstellungen entsprochen haben oder nicht. Nach meinem Dafürhalten sind ca. 90 Prozent der rund 200.000 Sexarbeiter hierzulande Migrantinnen. Wer glaubt, eine derart große Migrationsbewegung beruhe auf „Unwissenheit“ oder auf einem „Anlocken“ der Frauen, kann nicht beanspruchen, für voll genommen zu werden. Wer in den Prostitutionsetablissements, auf den Straßen drum herum oder in den einschlägigen Internet-Shops die Frauen mit ihren Handys telefonieren, mailen oder skypen sieht, kann über das Vorurteil, Prostitutionsmigrantinnen seien naiv und unwissend, nur den Kopf schütteln. Die meisten von ihnen kommen übrigens aus Millionenstädten. Dagegen sind deutsche Großstädte recht überschaubar. Wer einerseits die Unkenntnis und das mangelnde Wissen ausländischer Prostituierter wortreich beklagt, andererseits aber geizt, wenn es um die Finanzierung unabhängiger Beratungsstellen für die Frauen geht, heuchelt nur Interesse und Mitgefühl. Dahinter verbirgt sich das Interesse, Prostitution einzudämmen und Migranten in ihre Herkunftsländer abzuschieben.
„Kein anderer Wirtschaftszweig wird in Deutschland so überdimensioniert und so nutzlos überwacht!“
Was hat das Prostitutionsgesetz von 2002 gebracht? Wie bewerten Sie das Argument, Kontrollen und Vorgehen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution seien dadurch erschwert worden?
Das Prostitutionsgesetz von 2002 ist mausetot, gescheitert an der Halbheit, die ihm seine Urheber, SPD und Grüne, mit in die Wiege gelegt haben. Eine konsequente Dekriminalisierung von Prostitution hat nicht stattgefunden, im Gegenteil, die rechtliche Ungleichbehandlung durch stigmatisierende Sonderparagrafen im Straf- und Ordnungsrecht ist beibehalten und ausgebaut worden. Die Konservativen, die dieses Gesetz allein schon aufgrund seiner liberalen Rhetorik gehasst haben, haben alles daran gesetzt, dass die Kontrolldichte der Prostitution auch in den vergangen zehn Jahren nicht nachgelassen hat.
Kontrollen und Razzien erfolgen auf Grundlage von Landespolizeigesetzen, und die sind mit dem Prostitutionsgesetz nicht geändert worden. Doña Carmen führt nun seit fast 15 Jahren eine bundesweite Statistik der Razzien im Prostitutionsgewerbe. [1] Daher wissen wir, dass durch Razzien jährlich etwa 4.000 Frauen im Prostitutionsgewerbe kontrolliert werden. Nach Berechnungen von Doña Carmen muss man – ausgehend von Angaben der Polizei und den LKAs – jährlich mit weiteren 11.500 so genannten „Routinekontrollen“ und 44.000 dabei kontrollierten Personen im Prostitutionsgewerbe rechnen. Binnen vier Jahren hätten bundesdeutsche Ermittler so ziemlich alle im Prostitutionsgewerbe tätigen Personen einmal kontrolliert. Kein anderer Wirtschaftszweig wird in Deutschland so überdimensioniert und so nutzlos überwacht!
Wie ist die Datenlage in diesem Bereich? Immer wieder hört man, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer gebe, weil es sich um organisierte Kriminalität handle und die Frauen sich nicht trauten, auszusagen.
Wenn ein Bereich so umfassend kontrolliert wird wie die Prostitution, so kann es aus unserer Sicht keine hohe Dunkelziffer bei kriminellen Delikten geben. Und die Delikte, die bekannt werden, sind allenthalben rückläufig. 2001 gab es bei „Ausbeutung von Prostituierten“ (§ 180 a StGB) 138 verurteilte Täter. 2011 war es nur noch ein einziger verurteilter Täter. 2001 gab es 163 verurteilte Täter bei „Zuhälterei“, 2011 waren es hierbei noch 32 verurteilte Täter. Bei „Menschenhandel“ waren es 2001 insgesamt 151 verurteilte Täter, 2011 waren es 117 verurteilte Täter. Etablissements im Rotlicht sind sicher kein Mädchenpensionat, aber ein Hort der organisierten Kriminalität sind sie auf keinen Fall. Denn im Hinblick auf das Verhältnis von „mutmaßlichen Opfern“ zu „Tatverdächtigen“ liegt bei allen drei genannten Delikten eine Relation von annähernd 1:1 vor. Bei „Menschenhandel“ ist das bereits seit 20 Jahren so. Soll das etwa ein Indiz für organisierte Kriminalität sein? Im Übrigen kommen die Anzeigen gegen Menschenhandel zu 60 bis 70 Prozent durch die Frauen selbst bzw. aus Ihrem unmittelbaren Umfeld. Das ergaben zwei Studien im Auftrag des BKA zum Thema „Menschenhandel“.
„Im Falle einer Konzessionierung von Prostitution ist nichts Geringeres geplant, als sämtliche Prostitutionsstätten auf Dauer zum „Gefahrengebiet“ zu erklären.“
Die aktuelle Regierungskoalition plant, das Sexgewerbe stärker zu regulieren. Was bedeutet das für die dort tätigen Menschen?
Um Ihre Frage zu beantworten, muss man nicht im Kaffeesatz lesen. Denn es gibt schon verschiedene Positionspapiere und Gesetzentwürfe, aus denen klar hervorgeht: Die ohnehin eingeschränkten Rechte von Sexarbeitern in der Prostitution sollen noch weiter beschnitten, die Pflichten hingegen ausgeweitet werden. Geplant ist erstens eine generelle Anzeigepflicht für Sexarbeiter in Prostitutionsstätten; zweitens eine Meldepflicht für Betreiber von Prostitutionsstätten. Sie sollen künftig die bei ihnen tätigen Frauen umgehend den Behörden melden. Drittens soll es Kontrollpflichten der Betreiber gegenüber den Frauen hinsichtlich ihres aufenthaltsrechtlichen Status geben. Viertens: Für sämtliche Verträge und Absprachen mit Sexarbeiter soll zukünftig eine Dokumentationspflicht gelten. Es ist fünftens die Pflicht zur Offenlegung dieser Absprachen und Verträge geplant. Und sechstens schließlich die von Bundesrat und Innenministerkonferenz geforderte Ausweispflicht für Sexarbeiter. Das Ganze läuft auf ein umfassendes Bewegungsprofil der Sexarbeiter hinaus, sprich: auf eine bundesweite Sexarbeiter-Datei. Ein lückenloses System der Kontrolle und Überwachung wird die gläserne Prostituierte zur Folge haben. Das lehnen wir entschieden ab.
In Ihren Stellungnahmen kritisieren Sie vor allem auch die geplante Konzessionierung von Prostitutionsstätten. Warum ist Ihnen dieser Aspekt so wichtig?
Stimmt, die Konzessionierung oder „Erlaubnispflicht“ von Prostitutionsstätten ist uns ganz besonders ein Dorn im Auge. Und zwar deshalb, weil deren Kernstück die an § 29 Gewerbeordnung angelehnte Möglichkeit jederzeitiger anlassloser und verdachtsunabhängiger Kontrollen von Prostitutionsstätten ist. Diese so genannte „Auskunft und Nachschau“ bedeutet Kontrollen unterhalb der Schwelle eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses, sofern die betroffenen Räumlichkeiten nicht zugleich Wohnzwecken dienen. Wir finden das in Bezug auf Sexarbeit ungeheuerlich: Weltweit empören sich Menschen über die bekannt gewordenen NSA-Praktiken. Was die NSA macht, ist nichts anderes als anlasslose, verdachtsunabhängige digitale Kontrollen. Bei der jetzt geplanten Konzessionierung von Prostitutionsstätten wird genau das als legaler gesetzlicher Normalzustand angestrebt, was die NSA jetzt illegal praktiziert.
Wir erinnern uns: Vor Kurzem ging ein großes Erstaunen durch die Republik, dass die Hamburger Polizei ohne richterlichen Beschluss ganze Stadtteile zu einem so genannten „Gefahrengebiet“ erklären und Bürger dort wahllos anhalten, kontrollieren und durchsuchen kann. Im Falle einer Konzessionierung von Prostitution ist nichts Geringeres geplant, als sämtliche Prostitutionsstätten auf Dauer zum „Gefahrengebiet“ zu erklären. Gegenüber einer offenbar missliebigen Berufsgruppe hätte die Polizei dann dauerhaft all die Kontrollrechte, die sie in Hamburg nur zeitlich begrenzt und aufgrund einer besonderen Konfliktlage in Anspruch nahm.
„Wir treten für Frauenrechte ein, und zwar ungeteilt.“
Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen, ein Etikett, dass sich Prostitutionsgegnerinnen wie Alice Schwarzer ja gerne an die Brust heften?
Mir sind sämtliche Etiketten egal. Wir treten für Frauenrechte ein, und zwar ungeteilt. Auch Sexarbeiterinnen in der Prostitution sind Frauen, deren Rechte zu verteidigen sind. Zur Gleichstellung von Frauen gehört aus unserer Sicht auch die vollständige rechtliche Gleichstellung von Prostitution mit anderen Erwerbstätigkeiten. Wer wie Schwarzer die Ächtung von Sexarbeit fordert, hat keinen Anspruch darauf, sich als „Frauenrechtlerin“ feiern zu lassen. Auch ohne fette Steuerhinterziehung zeichnete sich Schwarzers Standpunkt schon immer durch Scheinheiligkeit und Doppelmoral aus. Darauf lässt sich kein Feminismus gründen.
Wieso gibt es nur so wenige Sexarbeiter, die offen für ihre Rechte streiten?
Sexarbeiter in der Prostitution sind in vielen Fällen Einzelunternehmer und – zu ihrem Nachteil – auch untereinander in Konkurrenz. Sie kommen mittlerweile aus den verschiedensten Ländern und Kontinenten hierher, da gibt es kulturelle und natürlich viele sprachliche Barrieren. Und: Sie alle arbeiten in einem rechtlich diskriminierten und gesellschaftlich stigmatisierten Bereich. Das führt oft zu Isolation oder Abtauchen in der jeweils eigenen Community. Viele sind Pendlermigrantinnen und kehren zeitweise oder später wieder ganz in ihre Heimatländer zurück. All das sind Faktoren, die einen gemeinsamen Kampf für Rechte zweifellos erschweren. Es bedarf sehr viel Geduld, dass sich halbwegs verfestigte Strukturen eines kollektiven Widerstands herausbilden. Gegenwärtig ist das bestenfalls punktuell der Fall. Gerade deshalb sollte man die Frauen nicht im Regen stehen lassen, sollte die Zivilgesellschaft hierzulande eine Lanze brechen für die Rechte dieser Frauen und damit aller Frauen.
Inwieweit wird die Prostitution heute noch im Gegensatz zu anderen Berufen diskriminiert?
Nach wie vor bestehen gesetzlich verankerte Sonderbestimmungen zum rechtlichen Umgang mit Prostitution. Dazu zählen § 180a StGB („Ausbeutung von Prostituierten“), § 181a StGB („Zuhälterei“), § 184e StGB („Ausübung der verbotenen Prostitution“), § 184f StGB („Jugendgefährdende Prostitution“), § 232 StGB („Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“), Art. 297 EGStGB („Verbot der Prostitution“), § 104 Abs. 2 StPO (Gleichsetzung von Orten der Prostitution mit Orten, an denen Straftaten begangen werden), § 119 und § 120 OwiG („Grob anstößige und belästigende Handlungen“, „verbotene Ausübung der Prostitution, Werbung für Prostitution“), § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG („Ermessensausweisung“), § 4 Abs.1 GastG („der Unsittlichkeit Vorschub leisten“).
Darüber hinaus gibt es die rechtliche Festschreibung einer diskriminierenden Sonderbehandlung von Prostitution in diversen Landespolizeigesetzen sowie in der Strafprozessordnung. Die geplante Einführung einer Kriminalisierung von Prostitutionskunden setzt diese Diskriminierung fort. Als wäre all das nicht genug, gibt es noch rechtlich zweifelhafte und gesetzlich nicht geregelte behördliche Maßnahmen im Grauzonenbereich wie die Datensammelwut gegenüber Sexarbeitern, die Praxis der Sonderbesteuerung nach dem so genannten „Düsseldorfer Verfahren“ [2] und überzogene Praktiken bei Kontrollen von Prostitutionsstätten.
Welche Forderungen vertritt die Prostituiertenbewegung, um das zu ändern?
Wir werden in Kürze einen eigenen Gesetzentwurf zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes vorlegen. Die Kernpunkte dieses Gesetzentwurfs lauten: Regulierung der Prostitution auf Grundlage einer vollständigen rechtlichen Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten. Für eine Regulierung von Prostitutionsstätten – aber nur auf Grundlage einer „gewerberechtlichen Anerkennung“ von Prostitutionsstätten als „anzeigepflichtige Gewerbebetriebe“ nach § 14 Gewerbeordnung, nicht als erlaubnispflichtige (konzessionierte) Betriebe mit Führungszeugnis, Auflagen, Dauerkontrollen und Einbindung der Betreiber als Überwacher der Sexarbeiter. Und schließlich: Regulierung von Prostitution unter Anerkennung der Besonderheiten von Sexarbeit, d.h. als „freiberufliche Tätigkeit“ im Gewerbe-, Bau- und Steuerrecht. Momentan gibt es noch keine „Prostituiertenbewegung“, es gibt nur punktuelle Zusammenschlüsse, aber es gibt eine immer bessere kommunikative Vernetzung. Das gibt Anlass zur Hoffnung.